Maoismus in
Nepal und Indien

 
11/05

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Einer ihrer Heiden ist ein Liedermacher. dem eine Kugel im Leib steckt. Er heißt Gummadi Vittal Rao. genannt „Gaddar“, und überlebte vor acht Jahren einen Attentatsversuch. Wenn er auftritt, versammeln sich Zehntausende Fans. Niemand repräsentiert das folkloristische Element der maoistischen Bewegung so sehr wie der  56 Jahre alte Barde, der den „roten Gruß“ gefühlvoll vertont.

Trotz Musik, Tanz und Versammlungen im Fackelschein verbreiten Südasiens Maoisten eine reale Gefahr. Weitgehend unbemerkt von der internationalen Öffentlichkeit weiten sie ihre Aktivitäten kontinuierlich aus. Nicht nur in Nepal haben sie ihre Machtbasis maßgeblich verbreitert, auch in Indien suchen sie systematisch große Gebiete im Osten heim und lassen die Sicherheitskräfte dabei oft schwach und hilflos aussehen. 

Gaddar stammt aus dem indischen Bundesstaat Andhra Pradesh, dessen Norden zu den Hauptbastionen der Maoisten zählt. Seit 1966 kämpfen hier Rebellen gegen den Feudalismus und die Benachteiligung niederer Kasten mit dem Ziel, einen eigenen Staat marxistischer  Prägung aufzubauen. „Dandakaranya“ soll er heißen und weit über die Grenzen Andhra Pradeshs hinaus wachsen. Auf das Konto der Kämpfer, die heute überwiegend in der „Volkskrieg“- und der „Janashakti“-Gruppe organisiert sind,  gehen ungezählte Anschläge und Attentate. Das wohl aufsehenerregendste richtete sich vor knapp zwei Jahren gegen den damaligen Ministerpräsidenten Chandrababu  Naidu, der nur knapp überlebte. Die meisten Morde in Andhra Pradesh - seit Anfang des Jahres waren es mehr als 150 - bleiben unterhalb der internationalen Wahrnehmungsschwelle.

Im offiziellen Delhi wird die Bedrohung durch die maoistischen Rebellen, die zumeist als „Naxaliten“ bezeichnet werden, zuweilen für gefährlicher gehalten als der islamisch motivierte „Freiheitskampf“ in Kaschmir und der Separatismus im Nordosten. Die naxalitische Bewegung sei die "Hauptbedrohung für den Staat“, sagt der frühere Armee-Chef Shankar Roy Chowdhury. „Man wird nicht mehr von Delhi nach Kalkutta oder von Mumbai nach Chennai fahren können, wenn sich diese Bewegung weiter ausbreitet.“ Seit Jahren steigt die Zahl der Gewaltopfer kontinuierlich an, von 482 im Jahr 2002 auf 515 im Jahr 2003 und bis auf 555 Tote 2004. Nach Angaben des indischen Innenministeriums setzt sich der Trend in diesem Jahr fort.

Die Naxaliten destabilisieren inzwischen ein Drittel des ganzen Landes. 13 der 36 indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien kämpfen mit dem maoistischen Widerstand. Nicht alle Regionalregierungen verfolgen dabei die gleichen Strategien. In Wellenbewegungen werden die Rebellenorganisationen verboten und wieder legalisiert, wird geschossen und verhandelt. Ein Musterbeispiel für die Ratlosigkeit im Umgang mit den Maoisten bietet auch hier wieder Andhra Pradesh, wo bislang jeder frisch gewählte Ministerpräsident mit Friedensgesprächen begann und mit Vernichtungserklärungen aufhörte; erst vor wenigen Wochen erklärte die Regierung die einschlägigen Organisationen nach ergebnislosen Verhandlungen wieder einmal für verboten.

Trotz aller Aufrüstungsversuche sind die Waffen- und Sprengstoffarsenale der  Maoisten nicht eben eindrucksvoll gefüllt. Das liegt nicht zuletzt an mangelnder Unterstützung aus dem Ausland. Auch die personelle Stärke der Bewegung - es soll nur einige tausend bewaffnete Kämpfer geben - kann die zweitgrößte Armee Asiens nicht ernsthaft herausfordern. Das „wahrhaft alarmierende Zeichen“ gehe weniger von der Mannstärke, den Todesstatistiken oder der Waffenqualität aus als vielmehr vom „Verlust physischen Territoriums“, sagt P. V. Ramana von der Observer Research Foundation in Delhi. Innerhalb von zwei Jahren habe sich die Zahl der betroffenen Distrikte verdreifacht. „Der Staat regiert im Prinzip in 150 Distrikten nicht mehr“, sagt er.

Anfang der Woche bat der indische Innenminister Shivraj Patil die 13 betroffenen Ministerpräsidenten nach Delhi und vereinbarte mit ihnen den Aufbau einer ,,Gemeinsamen bundesstaatsübergreifenden Einsatztruppe“. Sie soll den Rebellen vor allem die oft genutzten Möglichkeit rauben, durch Flucht in einen benachbarten Bundesstaat die Verfolger abzuschütteln. In 13 „Aktionsplänen“ sollen die Bundesstaaten zudem festschreiben, wie sie einerseits die Sicherheitslage, andererseits die sozialen Ursachen in den Griff bekommen wollen.

Es ist kein Zufall, dass der Maoismus im indischen Armenhaus vertreten ist. Die Wirtschaftserfolge des Landes sind für den Osten des Landes unendlich weit entfernt. In Staaten wie Orissa, Jharkand oder Bihar sieht Indien noch immer aus wie aus dem Bilderbuch der Dritten Welt. In den Wäldern des zentralindischen IIochlands finden die Rebellen nicht nur ideale Zufluchtsorte. Dort, wo Schwerindustrie und Bergwerksunternehmen die Bewohner langsam aus ihren Lebensräumen vertreiben, arbeiten die Rebellen gewissermaßen an der Quelle jenes “Widerspruchs“, den aufzulösen sie sich vorgenommen haben: den zwischen den „bäuerlicben Massen“ einerseits und den „feudalistischen und kapitalistischen Interessen des Staates“  andererseits.

Geboren wurde die Bewegung in der bengalischen Stadt Naxalbari, die im Jahr 1967 Schauplatz von Streitigkeiten zwischen den Stämmen der Shantals und der Kulaks war. Nachdem ein Kleinbauer, der sich vor Gericht erfolgreich gegen die Landnahme durch die Shantals gewehrt Latte, ermordet worden war, erhoben sich Proteste, die von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurden. In den Wochen danach bildete sich der Kern jener revolutionären Bewegung die sich bald in der östlichen Landeshälfte ausbreitete.  Im Jahr 1969 gründete sich die CPI-ML, eine kommunistische Partei, die sich im Namen auf Marx und Lenin berief. aber der Guerrillastrategie Mao Zedongs folgte. Etwa gleichzeitig begann sich im Nachbarland Nepal die maoistische Abspaltung der dortigen Kommunistischen Partei zu radikalisieren.

Mit den Jahren zerfiel die maoistische Bewegung in etwa 150 Untergruppen, von denen etwa 40 als militant gelten. Vor vier Jahren schlossen sich eine Reihe von Organisationen, unter ihnen die großen inzwischen vereinigten Gruppierungen „Maoistisch-Kommunistisches Zentrum“ (MCC) und „Volkskrieg“, zu einer internationalen Allianz mit dem umständlichen Namen „Koordinationskomitee der maoistischen Parteien und Organisationen Südasiens“ (CCOMPOSA) zusammen. Im Oktober 2004 trafen sich die Gruppen aus Indien, Nepal, Bangladesch und Sri Lanka in Kalkutta und diskutierten unter anderem mögliche Vernetzungen mit anderen Widerstandsbewegungen wie der kaschmirischen. Im Dezember 2005 will sich die CCOMPOSA an einem „geheimen Ort“ in Bangladesch versammeln

 

Editorische Anmerkungen

Der Artikel wurde gespiegelt von: http://www.roteswinterhude.de/maoismus.htm