Einen Kapitalismus ohne Krisen gibt es nicht

von Gruppe Wissenschaftlicher Sozialismus

11/08

trend
onlinezeitung

Die „Finanzkrise" ist in aller Munde. Und der Aufschrei der bürgerlichen Politiker ist groß. Ein Heiner Geißler spricht offen vom Kapitalismus, jedoch ohne um das Wesen zu erklären oder zu kritisieren. Doch der Tenor solcher Politiker ist: Einzelne aktuelle Erscheinungen seien schlecht, aber das System als solches sei richtig. Die Marktwirtschaft oder soziale Marktwirtschaft, wie sie den Kapitalismus nennen, müsse hier und da etwas reformiert werden und dann sei alles ok.

Die Legende „damals gab es keine Krisen": Bis hinein in Kapitalismus-kritische Kreise bleibt die Legende am Leben, dass es früher (in den 50er, 60er, 70er und 80er Jahren) keine Probleme gegeben habe. Es sei eben ein Wirtschaftswachstum vorhanden und deshalb hätte es keine Krisen gegeben. Dabei ließen sich verschieden Krisen, die zumindest in einzelnen Branchen existierten, aufzählen. Stellvertretend sei hier die internationale Krise in der Autoindustrie im Jahre 1974 genannt. Aufgrund dieser Krise (die Gründe für diese Krise würden den Rahmen dieses Textes sprengen) musste die Autoindustrie im ersten Trimester von 1974 die Produktion, im Vergleich zum Vorjahr, in den USA um 28% in Großbritannien um 26% und in der BRD um 18,3% senken. Der Gewinn von Ford ging einst um 66%, der von Chysler gar um 98%, American Motors um 58% und bei Nissan um 40% runter. In den USA kam es zu Massenentlassungen, bei Fiat (Italien) wurde zwischenzeitlich eine 3-Tagewoche eingeführt und bei VW (BRD) kam es zur Kurzarbeit. Krisen sind also nichts Neues, keine negative Entwicklung von 2008, wie uns weisgemacht werden soll.

„Guter" Kapitalist, „schlechter" Kapitalist? Sehr beliebt ist es derzeit Bänker oder Spekulanten als das Übel schlechthin darzustellen und somit indirekt jeden anderen Kapitalisten als einen „guten" Kapitalisten darzustellen. Schauen wir uns diesbezüglich Engels Sätze an und urteilen wir selbst:

„Der Spekulant rechnet immer auf Unglücksfälle, besonders auf Missernten, er benutzt alles, wie z.B. seinerzeit den Brand von New York, und der Kulminationspunkt der Unsittlichkeit ist die Börsenspekulation in Fonds, wodurch die Geschichte und in ihr die Menschheit zum Mittel herabgesetzt wird, um die Habgier des kalkulierenden oder hasardierenden Spekulanten zu befriedigen. Und möge sich der ehrliche, »solide« Kaufmann nicht pharisäisch über das Börsenspiel erheben - ich danke dir Gott usw. Er ist so schlimm wie die Fondsspekulanten, er spekuliert ebensosehr wie sie, er muss es, die Konkurrenz zwingt ihn dazu, und sein Handel impliziert also dieselbe Unsittlichkeit wie der ihrige." [Engels in Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie, MEW Bd. 1; S. 515f]

Der Kapitalismus führt tendenziell zu Krisen: Vielmehr hatte Karl Marx mit seiner Analyse (als wichtige Werke sind hier die Marx-Engels-Werke Bd., 23-25 [Das Kapital] sowie die Bd. 26.1-26.3 [Mehrwert] zu nennen) recht, der Kapitalismus führt tendenziell zu Krisen. Wir müssen uns in diesem Text auf einzelne Aspekte beschränken und werden z.B. nicht auf zyklische Krisen, Überproduktionskrisen etc. näher eingehen. Ganz allgemein sei festgehalten, dass eine Krise mit einem unterschiedlich starken Produktionsrückgang und mit einer unterschiedlich hohen Kapitalvernichtung (z.B. durch Überproduktion, die zu mehr Produkten führt als sie auf dem Markt verkauft werden könnten) verbunden ist. Im Folgenden soll etwas darauf eingegangen werden, dass der tendenzielle Fall der Profitrate tendenziell zu Krisen führt.

Mehrwert und Profitrate: Um auf den tendenziellen Fall der Profitrate eingehen zu können, muss zunächst darauf hingewiesen werden was z.B. ein Mehrwert und was eine Profitrate ist.

Der Mehrwert ist der Wert, den die produktiv tätige Arbeitskraft über ihren Reproduktionswert hinaus schafft. Durch die Lohnabhängigkeit wird also der Arbeiter gezwungen ein Mehrprodukt für den Kapitalisten zu schaffen. Durch den Verkauf des Mehrprodukts realisiert sich der Mehrwert. Der Mehrwert ist also unbezahlte Arbeit des Arbeiters. Der Kapitalist investiert konstantes und variables Kapital und lässt Waren produzieren. Er bekommt das investierte Kapital mit einem Plus (durch die Ausbeutung) heraus, wenn er diese Waren verkauft (G-W-G+). Nur der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft kann Wert bzw. Mehrwert produzieren.

Die Profitrate drückt das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen Gesamtkapital aus. Insofern handelt es sich bei der Profitrate auch um die verwandelte Form der Mehrwertrate. Im Unterschied zur Mehrwertrate, die den Ausbeutungsgrad ausdrückt, drückt die Profitrate den Verwertungsgrad des Kapitals aus. Die Profitrate ist also auch stets niedriger als die Mehrwertrate, sie verschleiert die Ausbeutung. Die Höhe der Profitrate ist zunächst abhängig von der Höhe der Mehrwertrate. Allerdings fließt in die Profitrate auch die organische Zusammensetzung des Kapitals mit ein, die die Höhe der Profitrate bestimmt. Wenn also zwei Kapitale eine unterschiedliche organische Zusammensetzung haben, so ist deren Profitrate selbst dann unterschiedlich hoch, wenn die Mehrwertrate gleich ist. Das kommt daher, dass bei gleicher Größe des variablen Kapitals (v) und gleicher Mehrwertrate (Mehrwertrate = m/v) bei Kapitalen mit ungleicher organischer Zusammensetzung das konstante Kapital (c) und damit auch das vorgeschossene Gesamtkapital größer oder kleiner ist und damit das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen Gesamtkapital größer oder kleiner ist. Also beim tendenziellen Fall wächst c und v schrumpft. Die Höhe der Profitrate wird schließlich auch durch den Umschlag des Kapitals bestimmt. Kapitale mit einem häufigeren Umschlag haben somit eine höhere Profitrate.

Die Profitrate ist die entscheidende Triebkraft der kapitalistischen Ökonomie. Der Kapitalist legt sein Kapital da an, wo er sich die höchste Profitrate verspricht.

Tendenzieller Fall der Profitrate: Zunächst ist wichtig zu benennen, dass es sich beim tendenziellen Fall der Profitrate um eine gesetzmäßige Erscheinung im Kapitalismus handelt.

Das Gesetz besagt, dass die Durchschnittsprofitrate mit der Entwicklung der Produktivkräfte (dies gilt für die kapitalistische Gesellschaft) tendenziell fällt. Die technische Zusammensetzung des Kapitals steigt mit der zunehmenden Entwicklung und dem Streben nach maximalen Profiten. Die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt also, und wenn dann die Ausbeutungsrate gleich bleibt, so sinkt die Profitrate. Die Ausdehnung der Produktion, der diesbezügliche Wachstum des Gesamtkapitals, führt zwar zu einer größeren Profitmasse, die Profitrate sinkt aber dennoch tendenziell. Dies hängt damit zusammen, dass trotz des Wachstums der Produktionsmittel nicht mehr Arbeiter (die aber den Wert schaffen) benötigt werden. Es muss immer mehr Kapital investiert werden um z.B. die immer komplexeren Maschinen bezahlen zu können. c wächst und v schrumpft also. Der Kapitalist ist zu alledem u.a. durch die Konkurrenz gezwungen.

Aber die Profitrate sinkt nicht absolut sondern tendenziell. Würde sie absolut sinken so dürfte der Kapitalismus gar nicht mehr aus seinen ökonomischen Krisen herauskommen. Die Profitrate sinkt tendenziell, da es auch gegenläufige Tendenzen gibt, die den Fall zeitlich befristet aufhalten können (wie durch die Ausweitung der Ausbeutung der Arbeiterkasse, z.B. durch höhere Arbeitsintensivität oder längere Arbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn). Das Gesetz führt dazu, dass sich Unternehmen zusammenschließen um höhere Preise und höhere Profite erzielen zu können. Es gibt zwar die Tendenz der Produktionsdrosselung aber andererseits auch die Tendenz der Überproduktion, denn durch die Erhöhung des Warenangebots auf dem Markt, wird versucht die Profitmasse zu erhöhen. Die Widersprüche zwischen Proletariat und Ausbeuterklasse wachsen also, da die Ausbeutungsrate erhöht werden soll. Aber auch die Widersprüche zwischen den imperialistischen Mächten und den nicht so entwickelten Ländern verschärfen sich, denn sie sollen ja weiter ausgepresst werden. Das Gesetz führt zur verstärkten Monopolbildung und zur Herausbildung des staatsmonopolistischen Kapitalismus. Die genannte Überproduktion kann wiederum zu einer Krise führen.

Wenn der kapitalistische Staat eingreift ist dies kein Sozialismus: Unterhält man sich über die Finanzkrise dann bekommt man nicht selten zu hören, dass wenn jetzt der Staat eingreife dies ja quasi schon kein Kapitalismus mehr sei, sondern ein „Sozialismus", weil ja verstaatlicht würde. Dies zeigt, welch falsches Bild noch vom Sozialismus existiert. Beim Sozialismus geht es um ein ganz neues polit-ökonomisches System, dass u.a. die grundlegenden Widersprüche ständig löst. Den Sozialismus also auf „Verstaatlichung" zu reduzieren ist grundlegend falsch. Es ist auch nicht so, dass das Eingreifen des kapitalistischen Staates etwas „untypisches" wäre. Vielmehr gehört es zu den Aufgaben eines kapitalistischen Staates, dass er in solchen Fällen eingreift. Es kann auch mal zur Verstaatlichung ganzer Unternehmen kommen. Allerdings bedeutet dies dann nicht, dass diese dann immer staatlich bleiben, geht es ihnen wieder gut werden sie in der Regel zu günstigen Konditionen privatisiert. Darauf hat schon Lenin in seiner Schrift zum Imperialismus hingewiesen.

Nein, eine Reform zu einem krisenfreien Kapitalismus ist nicht möglich: Aus dem Munde von den politischen Kräften die das System reformieren wollen, hört man häufig, dass man eben z.B. die Börsenspekulation oder das Treiben der Banken eingrenzen müsse. Da werden neue Steuermodelle entwickelt die dies angeblich regulieren sollen. Dabei wird aber völlig verkannt, dass die Spekulationen und Bankgeschäfte keine zufällige Erscheinung des Imperialismus sind, sondern eine nötige. Beim derzeitigen Stand der Produktivkräfte in den imperialistischen Kernländern, ist eine zunehmende Zentralisation von Kapital erforderlich um z.B. neue Maschinen zu kaufen. Die menschliche Arbeit verschafft dem Kapitalisten ggf. zwischenzeitlich Extraprofit durch einen Wettbewerbsvorteil (z.B. höhere Produktivität). Wenn ein Kapitalist aber z.B. nicht genügend Kapital zur Verfügung hat, so leiht er sich dieses von Banken oder eben über Aktienverkäufe an Aktionäre. Die Banken und der damit verbundene Aktienmarkt haben eine zunehmend größere Bedeutung und durch diese Machtposition kommt es zur Verschmelzung von Bank- und Industrie- zum Finanzkapital. Es kommt zur zunehmenden Konzentration des Kapitals. Spekulation und Bankgeschäfte sind somit eine logische Folge in der kapitalistischen Entwicklung. Dieses Rad lässt sich nicht zurückdrehen. Eine Reform zurück ist nicht möglich. Und dieses Zurück wäre auch nicht von der Arbeiterklasse anstrebenswert, denn wir werden auch in einem unterentwickelten Kapitalismus ausgebeutet. Die marxistische Krisentheorie zeigt, dass der Kapitalismus Widersprüche hat, die er selbst nicht mehr lösen kann. Der Grundwiderspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privatkapitalistischen Aneignung lässt sich beispielsweise nicht innerhalb des Kapitalismus beseitigen. Hierfür bedarf es eines neuen Systems, dass nur durch eine Revolution erkämpft werden kann.

Noch ein Wort zu den Analyse-Versuchen: In vielen Zeitungen und Flugblättern von Autoren mit sozialistischem Anspruch finden wir Erklärungsversuche für die Finanzkrise. Hier wird einem z.T. sehr abenteuerliches angeboten. Auch wenn wir aufgrund derzeit anderweitig liegender Prioritäten uns nicht näher mit der „Finanz-" Krise beschäftigt haben und somit keine Analyse anbieten können, so sei festgestellt: Eine Analyse der Krise ohne marxistische Werttheorie und ohne marxistische Krisentheorie ist nicht möglich. Beispielsweise ist es nicht einfach möglich, dass Werte quasi einfach verschwinden, wie es z.T. dargestellt wird.

Perspektive: Da der Kapitalismus selbst seine Krisen schafft, seine Widersprüche nicht lösen kann, da er stets auf der Ausbeutung der Arbeiterklasse beruht, den möglichen gesellschaftlichen Fortschritt hemmt etc. ist dieses System keine Perspektive für uns. „Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen … Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein." [Marx-Engels-Werke Bd. 13; S.9]. Allerdings müssen wir auch ganz offen feststellen, dass die theoretische und parktische Schwäche der revolutionären Kräfte derzeit so enorm ist, das ein Versuch die Übergangsperiode von Kapitalismus zum Sozialismus zu erkämpfen derzeit in einem Desaster enden würde. Dieser Fakt heißt für uns aber nicht die Aufgabe der Perspektive. Vielmehr stellt sich uns die Aufgabe die Schwäche zu überwinden um die diesbezügliche Möglichkeit einer erfolgreichen Revolution zu schaffen.

Editorische Anmerkungen

Den Text  erhielten wir von der
GRUPPE WISSENSCHAFTLICHER SOZIALISMUS (GWS)
GWS@wisso.infowww.wisso.info
Er erscheint in Kürze als als Flugi-Layout-Version zum ausdrucken (als PDF-Datei) auf der Homepage der GWS.