Wie das OSS* die italienischen Faschisten über ihre Niederlage hinweg rettete

von Gerhard Feldbauer

11/07

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Der Beitrag zur OSS-Gründung in GEHEIM 2002/3 hat mich angeregt, diesen Artikel zur Rolle jenes US-Geheimdienstes in Italien beizusteuern. Nicht zuletzt ist die Rolle des OSS Ausgangspunkt der entscheidenden Verantwortung der USA bei der Wahrung der Kontinuität der faschistischen Bewegung nach 1945 in Italien, die dazu führte, dass 2001 unter Berlusconi zum zweiten Mal eine Regierung mit Faschisten und Rassisten gebildet werden konnte.

Aus dem OSS-Büro in der Schweiz, von wo aus Allen W. Dulles nach der Gründung des Geheimdienstes 1942 dessen Aktivitäten leitete, wurde bekannt, "seine Gedanken hätten sich nach Stalingrad mehr der Bedrohung durch die Sowjetunion als mit dem deutschen Faschismus beschäftigt." (1) Diese Befürchtungen wuchsen an, als mit dem Nahen des Kriegsendes, dem Entstehen neuer sozialistischer Staaten und der stürmisch voranschreitenden nationalen Befreiungsbewegung sich eine Einengung der politisch-geographischen Sphäre der führenden imperialistischen Länder in Osteuropa abzeichnete und Auswirkungen auch auf andere Länder drohten. Vor allem die herrschenden Kreise der USA unternahmen deshalb massive Schritte zur Konsolidierung ihrer Positionen. Dazu verbündeten sie sich in den Ländern, in die ihre Truppen einrückten, mit den inneren reaktionären Kräften einschließlich der Faschisten und scheuten auch nicht vor der blutigen Unterdrückung der revolutionären Bewegung zurück.

Seit seiner Gründung übernahm in diesem Prozeß das OSS die entscheidende, Regie führende Rolle. Einen Schwerpunkt seiner Arbeit bildete Italien, wo bereits Ende 1942, Anfang 1943 im Ergebnis der Niederlage der Wehrmacht bei Stalingrad und der Kapitulation der deutsch-italienischen Verbände in Nordafrika die Krise des faschistischen Regimes sich abzeichnete, die nach der Landung der Alliierten auf Sizilien offen ausbrach. Am 26. Juli 1943 stürzte eine vom Vatikan unterstützte Palastrevolte des Königs und der Militärs, hinter der führende Kapitalkreise mit dem Gummikönig Pirelli an der Spitze standen, Mussolini. Als US-General Walter Bedell Smith am 19. August in der britischen Botschaft in Lissabon dann den italienischen General Castellano zur Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen empfing, stand ganz auf der Linie des OSS nicht nur "die Zusammenarbeit mit den Alliierten gegen Deutschland" auf der Tagesordnung, sondern auch die von Monsignore Giovanni Battista Montini, dem späteren Papst Paul VI., zur Unterstützung des Vatikans beim Sturz Mussolinis gestellte Bedingung: Die "Beibehaltung der ‚inneren Ordnung'." Was darunter zu verstehen war, beschrieb die amerikanische Zeitschrift Life so: "Sich von Mussolini und den Deutschfreundlichen zu befreien, das System aber zu erhalten." Es sei um "einen Wandel vom prodeutschen zum proalliierten Faschismus" gegangen.(2) Nicht zuletzt deshalb wurde nach dem Sturz Mussolinis Badoglio, der Schlächter von Abessinien (3), Regierungschef, der für diese Linie der Machterhaltung der geeignete Repräsentant schien.

Der Badoglio-Regierung gelang es jedoch nicht, die von den in Aktionseinheit handelnden Sozialisten und Kommunisten (4) angeführte antifaschistische Befreiungsbewegung auszuschalten. Als die Hitlerwehrmacht nach der Bekantgabe des Waffenstillstandes am 8. September 1943 Nord- und Mittelitalien okkupierte, schlossen sich die antifaschistischen Parteien (Kommunisten, Sozialisten, Aktionisten und Christdemokraten) zum Comitato di Liberazione Nazionale zusammen. Auf Initiative der IKP und der ISP begann die Aufstellung von Partisaneneinheiten, die zu einer schlagkräftigen Armee anwuchsen, zu deren Bekämpfung die Wehrmacht bereits Anfang 1944 fünfzehn Divisionen einsetzen mußte. Am Ende des Krieges zählte diese Arme 256.000 reguläre Kämpfer. Mit der von IKP-Generalsekretär Palmiro Togliatti konzipierten "Wende von Salerno" wurden schließlich die Pläne zur Konservierung der faschistischen Machtpositionen i wesentlichen Fragen durchkreuzt, Badoglio zum Rücktritt gezwungen und in der italienischen Regierung antifaschistische Positionen durchgesetzt.

Unter dem Druck der Anhänger Roosevelts, aber auch der in dieser Frage realistischen Haltung Churchills mussten die angloamerikanischen Alliierten im November 1943 Kontakte zu den Partisanen herstellen und sie mit Waffen und Ausrüstungen versorgen. Am 7. Dezember 1944 unterzeichnete General Maitland Wilson mit einer von Ferrucio Parri von der Aktionspartei und Giancarlo Pajetta von der IKP geleiteten Abordnung des CLN schließlich das "Römische Protokoll", mit dem offizielle Beziehungen zwischen der Partisanearmee und dem angloamerikanischen Kommando hergestellt wurden. Das CLN Norditaliens wurde als offizielles Organ der antifaschistischen Einheitsregierung in den noch von der Wehrmacht besetzten Gebieten anerkannt.

Vorherrschend blieb jedoch das Ziel der USA, die Positionen der Arbeiterparteien und radikaler kleinbürgerlicher Demokraten wie der Aktionisten zu schwächen und die verschiedenen Strömungen der antifaschistischen Einheitsfront zu spalten. Zu diesem Zweck verzögerten sie selbst ihre eigenen Kampfhandlungen gegen die Hitlerwehrmacht und sabotierten die Operationen der Partisanenverbände. Bei der Versorgung der Partisanen wurde versucht, die kommunistischen Garibaldi-Brigaden auszuschließen. Im November 1944 forderte der Oberkommandierende der angloamerikanischen Truppen in Italien, General Alexander, die Kampfhandlungen einzustellen und die festen Verbände und Standorte aufzulösen, was einer Selbstliquidierung der gut organisierten Partisanenarmee gleichgekommen wäre. Die italienische Historikerin Sophie G. Alf schrieb: "Diese Rundfunkbotschaft, die auch von den Deutschen abgehört werden konnte, brachte die Widerstandsbewegung in große Gefahr. Das lag wahrschaeinlich durchaus in der Absicht der Alliierten, die gemäß der Logik: ‚in that way, let them kill as many as possible' die dezimierung der fortschriottlichsten Antifaschisten in ihre Rechnung einbezogen." Denn, so Alf weiter, "der Stillstand der Front entlang der ‚gotischen Linie (zwischen Pisa und Rimini quer durch Mittelitalien) und die nachlassenden Kampfanstrengungen der Alliierten setzten die italienischen Partisanen in verstärktem Maße dem Terror und der Repression der Deutschen aus, die auch die Zivilbevölkerung nicht verschonten." (5)

Seit März 1945 traf Allen Dulles in Bern mit einer Reihe deutscher Unterhändler - dazu zählte der SS- und Polizeichef in Norditalien, SS-Obergruppenführer Karl Wolff - zu geheimen Verhandlungen zusammen, um durch den "Abschluss eines Separatfriedens mit Hitlerdeutschland die Sowjetunion auszutricksen." Smith und Agarossi schrieben: "Wolff und Dulles stimmten ganz gewiß politisch nicht voll überein - aber es gab bei beiden gemeinsame Sorgen, etwa die Angst vor dem Kommunismus und den Wunsch, Norditalien reibungslos aus den deutschen in angloamerikanische Hände zu überführen." Ein Separatfireden kam auf Grund der entschiedenen Proteste Stalins nicht zustande, wohl aber legten die Wehrmachtverbände in Norditalien Ende April bis zum 4. Mai 1945 noch vor der allgemeinen Kapitulation der gesamten Wehrmacht die Waffen nieder und ergaben sich. Das sollte vor den angloamerikanischen Truppen geschehen. Ausdrücklich legte deren Kommando fest, dass die Wehrmachtsverbände nicht vor der Partisanenarmee - die auf einer Breite von 400 Kilometern zwischen Piemont und Venetien ihre letzte Offensive begonnen hatte - kapitulieren, sondern auf das Eintreffen der noch weit hinter der Frontlinie stehenden Angloamerikaner warten sollten. Vor die Frage gestellt, zu kapitulieren oder vernichtet zu werden, ergaben sich allerdings zahlreiche Wehrmachtverbände den Partisanen. In Genua kapitulierte der Ortskommandant, General Meinholf, am 25. April mit 9.000 Mann; am 27. April legte das X.Panzerkorps unter Generaloberst von Arnim die Waffen nieder; am 30. April nahmen Garibaldisten am Monte Grapp 33.000 deutsche Soldaten gefangen. Insegsamt ergaben sich zwischen dem 25. April und dem 4. Mai allein im Veneto 140.000 Wehrmachtsoldaten den Partisanen. (6)

Nach dem beginn des allgemeinen bewaffneten Aufstandes und der letzten großen Offenisve der Partisanenarmee am 25. April 1945 nahmen USA-Offiziere nicht nur zahlreiche sich ergebende hohe Faschisten einschließlich des Geheimdienstes in ihre Obhut, sondern retteten auch viele vor der Festnahme durch Partisanenkommandos. Dazu gehörte Mussolinis Kriegsminister Rodolfo Graziani, der sich ursprünglich mit dem Duce auf der Flucht Richtung Schweiz befand. Während Mussolini und seine Begleitung von einem Partisanenkommando bei Dongo gestellt wurde und danach die verhängten Todesurteile des Kriegsgerichts des CLN volstreckt wurden, entging Graziani in der Obhut des OSS diesem Schicksal und kam später mit ein paar Jahren Gefängnis davon.

Diese Operationen leitete der Chef des OSS in Italien, James Angleton, persönlich. Die Militärs der faschistischen Miliz, Offiziere und Agenten des Mussolini-Geheimdienstes faßte er in Spezialeinheiten zusammen, aus denen später der Geheimdienst der italienischen Republik SIFAR un danach die Gladio-Einheiten formiert wurden. Viele frühere faschistische Offiziere erklommen Spitzenpositionen in den republikanischen Streitkräften und der Polizei. Einer der Offiziere, die Angleton unter seine Fittiche nahm, war Vito Miceli, zunächst Chef des militärischen Geheimdienstes SIFAR, später Befehlshaber des Carabineri-Korps, mit dem er 1964 einen Putsch zur Installierung eines neuen faschistischen Regimes auslösen wollte. Vor einem Erschießungskommando der Partisanen rettete Angelton auch den Kriegsverbercher Valerio Borghes, als Kommandeur der 10. Torpedobootflotille verantwortlich für die Ermordung von wenigstens 800 Partisanen, dafür vom Kriegsgericht des CLN zum Tode verurteilt. Borghese versuchte 1970 mit über 400 hohen Militärs einen faschistischen Putsch auszulösen, der von NATO-Verbänden gedeckt werden sollte. Zu den Personen, die Angeltons Leute in Sicherheit brachten, gehörte ferner der FIAT-Direktor Vittorio Valletta, ein verhaßter Wehrwirtschaftsführer Mussolinis. Das entsprach den Vereinbarungen, die Allen Dulles mit Giancarlo Camerana, dem Beauftragten des FIAT-Besitzers Gianni Agnelli, der sich nach dem Sturz Mussolinis zu den Amerikanern nach Süditalien begab, 1944 in Bern getroffen hatte. (7)

Um eine antifaschtisch-demokratische Umwälzung zu verhindern und einer Linksnetwicklung vorzubeugen, stützten sich die USA bei Kriegsende von Anfang an auch auf die faschistischen und andere mit ihnen gemeinsam handelnden reaktionären Kräfte. Die Publizisten Roberto Faenza und Marco Fini schrieben dazu in ihrem Buch "Die Amerikaner in Italien": "Während es das State Departement und die amerikanischen Gewerkschaften waren, die direkt den ‚demokratischen' Parteien von den Christdemokraten bis zu den Sozialdemokraten halfen (also sie finanzierten), wurden hauptsächlich die Militär- und Geheimdienste beauftragt, die Rechten zu unterstützen (also sie zu bewaffnen und besolden)". Auch Faenza/Fini belegen die Schlüsselrolle von Angelton. (8) Giuseppe Gaddi schrieb, daß die gewährte Unterstützung sich direkt auch auf die bereits im August 1945 an die Öffentlichkeit getretene Sammlungsbewegung der Mussolini-Faschisten Uomo Qualunque (Jedermann) erstreckte, aus der im Dezember 1946 die neu gebildete Mussolini-Nachfolgepartei MSI hervorging. Die westlichen Alliierten , "die sich anschickten, den Kalten Krieg gegen die UdSSR zu entfesseln, lehnten den Beitrag derjenigen, die sich mit gutem Recht als die Vorkämpfer im Kampf gegen den Kommunismus bezeichnen konnten, in keiner Weise ab." (9) Bezeichnend war, daß die USA während der Pariser Friedensverhandlungen, die zum Abschluß der Verträge vom 10. Februar 1947 führten, für Italien die von der UdSSR geforderte Klausel ablehnten, jemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen, während sie diese für die im sowjetischen Einflußbereich liegenden Statten Finnland, Rumänien. Ungarn und Bulgarien akzeptierten. (10)

Ein schwerwiegender Aspekt für die Kontinuität des Faschismus nach seiner Niederlage 1945 war, daß die USA im Bündnis mit den Kräften der inneren Reaktion eine Säuberung des Staatsapparates und des politische Lebens von Faschisten verhinderten. Vor allem dadurch war es den Kräften des faschistischen Regimes - soweit sie nicht zur DC oder zu anderen bürgerlichen Parteien übergingen - möglich, sich unmittelbar nach Kriegsende neu zu sammeln, sich politisch und organisatorisch wieder zu formieren, sich als Bewegung weitgehend intakt über die Niederlage hinweg zu retten und den veränderten Bedingungen anzupassen. Der Schwerpunkt des Vorgehens der äußeren und inneren Reaktion lag auf der Verhinderung von Reformen im Staatsapparat, so in der Verwaltung, der Justiz, dem Bildungswesen und in den bewaffneten Kräften sowie im wirtschaftlichen Bereich, die einen entscheidenden Bestandteil einer Entfaschisierung hätten bilden müssen.
Besonders gravierend war, daß die Militärregierung bereits im Juni 1945 das "Hohe Kommissariat zur Verfolgung von Regimeverbrechen" auflöste, Das führte unter anderem dazu, daß die meisten aktiven Faschisten, die in der eingeleiteten - aber bald abgebrochenen - Phase der Entfaschisierung vor Gericht gestellt worden waren, freigesprochen beziehungsweise die Urteileaufgehoben oder die Betroffenen amenstiert wurden. Das betraf den Großteil von 11.800 führenden Faschisten, die von "mit ihrer Ideologie eng verbundenen Richtern, vor allem Berufungsrichtern, freigelassen wurden. Darunter befand sich fast der geamte Stab der Salò-Republik" Mussolinis.(11)

Anmerkungen

(1) Steiniger, Klaus. Die Geschäfte der USA-Geheimdienste. Berlin, 1988: 25.
(2) LIFE, 14.12.1943
(3) Als Befehlshaber der Kolonialtruppen hatte er beim Überfall auf Äthiopien 1935 das Giftgas Yperit eingesetzt und so Zehntausende Äthiopier getötet.
(4) Pietro Nenni und Luigi Longo hatten bereits 1934 ein entsprechendes Abkommen unterzeichnet.
(5) Als, Sofia G. Leitfaden Italien. Berlin: 1977: 50ff. s. auch Smith, Bradley F. u. Elena Agarossi. Unternehmen Sonnenaufgang. Köln, 1981: 71ff.
(6) Smith/Agarossi, passim. Battaglia, Roberto u. Giuseppe Garritano. Der italienische Widerstandskampf. Berlin (DDR): 282ff.
(7) Cipriano, Antonio u. Gianni. Sovranità limitata. Rom, 1991:19. Ferrera, Marcello u. Maurizio. Cronache di Vitta italiana 1944-1958. Rom, 1960:125.
(8) Faenza, Roberto u. Marco Fini. Gli Americani in Italia. Mailand, 1976: 261ff.
(9) Gaddi, Giuseppe. Neofascismo in Europa. Mailand, 1974:14.
(10) Friedenskonferenz in Paris. NEUES DEUTSCHLAND, 9./10.02.2002
(11) Barbieri, Daniele. Agenda nera. Rom, 1976: 8ff., 18ff.

 

Editorische Anmerkungen

*) Das Office of Strategic Services (OSS), deutsch: Amt für strategische Dienste, war ein US-amerikanischer Geheimdienst von 1942 bis 1945 und Vorläufer der CIA.
 

Dieser Artikel erschien in GEHEIM 4/2002. Wir spiegelten von dort: http://www.geheim-magazin.de

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