Gegen die
– zeitweise ausgesetzte – Privatisierungsdrohung gibt es
massive Widerstände, (nicht nur) unter den Beschäftigten der
Post
Am heutigen
Dienstag wird die CGT der französischen Postbediensteten im
Pariser Elysée-Palast eine Petition gegen die Privatisierung des
öffentlichen Unternehmens La Poste mit 300.000 Unterschriften
übergeben. Das Projekt, La Poste bis 2011 in eine
Aktiengesellschaft – die auch Kapitalanteile an Private ausgeben
könnte – umzuwandeln, war in den letzten Monaten
regierungsoffiziell lanciert worden. Seit Ende September 08
wurde eine Kommission eingesetzt, die der Regierung nun konkrete
Vorschläge zur Umsetzung dieses Vorhabens unterbreiten soll.
Just in
diesem Moment kam allerdings „die Krise“ dazwischen, und das
Projekt ist nun wirklich ausgesprochen unpopulär. Schon bei
einer Umfrage im September 2008, also noch bevor der
(vorläufige) Höhepunkt der Banken- und Börsenkrise erreicht war,
äuberten
sich 61 Prozent zu dem Vorhaben. Von einer Privatisierung der
Post, oder ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft, wird vor
allem die Schliebung
zahlreicher „unrentabler“ Postbüros - insbesondere im ländlichen
Raum -befürchtet.
Die
französische Post wird nun doch nicht privatisiert, jedenfalls
vorläufig nicht:
So lange die Finanz- und daraus folgende Wirtschaftskrise
anhält, könne davon keine Rede sein, befand der
Präsidentenberater Henri Guaino am Sonntag (2. November) in
einem Interview auf dem Sender ‚Europe 1’. Guaino
wörtlich: „Zuerst einmal ist nie die Rede davon gewesen, die
Post zu privatisieren. Und es kommt nicht in Frage, in der
Situation, in der wir uns befinden, im Augenblick das Kapital
der Post zu öffnen.“
Die von
Guiano getroffene feinsinnige Unterscheidung zwischen
„Privatisierung“ (von der angeblich nie die Rede gewesen sei)
und „Kapitalöffnung“ hin zu externen privaten Unternehmen (die
„im Augenblick“ nicht in Frage komme) beruht letztendlich nur
auf einer frage des Prozentanteils: Privatisierung ist demnach,
wenn 51 Prozent verscherbelt worden sind und der Staatsanteil am
Unternehmen unter die Hälfte sinkt. „Öffnung des Kapitals“ ist,
wenn Private höchstens 49 Prozent der Anteile an dem Unternehmen
kontrollieren.
In der
Praxis ist diese, angeblich grundlegende, Unterscheidung
freilich hinfällig; Auch wenn Private „nur“ 15 oder 20 Prozent
des Eigenkapitals an einem solchen bisherigen öffentlichen
Dienstleistungsunternehmen übernehmen, dann investieren sie
selbstverständlich nicht, um Irgendjemandem dadurch einen
Gefallen zu tun – sondern um Gewinn zu machen. Also muss die
Unternehmung ab diesem Zeitpunkt auch „rentabel“ wirtschaften,
so „rentabel“ wie möglich, denn sonst lässt sich keinerlei
Profit herauspressen, und die ganze Investition wird
uninteressant. Die zugrunde liegende Logik kann auch dann schon
nicht mehr die eines „öffentlichen Dienstes“ sein. Ob der Staat
dann noch einen Anteil von 40, 60 oder 80 % hält, ist zwar für
strategische (Investitions-)Entscheidungen wichtig, aber im
Arbeitsalltag relativ unerheblich: Der Staat verhält sich dann,
in seiner Eigenschaft als Anteilseigner, notgedrungen wie jeder
Privatkapitalist. Denn er muss ja garantieren, dass das Ganze so
funktioniert, dass keiner der gewonnene Aktionäre abspringt –
wenn man Letztere schon anlocken möchte, dann hat das eben auch
Konsequenzen. Durch eine solche Pseudo-Unterscheidung zwischen
„Privatisierung“ (ab 50,1 %) und „nur Kapitalöffnung“ (bis 49,9
%) hat im Übrigen die „Links“Regierung Lionel Jospin in den
Jahren 1997 bis 2002 ihr reales Tun unter einem ideologischen
Schleier verborgen – nämlich die begonnen Teilprivatisierung
bislang öffentlicher Unternehmen und Dienstleistungsbetriebe wie
der französischen Telekom.
Erste
Reaktionen und Neupositionierung des Präsidentenberaters
Nach den Äuberungen
Guianos rief die französische KP schon lautstark „Triumph“,
allzu lautstark. Sie bezeichnete es in einem Kommuniqué vom
Sonntag, 2. November als „formidablen Sieg“, dass das
Privatisierungsvorhaben vom Tisch sei. Und fügte hinzu: „Die
Finanzkrise zwingt zu der Einsicht: Die freie Konkurrenz, das
Marktgesetz, der Wirtschaftsliberalismus haben ihre Zeit hinter
sich.“ Gut gebrüllt, Löwe, oder: Liebe KP, vielleicht hat auch
Dein eherner Geschichtsoptimismus (der Dich so oft vom
wirklichen sozialen Kampf abgehalten hat, da Du glaubtest, die
„Gesetze der Geschichte“ zu kennen, die Dir alles in den Schob
fallen lassen würden) sich überlebt. Zumal in Zeiten, wo die
Französische „kommunistische“ Partei längst biederste
Sozialdemokratisierei betreibt... Aber lassen wir das Lästern.
Wesentlich
vorsichtiger als die KP äuberte
sich die linksalternative Basisgewerkschaft SUD-PTT, die
zweitstärkste Gewerkschaft bei La Poste und der französischen
Telekom (hinter der CGT): Sie erklärte, die Auslassungen Henri
Guainos seien „nicht zufrieden stellend“, und forderte
stattdessen „ein schlichtes Aufgeben“ des
Privatisierungsvorhabens. Gleichzeitig erhielt sie ihren Aufruf
zum Streik der Postbediensteten am 22. November gegen die
Privatisierungsdrohung aufrecht.
Henri Guaino,
der Redenschreiber Nicolas Sarkozys, seinerseits dämpfte den
unverbrüchlichen Optimismus der französischen KP – der in obigen
Worten zum Ausdruck kam – ziemlich rasch. Ein paar Stunden nach
seiner Ankündigung auf ‚Europe 1’ relativierte er Alles schon
wieder. Und erklärte im Radio ‚France Info’: „Der Zeitplan (der
Post-Reform) bleibt gültig, auch wenn keinerlei Entscheidung
bezüglich der Art und Weise, La Poste zu finanzieren, getroffen
worden ist.“ Das bedeutete: Die Umwandlung in eine
Aktiengesellschaft findet statt, fraglich bleibt nur, ob man
dazu – schnell – private Aufkäufer von Kapitalanteilen (in Form
von Aktien) sucht oder damit noch ein bisschen abwarten wird.
Dem
Vernehmen nach will Präsident Nicolas Sarkozy zumindest an einer
Veräuberfung
von Minderheitsanteilen am Eigenkapital der französischen Post
(also keiner „Privatisierung“ im oben zitierten Sinne, wohl aber
einer „Öffnung des Kapitals“) auch schon kurz- oder
mittelfristig festhalten. Denn er beruft sich auf die
Notwendigkeit, im Zuge der Öffnung des gesamten Briefsverkehres
für freie Konkurrenz – durch Vorschriften der EU, die ab 2009
gültig sind – das Unternehmen zu rekapitalisieren, damit es
angesichts dieser neuen Herausforderung Investitionen vornehmen
könne. Der Unternehmenschef von La Poste, Jean-Paul Bailly,
fordert in diesem Zusammenhang drei Milliarden Euro „für neue
Investitionen“, um als Unternehmen attraktiv zu bleiben. Die
Frage ist nun, ob in diesem Zuge das bisherige Tabu des
Rückgriffs auf Privatkapital – durch Übernehmen von
Kapitalstücken, als neue Anteilseigner, durch Private –
gebrochen wird.
Der Chef der
sozialdemokratischen Parlamentsopposition, François Hollande
(dessen Partei kurz vor ihrem nächsten Parteitag, der vom 12.
bis 14. November in Reims stattfindet, plötzlich
klassenkämpferische Tonfälle an sich entdeckt) forderte am
Sonntag Abend in einer Fernsehsendung namens ‚Dimanche Soir
politique’, eine solche Rekapitalisierung der Post dürfe nur
aus öffentlichen Mitteln erfolgen. Private Kapitalien würden
dadurch ausgeschlossen bleiben. Tatsächlich lässt sich eine
solche Forderung im Moment in der Öffentlichkeit ausgesprochen
gut begründen: Kamen doch namhafte Banken und frühere beinharte
Verfechter des Neoliberalismus („Nieder mit dem Staat, freie
Bahn für die Privatinitiative in der Wirtschaft!) in den letzten
Wochen winselnd angekrochen, als es darum ging, auf dem
Höhepunkt der Krise um Staatshilfe und –gelder zu betteln. Und
im Vergleich zu dem, was das „Rettungspaket“ für die „bedrohten“
Banken den französischen Staat kostete (40 Milliarden direkter
Einlagen plus 320 Milliarden Garantien für künftige Ausfälle im
interbankären Kreditgeschäft), wären die drei Milliarden Euro
für das Flottmachen der französischen Post doch fast ein
Pappenstiel...
Möglicherweise wäre Henri Guaino mit einem solchen Herangehen
persönlich sogar einverstanden. Denn der traditionelle Gaullist
und z.T. schwülstige Patriot Guiano, ein früherer glühender
Gegner des Maastricht-Vertrags während des Abstimmungskampfs von
1991/92 in Frankreich, ist eher ein Anhänger von
Staatsintervention. Sicherlich kein Antikapitalist, aber auch
kein fanatischer Befürworter des Aufgebens jeglicher staatlicher
Kontrolle über die Wirtschaft – im Namen eines möglichst noch
starken Nationalstaats. Aber im eigenen politischen Lager, für
das er offiziell spricht, kann er sich damit wohl nur ungenügend
durchsetzen. Präsident Sarkozy hört zwar auf ihn, und lässt ihn
vor allem die Sonntagsreden verfassen, schenkt aber auch anderen
Beratern Gehör. Und der Rest seiner Umgebung ist mehrheitlich
wirtschaftsliberal.
Das
Zurückrudern Henri Guainos in Sachen „Kapitalöffnung bei La
Poste“ hängt sicherlich auch mit solchen internen Konflikten im
bürgerlichen Lager zusammen. Gegenüber der Nachrichtenagentur
AFP äuberte
der konservative Staatssekretär (für Verbraucherpolitik) Luc
Chatel, eine solche „Öffnung des Kapitals“ bei der französischen
Post sei zwar „nicht aktuell“ – ABER „nichtsdestotrotz benötigt
La Poste Geld, um ihre (Unternehmens)entwicklung zu finanzieren
und um sich auf die Öffnung der Märkte ab 2011 vorzubereiten.“
Sprich: Aufgeschoben bedeutet keineswegs aufgehoben.
Das Thema (Teil-)Privatisierung
der französischen Post ist also demnach sicherlich nicht vom
Tisch...
Widerstände
(nicht nur) unter den Beschäftigten
Seitdem sich
die Privatisierungsdrohung im September 2008 zu bekräftigen
begann, fingen auch die Postbediensteten an, mehr oder minder
massive Widerstände dagegen zu leisten. An einem ersten
Streiktag, der am 23. September dieses Jahres stattfand, nahmen
rund 40 Prozent der abhängig Beschäftigten in dem bisherigen
Staatsunternehmen (das 288.000 Mitarbeiter/innen angestellt hat)
teil. An Demonstrationen beteiligten sich neben
Postbeschäftigten und Gewerkschaften auch Vertreter/innen der
Linken und radikalen Linken, aber – am Rande - auch der „Souveränist“
(Nationalist in altgaullistischer Tradition) Nicolas
Dipont-Aignan.
Ferner fand
am 22. Oktober d.J. eine Veranstaltung im Pariser
Gewerkschaftshaus – der ‚Bourse du travail’ – zum Thema statt.
Dort sprachen u.a. Annick Coupé (Sprecherin der Union Syndicale
Solidaires, des Dachverbands der SUD-Gewerkschaften), Olivier
Besancenot (Postbediensteter und SUD-Gewerkschafter, populärer
Politiker der radikalen Linken), Benard Thibault
(Generalsekretär der CGT), der Senator Jean-Luc Mélechon vom
„linken“/etastischen Flügel der Sozialdemokratie und der
Postexperte der „sozialistischen“ Parlamentsfraktion.
Darüber
hinaus gibt es in rund 50 – von insgesamt 100 – französischen
Départements (Verwaltungsbezirken) Komitees gegen die
Privatisierung der Post. An ihnen nehmen sowohl „Nutzer/innen“
(die noch immer so heiben,
da es sich nach wie vor um ein öffentliches
Dienstleistungsunternehmen handelt, im Jargon eines
Privatunternehmens wären es „Kunden“) als auch Postbeschäftigte
teil. Vielerorts verteilen sie etwa Flugblätter vor Postämtern
und auf Strabenmärkten.
Am 22.
November wird erneut ein Streik-, Aktions- und Protesttag gegen
die über der Post hängende Privatisierungsdrohung stattfinden.
Über den wir selbstverständlich berichten werden, sofern es sich
lohnt, d.h. sofern der Protest „von unten“ nicht durch das
(durch die Medien widergespiegelte) Hin & Her an der
Staatsspitze und durch das Tauziehen im bürgerlichen Lager an
den Rand gedrängt werden konnte.
Editorische
Anmerkungen
Den Text erhielten wir vom Autor für diese Ausgabe.
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