Der Schweizer
Freiwirtschaftsbund ging 1946 in die Liberalsozialistische
Partei der Schweiz (LSPS) über. 1990 entstand aus der LPSP die
Internationale Vereinigung für Natürliche Wirtschaftsordnung (INWO).
Die Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung ev. ebenfalls
INWO, ist die Vertreterin der Dachorganisation in der Schweiz.
Die Organisation umfasst den
deutschsprachigen Raum mit Niederlassungen in Deutschland und
Österreich. In der Selbstdarstellung der Schweizer Sektion heißt
es unter anderem: “Die INWO Schweiz orientiert sich an den
Grundgedanken der Freiwirtschaft, besonders am Werk Silvio
Gesells und an Erkenntnissen aus der internationalen
Tauschkreis-bewegung und alternativen Geldmodellen. .. Die INWO
Schweiz ist politisch und konfessionell unabhängig. Sie ist
einer Geisteshaltung verpflichtet, welche persönliche Freiheit,
Menschenwürde und Toleranz gegenüber Andersdenkenden einen hohen
Stellenwert einräumt. Sie grenzt sich gegen fremdenfeindliche
und rassistische Kräfte ab.“
Nach wie vor bezieht sich die INWO
jedoch auf Silvio Gesells Hauptwerk, „Die Natürliche
Wirtschaftsordnung durch Freiland und Freigeld“ (NWO), das 1916
in der ersten Auflage erschien. 87 Jahre später vertreten diese
Freiwirte Gesells Ideologie fast unverändert, wobei ihre
fremdenfeindliche und rassistische Abgrenzung nur rein
formalistischer Natur ist. Aus dem Buch werden
sozialdarwinistische, rassistische, frauenfeindliche und
antisemitische Inhalte bis heute bedient. Ihre moderneren
Propagandisten bemühen sich die Inhalte zeitgemäß aufzubereiten,
um sie stets in neuer Verpackung einem breiten Publikum
schmackhaft zu machen. Meist werden die Inhalte ein wenig anders
interpretiert, ohne von ihnen abzurücken oder sich von ihnen
distanzieren zu müssen. Analog dazu könnten auch Neofaschisten
sich vom Rassismus abgrenzen und Hitlers „Mein Kampf“ als
Einstiegslektüre empfehlen.
Die Gesellianer versuchen mit einer Vielzahl von Gruppen und
Projekten und einer breiten Bündnispolitik im rechten und
esoterischen Spektrum, aber auch in der linken und der
umweltbewegten Szene AnhängerInnen zu rekrutieren. Sie haben es
immer wieder geschafft in diese Diskussions- und
Organisationszusammenhänge einzudringen und dort Fürsprecher zu
gewinnen. Im Schweizer Oltener Bündnis, das sich gegen das Wold
Economic Forum (WEF) in Davos organisiert hat dürfen sie gegen
die „Zinsknechtschaft“ der Internationalen „Finanzwelt“ wettern.
Selbst ohne den Zusatz "jüdisch" ist dies im Kontext zu
antisemitischen Inhalten nicht denkbar. Bei Gesell jedoch lassen
sich neben anderen antisemitischen Stereotypen auch das
Konstrukt der Verschmelzung von Judentum und Geld eindeutig
belegen:
"Die (Gesellsche-) Münzreform macht
es unmöglich, daß jemand erntet ohne zu sähen, und die Juden
werden durch dieselbe gezwungen werden, die Verwertung ihrer
großen geistigen Fähigkeiten nicht mehr in unfruchtbarem
Schacher zu suchen, sondern in der Wissenschaft, der Kunst und
ehrlichen Industrie."(vgl. Silvio Gesell: Nervus rerum -
Fortsetzung zur Reformation im Münzwesen)
In der Arena Sendung zum WEF in Davos vom 17.1.03 sitzt ihr
Vertreter Marco Lustenberger für das Oltener Bündnis mit in der
Sendung und kann als Freiwirt öffentlich für eine natürliche
Wirtschaftsordnung streiten. Ihre Vertreter bedienen sich oft
des demagogischen Kniffs, ihr Modell des ungehemmten Wettbewerbs
als »Dritten Weg« zu verkaufen. Nicht zufällig hatte die NSDAP
diesen „Dritten Weg“ in ihrem Parteiprogramm von 1920 für sich
reklamiert. Die einseitige Kapitalismuskritik vieler linker
Gruppierungen wie zum Beispiel Attac, der
Antiglobalisierungsbewegung und vereinzelten Anarchisten, bietet
der rechten Szene genügend Anknüpfungspunkte gegen „Zinsertrag“
und „Bodenspekulation“ ihren sog. "Dritte Weg" als einfache
populistische Lösung anzubieten.
1999 schreibt die
Landesneofaschismuskommission der Vereinigung der Vertriebenen
des Naziregimes (VVN) in Deutschland:
„Immer wieder flackert der Streit
zwischen Antifas und Freiwirten auf, mal in dieser, mal in jener
Stadt .. Problemstellung: Aktive AntifaschistInnen werden immer
wieder mit einer politischen Richtung konfrontiert, die sich auf
die Lehren Silvio Gesells beruft, eine angeblich »natürliche«
Wirtschaftsordnung anstrebt und unter den Slogans »Freigeld und
Freiland« die Möglichkeit des Geldhortens im Kapitalismus als
das Übel der Welt anklagt. Die Nähe von Gesells Ideen zum
Nationalsozialismus (»Brechung der Zinsknechtschaft«) sind
offenbar. Gesells Werk strotzt denn auch von Sozialdarwinismus
und Rassismus. Seine Anhänger sympathisierten stark mit den
Nazis, hier besonders mit dem Strasser-Flügel. Diese Verbindung
zum SA-Flügel des Neofaschismus hat sich bis heute gehalten.“
Die Illusion der GesellianerInnen,
eine "Marktwirtschaft ohne Kapitalismus", basiert auf drei
Säulen: Freiland, Freihandel und Freigeld. Zusammen bilden sie
die Elemente einer "natürlichen Wirtschaftsordnung". Sie sei
"eine Ordnung, in der die Menschen den Wettstreit mit der ihnen
von der Natur verliehenen Ausrüstung auf vollkommener Ebene
auszufechten haben, wo darum dem Tüchtigsten die Führung
zufällt, wo jedes Vorrecht aufgehoben ist und der Einzelne, dem
Eigennutz folgend, geradeaus auf sein Ziel lossteuert; ohne sich
in seiner Tatkraft durch Rücksichten ankränkeln zu lassen".
(vgl. Silvio Gesell, Die Natürliche .., (Anm. 211), S. XVII)
Das Freiland-Konzept dient
eugenischen Zielen. Die Pachtzahlung erfolgt zunächst an den
Staat »und wird restlos an die Mütter nach der Zahl der Kinder
verteilt« (NWO, S. 72), als »Mutterrente«. Die »Rückkehr der
Frau zur Landwirtschaft« ist laut Gesell »die glücklichste
Lösung der Frauenfrage« (NWO, S. 92), weil die dadurch gegebene
ökonomische Sicherheit den Frauen »das freie Wahlrecht .. und
zwar nicht das inhaltsleere politische Wahlrecht, sondern das
große Zuchtwahlrecht, dieses wichtigste Sieb der Natur« (NWO, S.
XXI) garantiert. Die Frauen gleichen damit den schädlichen
Einfluss der Medizin aus die, die »Erhaltung und Fortpflanzung
der fehlerhaft geborenen Menschen« (NWO, S. XXI) bewirkt. (Aus
Antifaschistische Nachrichten 16/1997)
Wer war Silvio Gesell?
Gesell wurde am 7. März 1862 in St.
Vith in Belgien geboren. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre
in Malaga und lebte in Argentinien, der Schweiz und in
Deutschland. 1887 eröffnete er in Buenos Aires ein Geschäft. Die
argentinische Finanzkrise von 1890 ließ ihn volkswirtschaftliche
Studien anstellen. Gesell arbeitete als Kaufmann bzw.
bewirtschaftete in der Schweiz ein Landgut. 1891 erschien seine
erste Schrift "Die Reformation im Münzwesen als Brücke zum
sozialen Staat", in der er erstmals die "Idee des rostenden
Geldes" formuliert. Um seine Ideen zu verwirklichen, beteiligt
sich Gesell an dem 1909 gegründeten Physiokratischen Kampfbund.
1914 erwägt er, als Kriegsfreiwilliger ins deutsche Heer
einzutreten, zieht sich dann aber auf sein Schweizer Landgut
zurück. (biographische Daten vgl. Siegbert Wolf, Silvio Gesell.
Eine Einführung in Leben und Werk eines bedeutenden
Sozialreformers, Hannoversch-Münden 1983; Richard Stöss Hrsg.,
Parteienhandbuch .. Band 2, Anm. 43 S. 1397)
Die letzten Jahre seines Lebens
verbrachte Gesell in der Lebensgemeinschaft Oranienburg-Eden.
Die Siedlung Eden wurde 1893 von LebensreformerInnen und
VegetarierInnen gegründet und war zu Beginn "keine völkische
Siedlung", doch 1916, als Gesells Hauptwerk "Die Natürliche
Wirtschaftsordnung" erschien, war dies nicht mehr so. George L.
Mosse, Professor für neue Geschichte an der Madison University
in Jerusalem beschreibt in seinem Standardwerk "Die völkische
Revolution" die Bedeutung der Siedlung Eden für den völkischen
Strang zum NS-Faschismus. Danach verband Carl Russwurm, der
Führer von Eden, die germanischen Grundlagen des
Freiheitsbegriffs mit Silvio Gesells Freiland- und
Freigeld-Theorien. Die Siedler feierten germanische Rituale,
"heidnische" Weihnachten und Sonnwendfeiern. Von Eden gingen die
Gründungen anderer völkischer Siedlungen aus, die den "geistigen
Adel deutschen Bluts" fördern sollten und "die Pflege
garmanischen Weistums". "Außer vegetarischer Ernährung", heißt
es im Programmheft von Eden 1917, war zum "natürlichen Leben" in
der "alternativen Kommune" die rechte Einstellung Bedingung.
(vgl. Louis Lerouge, Links und Rechts kann man nicht verwechseln
- oder doch?, in Contraste 106/107, Juli/August 1993) Silvio
Gesell verbrachte – allem Leugnen seiner heutigen Fans zum Trotz
- seinen Lebensabend in einer völkisch-rassistischen,
antisemitischen Kommune, die schon vor Durchsetzung des
NS-Faschismus einige seiner zentralen Elemente zu ihrem Inhalt
gemacht hatte. (vgl. Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei)
Die AnhängerInnen Silvio Gesells
behaupten, dessen eugenische und sozialdarwinistische Positionen
würden sich aus "jener Zeit" erklären, als wären antisemitische,
völkische, eugenische und sozialdarwinistische Positionen damals
etwas "Natürliches" gewesen. Diese Rechtfertigungen geben
erstens Aufschluß über die historische Unwissenheit oder die
Unehrlichkeit derjenigen, die sie gebrauchen. Zweitens taugen
sie nicht, um zu begründen, weshalb heute eineR Gesells
Ideologie propagiert. (vgl. Jutta Ditfurth: Entspannt in die
Barbarei)
Der Mythos: Gesell und die
Münchner Räterepublik von 1919
Gesells Verwicklung in die Münchner
Räterepublik dient seit Jahrzehnten zur pauschalen Entlastung
von den Vorwürfen des völkischen Biologismus. Alle, die in
Silvio Gesell einen halben oder ganzen Anarchisten sehen wollen,
weil er 1919 sieben Tage Volksbeauftragter für Finanzen der
Bayerischen Räteregierung war, straft Gesell selbst Lügen. Auch
die Legende, Erich Mühsam habe Gesell in die Räterepublik
geholt, ist eine Erfindung von SchönschreiberInnen. Nach der
Niederschlagung der Rätebewegung durch die Freikorps Anfang Mai
1919 wird Gesell verhaftet und vor Gericht gestellt. Während
andere hingerichtet wurden oder lange Jahre in Zuchthäusern
verschwanden, kam Gesell frei. (vgl. Jutta Ditfurth: Entspannt
in die Barbarei)
Auszüge aus seiner damaligen
Verteidigungsrede:
.. Daß diese Räteregierung
mich als Finanzmann erwählte, war für mich ein Beweis, daß es
sich nicht oder noch nicht um Bolschewismus oder Kommunismus
handelte .. Denn eine Teilung des Volkes in hohe, mittlere und
niedre Schichten bedeutet völkischen Verfall. Völkisches
Empfinden duldet keine Zinsknechtung anderer oder gar die
Beteiligung daran. Wer noch etwas rassisches, völkisches
Empfinden verspürt, der gehe in sich, tue Buße; der gestehe, daß
er und seine Ahnen Verrat begingen am eigenen Volk, am eigenen
Blut. .. Irgend ein Verrat an Parteibestrebungen lag hier nicht
vor. Niekisch und Landauer, die meine Wahl vorgeschlagen, wußten,
was sie taten, wußten, daß ich keine Puppe bin. Sie kannten
meine Ziele, die den Kapitalismus, die Zinsknechtschaft
bekämpfen, aber eben so sehr den Kommunismus, die
Gemeinwirtschaft. ..
Der Schweizer
Freiwirtschaftsbund (SFB)
Während in Deutschland die
Freiwirte scharenweise zu den Nazis überliefen, erlebte die
NWO-Bewegung in der Schweiz in diesen Jahren ihren Aufstieg.
Markus Schärrer berichtete vom SFB, seit Ende 1932 und Frühjahr
1933 sei "ein sprunghafter Anstieg seiner Aktivitäten und
Publikumswirksamkeit zu verzeichnen gewesen, absolut synchron
mit den faschistischen und parafaschistischen Fronten und
Bünden" (vgl. Markus Schärrer, Geld und Bodenreform als Brücke
zum sozialen Staat, Die Geschichte der Freiwirtschaftsbewegung
in der Schweiz 1915 - 52, Zürich 1983, S. 199)
In seinem Buch zur NWO-Bewegung von
1994 schreibt der nationalrevolutionär Günter Barsch folgendes
beschönigend in die Zeilen von Markus Scherrer hinein:
„War diese anzügliche Gleichsetzung
berechtigt? Es handelte sich eher um eine analoge als um eine
synchrone Entwicklung, ähnlich dem gleichzeitigen Anwachsen der
NSDAP und KPD-Wählerschaft in Deutschland. Allerdings haben
Schweizer Freiwirtschaftler ein Gespräch mit Mussolini geführt,
um ihn von den Vorzügen der Freiwirtschaft auch für Italien zu
überzeugen. Durch ihre größere Bodenständigkeit und
Volksverbundenheit sowie durch ihr positives Verhältnis zur
Schweizer Geschichte waren sie jedoch weit weniger der
Versuchung des Faschismus ausgesetzt als ihre deutschen
Gesinnungsfreunde durch das Wirtschaftsprogramm der NSDAP. ..
Hans Konrad Sonderegger, damals noch protestantischer Pfarrer im
Engadin, verstand es besonders gut, die recht schwierige Zins-
und Geldtheorie Gesells allgemeinverständlich darzulegen. Aus
dieser Vortragskampagne gingen die freiwirtschaftlichen
Freischaren hervor, deren Leitung Sonderegger übernahm. Es
handelte sich hierbei nicht um ein Freikorps oder um eine
SA-ähnliche Formation - wie Markus Schärrer unterstellte -
vielmehr um freiwillige Aktivisten, die organisatorische
Kleinarbeit übernahmen.“ (vgl Günter Barsch, Die NWO-Bewegung)
Bei den Bernischen Kantonalratswahlen vom Juli 1934 entfielen
auf Sonderegger fast 35 Prozent der Stimmen; bei einer Zweitwahl
schnitt er noch besser ab und zog ins eidgenössische Parlament
ein. Die folgenden Wahlen brachten dem SFB weniger Stimmen, doch
eroberte er zwei Sitze im Berner Gemeinderat. .. Im Juni 1940
war er auch auf ein Arrangement mit den Achsenmächten aus, damit
die Schweiz bei der Neuordnung Europas beteiligt werde, was nach
Umbildung der Landesregierung "nur noch ein Freiwirtschaftler
besorgen" könne. (vgl. H. K. Sonderegger, Brief an Andreas
Gadient v. 4.7.1940)
Heute versucht die rechte
Gesellianer Szenen über den Internationalen Strang der INWO ihr
Image der Vergangenheit aufzupolieren. Die Schweiz scheint ihr
ein geeigneter Ort die Geschichte umzudeuten und sich von der
eigenen braunen Vergangenheit in Österreich und Deutschland los
zu sagen. Fleissig wird daran gebastelt - Gesell der eine Zeit
in der Schweiz gelebt hat - als eine Neutrale Eidgenössische
Erfindung darzustellen und die Schweizer Freiwirtschaftsströmung
als das Urgestein der Bewegung erscheinen zu lassen. Mit dem
Verweis, hier sei alles anders und die ehernen Ziele der
Freiwirte nicht von den „Nazis missbraucht“ worden, lässt sich
schon eher ein Neuanfang machen. Grade nachdem besonders
deutschen Freiwirten Antifaschistischer Widerstand entgegen
schlägt und sie von ihrer braunen Vergangenheit schneller
eingeholt werden, als ihnen lieb ist.
Einige Kontakte der INWO Schweiz
zur deutsch-braunen Szene
Klaus Schmitt früher Herausgeber
der anarchistischen Zeitschrift „agit 883“ aus Berlin, feiert
Gesell unter dem Titel "Geldanarchie und Anarchofeminismus" als
Nachfolger Proudhons. Besonders schätzt Schmitt die
Freiland-Idee: Der gesamte Boden solle von einem "Bund der
Mütter" verwaltet und an Meistbietende verpachtet werden. Die
Pachteinnahmen gehen an die Mütter und ihre Kinder. Gesell habe
dies als Beitrag zur "biologischen und kulturellen
Fortentwicklung der Menschheit" verstanden, als Möglichkeit den
potentiellen Vater auch unter eugenischen Gesichtspunkten
auszuwählen. "Immerhin ist dieser Gedanke einer für die
Gesunderhaltung des Erbguts und für die Evolution der
menschlichen Art vorteilhaften und von den betroffenen
Individuen selbstbestimmten Eugenik eine diskutable Alternative
zu den auf uns zukommenden, von Staat und Kapital
fremdbestimmten Genmanipulationen", schreibt Schmitt. (vgl.
Peter Bierl ist Mitglied der Ökologischen Linken und Co-Autor
des Buches "Ganzheitlich und ohne Sorgen in die Republik von
morgen" mit Beiträgen u.a. von Thomas Ebermann und Colin Goldner
zu Antisemitismus, Irrationalismus und Esoterik)
1994 wurde Klaus Schmitt von der schweizerischen Sektion der
INWO in die Schweiz eingeladen. Er sollte in der Shedhalle in
Zürich einen Vortrag halten. Die Rote Fabrik widmete Gesell eine
ganze Ausgabe ihrer Fabrik Zeitung. Als Klaus Schmitt aber noch
vor der Veranstaltung "von den Vorzügen der 'Zuchtwahl' und der
'Eugenik'“ zu faseln begann, wurde er von den Kuratorinnen der
Shedhalle zurechtgewiesen und trat daraufhin noch vor seinem
Vortrag die Heimreise an". (vgl Christoph Kind, Rostende
Banknoten. Silvio Gesell und die Freiwirtschaftsbewegung, Beute
4/1994 S. 114 ff. Und Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei)
Die INWO Schweiz lud Helmut Creutz
im April 2002 zu einer Veranstaltungen unter dem Titel,
„Aktuelle Problementwicklungen in Deutschland“ nach Schaffhausen
ein. Helmut Creutz, Grüner aus Aachen, war Mitglied der
rechtsextremen Freie Sozialen Union (FSU). Die deutsche Partei
beruft sich ausdrücklich auf die Lehren Gesells. Außerdem
arbeitete er mit den LSI (Lebensschutzinformationen), einem
Organ des rechtsextremen Weltbunds zum Schutz des Lebens (WSL)
zusammen. Creutz trat als Referent im Collegium Humanum, der
Bildungsstätte des WSL, auf. (vgl. Justus H. Ulbricht, Grün als
Brücke zu Braun?, in: Politische Ökologie, Special "Grün Heil",
Nov./Dez. 1993 Und Jutta Ditfurth: Entspannt in die Barbarei)
Speziell als Einstieg zu empfehlen
ist das Buch von Margrit Kennedy, „Geld ohne Zinsen und
Inflation“ heisst es auf der Homepage der INWO Schweiz. Margrit
Kennedy gehört zur esoterischen Szene. Sie hat Kontakt zur
esoterischen Sekte Findhorn, und sie tritt bei der
sexistisch-autoritären Sekte ZEGG auf. Im Juli 1993 referierte
sie im Rahmen der Vorlesungsreihe des Ökofaschisten Rudolf Bahro
an der Berliner Humboldt Universität. (vgl. Jutta Ditfurth:
Entspannt in die Barbarei)
Für die Mitarbeit an ihrem Buch
bedankt sie sich artig bei dem Japanischen Gesellianer Yoshito
Otani auf den sich Margrit Kennedy auch sonst gerne bezieht.
Yoshito Otanis Buch „Untergang eines Mythos“ für das in der
rechten Partei Zeitschrift der FSU „Der Dritte Weg“ oder von den
Christen für eine Gerechte Wirtschaftsordnung (CGW) geworben
wird, stellt die Vernichtung der Jüdinnen und Juden infrage,
zweifelt an der Existenz der Gaskammern in Auschwitz und leugnet
die Kriegsschuld der Deutschen. Selbst am Ersten Weltkrieg seien
"jüdische Banken" schuld. Otani bezeichnet die antisemitische
Fälschung "Protokolle der Weisen von Zion", die angebliche
Weltherrschaftspläne der Juden beinhaltet, als wahr. (vgl.
Volkmar Woelk, Natur und Mythos, Duisburg, 1992, S.22, Geden,
a.a.O., S. 162ff. Und Peter Bierl „Gesell
und Antisemitismus“) Otanis Werk kann auch über die Homepage in
Österreich direkt über INWO bezogen werden.
Anhänger wie Margrit Kennedy und
Werner Onken betonen auch gerne, das Gesell "die soziale Frage
in Freiheit lösen wollte um dem Kommunismus seine Attraktivität
als Alternative zum Kapitalismus zu nehmen". (Margrit Kennedy,
Geld ohne Zinsen und Inflation. Ein Tauschmittel, das je- dem
dient, überarbeitete und erweiterte Ausgabe, München 1994, S.
184)
1994 informierte der Arbeitskreis
„Volksgeld“ in der NPD seine Mitglieder in Hessen darüber:
„Volkseigenes Geld und Silvio Gesell- warum Reformer miteinander
sprechen sollten: Silvio Gesell, deutscher Wirtschaftsreformer
(1862-1930) fand für seine „Freiwirtschaftslehre“ in den 20er
und Anfang der 30er Jahre zahlreiche Anhänger. Diese gründeten
nach seinem Tod verschiedene Gruppen, darunter als Dachverband
die INWO. .. Wenn er (Gesell) statt gesellschaftlich =
volkseigenes (Geld) geschrieben hätte, dann hätte er die gleiche
Lösung gefunden wie Heinrich Färber. .. Aber diesen Gedanken
vertieft er leider nicht. Statt dessen entwickelt er die Lösung
mit dem Schwund Geld mit allem bürokratischen Beiwerk. .. Diese
Gesellsche Hauptforderung (Geldausgabe zu Steuerzwecken) wurde
schon vor seinem Tode weitgehend verschwiegen, weil die
Gesellvereinigungen und Publikationen jede Nähe zu ähnlichen
nationalen Forderungen vermeiden wollten. .. Wegen
Offenkundigkeit wird man in der BRD bestraft, wenn man den
gelehrten „Holocaust“ mit Gegenargumenten bzw. Beweisen
opponiert. Genauso wie der Holocaust offenkundig ist, ist für
konsequent Denkende offenkundig, wer meist hinter den Banken
steht. Dies zu nennen ist gefährlich.“ (NPD Hessen, Albert
Lämmel, „Für den Arbeitskreis Volksgeld“)
In der Logik der NPD bewegt sich
auch die Ideologie der Freiwirte. Mit der einfachen Formel
„Kapitalismus sei Zinswirtschaft“ wird das böse „Finanzkapital“
für „den konsequent Denkenden offenkundig“. Die Hetze braucht
also keine Namen, sie wird historisch durch den Antisemitismus
fortlaufend bedient. Es fragt sich nur was einige Linke dazu
treibt sich der Lehre Gesells anzunehmen?
Obskure
Lehre für linke Gemüter
Die INWO ist von Anfang an im
Oltener Bündnis dabei und nutzt diesem Rahmen zur Durchführung
von Öffentlichkeitsarbeit und Seminaren. Bereits vor 2 Jahren
wurde das Oltener Bündnis vor diesen Freiwirten gewarnt und auch
in diesem Sommer (2003) gab es eine offizielle Anfrage von einer
Frau von Attak zu diesem Thema. Das Oltener Bündnis sitzt das
Problem aber lieber aus, anstatt sich Inhaltlich mit dieser
Problematik zu befassen. Tisch an Tisch mit der Schweizer
Anti-WTO-Koordination können Freiwirte über „Zinsknechtschaft“
herziehen und in diesem Bündnis gegen das böse „Finanzkapital“
nach Davos mobilisieren. Niemand scheint sich zu wundern was da
abläuft und mit welcher Selbstverständlichkeit rechtes
Gedankengut in linke Kreise Einzug hält. Doch leider ist es
immer wieder der Fall das Freiwirte bei linken Gemütern auf
Verständnis stossen!
Eine nicht so rühmliche
Auseinandersetzung stammt von Jutta Ditfurth mit ihrem Buch
„Entspannt in die Barbarei“ das 1997 im Konkret Verlag erschien.
Wohl deshalb, weil Jutta Ditfurth gegen den anarchistischen
Karin Kramer Verlag ausholt und ihn mit den Adjektiv
Faschistisch in Verbindung brachte, weil dort 1989 das Buch
„Silvio Gesell. Marx der Anarchisten?“ erschien. Der ehemalige
Anarchist Klaus Schmitt und „agit 883“ Herausgeber hatte diese
Buch zusammen mit dem nationalrevolutionär Günter Barsch
verfasst. Scheinbar blieb dem Verlag der Sinneswandel eines
Klaus Schmitts verborgen dessen Anliegen heute auch die
Teil-Entnazifizierung der NSDAP ist, Zitat: "Die linken Nazis
vertraten zwar eine staatsozialistische und - ähnlich wie der
faschistische, konservative und rassistische Flügel der NSDAP -
eine antisemitische Position, wendeten sich jedoch entschieden
gegen das Finanz- und Bodenkapital und versprachen dem
Proletariat "Arbeit und Brot" und den Kleinbürgern und Bauern
die "Brechung der Zinsknechtschaft"." Ihr Erfolg, sagt Schmitt,
habe auch mit ihrem "zinsorientierten Antikapitalismus" zu tun
gehabt. Der "Erfolg" dieses "zinsorientierten Antikapitalismus"
bei den proletarischen und kleinbürgerlichen Juden und Jüdinnen
dürfte in dieser Hinsicht anfänglich geringer, später um so
endgültiger gewesen sein.(vgl. Jutta Ditfurth: Entspannt in die
Barbarei) Trotz ihrer fälschlichen Unterstellungen gegenüber dem
Karin Kramer Verlag, ist das Buch von Jutta Ditfurth nach wie
vor eine empfehlenswerte Lektüre zu diesem Thema. Die darin
enthaltenen Quellen sind bis heute stichfest und nicht
widerlegt.
Seit Anfang der 80ziger Jahre haben
sich viele Antifaschisten und linke Autoren zu diesem Thema
geäussert, das besser unter dem Begriff des „Ökofaschismus“ in
weiten Teilen der Linken bekannt wurde. Wie so oft drohten die
Freiwirtschaftler nach jeder Veröffentlichung mit rechtlichen
Schritten gegen Autoren und Verlage vorzugehen. Heute nach all
den Jahren lässt sich aber feststellen, das keine rechtlichen
Schritte eingeleitet wurden und sich die Freiwirtschaftler damit
begnügen müssen historische Tatsachen weiterhin falsch zu
interpretieren.
Zürich im November 2003
Editorische Anmerkungen
Der Artikel erschien am 12.12.2003 bei Indymedia
Schweiz.