« Ich bin ein altes Krokodil, von dem man im Wasser nur das Auge
sieht. » Diesen Vergleich, über dessen Schmeichelhaftigkeit sich
streiten lässt, zog der französische rechtsextreme Politiker
Jean-Marie Le Pen am Wochenende über sich selbst. Er wollte
damit aussagen, dass er vor den anstehenden Wahlen wie so
oftmals unterschätzt werde. Derzeit werden ihm allerdings
bereits Ergebnisse von 15 Prozent der Stimmen an aufwärts
vorhergesagt. Von Freitag bis Sonntag hielt der französische
Front National (FN) seinen « Präsidentschaftskonvent » in Le
Bourget in der Nähe von Paris ab. Vor 4.000 bis 5.000 Anhängern
hielt er zum Abschluss eine anderthalbstündige Kampfrede.
Bernhard Schmid war dabei.
Es ist wie eine Reise zwischen zwei Welten. Bei der Ankunft am
Bahnhof der Pariser Vorstadt Le Bourget fällt auf, dass man sich
in einer jener Trabantenstädte befindet, in denen – aufgrund der
räumlichen Konzentration der Immigrantenbevölkerung ebenso wie
der Armut auf engem Raum – der Einwandereranteil hoch ist. Hier
ist er sichtbar, da es sich im Stadtzentrum von Le Bourget
überwiegend um Schwarze handelt. Neben dem Ausgang des Bahnhofs
sammelt sich eine kleine Traube von Leuten, die sich offenkundig
von dieser Umgebung abheben. Sie warten auf den kostenlosen Bus,
der sie auf das Messegelände auf dem stillgelegten Flughafen von
Le Bourget befördern soll. Dort steigt an diesem Wochenende die
Grobveranstaltung
des Front National (FN). Prompt fallen auch rasch die ersten
abfälligen Bemerkungen über die Einwanderer, und dass man in
Frankreich nicht mehr zu Hause sei, undsoweiter.
Nicht auffallen, denke ich mir. Einerseits will ich sie nicht so
wirken, als ob ich dazu gehören würde, andererseits will ich
mich doch unter das Publikum mischen und Augen und Ohren
offenhalten. Bei solchen Grobveranstaltung
der « Lepenisten » halte ich mich seit Jahren an das eiserne
Prinzip : Meinen Eintritt bezahlen wie Otto Normalfaschist, auf
die bequemen und räumlich gut situierten Plätze auf den
Pressebänken verzichten, keinen Journalistenbutton ans Revers
heften. Nur sehen und hören. Also vertiefe ich mich in diesem
Moment scheinbar angestrengt in die Lektüre meiner Zeitung. Erst
kommen ein paar ältere Leute, die diverse Boulevardzeitungen bei
sich tragen. Einer von ihnen fragt lautstark und ungeniert, ob
« hier der Bus vom Front National » vorbei kommt. Keine Ahnung,
antworte ich, zugegebenermaben
wider besseres Wissen.
Dann kommen noch andere Leute hinzu. Ein elegantes Paar etwa,
das offenkundig eher der Bourgeoisie als dem Proletariat
angehört, Monsieur im Lodenmantel und mit einem bizarren Hut.
Dann kommen noch zwei junge Leute im Studentenalter. « Sie » hat
auf ihrer Handtasche überdeutlich das rote « Herz der Chouans »
prangen : jenes stilisierte Herz mit aufgepflanztem senkrechtem
Kreuz, das in den Jahren 1793/94 den Aufständischen der Vendée
im Kampf « für Gott und König » gegen die junge Republik als
Erkennungszeichen diente. Auf der französischen extremen Rechten
und in in ihrer Ideologiebildung spielt diese geschichtliche
Episode eine wichtige Rolle, denn historisch entstanden ihre
Vorläufer aus der Ablehnung des Bruchs, der in den Jahren nach
1789 stattgefunden hatte. Das Bürgertum hatte damals im Namen
der Vernunft und der eigenen Interessen die « von Gott gegebene,
natürliche Ordnung » des Ancien Régime umgestürzt. Zudem hatte
es noch die Gleichheit aller Menschen zumindest bei der Geburt
proklamiert, wenngleich dieses Bürgertum mit der
wirtschaftlichen Ungleichheit dann später nicht so viele
Probleme hatte. Seitdem ist die Chiffre « 1789 » für alle
Verfechter der « natürlichen Ungleichheit der Menschen » und die
extremen Rechten aller Schattierungen ein Negativsymbol -- auch
wenn die Unterströmungen der extremen Rechten ansonsten die
Monarchie unterschiedlich bewerten. Dieses kreuzbewehrte
Herzsymbol wird mir an diesem Wochenende noch häufig begegnen.
Dann fällt mir auf, dass auch die vorher beobachtete elegante
Dame so ein Zeichen bei sich trägt.
Konzept aus den USA übernommen
Noch immer tue ich relativ teilnahmslos, damit mich nicht wieder
jemand lautstark nach dem Weg zum Front National fragt. An dem
Bus, der dann nach 5 Minuten auch kommt, steht auch nicht FN
dran, sondern wesentlich diskreter : « Salon BBR », wie für
einen Ausstellungssalon. BBR steht dabei für Bleu-Blanc-Rouge,
also die Nationalfarben der Trikolore. Früher hielt die
rechtsextreme Partei einmal jährlich im September ein Fest unter
diesem Namen (« la Fête BBR ») im Pariser Stadtwald Bois de
Vincennes ab. Doch seit dem Wechsel im Pariser Rathaus 2001
vergeben die jetzt dort regierenden Sozialdemokraten das Gelände
nicht mehr an die Rechtsextremen: Leider leider wird es dann
immer für ein Zirkusfestival benötigt, der rechtsextreme Rummel
musste also weichen. Stattdessen ruft der FN jetzt also zum
« Präsidentschaftskonvent », fünf Monate vor den nächsten
Präsidentschaftswahlen in Frankreich.
Der Begriff ist eine späte Anleihe bei den US-Republikanern : Zu
ihnen unterhielt Le Pen in den achtziger Jahren noch enge
Beziehungen, damals griff er auch auf Imageberater der US-Partei
zurück. 1984 und 87 hatte Le Pen jenseits des Atlantik an zwei
« Konvents » der US-Republikaner teilgenommen, und beim zweiten
Mal sogar Ronald Reagan die Hand schütteln können ; das Foto
wurde bei den französischen Präsidentschaftswahlen von 1988 viel
benutzt. Der seinerzeitige US-Präsident war damals bei den
französischen Rechtsextremen beliebt, im Namen des
Antikommunismus, aber seitdem die Sowjetunion im Eimer ist, ist
das endgültig passé. Seit 1989 rücken die französischen
Rechtsextremen stattdessen einen nationalistischen und oft
verschwörungstheoretisch aufgeladenen Antiamerikanismus in den
Mittelpunkt, zudem wird in ihrer Presse den USA heute
vorgeworfen, seinerzeit « die Südstaaten zerstört » zu haben.
Prätonianergarde wacht über den Ablauf
Nun kommt der Bus auch in Fahrt. Die Eingänge ebenso wie die
Ankunft auf dem Messe- und früheren Flughafengelände werden vom
DPS bewacht, dem « Département Protection-Sécurité » (Abteilung
Schutz und Sicherheit). Das ist die in blaue Blaizeruniformen
gezwängte Prätorianergarde der Partei, manche Kritiker meinen:
ihre Privatmiliz. 1999 gab es sogar einen parlamentarischen
Untersuchungsausschuss über diesen parteieigenen
Sicherheitsdienst. Doch damals war gerade die Spaltung des FN in
zwei ungefähr gleich grobe
Hälften -- die Rumpfpartei unter Jean-Marie Le Pen und ihre
Abspaltung unter dem Ex-Chefideologen Bruno Mégret, die heute
MNR (Mouvement National-Républicain) heibt
und erfolglos blieb -- erfolgt. Viele Parteistrukturen und auch
der Sicherheitsdienst lagen darnieder. Deshalb erschien er den
Abgeordneten damals letztendlich als harmlos, und die im Vorfeld
von einigen Politikern geforderte Auflösung unterblieb. Heute
macht der DPS zwar nicht mehr durch Knüppeleien und
Strafexpeditionen gegen politische Gegner auf sich aufmerksam,
wie etwa im Oktober 1996 im ostfranzösischen Montceau-les-Mines,
sondern er hält sich eher zurück. Zugleich erscheint mir die
Partei-Ordnertruppe an diesem Wochenende so stark präsent, wie
es mir selten in den letzten Jahren auffiel. Einige seiner
Angehörigen sehen mir eher nach Säufer- und Schlägertypen aus,
aber die Mehrheit wirkt eher adrett aufgemacht.
Die riesige ehemalige Luftfahrthalle, die den « Konvent »
beherbergt, wirkt im ersten Moment relativ menschenleer auf
mich. An den vielleicht 200 Ständen, bei denen sich Buchverlage
und rechtsextreme Publikationen mit den verschiedenen
Bezirkssektionen des FN –- dort werden vor allem lolake
Essspezialitäten und Getränke verkauft –- abwechseln, halten
sich nicht sehr viele Menschen auf. Schon denke ich mir, dass
das angekündigte Riesenfest eine ziemliche Pleite sein muss, als
ich meinen Irrtum bemerke. Obwohl es noch über eine Stunde bis
zum angekündigten Auftritt « des Chefs » dauern wird, haben
schon fast alle Teilnehmer auf den Stühlen im Hauptsaal Platz
genommen. Sei es aus Furcht, nachher keinen guten Sitzplatz
finden zu können, oder um der Tombola auf der Bühne zu folgen.
Alle möglichen Geräte, DVD-Rekorder (« damit Sie, wenn Le Pen im
Fernsehen auftritt und Sie nicht zu Hause sind, die Sendung
aufzeichnen können ») und ein Auto werden verlost. Unterdessen
werden französische Fahnen zum Winken an das Publikum verteilt.
Als eine nicht unattraktive Ordnerin auch mir solch ein
Winkelement in die Hand drücken will, kneife ich und
verdünnisiere mich vorübergehend von meinem Sitzplatz.
Und nutze die Zeit, um die Sitzreihen zu zählen : Ungefähr
3.000 Sitzplätze sind vorhanden, in Reihen à 120 Stühle. Das
erlaubt mir später, einzuschätzen, dass rund 4.000 Personen –-
davon einige stehend –- der Rede « des Vorsitzenden » oder « von
Jean-Marie », wie er hier allgemein genannt wird, beiwohnen.
Optisch vermitteln sie alles im allem den Anschein eines
Querschnitts durch die französische Bevölkerung. Die Jahrgänge
über 50 und anscheinend auch die Mittelschichten sind
überdurchschnittlich repräsentiert, aber es finden sich dennoch
zumindest alle Altersklassen. Familien mit Kindern, Studenten,
junge Männer mit Kurzhaarschnitt und Bomberjacke oder
Neonazi-T-Shirt (« Elsass », deutschsprachig) –- sie bleiben
aber im Erscheinungsbild eine Minderheit --, 50jährige
Mittelständler, Damen mit Hundchen.
Holocaust-Relativierer Gollnisch gut platziert
Es
ist noch Zeit bis zum Hauptereignis des Tages, also schlendere
ich durch die Reihen mit den Bücherständen. Aus einer Ecke
klingt Trommelschlag, und ich blicke mich um. Einige
Laiendarsteller in historischen Kostümen stellen französische
Soldaten aus unterschiedlichen Epochen dar, vom gallischen
Krieger über den Kolonialsoldaten in Nordafrika mit
Wüstenuniform bis zum modernen Berufsmilitär. Solcherlei
Historiendarbietungen sind eine geläufige Sache bei Grobveranstaltungen
des FN. Hinter mir, am Stand der katholisch-fundamentalistischen
Tageszeitung Présent –- die einzige Tageszeitung, die den
Front National unterstützt und an manchen Kiosken erhältlich
ist, aber mit geringer Auflage und eher dröger Aufmachung --
kommt die « Nummer Zwei » in der Parteihierarchie des FN vorbei
geschneit. Es handelt sich um Bruno Gollnisch, den
« Generalbeauftragten » (délégué général) der Partei. Er drückt
einige Hände. Darauf habe ich aber keine Lust und gehe ein paar
Meter zur Seite.
Gollnisch stand am Dienstag und Mittwoch voriger Woche (7./8.
November) in Lyon vor Gericht, weil er im Oktober 2004 auf einer
Pressekonferenz die historische Existenz des Holocaust
relativiert und in Frage gestellt hat : Die Wissenschaftler
müssten endlich frei über die Frage forschen können, und, ja, es
habe Tote gegeben, aber er wisse nicht wieviel... . Manche
Beobachter meinen, die offenkundig vorbereitete Äuberung,
die in der Sache lediglich frühere Auslassungen von Le Pen im
September 1987 und im Dezember 1997 wiederholte, habe vor allem
als Signal an die Hardliner in der Partei gedient. Denn
Gollnisch bewirbt sich um die Nachfolge des 78jährigen Le Pen an
der Parteispitze, die in absehbarer Zeit anstehen wird ; und er
steht dabei in Konkurrenz zu dessen Tochter Marine Le Pen, die
eher für eine geschmeidige Kommunikationsstrategie eintritt.
Aber Le Pen (Vater) erklärte dazu bereits, dass letzteres nicht
funktioniere, « denn ein netter FN, das interessiert
niemanden ». Ohne Provokation und Tabuverletzung schent es nicht
zu gehen. Gollnisch spielte also den Scharfmacher. Der 56jährige
Jurist verlor daraufhin seinen Posten als Jura- und
Japanischprofessor an der (lange Jahre für ihre Rechtslastigkeit
bekannten) Universität Lyon-3, da er für die fünfjährige Periode
bis zu seiner Pensionierung vom Dienst suspendiert wurde, wobei
er die Hälfte seiner Bezüge behält. Bruno Gollnisch, der auch im
Europaparlament und im Lyoner Regionalparlament sitzt, hatte
aber Glück, da am ersten Prozesstag (7. November) bekannt wurde,
dass der Anwalt der jüdischen Studentenunion UEJF –- die als
Nebenklägerin auftritt – anbot, seine Klage zurückzuziehen,
falls der FN-Politiker vor den Richtern die Realität des
Holocaust anerkenne. Ein symbolisches, und zitierbares,
Bekenntnis war ihr wichtiger als die Strafverfolgung. In
zunächst ziemlich verklausulierten Worten (« Meine Antwort ist
positiv, hohes Gericht ») legte Gollnisch das eingeforderte
Bekenntnis ab. Alles Andere wäre auch dumm von ihm gewesen. Wie
angeboten, wurde die Nebenklage zurückgezogen. Die
Staatsanwaltschaft als Hauptklägerin forderte eine Geldstrafe in
Höhe von 10.000 Euro, eine ausgesprochen milde Strafe. Das
Urteil dazu fällt am 18. Januar 2007.
Es
scheint, dass Bruno Gollnisch inzwischen den Parteiapparat fest
in der Hand hält und sich als aussichtsreichsten Bewerber für
die Nachfolge des alternden Chefs qualifizieren konnte. Denn in
den Minuten, die unmittelbar der Ankunft des Chefs auf der groben
Bühne vorausgehen und während derer die Anspannung im Saal
steigt, hat Gollnisch seinen groben
Auftritt. Er darf Jean-Marie Le Pen einführen, und er darf die
internationalen Delegationen der verschiedenen rechtsextremen
Parteien aus dem übrigen Europa namentlich begrüben.
Seine Rivalin im Ringen um die innerparteiliche Macht dagegen
hat keinen Einzelauftritt und findet auch nur im Zuge der Begrübung
sämtlicher Mitglieder der Parteiführung namentliche Erwähnung.
Allerdings konzentriert sich in dem Moment die Kamera, die für
die Übertragung auf eine Grobleinwand
filmt, auf die 38jährige. Die junge Frau, die in den letzten
Monaten acht Kilo abgespeckt und ihr Aussehen rundumerneuert
hat, steht auch in politischer Hinsicht für den Versuch, dem FN
ein freundlicheres und jüngeres Image zu verpassen.
Vor allem Wirtschaftskreise und Ökonomiestudenten dienten ihr in
den letzten beiden Jahren als Publikum ; um sich erfolgreich an
eine gröbere
Zahl unter ihnen anzunähern, würde der FN ein ordentliches
Lifting benötigen. Ob Marine Le Pen mit ihren Vorstellungen
durchkommt, ist im Moment noch offen, wenn nicht gar
zweifelhaft. Aber auch Gollnisch hat sich um eine gewisse
Veränderung seines Outfits bemüht –- zumindest äuberlich.
In den vergangenen Wochen sorgte er für Schlagzeilen, weil er
eine neue Brushing-Frisur hat (damit sieht er nicht länger gar
so wie ein langweiliger Technokrat aus) und sich einen teuren
Cabrio-Schlitten zulegt hat. Die erzwungene, faktische
Vorruhestandsregelung scheint dem Mann zu bekommen. Und dass mit
dieser « Modernisierung » eine demokratische Wandlung seiner
politischen Inhalte einher ginge, nun, das lässt sich nicht
feststellen.
Ideologische Lufthoheit für Ultrakatholiken
Die katholisch-nationalistische und
katholisch-fundamentalistische Parteiströmung scheint die
ideologische Lufthoheit im Saal errungen zu haben, jedenfalls
nach den Bücherständen zu schlieben.
In jüngerer Vergangenheit hatte es bei der rechtsextremen Partei
noch ein zähes Ringen um die weltanschauliche Ausrichtung
gegeben. Denn der FN hat keine einheitliche Ideologie, sondern
stellt eher ein ideoligisches Konglomerat aus unterschiedlichen
Strömungen dar : katholische Nationalisten, Monarchisten,
Nationalrevolutionäre, Neonazis, zumindest in der Vergangenheit
auch Anhänger rechter Sekten (Moon-Kirche).... Diese
« ideologischen Familien » sind sich zwar über einige
fundamentale Leitsätze einig : « Die Menschen sind nicht von
Geburt auf gleich ; es gilt eine scharfe Unterscheidung zwischen
<Eigenen> und <Fremden> zu treffen ; Frankreich muss zu seiner
angestammten <Identität> zurückfinden und darf sich nicht länger
fremden Interessen unterordnen. » Aber ansonsten können sie,
darüber hinaus, keinen gemeinsamen ideologischen Nenner finden.
Etwa wenn es darum geht, was denn diese famose « Identität »
überhaupt ausmacht...
Eine Hauptauseinandersetzung bildete zum Beispiel lange Jahre
hindurch die Frage, ob das (katholische) Christentum zu ihren
wesentlichen Elementen gehören müsse oder nicht. Unbedingt ja,
meinen die katholischen Fundamentalisten und christlichen
Nationalisten, die an eine alte Anti-1789-Traditionslinie
anknüpfen und der « Entchristianisierung » sowie der Präsenz vor
allem moslemischer Einwanderer den Kampf angesagt haben.
Unbedingt nein, meinen dagegen die zum Teil neuheidnisch
denkenden « Rassialisten » (racialistes) und die aus der
Denktradition der Nouvelle Droite, der intellektuellen « Neuen
Rechten » kommenden Kader. Ihnen zufolge bildet das Christentum,
als Religion jüdischer Herkunft, einen kulturellen Fremdkörper
in der « indo-europäischen Zivilisation ». Von ihren Ursprüngen
her seien nun einmal die europäischen « Waldvölker » und die
semitischen « Wüstenvölker », samt ihrer Religionen, nicht
miteinander vereinbar. Zudem sei die « jüdisch-christliche »
Traditionslinie abzulehnen, da in ihrer monotheistischen
Vorstellung alle Menschen gleich vor Gott seien, was aber ein
schädliches Egalitätsdenken darstelle. Hinter den Kulissen
konnten Ultrakatholiken und Neuheiden bzw. Neurechte sich beim
FN früher bis aufs Messer (jedenfalls im übertragenen Sinne)
bekämpfen. Doch dieser Streit scheint nun mit einem spürbaren
Übergewicht der katholischen Nationalisten und Fundamentalisten
zu enden. Tatsächlich ist die neurechte und neuheidnische
Strömung dadurch geschwächt, dass ein bedeutender Teil ihrer
Kader bei der Spaltung von 1998/99 mit dem ehemaligen
Chefideologen Bruno Mégret –- dessen engste Umgebung aus ihren
Vordenkern zusammengesetzt war – aus der Partei gegangen sind.
Ein paar von ihnen sind inzwischen wiedergekommen, nachdem die
Mégret-Gründung nach ein bis zwei Jahren ihren Misserfolg nicht
mehr verbergen konnte. Aber ihre Strömung ist geschwächt, und
nunmehr anscheinend ihren ideologischen Widersachern zahlenmäbig
deutlich unterlegen.
Erbauliche Literatur
Eine nicht unwesentliche Fraktion innerhalb der katholischen
Ultrarechten sind die Franco-Anhänger, und nicht wenige von
ihnen –- aus Frankreich und aus Spanien –- sind an den
Bücherständen dieses Wochenendes vertreten. Es gibt sogar « Die
70 Tage der Belagerung von Alcazar », eine aus der Sicht der
Franco-Soldaten geschilderte Schlacht im Spanischen Bürgerkrieg
(1936-39), als Comicalbum für Jugendliche zu kaufen. Über dem
Stand des « französisch-hispanischen Freundschaftszirkels » weht
die Fahne des franquistischen Spanien mit dem typischen Wappen.
Andernorts gibt es von den Anhängern des
katholisch-fundamentalistischen Bischofs und « Dissidenten » der
Kirche Marcel Lefevbre (1991 verstorben), die nach einer
jüngsten Entscheidung von Papst Benedict XVI. nunmehr in die
französische Amtskirche reintegriert werden sollen, Broschüren
abzugreifen. Darin wird, in mehreren Folgen, « die Revolution in
der Kirche » in schauderhaften Farben geschildert. Da schüttelt
es den braven Anhänger vor Grauen : « Ökumenismus »,
säkularistische Aufweichung, ja sogar marxistische Subversion
haben von der römisch-katholischen Amtskirche Besitz ergriffen !
Wieder anderswo gibt es erbauliche historische Literatur zu
kaufen. An einem Stand findet man etwa Werke von Robert
Brasillach und Jacques Bainville. Der Erstgenannte, Dichter,
Nazikollaborateur und verbal virulenter Antisemit, wurde nach
der Befreiung Frankreichs 1945 erschossen. Der Zweitere war
einer der Chefideologen der nationalistisch-monarchistischen
Action française und hatte in der Anfangsphase hohe Funktionen
beim Vichy-Regime inne. Später wurde er jedoch in der
Besatzungszeit an den Rand gedrängt, da sein Nationalismus sich
mit einer anti-deutschen Grundhaltung verband, die in jenem
Moment nicht gern gesehen wurde. Ein rechtsextremer Kleinverlag
wiederum bietet antisemitische Schriften aus den ersten Jahren
des 20. Jahrhunderts. Beispielsweise ein halbes Dutzend Bücher
des damaligen prominenten Agitators Henri Rochefort, oder « 20
Jahre Antisemitenbund » von Raphael Viau. Es gab damals wirklich
eine Partei, die offiziell so hieb.
Heute könnte man wohl kaum noch so schreiben wie jene Autoren
damals, ohne im Gefängnis zu landen. Aber bei Schriften, die vor
einhundert Jahren erschienen, kann man sich ja darauf
herausreden, dass man nur historische Dokumente verlege. Im
Übrigen können in diesem Fall die Autoren nicht belangt werden,
da sie ausnahmslos unter der Erde liegen.
Dieudonné und Le Pen
Nicht unbrisant ist ein Ereignis am Samstag Nachmittag. Zwischen
den Ständen taucht ein hoch gewachsener Schwarzer auf, den man
nicht übersehen kann. Es handelt sich um den Komiker Dieudonné
M’bala M’bala, den fast alle Franzosen nur unter seinem
Künstlernamen kennen, der mit seinem Vornamen identisch ist.
« Dieudonné » war früher einmal eine Ikone des Antirassismus.
1997 hatte er, als Kandidat bei den Parlamentswahlen, den FN in
dessen damaliger Hochburg herausgefordert : Dreux, einer
Industriestadt 80 Kilometer westlich von Paris, wo die
rechtsextreme Partei damals bis zu 40 Prozent der Stimmen
erzielen konnte. Inzwischen ist ihr Anteil dort zurückgegangen.
Aber seit nunmehr drei Jahren ist Dieudonné immer mehr in einen
virulenten Antisemitismus abgedriftet. Er wirft unter anderem
den Juden « Erinnerungspornographie » im Zusammenhang mit der
Shoah vor, wobei das Wachhalten des Gedenkens an den Holocaust
(ihm zufolge) verhindere, dass man an andere
Menschheitsverbrechen wie die Sklaverei oder auch an die Opfer
des Kolonialismus denke. Eine solche Form von
« Opferkonkurrenz » kennt man auch in anderem Zusammenhang, etwa
unter Minderheiten (Schwarzen und Juden) in den USA. Aber bei
Dieudonné hat sich ein solcher Diskurs in kurzer Zeit extrem
zugespitzt und hasserfüllte, absolut irrationale Formen
angenommen. So behauptet Dieudonné, die Juden in Frankreich
hätten eine Hauptrolle im Sklavenhandel eingenommen, was in
krassem Widerspruch zur historischen Realität steht : Der
Artikel 1 des französischen Code Noir (des Gesetzbuchs, das den
Sklavenhandel unter der Monarchie regelte) verbot den Juden die
Beteiligung an diesem « Geschäft ». Auf diese Vorhaltung
reagierte Dieudonné öffentlich mit Realitätsverweigerung : Man
habe einen solchen Paragraphen nur aufgenommen, weil die Juden
es (anders als die christlichen Sklavenhändler) übertrieben
hätten, so hätten sie die Kinder der Sklaven gemeuchelt oder
dieselben kastriert. Im Laufe dieses Jahres hat Dieudonné eine
zunehmende Annäherung an « nationalrevolutionäre » Kreise im
oder um den FN vollzogen.
An
diesem Samstag Nachmittag nun also tauchte er in Le Bourget auf
und schüttelte Le Pen die Hand. Alsbald tauchten Journalisten
der Nachrichtenagentur AFP auf, woraufhin Dieudonné den vorher
an seinem Kragen angehefteten Anstecker zur Präsidentschaftswahl
« Le Pen 2007 » eilig abnahm. Er sei nur « zum Gucken da »
meinte Dieudonné mit unschuldiger Miene, und das bedeute noch
nicht, dass er zur Wahl des FN aufrufe. Es protestierten aber
auch anwesende Anhänger der extremen Rechten gegen ihn : Man
habe nicht vergessen, wie Dieudonné in Dreux den FN
herausgefordert « und wie er früher auf uns gespuckt hat »,
erregte sich eine Frau. « Wir brauchen diesen Neger nicht »,
kommentierte ein anderer glatt. Le Pen zeigte sich daraufhin in
seinen Kommentaren kurz angebunden. « Ich benötige ihn nicht,
aber falls mir eine Stimme fehlen sollte, dann würde es mich
freuen, wenn sie von Dieudonné kommt » erklärte er gegenüber
AFP.
Aber auch ein extremer Gegenspieler Dieudonnés hielt sich auf
dem « Konvent » des Front National in Le Bourget auf : Anthony
Attal, der Chef der rechtsradikalen und ethno-extremistischen
« Jüdischen Verteidigungsliga » (LDJ, Ligue de défense juive).
Der Verrücktheit scheinen kaum noch Grenzen gesetzt : Solange
der Triumph des Ethnizismus (« Unsere eigene Brut soll zuerst
drankommen ! ») gesichert werden soll, scheinen sich ansonsten
einander spinnefeind gesonnene Leute am selben Ort wohlzufühlen.
Fragt sich dann nur noch, wer am Ende (falls es im
Ethno-Überlebenskrieg, dem manche anhängen, dann mal drauf
ankommen sollte) dann die sein werden, die am lautesten « Wir »
brüllen wird...
Le
Pens Auftritt
Zurück in die Halle. Nun also endlich der lang erwartete
Auftritt des Chefs. Anderthalb Stunden lang redet der 78jährige,
dessen Rede dieses mal auch live durch die Infosender des
Kabelfernsehers (LCI, LCP) übertragen wird, weshalb er auch
pünktlich um 16 Uhr beginnen muss, so dass vorher eine
Warteminute eingelegt wird. Le Pen, dessen Gesundheit schon
wiederholt zu Spekulationen Anlass gab, wirkt körperlich in
Form. Allerdings wissen Journalisten auch zu berichten, dass er
sich davor extra zwei Stunden in einem Campingbus auf dem
Gelände ausgeruht habe. Jean-Marie Le Pen malt die Grundzüge
seines Präsidentschaftsprogramms für die Wahl im April 2007 aus.
Aber zuvor muss er noch seine wahrscheinlichen Gegenkandidaten
Nicolas Sarkozy und Ségolène Royal demolieren, was ihm so schwer
nicht fällt. Bei Sarkozy genügt es ihm, auf tatsächliche
Widersprüche in seinen Reden an unterschiedlichem
Ort hinzuweisen : « Wirtschaftsliberal, Atlantiker und Anhänger
des Kommunitarismus hier, National-Republikaner dort. Pudel in
Washington (bei seinem Besuch im September 06), gallischer Hahn
in Périgueux (bei seiner jüngsten Rede)... » Die etablierten
Parteien bezeichnet Le Pen systematisch als « casseurs », was so
viel wie « Kaputtmacher », aber auch « Chaoten » bedeutet. Die
Veränderungen der letzten 30 Jahre –- Produktionsverlagerungen
ins Ausland, Anstieg der Arbeitslosigkeit, soziale Probleme,
Krise der Schule -- interpretiert Le Pen allesamt als Anzeichen
eines bewusst verfolgten Komplotts gegen die Nation.
Seine eigenen Vorschläge vermengen wirtschaftsliberale Rezepte
(radikale Absenkung der Steuern, mit vier Flax Tax-Steuersätzen
bei 0, 10 ; 15 und 20 Prozent, « Bürokratieabbau für
Unternehmen ») mit sozialen Versprechungen und einer Stärkung
des Staates in seiner repressiven Rolle. Le Pen will die
Richtergewerkschaften verbieten und 100.000 zusätzliche
Gefängnisplätze eröffnen, derzeit gibt es in Frankreich
insgesamt knapp 60.000. Und natürlich beschwört Le Pen die
Nation, verstanden als eine Blutsgemeinschaft, in die einige
bereits im Lande lebende Personen sich noch integrieren können,
« wenn sie unsere Gesetze und unsere Traditionen respektieren »,
die aber auf jeden Fall keine Einwanderer mehr aufnehmen darf.
Und deren gesellschaftliche Probleme, folgt man Le Pen, zum Grobteil
aus der bereits erfolgten Einwanderung resultierten. « Der
Franzosen, selbst der Obdachlose, muss mehr Rechte haben als der
Einwanderer, so brillant und sympathisch er auch sein mag. »
Denn die Franzosen seien « mehr als Bürger, wir sind Erben eines
intellektuellen, kulturellen (...) Nationalerbes », das also
demnach biologisch vererbbar zu sein scheint.
Oncle Tom beim Front National ?
Nach Le Pens Kampfrede strömen die Parteigänger und
Sympathisanten an die Gastronomiestände der lokalen
Parteisektionen. Ich begebe mich auf einen gröberen
Rundgang. Ungefähr in der Mitte des weitläufigen Hallenareals
schart sich eine Gruppe von Leuten um ein Spektakel. Mehrere
offenkundig afrikanische Personen führen einen nicht wirklich
traditionell wirkenden Tanz auf, wobei die Hauptdarstellerin
eine Rotweinflasche auf dem Kopf balanciert und ständig mit dem
Hinterteil wackelt. Die Leute staunen. Wie kommen diese Musiker
nur hierher ?, frage ich mich. Am dazu gehörigen Stand gibt es
eine CD zu kaufen, auf dem Cover sieht man einen Afrikaner, der
in ein Flugzeug (« Air Immigrés International « ) steigt,
offenkundig um Frankreich zu verlassen. Titel der CD von Patrice
Mouma : « Wenn Du Frankreich nicht liebst, gehe aus Frankreich
raus. »
Ich verzichte dankend auf den Kauf, nicht ohne erfahren zu
haben, dass die Verkäuferin ursprünglich aus Kamerun stammt. Ein
übler Nachgeschmack bleibt mir auf der Zunge. Bisher kannte man
schon einzelne Araber (etwa den Pariser Regionalparlamentarier
Farid Smahi) und einzelne Juden (wie den verstorbenen
Regionalabgeordneten Robert Hemmerdinger) beim Front National.
Wobei beide Gruppe jeweils als Alibi-Repräsentanten dazu
dienten, darauf hinweisen zu können, nein nein, man sei doch
nicht rassistisch oder antisemitisch. Bei den Ersteren handelte
es sich meist um Nachfahren von « Harkis », das sind solche
Algerier, die im französischen Kolonialkrieg in Nordafrika in
der französischen Armee kämpften und deshalb nach der
Unabhängigkeit Algeriens 1962 ihr Land eilig verlieben.
Da sie in der Folgezeit vom französischen Staat ihrem Schicksal
überlassen wurden, legen viele ihrer Nachfahren einen
Überanpassungskomplex an den Tag: Gerade sie seien doch
besonders französisch, da ihre Harki-Kollegen oder -Väter mit
der Waffen in der Hand für Frankreich ihr Leben riskiert hätten.
Deshalb äubert
sich ihr Protest gegen, real vorhandene, Diskriminierungen
oftmals politisch ziemlich weit rechts. Auch weil es für
« Harkis » (die auch in Algerien nicht geschätzt und von
offizieller Seite mitunter geschmäht werden) nicht in Frage
kommt, sich « als Einwanderer » oder « Nordafrikaner » gegen
rassistische Herabstufungen zu wehren, obwohl sie doch als
solche von bestimmten Franzosen rassistisch diskriminiert
werden. Also als « Araber », die sie doch gar nicht sein mögen.
Der FN als Partei, die viele ehemalige Kolonialkämpfer in ihren
Reihen hat, steht deshalb diesen ehemaligen Soldaten oder ihren
Nachfahren offen und erlaubt es ihnen, ihren Protest als den von
« besonders guten Franzosen », die zu Unrecht für etwas Anderes
gehalten würden, zu äubern.
Bei zweiterer Gruppen, den Alibi-Juden des FN, handelt es sich
oft um rechtsstehende französische Juden, die im Zuge des
Algerienkriegs oder späterer israelisch-arabischer Konflikte
ihre Sympathien für Positionen der extremen Rechten in
Frankreich entdeckten.
Neu ist, dass es nunmehr auch (einzelne) Schwarze gibt, die beim
FN andocken. Bisher gab es bereits ein paar dunkelhäutige
Parteimitglieder, aber diese waren Überseefranzosen von den
Antillen, keine Einwanderer. Mir kommt der Verdacht auf, dass es
sich auch hier um eine Art Überassimilationskomplex oder um ein
modernes Oncle Tom-Phänomen handelt. Fest steht gleichzeitig,
dass die Vorstellung von Afrikanern, die sie dem Publikum beim
FN anbieten –- trommelnd und mit dem Hintern rollend –- bei
dieser aus kolonialistischer Tradition kommenden Partei auf
einige Gegenliebe stoben
kann. Solange der Afrikaner trommelt und nicht einen Job an der
Universität antritt, mag er ruhig geduldet werden...
Internationale Gäste
In
der Nähe des Ausgangs treffe ich auf drei jüngere Kader der
deutschen NPD, die gerade mit ihrem abgebauten Stand und ihrem
« Infomaterial » unter dem Arm die Halle verlassen. Vorher hatte
ich ihren Stand gar nicht erblicken können, da sie etwas abseits
standen : Nicht unter dem riesigen Dach der « Koordination der
europäischen Rechten », sondern an einem improvisierten Stand
unter einem einfachen Sonnenschirm. Die drei Krawattenträger
befinden sich gerade im angeregten Gespräch mit einem
(sprachlich sofort als solchem zu identifizierenden)
Österreicher, der offenkundig zu der gröberen
Delegation gehört, welche die FPÖ mit gebracht hat. Zumindest
einer der NPD’ler und der Österreicher können auch gut
Französisch, wie sich herausstellt. Die drei NPD-Kader ziehen
scheinbar frustriert von dannen, während der Österreicher zwei
französisch sprechenden Begleitern erklärt : « Die hatten kein
Akkreditierungspapier dabei, deswegen hat man ihnen keinen guten
Platz gegeben. » Anscheinend ist die deutsche NPD (obwohl sie
sich doch offenkundig mit Repräsentanten der FPÖ, die sich
üblicherweise etwas moderater gibt, prächtig versteht) noch
nicht ganz so wohlgelitten. Zumindest nach auben
hin erscheint sie vielleicht noch nicht so « präsentabel ».
Dabei hatte die Partei sich sogar scheinbar Mühe gegeben und ein
Propagandamaterial mitgebracht, das auf die Riots in den
französischen Banlieues von 2005 Bezug nimmt : Links sieht man
eine im Bau befindliche Moschee, rechts brennende Autos in einer
Banlieue, und das Ganze soll die Präsenz von zu vielen
« Muslimen und Fremdländischen » illustrieren. Allerdings hatte
sie nur Material auf Deutsch, wie überhaupt alle vertretenen
Parteien stets nur muttersprachliches Propagandamaterial zu
bieten hatten. Nicht viele FN-Anhänger dürften so die ebenfalls
verteilte österreichische Zur Zeit und die Schriften des
einzigen FPÖ-Abgeordneten im Europaparlament Andreas Mölzer, der
persönlich zugegen war, lesen können. Auch Flämisch können
vielleicht nicht allzu viele Franzosen, wohingegen der
belgisch-separatistische Vlaams Belang natürlich keinerlei Lust
hat, sein Propagandamaterial auf Französisch zu drucken... Dies
belegt vielleicht die Grenzen des Internationalismus der
Nationalisten.
Die meisten internationalen Delegationen finden sich unter dem
Dach der « Koordination der europäischen Rechten », die von dem
FN-Europaparlamentarier Carl Lang (selbst ein Angehöriger des
neuheidnischen Flügels und ausgewiesener Sozialdemagoge)
angeleitet wird. Auf dieser Ebene tut sich anscheinend gewaltig
etwas, denn mit viel Aufwand wird nicht nur die Präsenz der
internationalen Delegationen unterstrichen, sondern auch der in
Bälde ins Haus stehende Vereinigungsversuch herusgestellt. Im
Europaparlament soll demnächt eine neue gemeinsame Fraktion
entstehen.
Neue Fraktion im Europaparlament
Ein solcher Versuch ist nicht völlig neu. Zum ersten Mal
versuchten die rechtsextremen Parteien sich auf der Ebene der
damaligen EG zusammenzutun, nachdem im Juni 1989 das
Europaparlament neu gewählt worden war. Neben dem französischen
Front National (FN), der schon seit 1984 dort sab,
waren auch die deutschen Republikaner (REPs) und der
italienische neofaschistische MSI dort eingezogen. Die drei
Parteien gründeten, zusammen mit einem griechischen Obristenfan,
eine gemeinsame Fraktion. Doch nach wenigen Monaten flogen die
Fetzen. Die REPs unter Franz Schönhuber beharrten auf dem
deutschen Charakter Südtirols, die MSI-Vertreter auf dem
italienischen des Alto Adige (oder Bezirks Bolzano). Die
Franzosen schlugen sich auf die Seite der Ersteren, da die
Italiener sich damals noch kaum für das « Immigrationsproblem »
interessierten – der MSI war besonders in Süditalien stark, und
dort gab es damals noch kaum Einwanderer. 1994 fielen die REPs
dann bei der Neuwahl des Parlaments in Strasbourg raus. Aus und
vorbei war es mit der Fraktionsbildung.
Jetzt hat die Stunde für einen neuen Zusammenschluss im Namen
des « Europas der Vaterländer » geschlagen. Am 1. Januar 2007
ziehen nunmehr auch die Vertreter Rumäniens und Bulgariens als
voll gleichberechtigte Abgeordnete in das Europäische Parlament
(EP) ein. Unter ihnen sind auch relativ starke rechtsextreme
Fraktionen, vor allem nach dem jüngsten Wahltriumph der
brutalnationalistischen Partei Atakia in Bulgarien. Die bisher
im EP sitzenden rechtsextremen Parteien wollen nicht nur die
Radaunationalisten, deren Kandidat Volen Siderov im Oktober rund
22 Prozent erhielt und laut einer öffentlichen Äuberung
die Roma « zu Seife verarbeiten » möchte, und die Grobrumänienpartei
(PRM) nun zu den Ihren zählen. Auch wollen sie ihre Integration
nutzen, um einen neuen gemeinsamen Club zu lancieren, die
« Koordination der europäischen Rechten ».
Am
Wochenende waren sie denn auch aus mehreren Ländern beim
Spektakel des FN in Le Bourget zugegen : die Franco-Anhänger der
Alternativa Espanola, die österreichische FPÖ, der Vlaams Belang
aus Belgien, die British National Party (BNP), und aus Italien
die Fiamma Tricolore – eine Mussolini-nostalgische Abspaltung
von den offiziellen Postfaschisten des Gianfranco Fini. Aber
auch rumänische und bulgarische Ultranationalisten oder eine
Delegation serbischer Parlamentsabgeordneter der Serbischen
Radikalen Partei (SRS). Bruno Gollnisch klagte auf der Bühne
bitterlich an, dass deren letzterer langjähriger Chef, Vojslav
Seselj, seit nunmehr vier Jahren in Den Haag hinter Gittern
sitzt. Aufgrund von Verbrechen, an denen seine Partei im
jugoslawischen Bürgerkrieg beteiligt war. Im Laufe der neunziger
Jahre war es aber innerhalb des FN noch umstritten gewesen, ob
man Partei zugunsten des katholischen Kroatien und « gegen den
Serbolschewismus » (so der katholisch-fundamentalistische
Parteiflügel) oder, umgekehrt, « für Serbien als Hort des
Widerstands gegen die Neue Weltordnung » (so u.a. die
Nationalrevolutionäre) ergreifen solle. Beim Parteitag am
Osterwochenende 1997 in Strasbourg, der auf dem bisherigen
historischen Höhepunkt des Einflusses des FN stattfand, hatte
Jean-Marie Le Pen das Problem auf seine Art gelöst. Er lud
damals einfach beide Seiten, die serbischen und die kroatischen
Ultranationalisten, also die Parteien von Vojslav Seselj und
Doboslav Paraga, dorthin ein. « Bei Familientreffen ist es
üblich, dass am Tisch nicht über Politik diskutiert wird. In
unserer Familie dagegen wird bei Tisch politisch debattiert, und
die Familienangelegenheit werden (stattdessen) drauben
vor der Tür geregelt » erklärte Le Pen dazu. Ausgeschossen,
unter Umständen...
Ein Querschnitt durch die Sympathisanten
Die Rückfahrt am Abend bietet mir die treffliche Gelegenheit,
einen Eindruck von der Zusammensetzung der Sympathisanten zu
bekommen. Da der kostenlose Bus bis zum Bahnhof von Le Bourget
jetzt nur noch alle halben Stunden verkehrt und die Leute zu
plaudern anfangen, lässt sich erfahren, woher die Leute
zumindest geographisch kommen. Fast alle, die auf den Bus
warten, wollen entweder ins Zentrum von Paris oder in dessen
westliche Stadtteile oder Vororte. Das sind ausnahmslos
wohlhabende Wohngegenden, ich höre niemanden, den es in
ärmlichen Trabantenstadt zöge. Oder sollten die
Banlieue-Bewohner alle mit dem Auto da sein ?
Eine 40jährige Dame mit zwei Töchtern zeigt schon vom Stil, vor
allem von der Kleidung und Haartracht der Mädchen her ihre
Zugehörigkeit zur rechtskatholischen Bourgeoisie an. Sie will an
die westliche Pariser Stadtgrenze, wo das grobbürgerliche
16. Arrondissement an die besser situierten Vororte stöbt.
Ein älteres Ehepaar erklärt zu seiner Nachbarin, dass es bei der
Madeleine-Kirche aus der Métro aussteigen wird. Diese liegt im
8. Pariser Bezirk und gehört zu den teuersten Wohngegenden in
Paris. Eine Dame mir gegenüber verwickelt mich in ein Gespräch,
ich achte darauf, unverfängliche Antworten zu geben. Sie hat
« einen sehr guten Tag verbracht, vor allem dank der Rede von
Jean-Marie ». Es stellt sich heraus, dass sie schon in 4.
Generation gebürtige Pariserin ist, und ihre Grobeltern
sind im 16. Pariser Bezirk geboren. Das deutet auf eine
Zugehörigkeit zu ausgesprochen gehobenen Kreisen hin. Ihr Mann,
so erfahre ich einige Minuten später, hat einen höheren Posten
beim Luftfahrt- und Rüstungsunternehmen Dassault, steht
allerdings vor der Pensionierung, da er mit 60 zu teuer sei. Sie
erzählt mir von einem Landhaus in der Nähe von Paris. Kurz :
alteingesessene Bourgeoisie, offenkundig.
Dieser zufällige Querschnitt aus dem Besucherpublikum des
Konvents von « Jean-Marie » lässt sich nicht auf die
Wählerschaft übertragen. Denn betrachtet man die Wahlergebnisse
des FN und ihre Auswertung durch die Sozialwissenschaftler, so
fällt auf, dass das Wählerpublikum der rechtsextremen Partei in
soziologischer Hinsicht ungefähr aussieht wie eine Pyramide : Je
« tiefer » der soziale Stand, desto breiter wird die Wählerbasis
der Le Pen-Partei. Das war nicht immer so : In den Jahren seiner
ersten Wahlerfolge, 1984 bis 86, hatte der FN vor allem eine
Stammwählerschaft aus sich in ihrer Existenz bedroht fühlenden
Mittelständlern und enttäuschen Konservativen. Die katholische
Komponente war damals auch in der Wählerschaft sehr stark. Doch
ab circa 1989 setzte eine Verschiebung ein, und der FN konnte
bei Wahlen von der sozialen Krise und dem Bindungsverlust der
Linksparteien gegenüber den sozialen Unterschichten profitieren.
Offenkundig klaffen dabei aber die Zusammensetzung der
Parteigänger auf der einen Seite, der « bloben »
Wähler auf der anderen Seite nach wie vor stark auseinander.
Einige Jahre lang, vor allem in den 90ern, hat der FN diese
Kluft durch den Aufbau eigener rechtsextremer
Pseudo-Gewerschaften (denen ab 1998 durch die Justiz verboten
wurde, sich als Gewerkschaften zu bezeichnen) u.ä. zu
überbrücken. .Doch dies scheiterte, aus unterschiedlichen
Gründen, u.a. der Parteispaltung von 1998/99 und ihrer Folgen.
Seitdem steht der FN weitaus weniger stark als im Alltag
verankerte Mitgliederpartei, und vor allem über das Fernsehen im
Kontakt mit seinen potenziellen Wählern. Dabei steht er in
Abhängigkeit von aktuellen Ereignissen, die in den Medien ihren
Niederschlag finden und die sich durch die extreme Rechte in
passender Weise deuten lassen. Musterbeispiel ist der
Sicherheitsdiskurs. Auch wenn diesen Problemen in Wirklichkeit
weitaus eher soziale Ängste zugrunde liegen: Wenn eine wachsende
Zahl von Menschen sich « verunsichert » fühlt, Furcht um ihre
Zukunft hat, sich vom Staat allein gelassen fühlt (da sich die
Politik offenkundig nicht um ihr Wohlergehen fühlt) und ihr
Leben als ständigen Kampf empfindet, dann lässt sich dies
ideologisch auch als « Sicherheitsbedürfnis » übersetzen. Nun
muss man nur noch autoritäre Konzepte als mögliche Antwort
darauf erscheinen lassen, und schon hat die extreme Rechte
wieder ordentlich Punkte gewonnen.
Zur Zeit deutet sich an, dass dem FN nochmals der Einbruch in
ein neues Wählermilieu gelingen könnte, nämlich im ländlichen
Raum. Dort sind seine Zuwachsraten in den Vorwahlumfragen der
letzten Monate am höchsten. Dieser Raum war bisher von den
Wahlerfolgen der Le Pen-Partei nur in relativ geringem Mabe
betroffen. Der FN hatte eine erste Phase von Wahlerfolgen in den
bürgerlichen Kernstädten (Mitte der 80er Jahre). Danach war er
vor allem eine Partei der urbanen Krise, die in den 90er Jahren
dort Erfolge hatte, wo traditionelle Industriebranchen
wegbrachen, die Leute verarmten, das soziale Netz zerriss.
Nunmehr zeichnet sich seit circa 2002 eine dritte Phase ab, in
welcher dem FN auch der Einbruch in eine ländliche Wählerschaft
gelingt. Diese wird bisher von den Krisenphänomen der
Gesellschaft noch in relativ geringem Mabe
erfasst. Allerdings ziehen in den letzten Jahren zunehmend
ehemalige Einwohner aus städtischen Zonen in eher ländliche
Kommune, da sie sich das Leben in den Ballungsräumen kaum noch
leisten können oder da sie den sozialen Probleme den Rücken
kehren wollen. Der Hauptfaktor bei der Ausbreitung der
Sympathien für Le Pen aber ist das Fernsehen, das aus den
städtischen Ballungszentren und namentlich ihren Banlieues auf
das Land –- dorthin, wo vergleichbare Probleme noch unbekannt
sind -- den Eindruck vermittelt, dass Krieg herrscht und « die
Front immer näher rückt ». Den daraufhin abrufbaren Schutzreflex
beutet Le Pen, mit dem Ruf nach dem starken Staat,
möglicherweise erfolgreich politisch aus.
Editorische Anmerkungen
Der Text wurde uns vom Autor am 17.11.06 zur
Verfügung gestellt.