Wenn man die Beitrage dieses Bandes rückblickend überschaut,
bemerkt man leicht - wegen des Umfangs und wegen des
Schwierigkeitsgrades der Beiträge -, daß die didaktische Absicht
auf Schwierigkeiten gestoßen ist. Es ist zu fragen, welches die
Gründe hierfür sind. Dabei sieht man sich auf die Eigenart des
Gegenstandes verwiesen. Die verschiedene Ausrichtung der
Beitrage ist nicht einer beliebigen Auswahl oder heterogener
Behandlungsart geschuldet. Sie spiegelt den Entwicklungsstand
des Problems, denn die Linien der Erforschung und Darstellung
der Dialektik sind bislang noch nicht gebündelt. Im Vielerlei
der Ansätze, die hier zur Darstellung gebracht werden, stecken
Differenzen in der grundsätzlichen Frage, worum es bei diesem
Thema überhaupt geht. So ist es angebracht, am Ende dieses
Bandes, nach mehr als drei Jahren gemeinsamer Arbeit am
Dialektik-Problem einen Ausblick zu versuchen, einige
Bedingungen zur Grundlegung einer Wissenschaft der Dialektik,
zur Konstituierung ihres Gegenstandes zu umreißen.
A. DIE DIDAKTISCHE ABSICHT UND DIE SCHWIERIGKEITEN IHRER
VERWIRKLICHUNG
Einführungen in die Philosophie, wenn sie ernstgenommen
werden sollen, haben mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß sie
selbst bereits philosophisch sein müssen. Man kann nicht von
außen, vom Alltagsdenken aus in die Philosophie einführen. Wenn
man beginnt, in sie einzuführen, ist man bereits darin. Man kann
den Einzuführenden eigentlich nur einführend in der Philosophie
herumführen. Ob er und wie er dadurch in die Philosophie
hineinfindet, bleibt ein Problem. Wenn es darum geht, in die
Dialektik einzuführen, die einen Teil der
gerade einfacher. Dennoch verbindet sich mit der Dialektik ein
besonderer Anspruch auf allgemeine Verständlichkeit, allgemeine Zugünglichkeit. Sie tritt im Alltagsdenken
bereits auf als das Zusammensehen
komplexer Verhältnisse, als der dynamische
Effekt der Urteilskraft, durch den schwierige bis dahin
unlösbar erscheinende Probleme plötzlich lösbar werden. Ferner
erklärt die
Dialektik den Zusammenhang von Alltagsdenken
und Philosophie selber dialektisch. Sie beansprucht zwischen der
Praxis des Lebens und der philosophischen Theorie /.u
vermitteln.
Die erneute intensive Beschäftigung mit der Dialektik, die
seit einigen Jahren eingesetzt hat,(1)
geht in ihrer Motivation, wie auch der vorliegende Versuch, auf
die Studentenbewegung zurück, die
zumindest für diesen Teil der Bevölkerung die politische
Bestimmtheit des Alltagsdenkens bewußt gemacht hat. Über die
politische Bedeutsamkeit erwies sich das Alltagsdenken als mit
einem Gesamtzusammenhang vermittelt. Die Frage nach der Klärung
dieser Vermittlung, nach ihrer Benutzbarkeit im Sinne ihres
funktionellen Einsatzes für die
Veränderung des Ganzen rief die Dialektik auf den Plan.
Wenn diese Motivation heute weitgehend wieder geschwunden
ist, nur noch in kleineren Gruppen als Engagement lebendig
blieb, stößt der Versuch der Aufklärung ihrer Hintergründe und
Zusammenhänge zunehmend auf Schwierigkeiten. Es muß zunächst
einmal deutlich gemacht werden, daß das Interesse an der
Dialektik keine Sache von mehr oder weniger kurzlebigen
politischen Konstellationen und den daraus erfolgenden Impulsen
ist. Die Studentenbewegung hat, wie alle früheren revolutionären
Bewegungen, eine grundlegende Struktur des
gesellschaftlich-geschichtlichen Lebens für das Alltagsdenken
bewußt gemacht. Die Einbeziehung des individuellen Handelns in
ein Gruppenhandeln, das auf staatliche und überstaatliche
politische Zusammenhänge bezogen ist, gilt es zu jeder Zeit für
die Handelnden erfaßbar zu machen. Sie bezeichnet die Nahtstelle
zwischen Alltagsdenken und Philosophie bzw. Wissenschaft. Über
sie wird alle philosophische und wissenschaftliche Theorie auf
die Lebenspraxis zurückorientiert.
Aber es ist nicht nur das allgemeine Problem einer Einführung
in die Philosophie und nicht nur das der besonderen
theoretischen Konjunktur zwischen Utopie und „neuer
Sachlichkeit,"(2) welche die didaktische Absicht dieses Bandes auf
Schwierigkeiten stoßen ließ. Mit der verschiedenen politischen
Orientierung der Mitarbeiter an diesem Band wie auch der
dargestellten wissenschaftlich-philosophischen Autoren verbanden
sich verschiedene Konzeptionen von Dialektik, die die Identität
des Gegenstandes fraglich machten. Deshalb war ein intensiveres
Nachfragen nötig; das einfache Weitervermitteln bekannter
Modelle befriedigte nicht, als der Zusammen-
hang der Modelle nicht mehr recht sichtbar war. Dies führte
in die Forschungsdiskussion über jeden der behandelten
Gegenstände hinein. Die Einführungen gerieten fast in jedem Fall
zu eigenen Forschungsbeiträgen, ohne daß die didaktische Absicht
dabei aufgegeben wurde. Aber nun potenzierte sich die
Schwierigkeit, dialektisch-philosophisch in die dialektische
Philosophie einführen zu müssen. Da die Philosophie wie jede
Wissenschaft ihre eigentliche Erscheinungsform in den
weiterdrängenden forscherischen Beiträgen hat, wächst mit der
Schwierigkeit der mögliche Gewinn: nicht nur in die Philosophie
oder die dialektische Philosophie im allgemeinen eingeführt zu
sein, sondern in ihren eigentlichen Vollzug als Forschung.
B. DIE VERSCHIEDENARTIGKEIT DER BEITRAGE ALS SPIEGEL FÜR DEN
ENTWICKLUNGSSTAND DES PROBLEMS
Die vertiefende Ausarbeitung der verschiedenen Modelle führte
wohl zu einer Anordnung, wie sie im Vorwort begründet wird,
nicht aber zu einer Zusammenschau, zum Aufweis
allgemeiner, für alle gültiger Strukturen. In
aller Vorsicht und in aller Vorläufigkeit
können in einer Rückanknüpfung an das im 1. Kapitel über die
„Voraussetzungen" in einer schematischen Zusammenfassung Gesagte
folgende Verbindungslinien zwischen den einzelnen Modellen
gezeichnet werden, indem eine durchgehende Linie die für die
eigene Konzeption konstitutivere
Bezugnahme, eine unterbrochene Linie die weniger konstitutive
angeben soll.
Die Anordnung der Modelle von „links" nach „rechts" ist als
besonders provisorisch aufzufassen, soferen sich unter anderen
Aspekten als denen der direkten Bezugnahme auf Marx oder Hegel
andere Zuordnungen ergeben . können. Kosik ist mit
Gramsci nur unter dem oberflächlichen Kriterium regional
bedingter Modelle zusammengefaßt. Sie unterscheiden sich in
vielfacher Hinsicht stark voneinander, etwa in Hinsicht auf ihr
praktisches Engagement in der Parteiarbeit. So erklärt es sich
auch, daß Althusser sich wohl auf Gramsci konstitutiv-kritisch,
nicht aber auf Kosik bezieht. Und Bloch spielt innerhalb der
Gruppe, die er zusammen mit Lukacs und
Korsch bildet, eine Sonderrolle, weil er
- als einziger unter den „westlichen" Marxisten, die im übrigen
stark auf dem Lukacsschen Modell fußen -
eine wichtige positive Beziehung zu Engels entwickelt hat.
Mit diesen Verbindungslinien soll indessen keine Systematik
angedeutet sein. Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich
ganz anders voneinander abgrenzen, indem das Neue oder doch
Spezifische der einzelnen Modelle herausgehoben wird. Das
ursprüngliche Bemühen, auf die einzelnen Bewegungsformen des
dialektischen Denkens abzuheben, die in Hegels „Wissenschaft der
Logik" vorgeführt werden und mit denen in Marx' Untersuchungen
des „Kapital" gearbeitet wird, ließ sich nur bei der kleineren
Zahl der Modelle zur Geltung bringen. Engels macht den Anfang
mit einer Wissenschaft der Dialektik, wird aber damit von den
meisten späteren marxistischen Dialektikern eher desavouiert.
Lenin und Mao zeigen, daß das revolutionäre politische Handeln
eine systematische Ausarbeitung der dialektischen Denkweise
erfordern würde bzw. legen sie in Ansätzen, für partielle
Bereiche (universelle Wendigkeit des Denkens, Widerspruchslehre)
selbst vor. Im übrigen wird immer wieder erneut zu begründen
versucht, daß Dialektik notwendig ist und worin ihre
grundsätzliche Leistung besteht (Totalitätsdenken,
Prozeßkategoricn, Negativität). Der Primat der Praxis wird dabei
häufig eher postuliert als befolgt. Allenthalben (mit der
Ausnahme Maos) wird das Verhältnis zu Hegel aufs Neue bedacht,
überprüft, anders bestimmt. Die neueste Entwicklung in der UdSSR
und DDR greift schließlich das Programm einer Wissenschaft der
Dialektik wieder auf, steht aber ihrer prinzipiellen Erweiterung
und Neubestimmung (Mao, Althusser) kritisch gegenüber.
Diesen Entwicklungsstand des Problems konnte die kritische
Vertiefung in die Dialektik-Modelle nicht
grundsätzlich überwinden. So reproduziert der Band das
buntscheckige Bild der verschiedenen Konzeptionen. Als
Forschungsertrag des Gesamtunternehmens kommt also schießlich
die Frage heraus, was auf dem Boden des gemeinsam vertretenen
Begriffs von Dialektik über diesen Gegenstand gesagt werden
kann. Oder ist der Zusammenhang eher verbal? Steht womöglich der
praktisch-politischen Engführung der Linie von Marx über Engels
zu Lenin und Mao Tsetung, die aber immerhin einen neuen
Theorietyp konstituiert, auf der Seite der „westlichen" Modelle
ein Unterschuß an praktischer Politik gegenüber, der ein
Ausweichen und Zurückweichen in traditionelle Denkweisen mit
sich bringt? Wird diese doppelte Kalamität vielleicht bei einem
der regional sich unterscheidenden Modelle aufgelöst? Diese
Fragen lassen sich vom gegenwärtigen Entwicklungsstand der
dialektischen Wissenschaft aus nicht befriedigend beantworten.
Eins gilt es freilich festzuhalten: Die Begrenzung auf die
materialistischen Dialektik-Modelle ist nicht zufällig.
Dieser gemeinsame Boden wurde zu keiner Zeit als schwankend
empfunden. Der Ausgangspunkt der gegebenen Wirklichkeit, die
indessen in ihrem Gegebensein mit größter
Umsicht und äußerster Kritik zu erfassen ist, könnte nur um den
Preis einer Regression an Wissenschaftlichkeit der dialektischen
Philosophie wieder verlassen werden. Der Weg geht sicher nicht
hinter Marx zurück, aber vielleicht auf der „betretenen Bahn"
(Bloch) einen grundsätzlichen Schritt weiter. Dieser Schritt
würde ins Neuland einer Methodologie führen, die auf dem
heutigen Stand der positiven Wissenschaften deren Bezug auf den
Zusammenhang der gesellschaftlich-politischen Praxis und die
Bedingungen seiner Veränderbarkeit zu
klären sucht.
Gegenüber einem solchen Schritt ist der Einwand zu bedenken,
daß die „Modelle" gerade von ihrer Standpunktgebundenheit aus
ihr Profil und ihre Dynamik gewinnen, daß es nicht zu verwundern
ist, wenn die Dialektik in ihrem eigenen Wesen eine streitbare
Wissenschaft ist. Dies würde bedeuten, daß ein integrativer
Versuch diese Vorteile verliert, daß sich dabei - wie es
Albrecht Wellmer für die Diskussion der „Frankfurter Schule"
diagnostiziert - „die Auseinandersetzung ... in das
Schattenreich methodologischer Abstraktionen verlagert."(3)
Man wird zugeben müssen, daß diese Gefahr besteht. Ihr kann im
Grunde nur begegnet werden, indem die Bündelung und
Systematisierung der Dialektik-Konzeptionen zu einer
Wissenschaft der Dialektik die praktische Ausrichtung und die
damit gegebene Dynamik der Modelle vielleicht nicht zu
akkumulieren, aber doch zusammenzufassen sucht. Das
Vielversprechende des Projekts, von Marx aus - in genauer
Vergewisserung, was das heißt - ins Neuland einer prinzipiell
weiter zu bildenden Dialektik-Theorie
vorzustoßen, kann zum Risiko dieses Unternehmens den
dazu notwendigen Mut machen.
C. ZUR VORBEREITUNG EINER WISSENSCHAFT
DER DIALEKTIK.
Die Bestimmung der allgemeinen Forschungsrichtungen einer
Wissenschaft der Dialektik kann bei der traditionellen
Unterscheidung von historischer und systematischer Forschung in
der Philosophie anknüpfen, wenn man diese sowohl als
wechselseitig aufeinander bezogen als auch als in sich
dialektisch bestimmt betrachtet. Hierüber werden in der heutigen
sozial- und geisteswissenschaftlichen Methodologie ausgebreitete
Debatten geführt. Der wechselseitige Bezug von historischen
Voraussetzungen für das systematische Denken und von
systematischen Implikationen für die historischen
Fragestellungen ist zunächst von der hermeneutischen Methode
ausgearbeitet worden. Diese Methodik wird durch die Einbeziehung
der psychoanalytischen Gesetzmäßigkeiten in die Klärung der
dabei ablaufenden Bewußtseinsprozesse erweitert und vertieft.
Das führt schließlich zum Einschluß der konkreten
gesellschaftlich-politischen Dimensionen der Bewußtseinsabläufe
durch die Ideologickritik, deren grundlegende Bedingungen
bereits von Marx und Engels entwickelt worden sind. Der
dialektische Zusammenhang, der Einheit und Unterschiedenheit von
„Erkenntnis und Interesse" (Habermas) geltend macht, zeigt auf,
in welcher Weise historische Voraussetzungen und systematische
Implikationen im Wissenschaftsprozeß notwendig mitspielen, wie
sie als mitspielend begriffen und bewußt
in Ansatz gebracht
werden können.
Aber beide Forschungsrichtungen gilt
es nicht nur in ihrem wechselseitigen Bezug, sondern auch als in
sich dialektisch strukturiert zu begreifen, wenn man den
heutigen Entwicklungsstand der wissenschaftlichen Methoden
berücksichtigen will. Daß die „Umkehrung" der Hegeischen
Begründung der Dialektik durch Marx besagt, daß das empirische
Material Ausgangspunkt, ständiger Bezugspunkt, Falsifikations-
und Modifikationsinstanz für die wissenschaftliche Theorie sein
muß, ist ohne weiteres ersichtlich, wenn man dessen politische
und ökonomische Schriften betrachtet. Dabei werden die Fakten
nicht beliebig, d.h. ohne kritische Kontrolle der
Voraussetzungen und Implikationen ihrer Auswahl und ihres
Verständnisses aufgenommen, sondern unter der strengen
Perspektive einer ideologiekritischen Überprüfung der
herrschenden Verfahren bei der Faktensammlung und Faktenüberlieferung.
Die Geschichte der Philosophie und die Entfaltung ihres
aktuellen systematischen Zusammenhanges hat von hier aus die
politischen, sozialen und ökonomischen
Verhältnisse mit zu erfassen, mit denen sie jeweils eine Einheit
bildet. Sofern es dabei insbesondere um dialektische Philosophie
geht, die sich selbst im Ganzen der politisch-gesellschaftlich
bestimmten Lebensverhäknisse der Menschen
situiert, kann und muß ihre historische und systematische
Erforschung den Widerspruch, der im vermeintlich reinen
Faktenwissen steckt, daß es die Fakten
aus der herrschenden Sicht auswählt und interpretiert, in vollem
Umfang geltend machen und die notwendigen methodischen
Gegenmaßnahmen organisieren.
Auch die analytische Methode ist in einem anderen als dem bei
Hegel angegebenen Sinn in eine dialektische Wissenschaft der
Dialektik einzusetzen. Hierfür gibt das Marxsche Modell
maßgebende Grundlinien an. Die stets wiederkehrenden
gesetzmäßigen Gegebenheiten der Wirklichkeit sind in
größtmöglicher Allgemeinheit und formeller Eindeutigkeit zu
erfassen. Sie bilden ein Gerüst von abstrakten Bestimmungen, das
in den verschiedenen konkreten Gestaltungen der
gesellschaftlich-geschichtlichen Verhältnisse immer aufs Neue
aufgesucht und überprüft werden muß, das aber zu keiner Zeit
diese Verhältnisse als ein konkretes Ganzes begreifbar macht, da
diese jeweils auch von kontingenten besonderen Bedingungen
abhängig sind. Die Geschichte und die systematische Erforschung
der Dialektik haben von daher die analytischen
Erkenntnismethoden in ihrem Recht und ihrer Grenze zu bestimmen
und zur Geltung zu bringen.
Das Neuland beginnt schließlich mit den modernen
strukturalistischen und .systemtheoretischen Methoden. Sie
machen es notwendig, den Kontinuitätsbegriff für die
geschichtliche Abfolge ausdrücklicher und radikaler in Frage zu
stellen, als dies bei Marx und der daran anschließenden
philosophischen Theorie geschieht. Diesen Punkt hat Althusser
deutlich markiert. Die Möglichkeit einer dialektisch
konzipierten Geschichte der Dialektik hängt davon ab, ob das
Verhältnis von Kontinuität und Bruch als eine Einheit bestimmt
werden kann, wie es Rossana Rossanda in ihrer kritischen
Untersuchung „revolutionärer Erfahrungen" in Italien,
Frankreich, der Sowjetunion, Polen, China und Chile versucht.(4)
Der Gedanke dieser Einheit ist indessen nicht so einfach zu
vollziehen. Wenn die „Strukturalität der Struktur" (Derrida)
ernstgenommen wird, verlangt sie eine Dekonstruktion von
Einheiten wie derjenigen eines geschichtlich bestimmten
Kontinuums, das sich auf das Handeln eines göttlichen Subjekts
oder der menschlichen Subjekte zurückleitet. Dabei wäre es
ebenso falsch, nunmehr den Strukturbegriff als die Selbigkeit
der zugrundeliegenden Substanz zu betrachten, der den
geschichtlichen Wandel und die Bedingungen, unter denen er
abläuft, zum Akzidentellen herabsetzt.
Ähnliches gilt für den Systembegriff. Die Systematik des
dialektischen Denkens kann nicht aus
einem einfachen Prinzip abgeleitet werden. Das würde auf ein
idealistisches Erklärungsmodell
hinauslaufen. Der materialistische Charakter der Dialektik
schließt ein, auch wenn dies von den bisherigen Vertretern, in
dieser Zuspitzung auch von Marx, nicht als notwendige Konsequenz
des materialistischen Standpunkts gesehen worden ist, daß die
Wirklichkeit zu ihrer angemessenen Erfassung ein
mehrschichtiges, in sich gestuftes und variicrbares System von
Systemen verlangt. Dabei ist die equi-libristischc Tendenz des
systemtheoretischen
Denkens kritisch daraufhin zu befragen, ob sie zu Recht
bestehende Systeme stabilisiert oder ob ein neues, anders
zusammengesetztes Systemgleichgewicht
gesucht und angestrebt werden muß.
1. Die Geschichte der Dialektik in
der Einheit von Kontinuität und Bruch
Das dialektische Denken hat bis zu Hegel und Marx keinen
Traditionszusammenhang begründen können, für den man den
Anspruch einer durchgehenden kontinuierlichen Entwicklung hatte
erheben können. Und auch für die materialistische Dialektik nach
Marx gilt, daß ihre Modelle neben der Linie über Engels und
Lenin zu Mao bzw. zur heutigen UdSSR-Philosophie, die ihre
eigenen Probleme hat, keine in sich zusammenhängende Tradition
aufweisen.
Es lassen sich lediglich, von der Begründung der Systematik
des dialektischen Denkens durch Hegel aus gesehen, in der
Geschichte der Philosophie einzelne Elemente und Vorformen der
Dialektik ausmachen. Dazu gehören: Heraklits „alles fließt,"
Zenons Paradoxien des Unendlichen, Platons dialogisches Prinzip
und seine Lehre vom Geflecht der fünf obersten Gattungen,
Aristoteles' Theorien der Möglichkeit und des Werdens, die
neuplatonische Konzeption des Einen, aus dem das Viele
hervorgeht und zu dem es zurückkehrt, Cusanus' Gedanke der
coincidentia oppositorum und dann seit Descartes in den großen
Systemen der neuzeitlichen Philosophie bei aller
Unterschiedenheit die durchgehende These, „daß Begriffe
endlicher Seiender durch einschränkende Determination der Idee
des Absoluten gebildet" werden.(5)
Kant gibt der Dialektik einen neuen, eher negativen Sinn, daß
sich das Denken des Absoluten notwendig in eine unauflösbare
Antithetik verstrickt, die zu keiner objektiv gültigen
Erkenntnis führt. Dies wird indessen schon bei Fichte wieder ins
Positive gewendet, sofern aus der inneren Antithetik des
absoluten Ich die Bestimmungen der Wirklichkeit entspringen.
Wenn Schelling in diesem Rahmen die
objektive Seite des Denkens und der Wirklichkeit anmahnt, die
aber nach seiner Auffassung ebenfalls im Bewußtsein ihren Grund
hat, erweist er sich als unmittelbarer Vorgänger Hegels, während
Schleiermacher in einem tiefergellenden Gegensatz zu
Fichte, indem er das Wissen auf einer Doppelheit von Prinzipien
aufbaut, die wegen der sprachlichen Verfaßtheit des Wissens
nicht hintergehbar ist, ein eigenes, an Platons Dialogik
orientiertes Dialektik-Modell entwickelt.
Diese idealistische Vorgeschichte der Dialektik ist freilich
durch eine umfassende Gegenrechnung
auszugleichen, die nicht so sehr von Hegels Systematik des
dialektischen Denkens als von Marx' Benutzung und Veränderung
dieser Systematik ausgeht. Der antike Materialismus Demokrits
und Epikurs ist, wie schon Marx' Dissertation zeigt,(6)
ebenso wichtig wie die „Aristotelische Linke," auf deren
Bestehen Bloch aufmerksam gemacht hat.(7)
Die politische Relevanz des Materialismus wird zuerst in der
französischen und englischen Aufklärung artikuliert. Dies ist
für sich schon ein zentrales Thema dialektischer Theorie; es
ruft aber auch noch andere wichtige Elemente des dialektischen
Denkens hervor. Ferner werden von Lenin her eigene
Voraussetzungen der russischen Geschichte, von Mao her solche
der chinesischen Geschichte wichtig, für die aufgrund des
nachmarxschen Materialismusverständnisses die Trennung in
idealistische und materialistische Traditionszusammenhänge von
vornherein zu vermeiden ist.
Für den weiteren Verlauf der Geschichte nach Hegel und Marx
ist dann die Einheit und Vielgestaltigkeit der daran
anschließenden Dialektik-Auffassungen zu thematisieren, von
denen in diesem Nachwort schon die Rede war. Daneben ist das
Weiterbestehen eines idealistisch begründeten dialektischen
Denkens in der Existenzphilosophie zu beachten, das von
Kierkegaard ausgeht, über Jaspers und Heidegger zu Sartre führt
und das bei dem letzteren folgerichtig in eine von Marx her
weitergedachte materialistische Konzeption einbezogen wird, die
den Gegensatz von Idealismus und Materialismus als seiner
prinzipiellen Gegenseite überwunden hat.
Da die Dialektik als systematische Aufgabe den Zusammenhang
der Philosophie und der Wissenschaften mit dem Leben und Denken
des Alltags in seinen politisch-gesellschaftlichen Dimensionen
zu klären sucht, kann sie bei der Aufarbeitung ihrer eigenen
Geschichte die theoretischen Elemente nicht losgelöst von der
jeweils gegebenen politisch-gesellschaftlichen Wirklichkeit
betrachten. Sie hat für das Auftreten der Elemente und Vorformen
des dialektischen Denkens und den Theoriezusammenhang,
in dem dies geschieht, die politischen und gesellschaftlichen
Voraussetzungen aufzuweisen. Ebenso bedarf das Entstehen und die
Ausbildung der Systematik des dialektischen Denkens bei Hegel
und Marx einer solchen realgeschichtlich, vor allem sozial- und
ökonomiegeschichtlich ausgreifenden
Erklärung. Die Entwicklungen der Dialektik nach Marx stehen dann
selbst vor der Aufgabe, ihren Zusammenhang mit der politischen
und gesellschaftlichen Situation deutlich
zu machen, und sind daran /u messen, inwieweit sie sich dieser
Aufgabe gestellt und zu ihrer Lösung beigetragen haben.
Bei der Interpretation der Elemente und Vorformen
des dialektischen Denkens vor Hegel und Marx, für die selbst
kein Anspruch kontinuierlicher Entwicklung erhoben wird, stellt
sich die Frage, ob sie gewissermaßen in einem kontinuierlichen
Strom philosophischer Überlieferungen mitgeführt werden oder ob
es voneinander völlig abgetrennte, in sich abgeschlossene
Systeme des Wissens sind, in denen sie auftreten. Ebenso ergibt
sich für die weiterwirkende Geschichte
der Dialektik nach Hegel und Marx, vor allem für die Linie über
Engels und Lenin zu Mao bzw. zur heutigen UdSSR-Philosophie das
Problem, daß hier durchgehende Linien und Brüche, die aus der
vorhergehenden Geschichte nicht erklärt werden können, vorhanden
sind und in welchem Verhältnis sie zueinander stehen.
Die Annahme eines Kontinuums von Entwicklungen, die auf Hegel
und Marx zulaufen, dort zusammengefaßt und dann als gemeinsame
Geschichte der Dialektik weitergeführt werden, verbietet sich
schon deshalb, weil ein solches Kontinuum lediglich für die
idealistische Vorgeschichte der Dialektik konstruiert werden
kann, die materialistische Philosophie ihr gegenüber allenfalls
als Unterströmung, als gelegentlich hervortretende Alternative
aufgeführt werden kann. Dieses Schema verrät allzu deutlich, daß
die herrschenden Ideologien, die vom Idealismus Unterstützung
erwarten können, jedenfalls nichts zu befürchten haben, da er
seine praktisch-politische Relevanz negiert oder in der Schwebe
rein theoretischer Erörterung hält, für die
Entstehungsbedingungen des Kontinuitätstheorems verantwortlich
zeichnen. Umgekehrt führt die Überakzentuierung der Brüche, bei
der die philosophischen Theoreme auf verschiedene Systeme des
Wissens zurückgerechnet werden, die
untereinander keinen Zusammenhang aufweiscn, zu agnostizistischen
Konsequenzen. Wenn das Hervortreten bestimmter Verhältnisse,
Sichtweisen oder Wertungen auf keine Weise aus der
vorausgehenden Geschichte erklärt werden kann, sind auch die
Bedingungen für die Mitwirkung am darauf beruhenden
Geschichtsprozeß nicht rational ableitbar oder begründbar.
Für den Geschichtsraum der europäisch-abendländischen
Philosophie, in dem Entstehung und Wirkung der Dialektik bis
heute primär erforscht werden müssen, läßt sich die Einheit von
Kontinuitäten und Brüchen im „verstandenen Arbeitsprozeß"
(Bloch) festmachen. Die systematische Bearbeitung der Natur
durch den Menschen, die auf der Grundlage der prinzipiellen
Trennung von materieller und geistiger Arbeit geschieht, bildet
den allgemeinen Rahmen im Sinne eines Spielraums von
Möglichkeiten, innerhalb dessen verschiedene ökonomische und
soziale Grundverhältnisse konstituiert
und jeweils zum Ausgangspunkt bestimmter Entwicklungen gemacht
werden. In diesen Verhältnissen entstehen wiederum verschiedene
theoretische Formationen, die für deren Entfaltung und Erhaltung
bestimmte Funktionen bekommen. Die feudale Gesellschaftsordnung
mit dem theologisch-philosophischen System des Wissens, das ihr
zugehört, muß z.B. von völlig anderen Bedingungen aus erklärt
werden als die bürgerliche Produktions- und Lebensweise samt
ihren wissenschaftlich-theoretischen Entwicklungen. Aber für
beide Gesellschaftsformen gilt, daß sie eine Grundmöglichkeit
der Naturbearbeitung durch den Menschen
auf der Grundlage der Arbeitsteilung zur Entfaltung bringen.
Die innere Dialektik des allgemeinen Arbeitsprozesses bildet
die Strukturierung des Rahmens eines Möglichkeitsspielraums, in
dem unterschiedliche, voneinander unabhängige
gesellschaftlich-politische und theoretische Systeme als
konkrete Ausfüllung des Spielraums entstehen. Von daher spricht
Lukacs von der Arbeit als dem „Modell der
gesellschaftlichen Praxis" und macht sie zur systematischen
Grundlage seiner „Ontotogie des gesellschaftlichen Seins."(8)
Ontologie ist dabei freilich ein problematischer Begriff, weil
das gesellschaftliche Sein, das auf der beschriebenen
Naturbearbeitung durch den Menschen beruht, eine geschichtliche
Größe ist, die zwar einen sehr hohen Allgemeinheitsgrad besitzt,
aber doch an das in sich dialektisch strukturierte
Einheitsprinzip der Grundmöglichkeiten arbeitsteilig
organisierter Arbeitsprozesse gebunden ist.
Für eine dialektische Erforschung der Geschichte der
Dialektik ergibt sich daraus folgendes Schema:
I. Elemente des dialektischen Denkens .
II. Gesellschaftlicher Lebenszusammenhang III. System des
Wissens '' jeweils für die verschiedenen Epochen
1. in der idealistischen Vorgeschichte der Dialektik
2. in der materialistischen Vorgeschichte der Dialektik
3. in der systematischen Grundlegung der Dialektik '
4. in der Wirkungsgeschichte der systematisierten
Dialektik.
2. Das System des dialektischen Denkens als Konstituierung
eines dynamischen mehrschichtigen Systembegriffs
Den Ausgangspunkt für die Systematisierungsversuche der
Dialektik bildet auch heute noch Hegels „Wissenschaft der Logik"
im Zusammenhang mit seiner Ausarbeitung realphilosophischer
Teile des Systems der Philosophie. Aber man muß diese Texte
freilich "gegen den Strich lesen". Die
Bestimmungen des reinen Denkenr,
ihr Ineinanderübergehen (Logik des
Seins), ihre Verhältnismäßigkeit (Logik des Wesens) und ihre Selbstdurchsichtigkeit
(Logik des Begriffs) sind daraufhin zu befragen, welcher Realitätsgehalt
ihnen zugrundeliegt, in ihnen aufgearbeitet ist. Von daher ist
die Argumentation in den Abschnitten F.2 und 3 des I. Kapitels
dieses Buches, die primär kritisch gerichtet ist, in eine
konstruktive Übernahme und Modifikation des Hegelschen
dialektischen Systems umzudenken: Die konkreten Analysen
gesellschaftlich-geschichtlicher Verhältnisse in Hegels
„Rechtsphilosophie" und in seinen „Vorlesungen zur Philosophie
der Weltgeschichte," sowie Kritik der darin enthaltenen Motive
der Vergottung des Staats und des Mythos des Weltgeists;
Die Bewegungsformen des dialektischen
Denkens in Hegels „Wissenschaft der Logik" und Kritik ihrer
mystifzierten Gestalt. Das bedeutet, in paralleler, aber
umgekehrter (und damit unmythologischer) Richtung zu Hegel ist
mit den realen Wissenschaften zu beginnen und von ihnen aus zu
den allgemeinen Kategorien und Bewegungsformen des dialektischen
Denkens vorzustoßen. Die Wissenschaften sind dabei nicht als
solche, wie sie von sich aus sind, zu nehmen, sondern als Teil
der gesellschaftlich-politischen Gesamtwirklichkeit; und sie
müssen zu einer Reflexion ihrer Situierung in dieser
Wirklichkeit gebracht werden.
Marx hat diesen Prozeß beispielhaft an der Kritik der
politischen Ökonomie(9) vorgeführt. Die
Analysen der positiven Wissenschaft führen zurück auf allgemeine
abstrakte Bestimmungen, die sich für sich genommen zu „immer
dünneren Abstrakta," schließlich zum leeren Formalismus
verflüchtigen. Es kommt darauf an, innerhalb der einfachen
Bestimmungen dieser Wissenschaft die einfachste Bestimmung
auszumachen, die als solche den Weg zu sich hin als zunehmende
Vereinfachung strukturiert. Sie kann zugleich den Ausgangspunkt
für die Wiederzusammensetzung der
einfachen Bestimmungen bilden. Die Konkretion, die durch eine
solche Synthese erreicht wird, ist . die theoretische
Reproduktion des Konkreten der gegebenen Verhältnisse.
Nun hat Althusser mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß
der Ausgangspunkt der materialistischen Dialektik „ein .schon
gegebenes' komplexes, strukturiertes Ganzes" ist.(10)
Dieser Sachvcrhalt ergibt sich auch aus dem Marxschen Ansatz,
wenn man bedenkt, daß es gegebene konkrete Verhältnisse
sind, die die dialektische Methode geistig reproduziert. Die
einfachste Bestimmung, auf die sich die Bestimmungen der
wissenschaftlichen Analyse zurückbringen lassen, ist demgemäß
eine Verhältnisbestimmung. Sofern sie widersprüchlichen
gegebenen Verhältnissen zugrundeliegt,
ist sie auf der Stufe größtmöglicher Einfachheit noch immer ein
als widersprüchliches Verhältnisstrukturiertes
Ganzes. Die Wicderzusammensetzung der
einfachen Bestimmungen bedingt eine fortschreitende Komplexion
dieses einfachsten Komplexes (Verhältnisses) zu
einem Verhältnis von Verhältnissen. Dies bildet den in der Sache
gelegenen Grund für die Konzeption eines Systems von Systemen
zur Erfassung gesellschaftlich bestimmter Zusammenhänge.
Die „theoretische Praxis," die von einer ersten über eine
zweite zu einer dritten Allgemeinheit führt, bestimmt sich nach
Marx - im Unterschied zu den bei Althusser konzipierten Stufen(11)
- als der Weg von der chaotischkonkreten Allgemeinheit der
gegebenen Verhältnisse zur einfachsten abstrakten Allgemeinheit
des denkenden Erfassens dieser Gegebenheit, die in sich als
widersprüchliches Verhältnis strukturiert ist, und von dort zur
geordnet-konkreten Allgemeinheit der als Verhältnis von
Verhältnissen begriffenen Wirklichkeit. Damit ist das Prinzip
angegeben, nach dem die Systematik des dialektischen Denkens in
Hegels „Wissenschaft der Logik" umgebaut werden muß. Die
Bestimmungen der Verhältnisse (die Kategorien der Relation und
der Modalität) stehen am Anfang. Die Seinsbestimmungen der
einzelnen Dinge (die Kategorien der Qualität, Quantität und des
Maßes) sind innerhalb der Verhältnisbestimmungen der
Wirklichkeit zu isolieren, ohne daß der Bezug auf die
Verhältnisse, in denen sie existieren, dabei verlorengeht. Die
Selbstdurchsichtigkeit des theoretischen Prozesses (die Rückkehr
des Denkens zu sich), die auf diese Weise erreicht wird, ist
keine absolute, sondern eine auf das Umfeld des Handelns
bezogene, innerhalb dessen der Theorieprozeß zur praktischen
Orientierung verhilft.
Auf der Grundlage des Marxschen Beispiels kann man allgemein
festhalten: Von den positiven Wissenschaften aus wird der in
ihnen praktizierte Analyse-Prozeß als dialektisch-analytisch
strukturiert, indem die gefundenen einfachen Bestimmungen des
jeweiligen Sachgebiets in ihrem Gefalle auf die einfachste
Bestimmung hin angeordnet werden. Von dieser geht dann ein
dialektisch-synthetischer Prozeß aus, der die Ergebnisse der
betreffenden Wissenschaft als eine in sich gestufte Systematik
darstellt, durch die ihre handlungsorientieende
Relevanz einsichtig werden soll. Die Dialektik vollzieht in
dieser Funktion eine metawissenschaftlich
geleitete Reflexion, die aber auch die Wissenschaften
durchdringt. Sie vermag die Wissenschaften, von denen aus und in
denen sie diese Reflexion ausführt, auf ein gemeinsames Projekt
hin zu orientieren, das man als „Theorie der Gegenwart" fassen
kann.
Schematisch dargestellt, verläuft die dialektische
Denkbewegung im Anschluß an die Wissenschaften und in ihnen
folgendermaßen: siehe Seite 304.
Von der modernen Systemtheorie kann
die dialektische Wissenschaft Formulierungshilfe
für den angemessenen Ausdruck ihrer in sich gestuften
Systematik erwarten.
Aber sie kann die Formalisierung und Schematisierung
ihrer Ergebnisse nicht als Selbstzweck betrachten. Sie bleibt
auf ihren Sachgegenstand bezogen: die Verknüpfung der
wissenschaftlichen Probleme mit denen des alltäglichen Lebens in
seinen politischen und gesellschaftlichen Dimensionen. Deshalb
wird sie die Formalisierungen und Schematisierungen in die
politisch-praktischen Zielvorstellungen einbeziehen, zu deren
Klärung sie beiträgt.
Die „Theorie der Gegenwart," zu deren Konstitution die
Wissenschaften unter dialektischer Perspektive kooperieren,
zielt auf die Veränderbarkeit der
Gegenwart. Der Aufweis der natürlichen und technischen
Bedingungen, die notwendig sind, um im Blick auf die Erhaltung
des natürlichen Gleichgewichts, die Sicherung der Energie- und
Rohstoffversorgung u. dgl. drohende
Katastrophen zu vermeiden, bezeichnet nur die negative Seite der
Veränderungsproblematik. Ihre positive Perspektive läßt sich
durch die Hilfe der historischen Wissenschaften klären, die mit
dem Aufweis der Begrenzung des MöelichkeiKsnielraums der
bisherigen Geschichte, der Naturbearbeitung
auf der Grundlage der prinzipiellen Teilung von
materieller und geistiger Arbeit, die Voraussetzungen für die
Überschreitung dieser Grenze sichtbar machen. Hier verflechten
sich auch für die Dialektik als Wissenschaft die systematischen
und die historischen Forschungsrichtungen. Die Erforschung der
Geschichte verdeutlicht für die Gegenwart die Möglichkeiten und
Tendenzen ihrer Veränderbarkeit.
ANMERKUNGEN
1) Hier sind nicht nur die
historischen Arbeiten zur dialektischen Philosophie zu nennen,
sondern auch die systematischen Bemühungen, die indessen bisher
divergente Ansätze nebeneinanderstellen oder der Sache mehr oder
weniger äußerlich bleiben. Vgl. Goldmann/ Harmsen/van Santen/Schweppenhäuser,
Diulekliek en maatschappijkritiek (1970); Diemer,
Elementarkurs Philosophie. Dialektik (1976); Van Dooren,
Duilekliek. Een historische en systematische inleiding (1977).
2) In seinem Beitrag „Tussen Utopie en
werkelijkheid" stellt Sperna Weiland einen interessanten
Vergleich an zwischen 1918 ff. und der veränderten Situation
seit 1923 auf der einen Seite, 1968 (f. und der veränderten
Situation in den 7oer Jahren auf der anderen Seite.
3) Wellmer, Kritische
Gexellschaftslheorit und Positivismus, S. 8.
4) Rossanda, Über die Dialektik von
Kontinuität und Bruch.
5) Röd, Dialektische Philosophie
der Neuzeit, vol. i,S. 15.
6)Marx, „Oilfcrcn/der demokritischcn
und epikureischen Naturphilosophie," in MEW, vol. i.
7) Bloch, „Avicenna und die
Aristotelische Linke," in Das Materialismusproblem, S.
479-546.
8) Lukacs, Zur Ontolonie des
gesellschaftlichen Seins. Die Arbeit.
9) Marx, Grundrisse der Kritik
der politischen Ökonomie, S. 21-25; vgl. in diesem Band
Kapittel II, Abschnitt C.
10) Althusser, Für Marx, S.
137.
11) a.a.O., S. 124-135.
Editorische
Anmerkungen
Der Aufsatz ist das
Nachwort des Buches: Modelle der materialistischen Dialektik -
Beiträge der Bochumer Dialektikarbeitsgemeinschaft, hrg. von
Heinz Kimmerle, Den Haag 1978,
S. 291-305