Auf dem Weg zum „globalen Bildungsmarkt“
Teach First Deutschland und die Privatisierung (zuerst) der Lehrerausbildung
[1]


von Jens Wernicke

11/08

trend
onlinezeitung

„Ich freue mich, dass die Initiative Teach First Deutschland Kinder und Jugendliche an Schulen in besonders benachteiligten Gebieten aktiv unterstützen will. Das ist eine interessante Möglichkeit, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. Besonders bemerkenswert finde ich, dass eine praxisorientierte Qualifizierung der zukünftigen Pädagoginnen und Pädagogen mit einer Veränderung der Schulkultur sowie einer aktiven Karriereunterstützung verbunden werden soll.
Das Projekt hat meine volle Unterstützung.“
Priska Hinz Bildungs- und forschungspolitische Sprecherin
der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
 

„Ich unterstütze Teach First Deutschland, da diese Initiative gesellschaftliche Kräfte dort bündelt, wo sie am dringendsten gebraucht werden - an unseren Schulen.“
Prof. Dr. Erich Thies, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz 

Die Initiative Teach First Deutschland. Begeistert für Bildung wurde vor gut einem Jahr gegründet und etabliert sich im Moment als gemeinnützige GmbH mit Sitz in Berlin. Ihre Idee geht aus einer Masterarbeit an der Hertie School of Governance, einer Privathochschule, an der ein „Master“-Abschluss bis zu 20.000 Euro an Gebühren kostet, hervor, die der Initiative aktuell auch ihre Geschäftsstelle am Schlossplatz 1 in Berlin – im ehemaligen Gebäude des Staatsrats der DDR - bereitstellt.

Teach First geht es laut offiziellen Verlautbarungen darum (http://www.teachfirst.de/tfd/programm), Schülerinnen an Schulen in sozialen Brennpunkten „zu besseren Leistungen“ zu motivieren und somit etwas gegen die „mangelnde Chancengerechtigkeit“ im deutschen Bildungssystem zu tun. Zitat:  

„Unser Ziel für den zweijährigen Einsatz: Die Fellows motivieren die Schüler als junge Vorbilder und befähigen sie zu besseren Leistungen. Mit Leidenschaft, Talent und vielfältigen Erfahrungen bereichern sie die Schulen. Auf lange Sicht werden sich ehemalige Fellows aus führenden Positionen im Bildungswesen, in der Politik, Wirtschaft oder Zivilgesellschaft weiter zugunsten benachteiligter Schüler einsetzen und als zukünftige Entscheider zur Veränderung des Bildungssystems beitragen. Um den Erfolg zu gewährleisten, werden nur Fellows mit überdurchschnittlichen akademischen Leistungen sowie besonderer persönlicher Eignung ausgewählt. Vor und während ihres Einsatzes werden sie intensiv und speziell ausgebildet und kontinuierlich betreut. Im zweiten Programmjahr bilden sie sich zusätzlich in enger Kooperation mit unseren Partnerunternehmen für Führungsaufgaben im Bildungswesen und im Privatsektor weiter.“  

Konkret geht es also nicht etwa darum, das dreigliedrige Schulsystem strukturell in Frage zu stellen, sondern, ganz im Gegenteil, dieses vermeintlich „chancengerecht“ zu gestalten, indem in ferner Zukunft in möglichst vielen Haupt-, Real- und Gesamtschulen so genannte „Fellows“ (sozusagen StipendiatInnen) der Initiative Schülerinnen und Schüler „besser“ (als der Staat es bisher in Eigenregie vermochte) betreuen. 

Zum Schuljahresbeginn 2009/2010 startet Teach First bereits in Berlin und Hamburg – sowie darüber hinaus wahrscheinlich, hier finden aktuell noch Gespräche statt, in Hessen und Nordrhein-Westfalen. Los geht es dann mit 150 Fellows in diesen 4 Bundesländern; es sollen jedoch sukzessive stets mehr Fellows sowie perspektivisch alle Bundesländer werden.  

Im Großen und Ganzen wird dann Folgendes geschehen: Teach First allein – finanziert bisher unter anderem von Lufthansa, Deutsche Post, Microsoft Deutschland, den Zeit-, Hertie- und Vodafone-Stiftungen (vgl. http://www.teachfirst.de/tfd/unterstuetzer/) sowie 2 privaten und namentlich nicht bekannten „Mäzenen“ (mit Robert-Bosch- und Jacobs-Stiftung finden aktuell Gespräche bezüglich möglicher Kooperationen statt) – übernimmt Auswahl und Ausbildung von (vermeintlich) „exzellenten Personen“, die dann als von der Wirtschaft und in deren Interesse bzw. mit deren Weltsicht ausgebildete „Fellows“ als Ersatz- bzw. Unterstützungslehrer (zuerst vor allem) an solche deutschen Schulen gehen, in denen es viele benachteiligte Schülerinnen und Schüler gibt. Diese Fellows werden von den Kultusministerien mit ca. 1.700 Euro brutto monatlich – und aus „zusätzlich“ zu schaffenden Personaltöpfen, die eine Verdrängung „normaler“ Lehrer somit vermeintlich verhindern – aus öffentlichen Geldern bezahlt und entstammen, der Selektion nach „überdurchschnittlichen Studienleistungen“ sei es gedankt, wahrscheinlich fast ausschließlich dem Klein- und ggf. Großbürgertum. An den Schulen sollen sie den benachteiligten Kindern dann zum einen ein Vorbild sein („Sieh mal hier, ich als jemand, der begabt ist und Karriere machen kann, kümmere mich um Dich“, „Schau an, auch ich habe doch mit exzellenten Noten mein Biochemie-Studium abgeschlossen, das vermagst also auch Du, auf Deiner Hauptschule hier, wenn Du es nur richtig, richtig willst“ etc.) sowie diese, wie bereits erwähnt, dazu bringen, ihre gesellschaftliche, strukturelle sowie in der Regel sicher materielle Benachteiligung aus eigenen Kräften heraus zu überwinden, indem sie die „exzellenten“, „hochbegabten“ Benachteiligten unterstützen, ihr Leistungspotential zu erschließen.  

Damit aber nicht genug. In Aussicht gestellt wird den so genannten „Fellows“, die ob ihrer „über­durchschnittlichen Studienleistungen“ in der Breite wohl durchaus materiell lukrativere Möglichkeiten hätten als ausgerechnet in Sozialen-Brennpunkt-Schulen für „unter Lehrergehalt“ die Aushilfe zu machen, dass sie danach „womöglich“ als „Führungskräfte“ im Bildungssystem verbleiben. In Amerika und Großbritannien sei es in ähnlichen Projekten bspw. bereits so, dass die Hälfte aller Fellows „in Schlüsselpositionen“ des Bildungssystems verbleibe, die Hälfte dieser Hälfte wiederum, also 25 Prozent, in den Schulen: Als DirektorInnen, SchulleiterInnen, „SchulleitungsdirektoriatsmanagerInnen“ etc.… 

Mehreres muss insofern wider die philanthrope Rhetorik des Projektes klar benannt werden: 

1.  Selektivität und Benachteiligung werden durch dieses Projekt nicht beseitigt, sondern maximal in Einzelfällen und nur zum Teil kompensiert. Insofern stellt sich das Projekt als strukturkonservativ da innovationsfeindlich dar: Die Hauptschule wird „beschützt“ statt bspw. zu Gunsten integrativer Gesamtschulen für alle abgeschafft.

2.  Sollte dieses Projekt sich verbreitern und an Einfluss gewinnen, bildet fortan die Wirtschaft die zukünftige „Führungs-Elite“ des Bildungswesens, nämlich Schulleiter, die von Pädagogik wohl i.d.R. kaum viel verstehen werden, und zudem hohes Verwaltungspersonal für „den Bildungsbereich“ aus. Es steht zu vermuten, dass hier eher wirtschaftliche denn pädagogische Prinzipien vermittelt werden und zudem „Mäzene“ die Deutungshegemonie darüber erlangen werden, was eigentlich Benachteiligung und wie dieser zu begegnen ist. – Tatsächlich geht es also weniger um „mehr Gerechtigkeit“, denn mehr um Einfluss auf die Umgestaltung des Bildungssystems: Das (vor allem höhere) Personal für den „Bildungsmarkt“, auf dem Schulen in mittelfristiger Zukunft wie Unternehmen „geführt“ werden sollen, wird bereits heute herangezogen, in Wirtschafts- und Alumni-Netzwerken eingebunden, „großgezogen“, mit Privilegien und „Schlüsselkompetenzen“ versehen, rekrutiert…

3.  Der „Karriereweg“ eines Schulleiters ändert sich somit perspektivisch vollständig – und hiermit wohl auch dessen „Loyalität“: Er wird von der Wirtschaft als Unternehmensführer ausgebildet und nicht als (vermeintlich) Gleicher unter Gleichen vom Ministerium o.ä. bestimmt. – Da die Länder somit die Ausbildungskosten dieses Personals zu sparen vermögen, handelt es sich zuzeiten immer „leererer“ Kassen um ein sehr lukratives „Entstaatlichungsmodell“: Egal, ob diese danach „Führungspersönlichkeiten im Bildungsbereich“ werden oder nicht - umso mehr Lehrer auch nur für die 2 Programmjahre über Teach First an die Schulen gelangen, umso „billiger“ wird die Lehrerrekrutierung für den Staat – und umso mehr unterminiert dieses Programm sowohl Qualifikations- als auch ggf. Gehaltsstandards.

4.  Im Hintergrund scheint zudem noch etwas anderes zu stehen – nämlich auch und vor allem das Ziel der Vermarktlichung der Weiterbildung bzw. die Etablierung eines Weiterbildungsmarktes. Zitat:  

„Während ihres Einsatzes werden die Fellows intensiv betreut. Von Teach First Deutschland gestellte Tutoren sowie schulinterne Mentoren unterstützen die Fellows in der Weiterentwicklung ihrer Lehrkompetenz. Zusätzlich stehen den Fellows im zweiten Jahr Karrierecoaches zur Seite, um ihre berufliche Zukunft zu planen. […] Im zweiten Jahr erfolgt in enger Kooperation mit den Partnerunternehmen ein arbeitsbegleitendes Coaching- und Weiterbildungsprogramm. Das Programm soll die Fellows gezielt auf Führungsaufgaben im Bildungssektor und in anderen Bereichen vorbereiten.“

Ob derlei Maßnahmen während der Zeit des Fellowships nun unentgeltlich sein sollen und werden oder nicht: Auch und vor allem private Mäzene, hinter denen Wirtschaftsinteressen stehen, verschenken nichts! Während des Programms wird, wie bereits angedeutet, so bspw. sicher nicht (gerade) Gewerkschaftspolitik oder Armutsforschung gelehrt; nach Ende des Programms stehen – ob Lehrer oder Kultusbürokratie – zudem zu erwartenden Kosten für weitere „Module“, „Zertifizierungen“ oder ähnliches ins Haus.

Aus soziologischer Perspektive kennzeichnet den geballten Zynismus dieses Projektes jedoch vor allem: Die Kinder der Gewinner im bestehenden System, jene also, die nicht „trotz“, sondern eben wegen der sozialen Selektion des Bildungssystems „nach oben“ gekommen sind, die Kinder der „Oberen“ also, sollen und werden nun fortan zu den „Unteren“ gehen, um diesen zu erklären, dass das Sein (eben vermeintlich) nicht das Bewusstsein bestimmt.

Als „Belohnung“ hierfür erhalten sie (zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit) dann später - und während andere Märkte einbrechen oder wackeln, die soziale Reproduktion der „Oberen“ also nicht mehr sicher zu gewährleisten vermögen - „Führungsposition“ im demnächst erschlossenen „Bildungsmarkt“, dessen weltweites Volumen bspw. seitens der Unternehmensberatung Merrill Lynch auf über 2.200 Milliarden Euro geschätzt wird – womit Teach First schließlich genau das reproduziert, was es vermeintlich bekämpft: die Klassengesellschaft. Oben bleibt eben oben bzw. kommt auch in der nächsten Generation wieder dorthin … unten hingegen ändert sich wenig bis nichts.

Nicht umsonst bezeichnen die Medien das Projekt auch als „idealer Karriereturbo“
(vgl. http://www.zeit.de/campus/online/2007/46/teach-first-deutschland, http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/0,1518,516056,00.html)
– statt bspw.- und dem vermeintlichen Zweck näher liegend - „Niedriglohneinsatz an Problemschulen“.  

Weiterführende Literatur

Zum Kontext siehe vor allem folgende weiterführenden Texte: 

1. http://www.freitag.de/2006/28/06280401.php
2. http://www.freitag.de/2006/31/06310801.php
3. http://www.erzwiss.uni-hamburg.de/personal/lohmann/afterneo.htm 
4. http://www.anti-bertelsmann.de/2006/schoellerbultmann.pdf

Anmerkung

[1] Teach First Deutschland ist mit seiner Strategie dabei nicht allein. So ließ bspw. die Stiftung der deutschen Wirtschaft am 2. November 2008 per Pressemitteilung (http://www.sdw.org) verlauten: „Zum Wintersemester 2008/2009 nimmt die Stiftung der Deutschen Wirtschaft (sdw) 94 Lehramtsstudierende aus dem gesamten Bundesgebiet neu in das „Studienkolleg – Begabtenförderung für Lehramtsstudierende“ auf. Mit einem speziellen Förderprogramm bereitet die sdw dort herausragende Lehramtsstudierende auf die Herausforderungen der sich wandelnden Schule vor. […] ‚Gerade Schulen brauchen Unternehmergeist‘, skizziert Hans-Jürgen Brackmann, Generalsekretär der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, das Anliegen des Studienkollegs. ‚Diesen Geist wollen wir den Lehramtsstudierenden vermitteln. Wir haben für sie ein maßgeschneidertes Veranstaltungsprogramm entwickelt. Es richtet sich an zukünftige Lehrerinnen und Lehrer, die frischen Wind in unsere Schulen bringen und dort schon frühzeitig Verantwortung übernehmen wollen – die potentiellen Schulleiter von morgen.‘ Bestandteile der Förderung sind unter anderem Akademien zum Thema ‚Leitungsaufgaben in der Schule’ und Seminare zu Projektmanagement oder interkultureller Kompetenz.“

Editorische Anmerkungen

Der Autor stellte uns seinen Artikel für diese Ausgabe zur Verfügung.