Betrieb & Gewerkschaft
Nehmt euch was ihr kriegen könnt!

von
Uwe Koralla
11/07

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onlinezeitung

Im Zusammenhang mit den aktuellen Auseinandersetzungen bei der Deutschen Bahn läuft die Konsensmaschinerie des Kapitals in gewohnter Weise, wie sie es immer tut, wenn durch die Lande ein Hauch von dem weht, was altmodische Leute immer noch als Klassenkampf bezeichnen. Via Funk und TV dröhnen Mehdorn und seine  vorgeschickte Charge Suckale, ihres Zeichens Pressesprecherin der Bahn, von „irrwitzigen“, „irrationalen“ und „absurden“ Forderungen seitens der BahnarbeiterInnen und die Medien verschiedenster Couleur präsentieren hastig die Ergebnisse neuester Umfragen, deren ideologischer Gebrauchswert nur allzu offensichtlich ist, wonach es nun aber endgültig mit der Geduld des  verantwortungsbewußten Bürgers gegenüber den Aktionen der LokführerInnen und des Bahnpersonals vorbei sei. Vertraute Charaktermasken des Kapitals wie Arbeitgeberpräsident Hundt und besagter Mehdorn appelieren an den Staat und gemahnen ihn doch seiner Pflicht als ideeler Gesamtkapitalist nachzukommen und den reibungslosen Ablauf der Kapitalverwertung zu garantieren, indem er das Streikrecht einschränkt, bzw. einen „Ordnungsrahmen zum Erhalt der Tarifeinheit am Standort Deutschland“(Mehdorn) schafft. Sinn und Zweck der ganzen Übung ist dieser: Die ArbeiterInnen bei der deutschen Bahn werden als Saboteure der „Deutschland AG“ ausgemacht und müssen zur Raison gerufen werden, bevor sie das zarte keimende Pflänzlein des vielbeschworenen Aufschwungs zertreten. Vater Staat erweist sich aber momentan in dieser Hinsicht noch als Zauderer. Möglicherweise aufgrund der nicht unbegründeten Ahnung er könnte andernfalls mehr entfachen als nur ein Strohfeuer des ArbeiterInnenwiderstands, denn immerhin verzeichnete die Streikstatistik der Bundesagentur für Arbeit für das Jahr 2006 die höchste Anzahl von Streikenden und Streiktagen seit 1993.

Die Umstrukturierungen, die bei der deutschen Bahn seit deren Umwandlung in eine AG, 1993, deren einziger Aktionär aber nach wie vor der Bund ist, vollzogen wurden, stehen exemplarisch für die Veränderungen in der gesamten kapitalistischen Produktionssphäre der letzten zwanzig bis dreißig Jahre. Diese zielen darauf ab durch verstärkte Privatisierungsmaßnahmen und Aufsplitterung der Produktion die ArbeiterInnen stärker als bisher unter das Kommando einer effektiven Mehrwertproduktion zu zwingen und sie in ein Heer atomisierter Arbeitsmonaden zu verwandeln. 1999 wurde die Bahn in eine Holding mit fünf eigenständigen Tochterunternehmen umgewandelt, wie u.a. die Railion AG, die für den Gütertransport verantwortlich ist oder die DB Fernverkehr AG. Diese Entwicklung ging einher mit einem Abbau  von 233.039 Stellen des Gesamtpersonals, wovon wiederum 21.248 LokführerInnen  betroffen waren. Begleitet wurde dies von einem Realeinkommensverlust von fast zehn Prozent. Gleichzeitig mauserte sich die Bahn zu einem „global player“ auf dem Terrain der Logistik, was sich u.a. darin ausdrückt, dass sie in den letzten Jahren für 1,1 Milliarden Dollar ein kalifornisches Speditionsunternehmen aufkaufte und sich eine dänische Busgesellschaft einverleibte. Laut eigenen Angaben handele es sich bei der Deutschen Bahn mittlerweile um das zweitgrößte Transportunternehmen der Welt. Nichtsdestotrotz reichten all diese Maßnahmen nicht aus, um die Deutsche Bahn auf profitträchtigen Kurs zu trimmen. 2005 verzeichnete sie 20 Milliarden Euro Schulden. Abhilfe soll nun die endgültige Privatisierung der Bahn durch den Börsengang verschaffen, wobei dieses Vorhaben allerdings im Moment wieder ins Stocken geraten ist.

Vor diesem Hintergrund erhält der Streik der BahnarbeiterInnen eine besondere Dimension, da er sich der klassischen Produktivitätslogik verweigert. Die überwiegende Mehrheit der Lohnkämpfe nach dem zweiten Weltkrieg war gekennzeichnet durch die Koppelung von Lohnerhöhungen an die Steigerung der Produktivität. Kaum eine Forderung seitens der Gewekschaften wurde formuliert ohne nicht gleichzeitig brav den Beweis ihrer Realisierbarkeit zu erbringen. Diese Logik war immanenter Bestandteil des sozialpartnerschaftlich regulierten Kapitalismus nach 1945. Zum Zwecke der Befriedung des Klassengegensatzes zwischen Lohnarbeit und Kapital wurden die Gewerkschaften als institutioneller Repräsentant der Arbeiterklasse in ein klassenübergreifendes Kartell mit Staat und Kapital integriert, das einen geordneten Ablauf des kapitalistischen Reproduktionsprozesses garantieren sollte. Als Gegenleistung für diese politische Anerkennung sollten die Gewerkschaften sich als Ordnungsmacht innerhalb der Arbeiterklasse bewähren und jegliche ArbeiterInnenrenitenz, die sich außerhalb des Konsens` kapitalistischer Mehrwertproduktion bewegt unterbinden. Insofern wirkt es nur auf den ersten Blick bizarr, wenn nun anläßlich des Konflikts bei der Bahn Vertreter des Kapitals die Aufrechterhaltung der Tarifeinheit beschwören und eine Gewerkschaft wie Transnet demonstriert nur, dass sie die ihr zugeordnete Funktion bestens begriffen hat, wenn sie im vorauseilenden Gehorsam die GDL des Spaltertums bezichtigt.

Freilich nehmen sich auch die Forderungen der BahnarbeiterInnen bei genauerer Betrachtung moderater aus, als es beim ersten Anblick scheint, wie z.B. die Forderungen nach einer Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden gegenüber bisherigen 41 oder nach einer Senkung der Schichtlänge  um zwei auf maximal zwölf Stunden. Auch die bekannte Forderung nach einer Lohnerhöhung um 31% kam erst dadurch zustande, dass die GDL ihren Lohnforderungen, aus rechtlichen Gründen, eine einheitliche Form geben musste. Die ursprünglich Forderung war die nach einer Erhöhung des Einstiegsbruttolohns auf 2500 Euro (gegenüber 1970 Euro bisher)und besseren Chancen auf Lohnerhöhungen bei längerer Betriebszugehörigkeit. Dennoch sind im Kampf der LokführerInnen und des Zugpersonals zumindest mögliche Ansätze einer Form von Klassenmilitanz zu sehen, die jenseits kapitalistischer Produktivitätslogik liegt und von den kollektiv-subjektiven Bedürfnissen ihrer Akteure ausgeht und daher verdient er die volle Solidarität.

Zudem trifft der Streik bei der Bahn im besonderen Maße einen zentralen Nerv des gegenwärtigen Modus kapitalistischer Produktion. In den letzten Jahrzehnten schaffte das Kapital zunehmend die großen Lagerbestände ab und stellte die Produktion auf das um, was gerne unter dem Schlagwort „just in time“ zusammengefasst wird. Im Zusammenhang mit einer voranschreitenden Dezentralisierung und Internationalisierung der Produktion nimmt daher die Logistik im kapitalistischen Verwertungsprozess eine zentrale Rolle ein. Insofern enthält das Heraufbeschwören eines Zusammenbruchs des Produktionskreislaufs von Vertretern des Kapitals und deren Ideologen, angesichts der Streiks im Güterverkehr, nicht nur hohle Rhetorik, sondern auch einen wahren Kern. Deshalb kann der Kampf der BahnarbeiterInnen auch Perspektiven aufzeigen, wie und wo sich, vor dem Hintergrund der Umstrukturierungen in der kapitalistischen Produktion, neue Formen von ArbeiterInnenmacht entfalten können.

Natürlich ist die GDL eine Gewerkschaft wie jede andere auch, deren primäres Interesse darin besteht die Ware Arbeitskraft ihrer Klientel zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen. An einer grundsätzlichen Aufhebung eines gesellschaftlichen Zustandes, in dem Beziehungen zwischen Menschen auf den Charakter von Warenbeziehungen reduziert werden, ist sie nicht interessiert. Außerdem ist die GDL dahingehend zu kritisieren, dass sie mit ihrer ausschließlichen Organisierung der LokführerInnen und des Zugpersonals einen eigentümlichen berufsständischen Dünkel befördert. Da aber aktuell die Strategie des Kapitals  gerade darauf hinaus läuft durch die Zerschlagung und Auslagerung von Produktionszusammenhängen jegliche Möglichkeit von kollektiven ArbeiterInnenwiderstand zu eliminieren, wäre es vielmehr notwendig auf diesen Angriff mit neuen Formen von sektoren – und berufsübergreifender Klassenmilitanz zu antworten. Dennoch: Die Macht der GDL ist in erster Linie institutioneller Ausdruck der Produktionsmacht der BahnarbeiterInnen und deren Unmut gegenüber dem sozialpartnerschaftlichen Firlefanz der DGB – Gewerkschaften, der mittlerweile nur noch Vezicht anzubieten hat. Aus diesem Unmut können sich auch neue Perspektiven selbständiger Organisationsformen der ArbeiterInnen entwickeln. Solche Entwicklungen sind zu unterstützen und zu befördern. In diesem Sinne: Nehmt euch was ihr kriegen könnt!

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel wurde uns vom Autor zur Veröffentlichung am 8.11.07  gegeben.