Andrej H. – ein Einzelfall?

von Max Müller

11/07

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Mit großer Erleichterung wurde heute das Urteil des BGH zur Aufhebung des Haftbefehls von Andrej H. aufgenommen. Es ist zu hoffen, dass Andrej und seiner Familie nun – zumindest in Grenzen – die Angst genommen ist das er jederzeit wieder inhaftiert werden könnte.

In den vergangen Tagen erfuhr der Fall eine beachtliche mediale Aufmerksamkeit, und es könnte der Eindruck entstehen, als sei dieser Fall eine Posse, ein Einzelfall und das Resultat übereifriger ErmittlerInnen. Das dem nicht so ist und die fragwürdige Ermittlungspraxis von Andrejs Fall durchaus Methode hat, soll im Folgenden dargelegt werden.

Weitere §129a Verfahren

Derzeit laufen mindestens drei große, dem Autor bekannte, Ermittlungsverfahren nach §129a. Eines der Verfahren bezieht sich auf die so genannte „militante gruppe“. Um die „Mitglieder“ dieser Gruppe zu ermitteln, überwachte das BKA über Monate eine Vielzahl Verdächtigter unter Ausnutzung aller dem BKA zur Verfügung stehenden Mittel. Nach mehreren Monaten der Ermittlungen landeten die Ermittler einen vermeintlichen „Zufallstreffer“, der zu einem äußerst zweifelhaften Ermittlungserfolg geführt hat.
So viel „Glück“ hatten die Beamten in einem zweiten Fall jedoch nicht. So wurden zwischen 2002 und 2006 in Norddeutschland und Berlin 3 Brandanschläge auf Fahrzeuge der Bundeswehr bzw. von Rüstungsfirmen verübt. Auch hier wurden im Rahmen der G8-Vorbereitungen alle ermittlungstechnischen Register gezogen und aus den dreimaligen vermeintlichen Anschlägen eine terroristische Vereinigung konstruiert.
Im Folgenden sollen die Parallelen zwischen beiden Verfahren bei den Ermittlungen durch das BKA hervorgehoben werden.

Ansätze

In beiden Fällen fingen die Ermittler an, ins Blaue zu Ermitteln. Verdächtig waren erst mal alle Personen die sich irgendwie im „linksradikalen“ Dunstkreis bewegten und regional irgendwie den Tatorten zuzuordnen waren. Hatte man sich „Hauptverdächtige“ herbeihalluziniert, fingen die Ermittler an deren soziales Umfeld auszuforschen.
In dem Fall in Norddeutschland, genauer gesagt Bad-Oldesloe begannen die Ermittler damit, zu überprüfen wer zum Tatzeitpunkt in der entsprechenden Mobilfunkzelle eingeloggt war. Unter den Personen die zum Tatzeitpunkt Ihr Mobiltelefon in der Funkzelle des Tatorts betrieben fanden sich, neben hunderten Anderen, auch die beiden „Hauptverdächtigen“.
Die „Hauptverdächtigen“ waren insbesondere deswegen so verdächtig, weil Sie als Linke bekannt sind, nicht mehr und nicht weniger. Wenn man sich nun vor Augen hält, das Bad Oldesloe eine Kleinstadt mit 24.000 EinwohnerInnen ist, stellt sich die Frage wie viel Mobilfunkzellen es dort überhaupt gibt. Das Detail, dass in ländlichen Regionen die Dichte an Mobilfunkzellen mitunter recht gering ist und beide Hauptverdächtigen in der Kleinstadt ihren Wohnsitz haben, entging den Ermittlern offenbar. Sehr wahrscheinlich ist, dass die ermittelte Funkzelle schlicht und ergreifend die Funkzelle des Wohnortes der beiden Verdächtigten ist. Die politische Arbeit der Beiden und die Anwesenheit der Handys im groben Umkreis (im ländlichen Bereich haben Funkzellen Größen von 5-15km) des Tatorts, bei einem der vermeintlichen Anschläge, reichten den Ermittlern offenbar als dringender Tatverdacht aus.

Netzwerke

Wie im Fall der „mg“ begann das BKA nun damit das Umfeld der Hauptverdächtigen intensiv auszuforschen. Dabei sind erst mal alle verdächtig die ebenfalls der linken Szene zugerechnet werden und in irgendeiner Form in Kontakt zu den Hauptverdächtigen stehen. So traf es auch den Ex-Bad Oldesloer Sven (*), der mittlerweile in Berlin wohnte. Für das BKA eine klare Sache: eine Person aus dem Umfeld der beiden Hauptverdächtigen wohnt in Berlin (wo einer der 3 Anschläge stattfand), der muss dazu gehören. Natürlich kann nicht eine Person alleine in einer Stadt Anschläge verüben – also kam noch ein weiterer Verdächtiger hinzu, der mit Sven eng befreundet ist und aus Berlin kommt. Dem Freund von Sven – nennen wir Ihn Maik – war zum Verhängnis geworden das er a.) mit Sven befreundet ist und b.) einmal (!!!) mit in Bad Oldesloe auf einer privaten Feier war.

Überwachungsmaßnahmen

Nachdem das BKA nun eine terroristische Vereinigung konstruiert hatte, konnte man Anfangen die Verdächtigten nach allen Regeln der Kunst zu überwachen, auch hier gibt es viele Parallelen zu dem Verfahren der „mg“.

Folgende Maßnahmen sind derzeit bekannt:

  • auch bei Sven wurde fast ein Jahr lang der Hauseingang mit Hilfe einer Videokamera überwacht

  • sowohl das Auto der Freundin von Sven als auch das Auto der Leute aus Bad Oldesloe wurde verwanzt und mit einem GPS-Peilsender versehen

  • eine Wohnung wurde verwanzt

  • Telefone wurden abgehört

  • Internetverbindungen wurden mitgeschnitten

  • Anwaltsgespräche wurden abgehört

  • Es wurde keinerlei Rücksicht auf den Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung genommen

Diese Maßnahmen entsprechen so ziemlich dem kompletten Arsenal des großen Lauschangriffs – bedenklich wenn man sich die extrem dünne Indizienlage anschaut, in der all dies seinen Ursprung findet.

„Konspiratives Verhalten“

In allen bisher bekannten Fällen war das absolute Totschlagsargument des BKAs „konspiratives Verhalten“. Diese Argumentation ist besonders aberwitzig, da sie die Beweislage umkehrt. So wurde den Beschuldigten im Norddeutschen Verfahren zum Verhängnis, dass Sie:

  • nicht an einem G8 Vorbereitungstreffen teilgenommen haben

  • nicht über Anschläge oder Politik am Telefon gesprochen haben

  • nicht an Politikfeldern wie „Antiimperialismus“ oder „Antimilitarismus“ interessiert zu sein schienen

  • nicht öffentlich in einem Internet-Forum plauderten

  • den Überwachenden keinerlei Verdachtsmomente lieferten

So konnte das Ausbleiben jeglicher neuer Indizien auf die Täterschaft der Gruppe während der fast 1-Jährigen Observation uminterpretiert werden. Daraus folgte für das BKA, dass die Gruppe besonders gefährlich und gerissen sei – weil Sie sich so erfolgreich konspirativ verhalten. Den Verdächtigten wurde es so auch zum Verhängnis, dass Sie zufällig einen dilettantisch angebrachten Peilsender des BKAs fanden. Dies belegte in den Augen des BKA, dass eine gezielte „Gegenobservation“ betrieben wurde und half den Ermittlern dabei, sich in Ihre Terror-Fantasien hineinzusteigern.

Konsequenzen

Wie sich die Betroffenen heute fühlen - auch in dem Bewusstsein weiterhin überwacht zu werden - beschreibt die Lebensgefährtin von Andrej H. in Ihrem Weblog: http://annalist.noblogs.org/

Die Betroffenen befinden sich in einer schizophrenen und lähmenden Situation, indem Sie sich selber in ihrem Alltag disziplinieren müssen, und sich jenseits jeglicher politischer Aktivität in Ihrem Alltag massiv eingeschränkt fühlen.

Wer hat schon Lust auf einen romantischen Abend mit der Beziehung oder einen leidenschaftlichen Streit mit der WG, wenn man nie weiss, ob das BKA gerade live dabei ist?

Wir sollten uns bewusst machen, dass unter diesen Umständen jeder Mensch, der sich in der Linken engagiert, zum Opfer des Überwachungswahns der Ermittler werden kann. Auch Personen die „absolut gar nichts zu verbergen“ haben, Verhalten sich „konspirativ“, da sie nicht dem Erwartungsbild der Ermittler entsprechen.

Alle Betroffenen und deren Umfeld brauchen unsere uneingeschränkte Unterstützung und Solidarität!

*) nicht die echten Namen, da bei den Betroffenen auch Arbeitsplätze und Existenzen auf dem Spiel stehen

Links:
http://soligruppe.blogsport.de
http://einstellung.so36.net
http://annalist.noblogs.org

 

Editorische Anmerkungen

Dieser Artikel erschien am 24.10.2007 bei Indymedia.