»Keine Kreuze, keine Schleier«
Rede auf der Stadtverordnetenversammlung am 4.10.2007
Zum Tagesordnungspunkt 5:  Moscheebau in Frankfurt-Hausen


von
Jutta Ditfurth

11/07

trend
onlinezeitung


Guten Abend,

es gibt vielfältige Parallelgesellschaften, auch hier im Haus: vielleicht könnte sich eine dieser »Parallelgesellschaften«, die sich seit der Rede der Stadtverordneten der Linkspartei in der Römer-Cafeteria aufhält, mal wieder ins Parlament begeben?

Herr Hübner vom BFF ist Biedermann und Brandstifter in einer Person. Er legt gern rassistisch oder nationalistisch Feuer, grinst dann höhnisch, wenn es brennt. Kommt Kritik an ihm auf, spuckt er vielleicht mal kurz in die Flammen. Nie will er Brandstifter gewesen sein. Heute ist der letzte Zeitpunkt, an dem sich die beiden anderen BFF-Mitglieder endlich einmal zu ihrem Fraktionsvorsitzenden erklären müssen, sonst gehen wir davon aus, dass sie alles mittragen.

Es geht in dieser Debatte in Wahrheit nicht um »Ängste«, das ist Propaganda, sondern um Interessen. Zum Beispiel das Interesse einiger Rassisten einer Gruppe von Frankfurtern muslimischen Glaubens mindere Rechte zuzugestehen.

Grundlage und Voraussetzung meiner Zustimmung zum Bau der Moschee ist, dass ich Atheistin bin, d.h. mein Menschenrecht ausübe, nicht religiös sein zu müssen.
Diese Debatte ist verlogen. Von Frankfurter Muslimen wird ein Ausmaß an Unterwerfung verlangt, das die Frankfurter Christen, geräten sie in eine vergleichbare Situation, empört zurückwiesen. Noch nie hat mich eine christliche Kirche um ihre Zustimmung zu einem Bauprojekt gefragt, ob ich das Gebäude schön finde, die Parkplätze ausreichend, den Turm zu hoch. Die Moschee darf nicht höher werden als die orthodoxe Kirche gegenüber. Merkwürdig: geht es um Hochhäuser, die Kirchen des Kapitals, muss ein Hochhaus geradezu höher sein als das zuletzt gebaute.

Seit Jahrzehnten kann ich im Nordend sonntags nie ausschlafen, trotz Ohropax und Isolierfenster, weil christliche Glocken gleich mehrerer Kirchen dröhnen. Es wäre weniger störend, diese Kirchen würde ihre Besucher einzeln anrufen, so viele sind es ja nicht. Kaum vorstellbar ist, dass Atheisten vergleich-baren Lärm machen dürften. Sonntags mittags laut schallend »Das Solidaritätslied« oder »Bandiera Rossa« über den Dächern, das wär doch was.

Religion ist Privatsache. Der Staat hat frei zu sein von Religion, in jeder Hinsicht. Das schließt auch die privaten Ausbildungsstätten mit ein: keine Kreuze, keine Schleier. In diesen Privatclubs, den Religionsgemeinschaften, müssen Menschen- und Grundrechte durchgesetzt werden. Also Förderung umfassender Emanzipation, aber auch Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit. Freiheit des Staates von Religion bedeutet auch: dass esoterisch-irrational-okkulte Lehrprogramm wie in Waldorfschulen nicht staatlich finanziert oder sonstwie gefördert werden, wie das heute der Fall ist. Über ihre ideologische Grundlage, die Anthroposophie, schrieb Ernst Bloch 1935, dass »nur der starke Anteil anderer Länder an der anthroposophischen Bewegung« verhindere, »dass diese geschlossen zu Hitler übergeht«. Bloch analysiert »einen totalen Frontwechsel des ’liberalen’ Bürgertums« hin zum Faschismus. Der Weg über den »Okkultismus« sei ein »riesiges Eingeständnis der bürgerlichen Leere« und der »Schwäche des bürgerlichen Weltbilds.« Bloch: »unmittelbar gesehen ist der okkulte Spuk [u.a. die Anthroposophie] gewiss nur Faschisierung des Bürgertums, Übergang seines unbrauchbar gewordenen Liberalismus ins autoritäre und irrationale Lager.«(1) Waldorfschulen werden von CDU/SPD/FDP/Grüne-Regierungen mit Steuermitteln finanziert.

Deutsche Ausbildungsstätten sind voll vom neuen alten Irrationalismus. Den neuen Wahn namens »Kreationismus« bzw. »Intelligent Design«, der Kampfansage gegen die Evolutionstheorie, fördert zum Beispiel die hessische Kulturministerin.

Eine tatsächlich weltoffene, tolerante Stadt hat den rassistischen Mob zu bekämpfen, nicht sich ihm anzubiedern. Diskutiere ich mit einem Menschen, in dessen Kopf Anteile eines rassistischen Bewußtseins lauern, ist er kein faschistischer Funktionär und heisst er auch nicht Hübner, kann ich, im persönlichen Gespräch, manchmal das Falsche an einem inhumanen Weltbild erklären und auch erläutern, wie ein Vorurteil, ist es erstmal entstanden, durch selektive Sicht und selektives Erleben und Verarbeiten stets gefüttert wird und nie mehr hungert.

Aber um individuelle Diskussion geht es heute nicht. Wir haben politisch zu reagieren.
Auf übelste Weise ist der Multi-Kulti-Dezernent rassistisch attackiert worden. Der Antrag NR 621 der Linken, ist eine Solidaritätserklärung für den grünen Multi-Kulti-Dezernenten Jean-Claude Diallo, die ich voll und ganz unterstütze. Es ist eine Schande, dass die Grünen diesen Antrag ablehnen, und aus taktischen Gründen, flugs einen lauen Ersatzantrag gestellt haben. Die Vorgänge im Ortsbeirat zeigen auch, wie die soziale Basis von CDU/Grünen tickt und wie einige ihrer örtlichen Parteivertreter den Mob in Hausen anheizen.

Offen ist seit Jahrhunderten die Demokratisierung der christlichen Kirchen:

  • noch immer segnen sie den Krieg;

  • machen Menschen mit Wahnvorstellungen irre;

  • diskriminieren Frauen und Menschen anderer Hautfarben;

  • haben eine perverse, gestörte Beziehung zu Sexualität.

Gälten dieselben Maßstäbe für christliche Kirchen wie für Muslime, müsste beispielsweise eine wütende Debatte um die Wiedereinführung der lateinischen Liturgie in der Katholischen Kirche geführt werden. Mit ihr darf wieder, ganz im Sinne des aggressiven Antijudaismus des 19. Jahrhunderts, für die »Bekehrung« der falschgläubigen Juden gebetet werden, von deren »Verblendung« ist die Rede und von den Juden als einem Volk, das »in Finsternis« wandelt.
In was, bitte schön, sollen Muslime »integriert« werden? In eine reaktionärer werdende deutsche Gemeinschaft? Ich bin ganz dagegen, dass muslimische Vereine Sondervereinbarungen mit Behörden treffen müssen. Das ist eine Unterwerfung. Entweder gilt das – durchlöcherte – Grundgesetz für alle oder gar nicht. Es geht um die Überwindung der jeweiligen diskriminierenden, rassistischen inhumanen Beschränkungen überall und in allen Religionen. Es geht um eine humane Gesellschaft, nicht darum, undemokratische, diktatorische Entwicklungen multireligiös abzusichern, in dem man sich mit Sondervereinbarungen die Zustimmung der in Vereinen organisierten Muslime sichert.
Die extrem rassistische Debatte in Hausen hat gezeigt, wo wir leben. Heute wird hier, – wegen des Images der Stadt und wegen wirtschaftlicher Interessen –, eine Pro-Toleranz-Erklärung abgegeben werden. Alle hier wissen, dass – würde die Abstimmung in den Fraktionen frei gegeben –, etliche Stadtverordnete nicht so abstimmen würden, wie OB Roth es will. Aber solange diese Stadt nicht wirklich »weltoffen« und menschlich ist, ist mir verordnete Toleranz lieber als keine, so wie mir verordneter Antifaschismus lieber war und ist als keiner.

Karl Marx schreibt – oft falsch zitiert –, 1844 in der Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie:

»Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur,
das Gemüt einer herzlosen Welt,
wie sie der Geist geistloser Zustände ist.
Sie ist das Opium des Volkes«.

Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse so sind, das die Menschen eine Art von Drogen für die Milderung ihrer Schmerzen, welche die soziale Realität verursacht, brauchen, dann sollen sie sie haben.

Zählen Sie einmal die Zahl der christlichen Kirchen in Frankfurt im Verhältnis zur Zahl der Christen, die es in Wirklichkeit noch gibt, vergleichen Sie sie mit der Zahl der Muslime und ihrer Moscheen und sie werden sehen, dass es zu wenige Moscheen gibt. Natürlich muss diese Moschee der Hazrat-Fatima-Gemeinde am Industriehof gebaut werden. Es ist das Recht der muslimischen Frankfurter. Nicht mehr, nicht weniger.

Anm.1 Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit, (Erstausgabe Zürich: Oprecht & Helbling 1935), Frankfurt/Main: Suhrkamp 1977, S. 188 f

Nachtrag 1: Weil der Stadtverordneten Jutta Ditfurth dank der Repressalien von CDU/Grünen/SPD/FDP nur 10 Minuten Redezeit für eine ganze Parlamentssitzung zustehen (für die Zeit von 16 Uhr bis ca. 24 Uhr) konnte auch diese Rede nur gekürzt gehalten werden.

Nachtrag 2: Nach dieser Rede kam die BFF-Stadtverordnete Katharina von Beckh (vor drei Zeugen) wütend auf mich zu, und erklärte: »Wir stehen voll und ganz hinter Wolfgang Hübner!«  »Wir« – sie sprach also auch für Friederike Prüll, die dritte und letzte BFF-Stadtverordnete, und Mitglied im Bundesvorstand der Tierschutzpartei. Beide können nun nicht mehr sagen, sie hätten nichts gewußt.
 

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel wurde uns von der Autorin zur Veröffentlichung am 4.11.07  gegeben.