Im
Zusammenhang mit den aktuellen Auseinandersetzungen bei der
Deutschen Bahn läuft die Konsensmaschinerie des Kapitals in
gewohnter Weise, wie sie es immer tut, wenn durch die Lande
ein Hauch von dem weht, was altmodische Leute immer noch als
Klassenkampf bezeichnen. Via Funk und TV dröhnen Mehdorn und
seine vorgeschickte Charge Suckale, ihres Zeichens
Pressesprecherin der Bahn, von „irrwitzigen“, „irrationalen“
und „absurden“ Forderungen seitens der BahnarbeiterInnen und
die Medien verschiedenster Couleur präsentieren hastig die
Ergebnisse neuester Umfragen, deren ideologischer
Gebrauchswert nur allzu offensichtlich ist, wonach es nun aber
endgültig mit der Geduld des verantwortungsbewußten Bürgers
gegenüber den Aktionen der LokführerInnen und des
Bahnpersonals vorbei sei. Vertraute Charaktermasken des
Kapitals wie Arbeitgeberpräsident Hundt und besagter Mehdorn
appelieren an den Staat und gemahnen ihn doch seiner Pflicht
als ideeler Gesamtkapitalist nachzukommen und den
reibungslosen Ablauf der Kapitalverwertung zu garantieren,
indem er das Streikrecht einschränkt, bzw. einen
„Ordnungsrahmen zum Erhalt der Tarifeinheit am Standort
Deutschland“(Mehdorn) schafft. Sinn und Zweck der ganzen Übung
ist dieser: Die ArbeiterInnen bei der deutschen Bahn werden
als Saboteure der „Deutschland AG“ ausgemacht und müssen zur
Raison gerufen werden, bevor sie das zarte keimende Pflänzlein
des vielbeschworenen Aufschwungs zertreten. Vater Staat
erweist sich aber momentan in dieser Hinsicht noch als
Zauderer. Möglicherweise aufgrund der nicht unbegründeten
Ahnung er könnte andernfalls mehr entfachen als nur ein
Strohfeuer des ArbeiterInnenwiderstands, denn immerhin
verzeichnete die Streikstatistik der Bundesagentur für Arbeit
für das Jahr 2006 die höchste Anzahl von Streikenden und
Streiktagen seit 1993.
Die
Umstrukturierungen, die bei der deutschen Bahn seit deren
Umwandlung in eine AG, 1993, deren einziger Aktionär aber nach
wie vor der Bund ist, vollzogen wurden, stehen exemplarisch für
die Veränderungen in der gesamten kapitalistischen
Produktionssphäre der letzten zwanzig bis dreißig Jahre. Diese
zielen darauf ab durch verstärkte Privatisierungsmaßnahmen und
Aufsplitterung der Produktion die ArbeiterInnen stärker als
bisher unter das Kommando einer effektiven Mehrwertproduktion zu
zwingen und sie in ein Heer atomisierter Arbeitsmonaden zu
verwandeln. 1999 wurde die Bahn in eine Holding mit fünf
eigenständigen Tochterunternehmen umgewandelt, wie u.a. die
Railion AG, die für den Gütertransport verantwortlich ist oder
die DB Fernverkehr AG. Diese Entwicklung ging einher mit einem
Abbau von 233.039 Stellen des Gesamtpersonals, wovon wiederum
21.248 LokführerInnen betroffen waren. Begleitet wurde dies von
einem Realeinkommensverlust von fast zehn Prozent. Gleichzeitig
mauserte sich die Bahn zu einem „global player“ auf dem Terrain
der Logistik, was sich u.a. darin ausdrückt, dass sie in den
letzten Jahren für 1,1 Milliarden Dollar ein kalifornisches
Speditionsunternehmen aufkaufte und sich eine dänische
Busgesellschaft einverleibte. Laut eigenen Angaben handele es
sich bei der Deutschen Bahn mittlerweile um das zweitgrößte
Transportunternehmen der Welt. Nichtsdestotrotz reichten all
diese Maßnahmen nicht aus, um die Deutsche Bahn auf
profitträchtigen Kurs zu trimmen. 2005 verzeichnete sie 20
Milliarden Euro Schulden. Abhilfe soll nun die endgültige
Privatisierung der Bahn durch den Börsengang verschaffen, wobei
dieses Vorhaben allerdings im Moment wieder ins Stocken geraten
ist.
Vor diesem
Hintergrund erhält der Streik der BahnarbeiterInnen eine
besondere Dimension, da er sich der klassischen
Produktivitätslogik verweigert. Die überwiegende Mehrheit der
Lohnkämpfe nach dem zweiten Weltkrieg war gekennzeichnet durch
die Koppelung von Lohnerhöhungen an die Steigerung der
Produktivität. Kaum eine Forderung seitens der Gewekschaften
wurde formuliert ohne nicht gleichzeitig brav den Beweis ihrer
Realisierbarkeit zu erbringen. Diese Logik war immanenter
Bestandteil des sozialpartnerschaftlich regulierten Kapitalismus
nach 1945. Zum Zwecke der Befriedung des Klassengegensatzes
zwischen Lohnarbeit und Kapital wurden die Gewerkschaften als
institutioneller Repräsentant der Arbeiterklasse in ein
klassenübergreifendes Kartell mit Staat und Kapital integriert,
das einen geordneten Ablauf des kapitalistischen
Reproduktionsprozesses garantieren sollte. Als Gegenleistung für
diese politische Anerkennung sollten die Gewerkschaften sich als
Ordnungsmacht innerhalb der Arbeiterklasse bewähren und jegliche
ArbeiterInnenrenitenz, die sich außerhalb des Konsens`
kapitalistischer Mehrwertproduktion bewegt unterbinden. Insofern
wirkt es nur auf den ersten Blick bizarr, wenn nun anläßlich des
Konflikts bei der Bahn Vertreter des Kapitals die
Aufrechterhaltung der Tarifeinheit beschwören und eine
Gewerkschaft wie Transnet demonstriert nur, dass sie die ihr
zugeordnete Funktion bestens begriffen hat, wenn sie im
vorauseilenden Gehorsam die GDL des Spaltertums bezichtigt.
Freilich
nehmen sich auch die Forderungen der BahnarbeiterInnen bei
genauerer Betrachtung moderater aus, als es beim ersten Anblick
scheint, wie z.B. die Forderungen nach einer Reduzierung der
Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden gegenüber bisherigen 41 oder
nach einer Senkung der Schichtlänge um zwei auf maximal zwölf
Stunden. Auch die bekannte Forderung nach einer Lohnerhöhung um
31% kam erst dadurch zustande, dass die GDL ihren
Lohnforderungen, aus rechtlichen Gründen, eine einheitliche Form
geben musste. Die ursprünglich Forderung war die nach einer
Erhöhung des Einstiegsbruttolohns auf 2500 Euro (gegenüber 1970
Euro bisher)und besseren Chancen auf Lohnerhöhungen bei längerer
Betriebszugehörigkeit. Dennoch sind im Kampf der LokführerInnen
und des Zugpersonals zumindest mögliche Ansätze einer Form von
Klassenmilitanz zu sehen, die jenseits kapitalistischer
Produktivitätslogik liegt und von den kollektiv-subjektiven
Bedürfnissen ihrer Akteure ausgeht und daher verdient er die
volle Solidarität.
Zudem
trifft der Streik bei der Bahn im besonderen Maße einen
zentralen Nerv des gegenwärtigen Modus kapitalistischer
Produktion. In den letzten Jahrzehnten schaffte das Kapital
zunehmend die großen Lagerbestände ab und stellte die Produktion
auf das um, was gerne unter dem Schlagwort „just in time“
zusammengefasst wird. Im Zusammenhang mit einer
voranschreitenden Dezentralisierung und Internationalisierung
der Produktion nimmt daher die Logistik im kapitalistischen
Verwertungsprozess eine zentrale Rolle ein. Insofern enthält das
Heraufbeschwören eines Zusammenbruchs des Produktionskreislaufs
von Vertretern des Kapitals und deren Ideologen, angesichts der
Streiks im Güterverkehr, nicht nur hohle Rhetorik, sondern auch
einen wahren Kern. Deshalb kann der Kampf der BahnarbeiterInnen
auch Perspektiven aufzeigen, wie und wo sich, vor dem
Hintergrund der Umstrukturierungen in der kapitalistischen
Produktion, neue Formen von ArbeiterInnenmacht entfalten können.
Natürlich
ist die GDL eine Gewerkschaft wie jede andere auch, deren
primäres Interesse darin besteht die Ware Arbeitskraft ihrer
Klientel zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. An einer
grundsätzlichen Aufhebung eines gesellschaftlichen Zustandes, in
dem Beziehungen zwischen Menschen auf den Charakter von
Warenbeziehungen reduziert werden, ist sie nicht interessiert.
Außerdem ist die GDL dahingehend zu kritisieren, dass sie mit
ihrer ausschließlichen Organisierung der LokführerInnen und des
Zugpersonals einen eigentümlichen berufsständischen Dünkel
befördert. Da aber aktuell die Strategie des Kapitals gerade
darauf hinaus läuft durch die Zerschlagung und Auslagerung von
Produktionszusammenhängen jegliche Möglichkeit von kollektiven
ArbeiterInnenwiderstand zu eliminieren, wäre es vielmehr
notwendig auf diesen Angriff mit neuen Formen von sektoren – und
berufsübergreifender Klassenmilitanz zu antworten. Dennoch: Die
Macht der GDL ist in erster Linie institutioneller Ausdruck der
Produktionsmacht der BahnarbeiterInnen und deren Unmut gegenüber
dem sozialpartnerschaftlichen Firlefanz der DGB –
Gewerkschaften, der mittlerweile nur noch Vezicht anzubieten
hat. Aus diesem Unmut können sich auch neue Perspektiven
selbständiger Organisationsformen der ArbeiterInnen entwickeln.
Solche Entwicklungen sind zu unterstützen und zu befördern. In
diesem Sinne: Nehmt euch was ihr kriegen könnt!
Editorische
Anmerkungen
Dieser Artikel wurde uns
vom Autor zur Veröffentlichung am
8.11.07 gegeben.