Bernard Schmid berichtet aus Frankreich

Morddroher versus Hasspamphletist
Frankreich. Neue Debatte unter Irren: Welcher Gott ist der bessere? Hassprediger rief zum Kreuzzug für das christliche Abendland – moslemische Raser antworteten

11/06

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Die Religion der Anderen ist die der Barbaren, unsere eigene die der Liebe und der Zivilisation. Genau wie in früheren Jahren gegen den bösen Kommunismus muss sie heute wiederum verteidigt werden. So meint der Eine. « Schlagt dem Schwein, das unsere Religion beschmutzt hat, den Kopf ab » schreiben die Anderen. Eine solche Debatte unter Irren --  nicht die erste und wohl auch nicht die letzte ihrer Art --  findet zur Zeit in Frankreich ihr teils kopfschüttelndes und teils entsetztes, manchmal voyeuristisches, in selteneren Fällen Partei ergreifendes Publikum.  

Tote und Verletzte hat diese Art von Debatte, die per definitionem keinen Widerspruch duldet, bisher zum Glück nicht gekostet. Sie hätte aber leicht ein Opfer fordern können, in Gestalt dessen, der sie auslöste. Der Philosophielehrer Robert Redeker, der normalerweise an einer Oberschule in einem Vorort von Toulouse unterrichtet, lebt seit dem 21. September 2006 versteckt. Getrennt von seiner Frau und seinen Kindern, die anderswo untergetaucht sind. Zuvor hatte er nicht nur Briefe und E-Mails mit handfesten Drohungen erhalten, sondern Lagepläne seines Hauses wurden bei der Post gleich mitgeliefert.  

Mordaufrufe via Internet 

Redeker nehme die Todesdrohungen deshalb ernst, ebenso wie der französische Spionageabwehr- und Inlandsgeheimdienst DST, hieb es zunächst. Ihm zufolge würden die Angaben und der Mordaufruf durch djihadistische Internetseiten «von Gruppen aus dem Umfeld von Al-Qaïda» verbreitet. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelt es sich dabei um eine Anspielung auf die algerische Untergrundgruppe GSPC (Salafistische Gruppe für die Predigt und den Kampf). Diese letzte übrig gebliebene bewaffnete Islamistengruppe in Algerien ist eine Abspaltung der «Bewaffneten Islamischen Gruppen» (GIA), die in den letzten Jahresmonaten 2004 durch den algerischen Staat restlos zerschlagen worden sind. Im Gegensatz zu den Blutsäufern der GIA, die ab 1995/96 auch hemmungslos gegen die algerische Zivilbevölkerung vorgingen und deshalb jede soziale Basis verloren (dadurch umso gründlicher zerschlagen werden konnten), tritt die salafistische Gruppierung GSPC für gezieltere und strategisch überlegtere Anschläge auf Repräsentanten des algerischen Staates oder internationale Ziele ein. Deshalb und dank möglicher internationaler Unterstützung vom transnationalen radikalen Islamismus konnte der GSPC, der derzeit noch rund 500 Bewaffnete in Algerien zählen dürfte (die GIA hatten dereinst mehrere Tausend Männer unter Waffen), bisher überleben. Möglicherweise verfügt die Guppierung noch über einzelne kleinere Zellen auf französischem Boden. Seit den GIA-Attentaten in öffentlichen Verkehrsmitteln von 1995, u.a. in Paris, hat der französische Staat die Szene bisher aber recht gut im Griff. Mehrere Attentatspläne des GSPC seit 2000 in Frankreich wurden frühzeitig aufgedeckt und durch Verhaftungen vereitelt. (FUSSNOTE 1) 

In den Mordaufrufen gegen Redeker heibe es unter anderem, so verlautbarte, man solle ihm den Kopf abtrennen. Ähnlich, wie dies vor zwei Jahren dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh erfuhr, hinter dessen Mörder eine circa 15köpfige Gruppe vermutet wird. 

Eine Festnahme am 16. Oktober (so ist es ‘France Soir’ vom übernächsten Tag zu entnehmen) habe jedoch ergeben, dass der Autor von Todesdrohungen gegen Robert Redeker, die am 29. September per E-Mail an ihn gesandt wurden, keinerlei Verbindungen zu terroristischen Kreisen unterhalte. Es handele sich um einen 25jährigen Telefonverkäufer aus Orléans, der zwar laut eigenen Angaben gläubiger Moslem sei, bei dessen Überprüfung durch den Inlandsgeheimdienst DST jedoch keinerlei Verbindungen zu terroristischen Milieus entdeckt worden seien. Am folgenden Tag sei er deshalb bereits wieder aus der Haft entlassen worden. Ob es allerdings noch weitere und eventuell gefährlichere Urheber von Todesdrohungen gegeben hat als dieses Individuum, geht aus dem Artikel nicht hervor. (Bereits vor dem 29. 09. muss Redeker freilich Drohungen erhalten haben, da er an diesem Datum bereits untergetaucht war. Der junge Mann aus Orléans muss dagegen tatsächlich keine « Terrorkontakte » unterhalten und noch nicht einmal djihadistische Webpages besucht haben, da Mails an Redeker über dessen eigene Homepage versandt werden konnten.) 

Wer ist Robert Redeker ? 

Robert Redeker ist 1954 in den Pyrenäen geboren, (laut ‘Le Monde’ vom 05. Oktober) als Sohn eines Deutschen, der dem Afrikakorps angehörte, aber auf dem Rückzug bei Kriegsende lieber in Frankreich blieb und sich als Bauer niederlieb. Diesen Familienhintergrund erfuhr Redeker erst als Heranwachsender. Er kam weitgehend als Autodiktat zu seiner Bildung. In den 70er Jahren war er ein Linksradikaler mit anarchistischen Tendenzen. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2002 war er Präsident des Unterstützungskomitees für den republikanisch-nationalistischen Kandidaten und früheren Innenminister Jean-Pierre Chevènement. Der Linksnationalist steht für einen laizistisch fundierten Etatismus, der manche ehemalige Linke zu Verehrern des Staats in seiner republikanischen Form konvertiert hat. Heute gilt Redeker unter Kollegen als gesinnungsstarkes Individuum, das auf einmal gefassten Ansichten beharrt und nicht leicht davon abzubringen ist. Gegenüber seinen Oberschülern trat er anspruchsvoll auf, und er verachtete das «allgemeine Absinken des Niveaus» durch die zeitgenössische Massenkultur. 

Hin und wieder schrieb Redeker über diverse Themen, gern über Sport und Sportpolitik, Gastbeiträge für gröbere Tageszeitungen. Ferner gehörte er dem Redaktionsbeirat der Intellektuellenzeitschrift Les Temps Modernes, die einst durch Jean-Paul Sartre gegründet worden ist, an.  

Wenn Robert die Tinte nicht halten kann 

Sein bisher letzter Gastbeitrag erschien am 19. September 2006 in der konservativen Tageszeitung Le Figaro unter der Überschrift «Gegenüber den islamistischen Drohungen, was muss die freie Welt tun?» Den Begriff der freien Welt, der im Kontext des Kalten Krieges in Gebrauch kam, benutzt er dort tatsächlich so, wie es seiner ursprünglichen Bedeutung entspricht. Redeker schreibt: «Wie in der Zeit des Kalten Krieges sind Gewalt und Einschüchterung die Mittel, die eine Ideologie mit Hegemonieanspruch benutzt – der Islam – um der Welt seinen bleiernen Mantel aufzudrücken.» Sätze, die belegen, dass zwar die (post-)stalinistischen Systeme des sowjetischen Blocks nicht mehr existieren, wohl aber noch der billigste und plumpste Antikommunismus überdauert, was im Figaro freilich nicht neu ist. Ferner heibt es in dem Artikel: «Wie früher der Kommunismus, spielt der Islam, um die Geister zu erobern, eine empfindsame Saite an. Er beruft sich auf eine Legitimität, die das westliche Gewissen in seiner Aufmerksamkeit für den Anderen durcheinander bringt: Die Stimme der Armen des Planeten zu sein. Gestern behauptete die Stimme der Armen, sie komme aus Moskau, heute soll sie aus Mekka kommen.» 

Um seine These zu untermauern, betreibt Redeker etwas Theologie im Hauruck-Verfahren. Man könnte auch von vergleichender Antiwerbung gegen eine bestimmte Religion, und für bestimmte andere Konfessionen sprechen. Heraus kommt folgendes: «Der Koran ist ein Buch von unerhörter Gewalttätigkeit», unter Berufung auf Maxime Rodinson, der «einige bedeutende, aber in Frankreich tabuisierte Wahrheiten» ausgesprochen habe. Freilich hat Rodinson, der eine materialistische Kritik des Islam –  welche ohne plumpe Beleidigungen auskommt - verfasst hat, in Frankreich seit Jahrzehnten weitaus mehr Leser, als Redeker jemals finden wird. «Unbarmherziger Kriegsherr, Plünderer, Judenmassakrierer und Polygamist, so offenbart sich Mohammed durch den Koran.» Die katholische Kirche müsse sich Vorwürfe aufgrund ihrer Vergangenheit gefallen lassen, aber: «Jesus ist gewaltlos. Die Rückkehr zu Jesus ist eine Anrufungsmöglichkeit gegen die Exzesse der kirchlichen Inquisition» - was sicherlich ungeheuer viele Opfer der Inquisition gerettet hat – «während die Rückkehr zu Mohammed, im Gegenteil, den Hass und die Gewalt verstärkt. Jesus ist ein Meister der Liebe, Mohammed ein Meister des Hasses.» Sowohl das Christen- als auch das Judentum seien «Religionen, deren Riten die Gewalt einhegen» (verkörpert durch die Hostie als rein symbolisches Menschenopfer), weil nämlich Abraham seinen Sohn in der Bibel am Ende doch nicht als Menschenopfer darbringt. Zwar bezieht sich auch der Islam auf Urvater Abraham als seinen ersten Propheten... Aber egal, für Redeker auf jeden Fall.  

«Hass und Gewalt bewohnen das Buch, mit dem jeder Moslem erzogen wird, den Koran», schreibt Redeker, und stellt mit diesem «jeder» mal eben drei bis vier Millionen Menschen moslemischen Familienhintergrunds in Frankreich und eine Milliarde Menschen weltweit an den Pranger. Mit einer diesen noblen Titel (eben: « Kritik ») verdienenden fundierten Kritik der Ideologie und der Kräfte des politischen Islam, der im 20. Jahrhundert entstanden ist, hat das herzlich wenig zu tun.  

Uns Atheisten könnte ja eine solche Polemik unter Anhängern oder Verteidigern unterschiedlicher Formen von Aberglauben, wie sie von Robert Redeker (aber nicht nur ihm) mit sichtbar unlauteren Mitteln geführt wird, im Prinzip kalt lassen. Aber eben nur im Prinzip, und wenn die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen dieses einmal (auf weltweiter Ebene) losgetretenen Streits zwischen Irren nicht uns alle auch treffen würden. Probieren wir es dehalb mal mit: 

Ein bisschen materialistische Kritik... 

Im Allgemeinen und im Besonderen handelt es sich bei Redekers Vergleichen, mit denen er auf eine Gut-Böse-Feststellung unter verschiedenen Religionen abzielt, samt und sonders um ahistorischen Unfug.           

Theologisch ähnelt der Gott des Koran stark jenem der Thora, also des Alten Testaments. Der monotheistische Gott dort ist sich seiner selbst genug und nicht an ein vorgebliches Programm – wie die angebliche «Erlösung des Menschen» - gebunden, sondern er kann letzterem auch mal zürnen, sich rachsüchtig zeigen oder Opfer von ihm fordern. Eindeutige Verhaltensvorschriften mit handfesten Strafdrohungen finden sich in beiden Quellen, etwa für auberehelichen Sex. Im Buch Moses steht ferner zum Beispiel, dass zu steinigen sei, wer «den Namen Gottes lästert», also flucht oder schwört – das steht nicht mal im Koran. Der Tonfall im Neuen Testament ist ein anderer, aber nur deshalb, weil die Thora und der Koran als Regierungsprogramm verfasst wurden und das Neue Testament als Oppositionsprogramm einer damals noch kleinen Sekte unter der Besatzung durch das Römische Reich. Eine solche kleine Oppositionsströmung konnte nicht den Anspruch erheben, Alltagsregeln mit Hilfe eines neu begründeten Gewaltmonopols durchzusetzen – wie die Thora und der Koran, die das Faustrecht in Gesellschaften sich bekriegender Stämme durch einen neuen allgemeinen Regelkatalog ersetzten, was damals ein historischer Fortschritt war - , sondern musste irgendein Heilsversprechen bieten. Nichtsdestotrotz ist Old Jesus im Neuen Testament auch nicht immer so friedlich; in einer Passage des Lukas-Evangeliums verlangt er etwa von seinen Jüngern, dass man seine Gegner vor ihn hinbringe und töte. (Vgl. dazu: http://www.bibel-online.net/buch/42.lukas/19.html ;  die schärfsten Stellen finden sich im Abschnitt ‘Von den anvertrauten Pfunden’.) Ansonsten droht die Christenbibel meistens nicht direkt mit Prügeln, sondern mit ewiger Verdammnis und verinnerlicht dadurch den Zwang. Man kann sich aussuchen, was schöner ist. 

Nun töten zur Zeit wenige Menschen (unmittelbar) im Namen von Verhaltensvorschriften der Bibel – abgesehen vielleicht von einigen Irren, die in manchen US-Bundesstaaten auf Abtreibungsärzte schieben -  und einige mehr im Namen von Regeln des Koran. Die interessante Frage ist aber nicht, was im jeweiligen hochheiligen Buch vor so und so viel hundert Jahren geschrieben worden ist – und was im übrigen zur Zeit der Niederschrift der Thora und der Koran damals oft einen gesellschaftlichen Fortschritt bildete. Nämlich, weil beide Schriften das Faustrecht und die persönlichen Abhängigkeiten in Gesellschaften sich bekriegender Stämme durch einen Katalog allgemeiner, abstrakter und unpersönlicher Regeln ersetzten. Unter bestimmten Bedingungen bis zu vier Frauen nehmen zu dürfen, wie es der Koran erlaubt, war ein relativer Fortschritt, wenn sich zuvor der Chef des stärksten Stamms ihrer zwanzig zusammenraubte. Mohammed war sicherlich ein Kriegsherr, aber er setzte dem Hauen und Stechen marodiender Stammesgruppen ein Ende und ersetzte ihre Macht durch die Keimzelle eines modernen Staatsapparats. Die interessante Frage liegt nicht im uralten Text, sondern darin, warum einerseits Menschen – die meisten Christen und Juden und die Mehrzahl der Moslems -  solche Regeln als historisches Relikt betrachten, und andere sie im 21. Jahrhundert buchstabentreu anwenden möchten und sich davon eine Lösung gesellschaftlicher Probleme versprechen. Aber hier sprechen wir nicht mehr von heiligen Büchern, die irgendwann mal verfasst worden sind, sondern von aktueller Politik und von gesellschaftlichen Konditionen.     

Der rasende Robert 

Redeker spricht auch von allgemeiner Politik. Er beklagt, dass «Schwimmbäder bestimmte Öffnungszeiten nur für Frauen» reservierten. Das gab es in Frankreich, und zwar sowohl für moslemische als auch orthodox-jüdische Frauen. Wie eine Untersuchung von ‘Le Monde’ infolge der Publikation von Redekers Text ergab, sind diese besonderen Schwimmzeiten aber fast überall wieder abgeschafft worden und existieren nur noch in Einzelfällen in Lille und Strasbourg. Ansonsten wurden diese Sonderöffnungszeiten in Schwimmbädern aufgehoben, auf Anordnung des Innenministeriums hin. Ob dies nun allerdings möglicherweise zur Konsequenz hat, dass die bisher diese gesonderten Öffnungszeiten in Anspruch nehmenden Frauen künftig schlichtweg gar nicht mehr ins Schwimmbad kommen, muss dahin gestellt bleiben. Die Einrichtung solcher Sonderschichten ist tatsächlich in sich eine höchst fragwürdige Sache, fraglich bleibt aber auch, ob den (folgt man der Kritik) Opfern von Frauenunterdrückung nunmehr real geholfen worden oder aber eine Tür verschlossen ist. 

Redeker beklagt ferner, dass in diesem Sommer am neu aufgeschütteten Pariser Sandstrand an der Seine das öffentliche Tragen von knapper Damenunterwäsche verboten wurde – und behauptet einen Zusammenhang zu drohenden «islamistischen Demonstrationen», eine Behauptung, die durch nichts belegt wird. Er selbst spricht sich für das Verbot des Tragens von Kopftüchern moslemischer Frauen nicht nur in öffentlichen Schulen, sondern völlig generell im öffentlichen Raum (also auch auf der Strabe) aus: Eine nun wirklich völlig irre Position, denn welcher Platz zum Leben würde nun aber für Frauen bleiben, die das nun anders sähen ? Auch wenn man ihre religiösen Positionen natürlich als solche ablehnen kann – aber es werden nun mal nicht alle Redekers ultimativer Aufforderung folgen und auf der Stelle zu ChristInnen, oder zu AtheistInnen werden. Was aber passiert dann mit ihnen, sollten sie etwa die Frechheit besitzen, dennoch vor die Tür zu treten? (Und was aber wäre mit christlichen Nonnen, die ihre Haube tragen? Was wäre ferner mit orthodox-jüdischen Frauen, die ihre Haare stets unter einer Perücke bedeckt halten, laut Glaubensvorschrift? Müsste man ihnen, Robert Redeker zufolge, dieselbe dann vom Kopf reiben? Und wer soll über die Einhaltung all solcher Regeln wachen?) 

Und schlieblich echauffiert er sich darüber, dass «jene, die sich gegen die Einweihung eines Johannes Paul II.-Platzes in Paris wandten, nicht gegen den Bau von Moscheen opponieren.» Wobei es den kleinen Unterschied ausmacht, dass Moscheen ebenso wie Kirchen und Synagogen private Räume sind, die nur für Gläubige gedacht sind. Im laizistischen Frankreich erhalten solche Gotteshäuser in keinem der drei Fälle öffentliche Gelder beim Bau oder Unterhalt, und sie gehören allein den Gläubigen. Der neue Johannes Paul II.-Platz liegt dagegen im öffentlichen Raum, mitten in der Hauptstadt des ach so laizistischen Frankreich, im historischen Zentrum von Paris auf der Seine-Insel. (War also nichts mit konsequentem Antiklerikalismus bei Redeker, der auf keinen Fall am « Modell Vatikan » vorbeizielen könnte, würde er ernst genommen werden wollen.) 

Redekers Aufruf zur Verteidigung der «freien Welt», vulgo der Festung Europa, wirkte wie ein Stich ins Wespennest - wohl vor allem aufgrund seiner Methode der vergleichenden Antiwerbung. Unmittelbar unter Redekers Text stand ein anderer Gastbeitrag von identischer Länge. Er stammt von dem in Frankreich lebenden christlichen Libanesen Antoine Sfeir, und darin schreibt er unter anderem: «Diese Islamisten haben sich selbst zu Sprechern Gottes deklariert und erklären, was erlaubt und verboten ist. Sie haben keinerlei Legitimität. (...) Sie richten intellektuellen Terror ein und bereiten dem barbarischen Terrorismus von Ben Laden, Zawahiri und anderen, die Gott in Anspruch nehmen, den Weg.» Sfeier verteidigt auch die umstrittenen Äuberungen von Papst Benedikt XVI. Bisher ist aber keinerlei Drohung oder Beschimpfung des Verfassers bekannt geworden.  

Es war also wohl nicht allein die – als solche gerechtfertigte – Kritik an islamistischer Ideologie, die für Redeker Gefahr herauf beschwor, sondern bestimmt erleicherte der Gesamtzusammenhang seiner unerträglichen Wortschwälle seinen Feinden ihre Sache ungemein. Gleichwohl bot sein Artikel natürlich nur den willkommenen Anlass für islamistische Gewaltdrohungen, die sich ansonsten auch gegen Personen richten können, denen man bestimmt nicht europäischen Rassismus vorwerfen kann (wie etwa den kosmopolitischen Inder Salman Rushdie seit 1989). Die «Zielscheiben» können also relativ beliebig ausgewählt werden, sollten aber aus Sicht der gewalttätigen Islamisten – jedenfalls dort, wo sie international agieren - Publicity versprechen und also «gut vermittelbar» sein. Deshalb hat Redeker das Geschäft seiner Feinde leicht gemacht. Gerechtfertigt wird die Tatsache, mit Todesdrohungen auf eine ideologische Debatte (also auf Worte) zu antworten, dadurch selbstverständlich nicht. Vielmehr ist der Furor der Inquisitoren in diesem wie in anderen Fällen strikt zurückzuweisen. 

Reaktionen (offizielle und andere) 

Infolge der brutalen Todesdrohungen gegen ihn sahen sich die relevanten gesellschaftlichen Kräfte gezwungen, sich zu positionieren. Premierminister Dominique de Villepin persönlich verurteilte die Morddrohungen am 29. September 06 mit den Worten : «Das ist inakzeptabel. Es zeigt, dass wir in einer gefährlichen Welt leben, in der es zu viel Intoleranz gibt, und in welchem Mabe wir wachsam sein müssen, um der Meinungsfreiheit in unserer Gesellschaft einen totalen Schutz zu gewähren.»  

Die Schulverwaltung und der zuständige Minister Gilles de Robien reagieren zunächst, wie ein bürokratischer Apprat sich eben verhält – und monierten, Redeker habe auch seinen Arbeitgeber und die Kollegen in Gefahr gebracht, indem er den Artikel im Figaro unter voller Nennung seiner Arbeitsstätte unterschrieben habe. Die wichtigsten Lehrergewerkschaften FSU und UNSA veröffentlichten Stellungnahmen, die eine Verurteilung der Morddrohungen und ein Bekenntnis zur Meinungsfreiheit enthielten, «unabhängig von dem, was jeder zum Inhalt des Gastbeitrags denken mag.» Redeker erklärte aber, er fühle sich nicht ausreichend durch sie verteidigt.  

Die renommierte linksliberale Liga für Menschenrechte (LDH), die vor 110 Jahren aus Anlass der Dreyfus-Affäre gegründet worden ist, bemühte sich ihrerseits darum, sowohl die Morddrohungen zu denunzieren als auch sich vom Inhalt des strittigen Artikels zu distanzieren: «Es ist nicht hinzunehmen, dass jemand eingeschüchtert wird, und sei es aufgrund ekelhafter Ideen. Man bekämpft die Ideen von Monsieur Redeker nicht, indem man ihm zum Opfer macht.» Ähnlich äuberten sich Vertreter von Antirassismusorganisationen in Paris (wie des MRAP). 

Im Namen der Meinungsfreiheit 

Französische Intellektuelle haben bereits mehrere Petitionen sehr unterschiedlichen Inhalts zur Sache im Umlauf gebracht. Eine erste Petition stammt aus dem Sprengsel von ehemals linken und jetzt «antitotalitären» Intellektuellen, die sowohl einer Bekämpfung des «kommunistischen Totalitarismus» anhingen als auch heute jene des «islamischen Totalitarismus» predigen. Häufig sind sie auch Anhänger einer offensiveren, aggressiven Aubenpolitik der westlichen Grobmächte – vom Kampf gegen den «serbischen Faschismus» 1993 bis hin zur Demokratisierung des Nahen Ostens. Zu den prominentesten Unterzeichnern zählen die Unvermeidlichen Bernard-Henri Lévy (BHL), Alain Finkielkraut, der Cinéast Romain Goupil und der reuige Ex-Kommunist Alexandre Adler. Zu den Unterzeichnern gesellten sich auch Pascal Bruckner, der soeben ein Buch gegen «Die Tyrannie der Reue» publiziert hat – der Westen bereue zu viel, wie den Kolonialismus und den Algerienkrieg – und Philippe Val, der Chefredakteur der linksliberalen Satirezeitung ‘Charlie Hebdo’, der seit seiner Unterstützung des Kosovo-Kriegs mit dem Grobteil der Linken gebrochen hat. 

 Unter der Überschrift «Dies ist nicht die Stunde der Feigheit» schreiben die Unterzeichner unter anderem, die Morddrohungen «aus dem Umfeld von Al-Qaïda» stellten «einen äuberst gewalttätigen Angriff auf die nationale Souveränität» dar. Die französische Regierung und die Behörden werden aufgefordert, Redeker seinen Status und sein Gehalt aufrecht zu erhalten (was diese ohnehin taten), solange der Lehrer sich verstecken muss. «Alle Religionen» im allgemeinen und «die Moslems» im besonderen werden aufgefordert, «Robert Redeker unter ihren Schutz zu stellen».  

Differenzierte Positionen 

Einer der Mitunterzeichnenden der o.g. Petition, der liberale Denker Guy Sorman, hat aber inzwischen im ‘Nouvel Oberservateur’ ausdrücklich präzisiert, in seinen Augen gehe es vor allem um einen Aufruf «für die Meinungsfreiheit. Der Inhalt des Textes von Robert Redeker, zu dem ich totalem Dissens stehe, ist nicht die Frage. Hätte er einen Artikel für die Selbstbestimmung der Flamen geschrieben, hätte ich (den Aufruf) auch unterschrieben.» Tatsächlich vertritt Guy Sorman nicht ähnliche Positionen wie Redeker, sondern tritt für ein (ungefähr dem US-amerikanischen Religionsverständnis ähnelnden) Konzept von der Religionsfreiheit und der positiven Rolle der Religionen – sofern diese keine totalitären Anspruch erhöben, so der liberale Publizist – ein. Guy Sorman hat etwa im Kommentarteil des ‘Figaro’ früher ausdrücklich positiv den türkischen Islamismus in Gestalt der dortigen (eher wirtschaftsliberal-konservativen) Regierungspartei AKP gewürdigt, da dieselbe die Freiheit der Wirtschaft sowie den parlamentarisch-demokratischen Rahmen respektiert. Auch in einem seiner Bücher, das im Jahr 2003 unter dem Titel « Les enfants de Rifa’a. Musulmans et modernes » veröffentlich wurde, behandelt Guy Sorman dieses Thema.  

Ein anderer Erstunterzeichner, aus ähnlichen Motiven (Verteidigung der Meinungsfreiheit), ist auch der Schriftsteller Adelwahab Meddeb, der sich selbst als «Atheist moslemischer Herkunft» bezeichnet. Er hat inzwischen in einem Chat auf der Homepage von ‘Le Monde’ und in einem Leserbrief für ‘Libération’ vom 6. Oktober 06 scharfe Kritik am Inhalt des Artikels von Redeker geübt, dessen Redefreiheit er durch seine Unterschrift verteidigt hat. In ‘Libération’ schreibt Meddeb, Redekers Argumentationen weise strukturelle Affinitäten zur früheren antisemitischen Literatur auf, wo diese scheinbar die jüdische Religion analysierte.  

Ein anderer Aufruf wurde durch die Initiatoren des ‘Manifeste des libertés’  um Tewfik Allal lanciert. Dabei handelt es sich um Menschen vorwiegend mit Migrationshintergrund, die vor nunmehr knapp drei Jahren durch einen Aufruf «gegen Judenhass, gegen Homophobie, gegen Frauenunterdrückung» und gegen ihre islamistischen Vertreter einiges Aufsehen erregten. In ihrem Aufruf, der wiederum von Erstunterzeichnern überwiegend migrantischer Herkunft veröffentlicht wurde, heibt: «Wir klagen mit gröbtmöglicher Kraft die Todesdrohungen gegen Robert Redeker an, obwohl wir nicht einverstanden sind mit dem, was er schreibt, mit der banalen Mediokrität seiner Äuberungen, mit seiner verbalen Aggressivität, denen die gewalttätigen Islamisten wie in einem Spiegelbild antworten.» 

Deutsche Reaktionen 

Unter den deutschen Medien haben fast alle, kurz, über den Fall Redeker berichtet. Eine stark emotionelle Debatte hat die Angelegenheit aber allem Anschein nach in Deutschland bisher nicht ausgelöst, wo man sich eher auf die Angelegenheit der Absetzung der Mozart-Oper « Idomeneo » in Berlin (angeblich den Moslems zuliebe, von denen aber gar keiner solches Tun oder Unterlassen verlangt hatte) konzentrierte. 

Seitens von deutschsprachigen Protagonisten gibt es vor allem zwei explizite Reaktionen. Die eine stammt von der am rechten Rand des Mainstreams herum wandernden Homepage von PI (Politically Incorrect), die vor allem im Raum Köln/Düsseldorf und im Bayerischen über eine gewisse Leserschaft verfügt, die als konservativ bis reaktionär, antikommunistisch und islamophob charakterisiert werden kann. Die andere stammt von einer ehemaligen Linken und aktuell hauptberuflichen Hasspredigerin deutscher Zunge im Internet, die sogar zur Sammlung von Geldspenden für Redeker aufruft (der trotz seines erzwungenen Untertauchens insofern keine materielle Not leidet, da ihm sein Gehalt weiterhin bezahlt wird, wenngleich der französische Staat ihm gegenüber nicht für anfallende Umzugskosten, Mehraufwand usw. aufkommt.) Zu ihr sei nur noch so viel gesagt bzw. geschrieben, dass bei ihr vollkommen richtig aufgehoben ist, wer unter anderem solche Sätze über Menschen moslemischen Glaubens lesen möchte wie die folgenden: 

«Die Ausweitung des Glaubenskrieges auf alle Kuffar, die weitere Islamisierung Europas und der USA (....) wird nicht funktionieren; denn das Ergebnis wäre die Zerstörung der Wirtspflanze, auf der allein das menschenfeindliche schmarotzerische Treiben gedeihen kann. Dann spätestens werden die <Wirtspflanzen>, Europäer, Amerikaner, Australier und sogar Chinesen und Russen unter großen Verlusten an Menschen den Verbrechern ein Ende bereiten, wie bei den Nazis, wobei sich im Islam nicht die <Weiber>, sondern die Brüder noch für eine Weile bedienen dürften: Schuhe, leinene Hemden, Pelzkragen (nicht so nötig), Hüte (ebenfalls nicht nötig, da Keffieh obligatorisch), Spitzen, Ketten, seidene Kaftane usw. Die Totenfeier werden sie von ihren Gegnern gemeinsam bekommen, da nützt auch keine europäische oder US-amerikanische fünfte Kolonne in Parteien, Universitäten, Justiz, Medien und Kirchen, wie sie heute existiert.» (Quelle : http://www.eussner.net/artikel_2006-08-05_22-57-55.html.

Ein Hinweis : Nachdem der Verfasser dieser Zeilen vor einiger Zeit darauf hinwies, ist diese Passage inzwischen sprachlich entschärft worden. Der Text wurde beibehalten, aber das verräterische Adjektiv <schmarotzerisch> wurde mittlerweile entfernt. Und die an die NS-Sprache erinnernde Bezeichnung <Wirtspflanze> wurde durch den neutraler klingenden, aber im Kontext Dasselbe meinenden Begriff <Grundlage> ausgetauscht.)  

Kurz und schlecht: Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft als Schmarotzer und die Länder, in denen sie wohnen, als Wirtsorganismus (Wirtstier, Wirtspflanze, Wirtskörper...) zu bezeichnen: Das ist keine Kritik an irgendwas, sondern stinkende Nazipropaganda. In diesem Falle ist der völkisch geerdete Nazidreck, der sich darin ausdrückt, dass der Sprecher/die Sprecherin in biologistischen Bildern von Menschen als «Parasiten» und von Nationen als Wirtsorganismus faselt, nur eben auf philosemitisch gestülpt und gegen (es sei präzisiert: moslemische) Einwanderer gekehrt. Wodurch es kaum besser werden dürfte. Im übrigen dürften diese Auslassungen hart an der Grenze zur Strafbarkeit gelegen haben, sofern sie nicht darüber nicht hinaus gingen: Es gibt in Deutschland einen Volksverhetzungsparagraphen, und es gibt in Frankreich ein Anti-Rassismus-Strafgesetz, das den Aufruf zu gruppenbezogenem Hass auf bestimmte Menschen sowie die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt. Sollte das als « Islamkritik » durchgehen, was die Autorin da abgesondert (aber inzwischen entschärft) hat, dann könnte sich etwa auch der Antisemit Horst Mahler künftig als «ausgewiesenen Talmudkritiker» bezeichnen. 

Konklusion 

Die Anschauungsbeispiele des Monsieur Redeker oder der oben zitierten Dame illustrieren, dass es im Namen der Verteidigung der eigenen Festung Europa (in diesem Falle wahrgenommen oder präsentiert als Feste der Aufklärung, die es gegen die barbarischen Horden drauben zu verteidigen gilt –- im Ergebnis gegen die armen Menschen, die mit Schlauchbooten auf Lampedusa ankommen) seltsame Bündnisse geben kann, und noch geben wird. Seltsame Bündnisse aus ehemaligen Linken, Liberalen, fanatischen Christen und aus Rechtsradikalen, die klug genug sind, sich in solchen Fällen nicht sektierisch zu verhalten. Die Einen werde die Allianz als eine solche für die Aufklärung hochhalten, die Anderen als eine solche für die Verteidigung des christlichen Abendlands oder der weiben Rasse. Wie fliebend die Übergänge sein können, zeigt das Beispiel der oben zitierten Dame, die mit ihrem Blog auf zahlreichen ex-linken und « antideutschen » Homepages verlinkt wird (oh, man möge nur einen Blick in den Suchmotor riskieren), die selbst gelegentlich religiösen Kitsch absondert, die den Papst nach seiner Regensburger Rede vom September 2006 lobt, in der jüngeren Vergangenheit aus rechtsradikalen Quellen zitierte (gegen die Moslems natürlich) und die mit ihren « Parasiten/Wirtsorganismus »-Sprachbildern über Menschengruppen und Nationen an diesem Punkt einen fast lupenreinen Naziduktus kultiviert.  

Aber auf die um 180° Grad entgegen gesetzte Gegenseite wird man sich selbstverständlich auch nicht schlagen können. Denn wer auf Worte -- und seien es ausgesprochen dümmliche Worte wie jene von Robert Redford, pardon, Redeker –- mit Morddrohungen reagiert, muss notwendig ein Feind jeglicher Diskussion und jeglicher kritischen Erörterung sein. Wenn überdies der Grund dafür nicht ist, dass Robert Redeker den metropolen-rassistischen Grenzwächter der Festung Europa abgibt, sondern nur « die Ehre unserer eigenen Religion, die beschmutzt worden ist » brutalstmöglich verteidigt wird, dann ist dieses Anliegen ebenso beschissen wie reaktionär. Hier einen scharfen Trennungsstrich zu ziehen, ist nicht nur notwendig, sondern wohl so selbstverständlich und einfach, dass darüber kaum noch Worte zu verlieren sind. 

Was bleibt ? Die richtige Perspektive bietet beispielsweise Ernst Lohoff an, wenn er in der ‘Jungle World’ (Dossier vom 27. September 2006) schon in der Überschrift korrekt vorschlägt : « Wo andere einen Konflikt <Orient gegen Okzident> oder <The West Against the Rest> ausmachen, sollte die Linke die kulturalistische Identitätspolitik auf beiden Seiten angreifen. »  

FUSSNOTE 1 :

Ehemalige islamistische Terroristen aus der Szene waren zudem dumm genug, auch ohne ihr Wissen die Lockvögel für die französischen Ermittlungsbehörden zu spielen, wie etwa Safé Bouarada: Zu 10 Jahren Haft verurteilt, kam er nach 5 Jahren aus der Haft frei, blieb aber unter Intensivüberwachung. Er erwies sich jedoch als dumm genug, eine Aktivistengruppe um sich zu scharen, so dass die Ermittlungsbehörden bei ihrem nächsten Zugriff gleich eine ganze Gruppe mit ihm zusammen ausheben konnten....

 

Editorische Anmerkungen

Der Text wurde uns vom Autor am 4.11.06 zur Verfügung gestellt.