24. Oktober (6. November),
Dienstag.
Die
provisorische Regierung beginnt mit der Durchführung der in
der Nacht zum 24. Oktober gefaßten Beschlüsse. — Alle
Offiziersaspiranten(Junker)schuIen werden in
Kampfbereitschaft gesetzt. — Der auf der Newa ankernde
Kreuzer ,,Aurora" mit einer bolschewistisch
gestimmten Besatzung erhielt in der Nacht den
Regierungsbefehl, in See zu gehen. — Der Justizminister
Mal-jantowitsch veranlaßte die Gerichtsbehörden, die
offizielle Untersuchung der Tätigkeit des
Militär-Revolutionären Komitees des Petrograder Sowjets der
Arbeiter- und Soldaten-Deputierten einzuleiten. Mit der
Voruntersuchung wurde nach Mitteilung der „Nowaja Shisn" der
Untersuchungsrichter für besondere Angelegenheiten,
Gudilowitsch, beauftragt. |
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Die „Nowaja Shisn" teilte mit, daß „in der Sitzung der
provisorischen Regierung — in der Nacht zum 24. — von einigen
Ministern der Antrag eingebracht wurde, das
Militär-Revolutionäre Komitee zu verhaften. Maljantowitsch habe
sich dagegen ausgesprochen und sei hierbei von zwei Mitgliedern
der provisorischen Regierung unterstützt worden. Dann wurde
beschlossen, daß A. F. Kerenski sich um Unterstützung an den Rat
der Republik wenden solle. Die Frage der Verhaftung war damit
zunächst von der Tagesordnung abgesetzt." — Nach der Mitteilung
desselben Blattes „ließ der Justizminister durch einen
besonderen Kurier dem Untersuchungsrichter der Strafkammer S. W.
Kar-tschewski, einen Befehl zukommen, der das
Einstellungsverfahren gegenüber jenen Bolschewik!, die an den
Ereignissen vom 3. und 5. Juli teilgenommen hatten, und nach
ihrer auf eine Kaution erfolgten Entlassung sich irgendeine
verbrecherische agitatorische Tätigkeit zuschulden kommen
ließen, aufhebt. Der Minister befahl dem Staatsanwalt, alle
Personen unverzüglich wieder zu verhaften." — Auf Verfügung der
provisorischen Regierung wurden folgende Zeitungen verboten: „Rabotschi
Putj" (Der Arbeiterweg), das Organ des ZK. der RSDAP. (Bolsch.);
„Der Soldat", das Blatt der Militärorganisation des ZK. der
RSDAP. (Bolsch.), und die reaktionären Zeitungen „Das neue
Rußland" und „Das lebendige Wort". Um 5 Uhr 30 Minuten morgens
erschien in der Druckerei der Zeitung „Rabotschi Putj" der
Kommissar des dritten Bezirks mit einer Abteilung von
Offiziersaspiranten der zweiten Oranienbaumer Schule. Nach
Besetzung aller Ausgänge legte der Kommissar dem Hauswart einen
Befehl Polkownikows, des Oberstkommandierenden des Petrograder
Militärbezirks, über die sofortige Schließung der beiden
Zeitungen „Rabotschi Putj" und „Der Soldat" und der Druckereien
vor. Der Hauswart erklärte, daß er keinerlei Befehle, woher
diese auch kommen mögen, ohne Zustimmung des
Militär-Revolutionären Komitees des Petrograder Sowjets
anerkenne und weigerte sich, die Order anzunehmen. Darauf wurden
die Druckplatten zerstört, die Druckerei und 8000 gedruckte
Exemplare der Zeitung beschlagnahmt.
Vom Stabe des Militärbezirks wurden Befehle ausgegeben und
veröffentlicht: die Kommissare des Petrograder Sowjets
abzusetzen und unter Anklage zu stellen, den Truppen der
Garnison das Verlassen der Kasernen ohne Befehl des
Bezirksstabes zu verbieten, Automobile dem Bezirksstabe zur
Verfügung zu stellen. — Vom Kommissar des Petrograder
Militärbezirks wurde ein Aufruf mit der Mahnung zur Ruhe
veröffentlicht. — An die Gouvernementskommissare der
provisorischen Regierung wurde vom Innenminister Nikitin ein
Telegramm gerichtet, jegliche Versuche zur Ergreifung der Macht
zu unterdrücken.
Um 12 Uhr mittags traf im Winterpalais ein
Freiwilligenbataillon von Frauen ein. Gegen 3 Uhr nachmittags
rückte vor dem Palais leichte Artillerie auf. Abteilungen von
Offiziersaspiranten besetzten die Regierungsgebäude, die
Bahnhöfe und die Newa-Brücken; an den Kreuzungen der großen
Straßen wurden Posten aufgestellt, die den Befehl bekamen,
Automobile zu requirieren. — Am Tage wurden auf Befehl des
Oberstkommandierenden des Bezirks alle Newa-Brücken, die die
Außenbezirke mit dem Zentrum der Stadt verbinden, aufgezogen und
die Telephone des Petrograder Sowjets im Smolny ausgeschaltet;
beim Aufziehen der Brücken erfolgten einzelne Zusammenstöße
zwischen Offiziersaspiranten und Abteilungen von Rotgardisten.
Infolge der erregten Stimmung in der Stadt wurden die Arbeiten
in den städtischen Institutionen um 2 1/2
Uhr nachmittags unterbrochen. — Im Gebäude des Stabes des
Militärbezirks wurden Räume für die Unterkunft der
Sozialrevolutionäre und der Sozialdemokraten aus dem
Vollzugsausschuß bereitgestellt.
Das Militär-Revolutionäre Komitee hob das von der
provisorischen Regierung ausgesprochene Verbot der Zeitungen „Rabotschi
Putj" und „Der Soldat" auf; auf Befehl des
Militär-Revolutionären Komitees übernahm ein Posten des
Litauischen Regiments und des 6. Reserve-Bataillons den Schutz
der Druckerei und der Redaktion; die beschlagnahmten Exemplare
der Zeitungen wurden darauf in den Straßenhandel gebracht.
Im Laufe des Tages wurden in allen Teilen der Garnison
Meetings abgehalten. Am Abend fanden Meetings in den Straßen
statt. Es wurden Resolutionen über die Unterstützung des
Militär-Revolutionären Komitees angenommen. Außerdem schlug eine
Resolution von 4500 Arbeitern der Putilow-Werke dem
Militär-Revolutionären Komitee vor, Maßnahmen für die
schleunigste Entwaffnung der Offiziersaspirantenschulen zu
treffen; die Arbeiter des 11. Sektors der Putilow-Werke
forderten die Bewaffnung der Arbeiter; das Plenum des Komitees
des 3. Reserve-Infanterie-Regiments zeichnete für den Sowjet
5000 Rubel.
Die Kraftfahrer-Abteilung, die das Winterpalais, wohin sie
von der Front beordert war, seit dem Juli bewachte, wurde um 4
Uhr nachmittags abgelöst und erklärte, daß sie den Schutz des
Palais nicht wieder übernehmen würde. — Das 5.
Kraftfahrer-Bataillon, das die provisorische Regierung von der
Front herbeordert hatte, blieb auf der Station Peredolskaja
liegen und forderte telegraphisch Aufklärung vom Petrograder
Sowjet, da es nicht wisse, zu welchem Zweck es herbeordert
werde. Der Petrograder Sowjet erwiderte dem Bataillon mit einem
brüderlichen Gruß und schlug ihm vor, an Ort und Stelle zu
bleiben und nur seine Vertreter nach Petrograd zu schicken. —
Auf Verlangen des Petrograder Sowjets beriefen die durch die
provisorische Regierung nach Petrograd kommandierten
Offiziersaspiranten eine Konferenz ein; hier erfolgte eine
Spaltung: es setzten sich insgesamt 175 Offiziersaspiranten in
Bewegung, die unterwegs durch die Truppen des
Militär-Revolutionären Komitees aufgehalten wurden. — Ein Teil
der von der Regierung von der nördlichen Front herbeorderten
Truppenteile weigerte sich zu kommen und blieb an seinem
Standorte.
Nachdem der Kommissar des Militär-Revolutionären Komitees das
Telephonamt aufgesucht hatte, wurden die Telephone des Smolny
aufs neue angeschlossen — um 5 Uhr nachmittags besetzten die
Kommissare des Militär-Revolutionären Komitees, Pestkowski und
Leschtschinski, das Telegraphenamt, um 9 Uhr abends besetzte der
Kommissar des Militär-Revolutionären Komitees, Stark, mit einer
Matrosen-Abteilung die Petrograder Telegraphen-Agentur. — In der
Nacht verhängte Bontsch-Brujewitsch die Zensur über die
„Iswestija" des Vollzugsausschusses und die „Istwestija" des
Sowjets der Bauern-Depu-tierten und verbot die Veröffentlichung
der Befehle des Bezirksstabes. Das Militär-Revolutionäre Komitee
sandte an die revolutionären Truppen Kronstadts ein
Telephonogramm mit dem Befehl, am Morgen des 25. Oktobers in
Petrograd zum Schütze des Sowjetkongresses einzutreffen. Nach
Helsingfors wurde ein verabredetes Telegramm bezüglich der
Entsendung von Truppenabteilungen nach Petrograd zur
Unterstützung des Aufstandes geschickt.
Um 12 Uhr 25 Minuten in der Nacht zum 25. Oktober wurde unter
Vorsitz von Gotz eine vereinigte Sondersitzung des
Vollzugsausschusses der Sozialrevolutionäre und Sozialdemokraten
und des ZK. des Allrussischen Bauern-Deputierten-Sowjets unter
Beteiligung der Delegierten des Allrussischen Sowjetkongresses
abgehalten.
Es wurde eine Resolution angenommen,
in der die Arbeiter und Soldaten Petrograds aufgefordert wurden,
volle Ruhe zu bewahren und den Aufrufen zu bewaffneten Aktionen,
die notgedrungen zum Verderben führen müßten, keine Folge zu
leisten.
25. Oktober (7. November), Mittwoch.
In der Nacht zum 25. Oktober ging das Militä
Genossen!
Die Arbeiter- und Bauern-Revolution, von deren
Notwendigkeit die Bolschewiki all die Zeit gesprochen haben,
ist vollzogen.
Welche Bedeutung hat diese Arbeiter- und Bauern-Reuolution?
Die Bedeutung dieses Umsturzes liegt vor allem darin, daß wir
jetzt eine Sowjetregierung haben werden, unser eigenes
Machtorgan, ohne irgendwelche Beteiligung der Bourgeoisie. Die
geknechteten Massen selbst bilden die Macht. Der alte
Staatsapparat wird an der Wurzel gefällt und es wird ein neuer
Verwaltungsapparat in Form der Sowjet-Organisationen
aufgebaut.
Von jetzt beginnt ein neuer Abschnitt in der Gtschichte
Rußlands, und die jetzige dritte russische Revolution muß im
Endresultate zum Siege des Sozialismus führen.
Eine unserer Tagesaufgaben bildet die sofortige
Liquidierung des Krieges. Aber es ist allen klar, daß, um
diesen Krieg zu beenden, der eng mit dem jetzigen
kapitalistischen System verbunden ist, unbedingt das Kapital
selbst bekämpft werden muß.
In diesem Kampfe wird uns jene Arbeiterbewegung der ganzen
Welt zu Hilfe kommen, welche jetzt schon in Italien, England
und Deutschland sich zu entfalten beginnt.
Ein gerechter, sofortiger Friede, welchen wir der
internationalen Demokratie vorschlagen, wird überall in den
internationalen proletarischen Massen ein leidenschaftliches
Echo finden. Um dieses Vertrauen des Proletariats zu festigen,
ist es notwendig, sofort alle geheimen Verträge zu
veröffentlichen.
Im Inneren Rußlands hat ein ungeheurer Teil der
Bauernschaft gesagt: Genug des Spiels mit den Kapitalisten,
wir gehen mit den Arbeitern. Wir erwerben das Vertrauen der
Bauern durch ein einziges Dekret, welches das Eigentum der
Gutsbesitzer zunichte macht. Die Bauern verstehen, daß nur im
Bündnis mit den Arbeitern die Rettung der Bauernschaft liegt.
Wir werden eine wirkliche Arbeiterkontrolle der Produktion
einführen. Jetzt haben wir es erlernt, einmütig zu arbeiten.
Davon zeugt die eben vor sich gegangene Revolution. Wir
besitzen jene Kraft der Massenorganisation, welche alles
besiegt und das Proletariat zur Weltrevolution führen wird.
In Rußland müssen wir sofort mit dem Aufbau des
proletarischen sozialistischen Staates beginnen.
Es lebe die sozialistische Weltrevolution!
Um 3 Uhr 15 Minuten nachmittags besetzt eine Abteilung des
Pawlow-Regiments die Polizeibrücke und sperrt den Verkehr auf
dem Newski-Prospekt; auf der Brücke nimmt ein Panzerauto mit
Maschinengewehren und ein Automobil mit einem dreizölligen
Geschütz Aufstellung.
Um 3 Uhr 45 Minuten wird der Kasanplatz von Truppen des
Militär-Revolutionären Komitees besetzt.
Gegen 5 Uhr nachmittags werden die Räume des
Kriegsministeriums und die dort befindliche direkte Leitung zum
Hauptquartier von einer Abteilung des Kexholmer Regiments
besetzt.
Um 5 Uhr 30 Minuten verbreitet sich das Gerücht, daß eine
Armee mit Kerenski an der Spitze aus Pskow gegen Petrograd
vorrücke.
Im Laufe des Tages werden in der Peter-Paul-Festung Geschütze
zur Beschießung des Winterpalais aufgestellt. — Auf Befehl
Antonow-Owsejenkos nehmen die Torpedoboote zur Beschießung des
Winterpalais hinter der Nikolai-Brücke Aufstellung.
Im Sowjet des Verbandes der Kosakentruppen fanden einige
Sitzungen unter Beteiligung der Vertreter der Regimentskomitees
der Kosakentruppenteile statt, in denen die Mitglieder des
Sowjets (Filatow, Sawinkow u. a.) die Kosakenregimenter
Petrograds aufforderten, die Verteidigung der provisorischen
Regierung aufzunehmen; in der angenommenen Resolution wendet
sich der Sowjet des Verbandes der Kosakentruppen an die Kosaken
Petrograds mit dem Aufruf, die provisorische Regierung zu
unterstützen und deren Befehle in ihrem Kampfe gegen die
Aufständischen und die Verräter des Vaterlandes, — für die
Errungenschaften, die die Revolution dem russischen Volke
gebracht hat, streng auszuführen.
Am Tage trafen am Winterpalais die Offiziersaspiranten der
Michailow-Artillerieschule mit sechs Geschützen ein.
Im Winterpalais fehlt es vollkommen an Lebensmitteln für die
innerhalb des Palais befindlichen Truppen. Ein zum Palais
fahrendes Lastautomobil mit Brot wird durch die Truppen des
Militär-Revolutionären Komitees
aufgehalten. Die Truppen im Palais bleiben ohne Mittag. Von den
sechs daselbst befindlichen Panzerautos gehen fünf auf die Seite
des MRK. über und nur eines, der „Achtyrez", bleibt für den
Schutz des Palais zurück.
Um 6 Uhr abends wird das Winterpalais von Truppen des MRK.
eingeschlossen.
Auf dem Platze vor dem Palais erscheinen Panzerautos des MRK.;
eines von ihnen fährt bis an das Hauptportal des Palais,
entwaffnet die dort aufgestellten Offiziersaspiranten und
entfernt sich dann unbehindert.
Auf einen unter dem Drucke des MRK. ausgegebenen Befehl des
Schulleiters verläßt ein großer Teil der Offiziersaspiranten der
Michailow-Artillerieschule mit vier Geschützen von insgesamt
sechs das Winterpalais und begibt sich in ihre Schule zurück. Am
Newski-Prospekt werden sie von den Posten des Pawlow-Regiments
verhaftet, zwei der ihnen abgenommenen Geschütze werden an der
Brücke der Moika aufgestellt und gegen das Winterpalais
gerichtet.
Um 6 1/2 Uhr abends treffen im
Bezirksstabe aus der Peter-Paul-Festung zwei Motorradfahrer ein
und übergeben ein Ultimatum, das von Antonow-Owsejenko und vom
Kommissar der Peter-Paul-Festung, Blagonrawow, unterzeichnet ist
und die Forderung enthält, die provisorische Regierung solle
sich ergeben und ihre Truppen entwaffnen lassen; in dem
Ultimatum wurde auch darauf hingewiesen, daß für den Fall, daß
die Regierung sich nicht ergebe, aus den Geschützen der
Peter-Paul-Festung und der auf der Newa aufgestellten
Kriegsschiffe (Aurora u. a.) das Feuer gegen das Palais eröffnet
werden würde; es wurden 20 Minuten Bedenkzeit gegeben. Nach
Ablauf dieser Frist von 20 Minuten wurde auf Veranlassung des
Stabes einer der eingetroffenen Delegierten mit dem Ersuchen um
eine weitere Frist von 10 Minuten zur Festung zurückgesandt; bis
dahin sollte Poradjelow aus dem Winterpalais eine endgültige
Antwort erhalten. Nach Ablauf der neuen Frist begab sich eine
Abteilung von Rotgardisten, Matrosen und Soldaten, die am Tore
des Stabes unter dem Kommando eines Leutnants des
Pawlow-Regiments Aufstellung genommen hatte, ins Innere des
Schlosses, besetzte ohne Widerstand den Stab und verhaftete
Poradjelow.
7 Uhr abends. Stadt Ostrow. Der Kommandierende des 7.
Kavalleriekorps, General Krassnow, sagt in seinem Befehle zum
Vorgehen der 1. Donkosaken-Division („Abteilung des Obersten
Popow" in einer Stärke von 20 Hundertschaften mit 16
Maschinengewehren und 14 Geschützen) gegen Petrograd; „zur
Unterdrückung der Unruhen mit Waffengewalt hat die provisorische
Regierung die 44. Inf.-Division,
Kraftfahrerbataillone, die 5. kaukasische Kosakendivision,
das 23. und 43. Kosakenregiment und noch einige an der Front
entbehrliche Truppenteile herbeordert, die in Eilmärschen gegen
Petrograd vorrücken."
9 Uhr abends. Da von der provisorichen Regierung auf das
Ultimatum keine Antwort eingegangen war, wurde nach einem
blinden Signalschuß aus der Peter-Paul-Festung aus einem
6-zölligen Geschütz des Kreuzers „Aurora" gleichfalls ein
blinder Schuß abgegeben. Gleich darauf setzte (unter Beteiligung
der Panzerautos) das Gewehr- und Maschdnengewehrfeuer gegen das
Winterpalais ein, das bis 10 Uhr abends dauerte. Die
Offiziersaspiranten antworteten von ihren aus Holz errichteten
Barrikaden.
Im Laufe des Abends trafen zur Unterstützung des
Militär-Revolutionären Komitees fünf Kampfschiffe der
operierenden Baltischen Flotte in Petrograd ein (der Kreuzer
„Oleg", zwei „Nowik" und zwei Torpedoboote).
Die <Jit provisorische Regierung verteidigenden Truppenteile
begannen das Winterpalais zu verlassen. Außer der Batterie der
Michailow-Artillerieschule entfernten sich auch die Kosaken;
gegen 10 Uhr abends verließ ein großer Teil der Offiziere das
Palais,
10 Uhr abends. Das Frauen-Bataillon, das an der Verteidigung
des Winterpalais teilnahm, kann dem Feuer nicht standhalten und
ergibt sich; darauf läßt das Feuergefecht um das Winterpalais
bis 11 Uhr abends nach.
Um 10 Uhr 40 Minuten abends wurde im Smolny der Zweite
Allrussische Kongreß der Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und
Bauern-Deputierten eröffnet. Der den Kongreß im Namen des
Präsidiums des Vollzugsausschusses der SR. und SD. eröffnende
Dan begnügte sich mit dem Hinweis auf die besonderen Umstände,
unter denen sich der Kongreß versammle, und schlug die Wahl des
Präsidiums vor. Entsprechend der Zahl der Delegierten wurden ins
Präsidium gewählt; 14 Bolschewik! (Lenin, Sinowjew, Trotzki,
Kamenew, Skljanski, Nogin, Krylenko, Kollontai, Rykow,
Antonow-Owsejenko, Rjasanow, Muranow, Lunatscharski und
Stutschka), 7 linke SR. (Kamkow, M. Spiridonowa, Kachowskaja,
Mstislawski, Sachs, Karelin, Gutman). Die rechten SR. (die
zusammen mit den linken SR. — sieben Plätze innehatten) und die
Menschewiki (drei Plätze) erklärten, daß sie sich weigern, am
Präsidium teilzunehmen; die Menschewiki-Internationalisten (ein
Platz) erklärten, daß sie sich bis zur Aufklärung gewisser
Umstände der Beteiligung am Präsidium enthalten würden; das
Präsidium wurde durch dm Vertreter der Ukrainischen
Sozialistischen Partei ergänzt. Der Vorsitz ging auf Kamenew
über, der die vom alten ZEK. entworfene Tagesordnung — Fragen
der Macht, des Krieges und der National-
Versammlung — zur Verlesung brachte. Auf Vereinbarung der
Büros aller Fraktionen wurde beschlossen, zunächst den Bericht
des Vertreters des Petrograder Sowjets der Arbeiter- und
Soldaten-Deputierten entgegenzunehmen und dann zur
Regierungsfrage überzugehen. — Einstimmig wurde der Vorschlag
Martows angenommen, — vor allem di« Frage einer friedlichen
Lösung der eingetretenen Krise zu diskutieren. — Nun gaben die
Vertreter der rechten Gruppen des Kongresses (Charrasch vom
Armeekomitee der 12. Armee, Kutschin im Namen der Frontgruppe,
Chintschuk von der Fraktion der Menschewiki, Hendelmann von der
Fraktion der rechten SR. und Abrainowitsch vom Bund)
außerordentliche Protesterklärungen gegen die Usurpierung der
Macht durch die Bolschewiki ab und verließen zusammen mit einem
Teile ihrer Fraktionen und Gruppen den Kongreß. — Martow (von
der Fraktion der Menschewiki-Internationalisten) schlug dem
Kongresse vor, eine Entschließung anzunehmen, die die
Notwendigkeit einer friedlichen Lösung der eingetretenen Krise
durch Bildung einer gesamtdemokratischen Regierung betont,
ferner eine Delegation zwecks Verhandlungen zu ernennen und bis
zur Bildung einer einheitlichen demokratischen Regierung die
Arbeiten des Kongresses auszusetzen. Von Trotzki wurde eine
Resolution vorgeschlagen, die eine scharfe Verurteilung der nach
siei>en Monaten zusammengebrochenen Tätigkeit der
kompromißlerischen Parteien und ihrer Versuche, durch ihren
Weggang den Kongreß zu sprengen, ferner eine Begrüßung des
sieghaften Aufstandes der Soldaten, Arbeiter und Bauer» sowie
den Vorschlag enthielt, die Arbeiten des Kongresses
fortzusetzen. — Die linken SR. sprachen sich gegen die
Resolution Trotzkis und für die Schaffung einer einheitlichen
revolutionären Front aus; die Vereinigten Internationalisten
erklärten: obwohl sie die Handlungsweise der Menschewiki und der
SR. als beschämend ansähen, so schlügen sie doch vor, keine
scharfe Resolution aus diesem Anlasse anzunehmen, sondern
einfach ihren Weggang zu ignorieren. — Die
Menschewiki-Internationalisten und die sich ihnen anschließenden
Poale-Zionisten verließen den Kongreß. — Es wurde darauf eine
Pause zur Beratung der Resolution gemacht. Auf dem Kongresse
verblieben die Bolschewiki, die linken SR., die Vereinigten
Internationalisten, die PPS., ein großer Teil der Frontgruppe
und die Vertreter der Bauernsowjets.
Vor Eröffnung des Kongresses fanden Fraktions-Konferenzen
statt. Bei der Eröffnung des Kongresses war schon der Beschluß
der rechten Gruppen, den Kongreß zu verlassen, bekannt geworden.
In der Fraktionssitzung der SR. erhielt die von Hendelmann im
Namen des ZK. eingebrachte Resolution, die die Usurpierung der
Macht verurteilte, insgesamt 60 Stimmen gegen 93 Stimmen (der
linken SR.).
11 Uhr abends. Die Beschießung des Winterpalais wurde wieder
aufgenommen. Von der Peter-Paul-Festung wurde Maschinengewehr-
und Geschützfeuer gegen das Palais eröffnet; es wurden 30 bis 35
Schüsse abgegeben, von denen nur zwei Treffer waren, die auf das
Gesims des Palais schlugen, wobei ein Granatsplitter ein Fenster
durchschlug und in ein Zimmer fiel, ohne jemand zu verletzen;
die anderen Geschosse gingen über das Palais hinweg. — Darauf
drangen einzelne Gruppen von Soldaten und Rotgardisten in das
Palais ein, wurden aber von den Offiziersaspiranten entwaffnet;
als dann größere Abteilungen von Truppen des
Militär-Revolutionären Komitees ins Palais eindrangen, wurden
die Offiziersaspiranten entwaffnet.
Kerenski war abends im Automobil in Pskow (Pleskau)
eingetroffen. Der Oberstkommandierende der Nordfront,
Tscheremissow, erklärte Kerenski, er könne der provisorischen
Regierung keinerlei Hilfe leisten und riet, nach Mogilew (ins
Quartier des Oberstkommandierenden) zu fahren, — wenn Kerenski
seinen Widerstand noch weiter fortzusetzen gedenke. Kerenski 'beschloß,
zusammen mit Krassnow nach Ostrow zu fahren, um von dort her mit
Kosaken gegen Petrograd vorzugehen.
In den Straßen Petrograds hörte der Verkehr bis in die späte
Nacht nicht auf (mit Ausnahme des Stadtteils um das
Winterpalais); Theater und Lichtspiele waren geöffnet.
In der Nacht begab sich eine Defegation aus der
Stadtverordnetenversammlung ins Winterpalais, bestehend aus
Stadtverordneten, aus den Menschewiki und SR., die den
Sowjet-Kongreß verlassen hatten, und aus Mitgliedern des
Vollzugsausschusses des Sowjets der Allrussischen
Bauern-Deputierten. Am Kasan-Platz wurde die Delegation von
einem Posten des Militär-Revolutionären Komitees aufgehalten und
mußte umkehren.
Um 1 Uhr 50 Minuten nachts besetzten
Truppen des Militär-Revolutionären Komitees „die Galerie 1812"
im Winterpalais.
Um 2 Uhr 10 Minuten nachts wurde das ganze Winterpalais
besetzt. Durch da«. Mitglied des Militär-Revolutionären
Komitees, Antonow-Owsejenko, wurde die provisorische Regierung
verhaftet (der stellvertretende Ministerpräsident Konowalow, der
Spezialbevollmächtigte für öffentliche Ordnung in der
Hauptstadt, und Wohlfahrtsminister Kischkin, dessen Gehilfen —
Paltschinski und Rutenberg, der Außenminister Tereschtschenko,
der Vorsitzende der Sonderkonferenz für die Verteidigung,
Tretjakow, der Reichskontrolleuf Smirnow, der Kultusminister
Kartasohew, der Finanzminister Bernatzki, der Marineminister
Werderewski, der Leiter des Kriegsministeriums General
Manikowski, der Verkehrsminister Liwerowski, der Minister für
Volksbildung, Salaskin, der Landwirtschaftsminister S. Masslow,
der Arbeitsminister Gwosdjew, der Postminister und Innenminister
Nikitin, der Justizminister Maljantowitsch und
der General für besondere Aufträge, Borissow. Die Verhafteten
wurden in der Trubezkoi-Bastion der Peter-Paul-Festung
interniert. Die anderen Offiziere und Offiziersaspiranten wurden
entwaffnet und auf das ehrenwörtliche Versprechen, gegen die
Sowjet-Herrschaft nicht kämpfen zu wollen, entlassen. Darauf
wurde der Schutz des Winterpalais und des Bezirksstabes
organisiert. — Im Laufe der Nacht wurde auch ein provisorischer
Stab zur Leitung der Truppen im Reichsmaßstabe gebildet.
In der nach der Pause wieder aufgenommenen Sitzung des
Sowjet-Kongresses wurde die Besetzung des Winterpalais, die
Verhaftung der provisorischen Regierung, der Übertritt des von
Kerenski nach Petrograd entsandten dritten und fünften
Kraftfahr-Bataillons auf die Seite des Militär-Revolutionären
Komitees, die Bewachung der Zugänge nach Petrograd durch die
Garnison von Zarskoje Selo, die Bildung eines Militär -
Revolutionären Komitees der Nordfront und die Verabschiedung des
Frontkommissars Woytinski mitgeteilt. — Vom Kongreß wurde ein
Aufruf an die „Arbeiter, Soldaten und Bauern" angenommen, der
die Eröffnung des Sowjet - Kongresses, den Übergang der Macht in
dessen Hände, die Verhaftung der provisorischen Regierung
mitteilte, den Übergang der gesamten Macht in der Provinz auf
die Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauern-Deputierten
dekretierte und das Programm der Sowjetmacht auseinandersetzte.
— Die Fraktion der Menschewiki-Internationalisten — erklärte,
daß sie endgültig den Kongreß verlasse. Die PPS. erklärte, daß
sie auf dem Kongreß verbleiben und an seinen Arbeiten teilnehmen
wolle. — Den Vertretern der örtlichen Bauernsowjets wurde eine
beschließende Stimme eingeräumt. — Die Sitzung des Kongresses
wurde um 6 Uhr morgens geschlossen.
Um 3 Uhr nachts wurde im Magistratsgebäude, nach der Rückkehr
der Delegation, die auf dem Wege zum Winterpalais umzukehren
gezwungen wurde, eine Sitzung der Vertreter aller Organisationen
abgehalten, die auf dem Standpunkte des Kampfes gegen die
Usurpierung der Macht standen. Um 3 1/2
Uhr nachts wurde eine Entschließung angenommen bezüglich der
Bildung eines Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der
Revolution, dem je drei Vertreter der
Stadtverordnetenversammlung, des Vollzugsausschusses, der SR.
und SD., des Vollzugsausschusses des Allrussischen Sowjets der
Bauern-Deputierten, der den Sowjet-Kongreß boykottierenden
Fraktionen der SR. und der Menschewiki, der Zentralkomitees der
Parteien der Menschewiki und der SR., des Vorparlaments und der
Frontorganisation angehörten. Es wurde beschlossen, sich an das
Land mit einem Aufrufe gegen die Bolschewiki und für die
Wiederherstellung der provisorischen Regierung zu wenden.
Um diese Zeit klärte sich auch das Verhältnis der
verschiedenen Organisationen und Gruppen zur „Usurpierung" der
Macht und zum Sowjet-Kongreß.
Die linken SR. sind für die Machtergreifung, für eine
einheitliche revolutionäre Front, jedoch gegen eine scharfe
Verurteilung der Schwankenden; sie beteiligten sich am
Militär-Revolutionären Komitee und an den Arbeiten des
Sowjet-Kongresses (stellten Vertreter für das Präsidium des
Kongresses).
Die SD.-Internationalisten — sind für die Schaffung einer
einheitlichen sozialistischen Regierung; sie verbleiben auf dem
Kongreß. — Die PPS. bleibt auf dem Kongreß.
Die Menschewiki-Internationalisten (Martow-Gruppe) — sind
gegen die Ergreifung der Macht, da „dieser Umsturz Blutvergießen
und Bürgerkrieg" hervorzurufen drohe; sie sind für die
friedliche Lösung des Konfliktes, für „eine Verständigung
zwischen dem aufrührerischen Teile der Demokratie und den
anderen demokratischen Organisationen bezüglich der Bildung
einer demokratischen Regierung, die von der ganzen
revolutionären Demokratie anerkannt und der die Gewalt der
provisorischen Regierung schmerzlos übergeben werden könnte";
sie erklärten zweimal ihren Weggang vom Kongresse, — das zweite
Mal den endgültigen (die Erklärung bezüglich des Wegganges wurde
in der Sitzung des Kongresses vom 26. Oktober wiederholt).
Die Menschewiki (und der Bund) — sind gegen die Usurpierung
der Macht — für Verhandlungen mit der provisorischen Regierung
über die Bildung einer Macht, die sich auf alle Schichten der
Demokratie stützt; sie beriefen ihren Vertreter aus dem
Petrograder Sowjet ab, entfernten sich vom Sowjet-Kongreß und
traten dem „Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der
Revolution" bei. Das Petrograder Komitee der Menschewiki („Oboronzen")
erließ einen Aufruf, in dem es die Bürger aufforderte, sich um
die provisorische Regierung zusammenzuschließen und sie zu
verteidigen.
Die rechten SR. sind gegen die Usurpierung der Macht, für die
Organisierung der Kräfte „in Voraussehung eines Ausbruches des
Volksunwillens, der infolge des zwangläufigen Zusammenbruches
der bolschewistischen Versprechungen eintreten müsse . . ., um
bei der kommenden Katastrophe das Schicksal des Landes in die
Hand zu nehmen"; sie entfernten sich vom Kongreß und traten dem
„Komitee zur Rettung des Vaterlandes und der Revolution" bei.
Das ZK. der SR. schlug den Mitgliedern der Partei vor, aus dem
Militär-Revolutionären Komitee auszutreten.
Die Volkssozialisten und die sozialdemokratische Gruppe
„Einheit" (Plechanow-Gruppe) traten dem „Komitee zur Rettung . .
." bei.
Das ZEK. des Allrussischen Eisenbahnerverbandes „beschloß,
den Vollzugsausschuß der SR. und der SD.
sowohl in seinem jetzigen Bestände, wie auch in seinem
zukünftigen, vom Sowjet-Kongreß zu wählenden, allseitig zu
unterstützen", „hält aber den Terror und die Vergewaltigung
seitens irgendeiner Partei gegenüber der Mehrheit der Demokratie
für unzulässig".
Zentroflott (Zentralausschuß der Flotte) antwortete auf eine
Anfrage der Marinetruppen, daß gemäß der vor einiger Zeit
gefaßten Entschließung „alle bewaffneten Aktionen vom
Zentroflott kategorisch verurteilt werden; was aber die
Beteiligung einzelner Personen und Truppenteile an der Bewegung
anbelange, so hält der Zentroflott diese, sofern sie es für
möglich ansehen, an der Bewegung teilzunehmen, von ihrem
Vorhaben nicht ab."
Das EK. des Post- und Telegraphenverbandes fertigte im
Auftrage der provisorischen Regierung deren Telegramme ab und
trat dem „Rettungskomitee" bei.
Die Stadtverordnetenversammlung nahm aktiven Anteil an der
Gründung des „Komitees zur Rettung des Vaterlandes und der
Revolution".
Das ZEK. der SR. und SD. trat dem „Rettungskomitee" bei und
wandte sich dann mit einer Kundgebung an „alle Sowjets der
Arbeiter- und Soldaten-Deputierten und Armee-Komitees", in der
es den II. Sowjet-Kongreß als nicht stattgefunden und dessen
Beschlüsse für die örtlichen Sowjets und Armee-Komitees als
nicht verpflichtend erklärt.
Das EK. des Allrussischen Sowjets der Bauern-Deputierten trat
mit einer Kundgebung „an alle Bauern, Soldaten und Arbeiter",
unter der Losung: „Alle Macht der Nationalversammlung" und mit
dem Aufrufe hervor, „dem Petrograder Sowjet der Arbeiter- und
Soldaten-Deputierten und den ihm unterstellten Organen keinen
Glauben zu schenken"; es beschloß auch, zum Sowjet-Kongreß einen
Vertreter mit einer Protesterklärung gegen die Einberufung des
Kongresses zu entsenden; es trat auch dem „Rettungskomitee" bei.
S. 356 - 365