Der scheidende
Wirtschaftsminister Wolfgang Clement präsentierte zu seinem
Abschied aus dem Wirtschaftsministerium eine Broschüre unter dem
Titel „Vorrang für die Anständigen“. In dem Traktat beschimpft
und beleidigt der noch-Minister die Opfer des Sozialabbaus in
Deutschland. Für Clement sind rund 20% der Arbeitslosengeld-
II-Bezieher Menschen, die „die Melkkuh Sozialstaat rücksichtslos
mißbrauchen“. Der Herr Minister nennt Beispiele, wie in
Singelhaushalten halbnackte Frauen und leichtbekleidete Männer
von den Kontrolleuren der Arbeitsagentur angetroffen wurden.
Clement bedauert in dem Heftchen, dass es oftmals nicht gelänge,
den leichtbekleideten Menschen als Lebenspartner zu
identifizieren. Direkt werden im „Spiegel“ deutsche Gerichte
kritisiert, die Arbeitslosen recht gaben, weil nicht jede
zwischenmenschliche Beziehung und Kontaktaufnahme als
eheähnliche Gemeinschaft eingeschätzt werden könne. Herr Clement
will die Schnüffelei in den Schlafzimmern verstärkt wissen und
er fordert die Mitbürger zur Hilfe auf. Dies geschieht vor dem
Hintergrund, dass Lebenspartner nach der Hartz IV-Gesetzgebung
unterhaltspflichtig für den Hartz IV-Bezieher sind. Es ist
bezeichnend, dass kein bürgerlich-liberales Blatt die staatlich
lizensierte Bettschnüffelei vom demokratischen Standpunkt her
kritisiert. Ziemlich offen ist hingegen ein Aufruf in den Medien
zu finden, den staatlichen Schnüffelexperten zu assistieren.
Diese Entwicklung ist nicht nur skandalös, sondern sie könnte
bestimmte Gruppierungen auf den Gedanken bringen, wieder ein
aktives Blockwartsystem auf brauner Grundlage zu reinstallieren.
Die Wortwahl
des Herrn Ministers
Bezogen auf den
angeblichen Mißbrauch der Hartz IV-Leistungen schreibt Minister
Clement, „Biologen verwenden für Organismen, die zeitweise oder
dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten
anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben, übereinstimmend die
Bezeichnung Parasiten. Natürlich ist es vollkommen unstatthaft,
Begriffe aus dem Tierreich auf den Menschen zu übertragen.
Schließlich ist der Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt,
sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert.“ Damit wird der
menschliche „Parasit“ zu einem schlimmeren Wesen erklärt, als
die Parasiten im Naturreich. Bekanntlich wird in der Natur,
speziell wenn sich der Mensch einmischt, gegen Parasiten
entsprechend vorgegangen. Herr Clement attackiert und beleidigt
nicht nur wüst die Opfer der gegebenen Wirtschaftskrise, sondern
er fordert mit dieser Wortwahl zu deren Ausgrenzung und wenn man
es konsequent zu Ende denkt, zu deren Vernichtung auf.
Demokratische Rechte interessieren den Herrn Minister in seinem
Heftchen nicht im geringsten, im Gegenteil, er diffamiert
„Selbsthilfegruppen von Arbeitslosen“ und Büros der Linkspartei
und der WASG in denen Beratungen angeboten werden auf das
Schärfste. Er unterstellt diesen Vereinigungen einen aktiven
Beitrag zum Rechtsbruch zu leisten. Clement bezichtigt und
kriminalisiert demokratische und soziale Einrichtungen, indem er
ihnen Beihilfe bei der Förderung des sogenannten „Sozialmißbrauchs“
attestiert. Dass die Wortwahl des Herrn Ministers selbst
strafrechtlich relevant ist, interessiert dabei nicht.
Clements
offener Rassismus und latenter Antisemitismus
Besonders hat
es Herrn Clement in seiner Broschüre ein Mann namens Ibrahim,
ein Sänger aus dem Libanon angetan. Dieser libanesische Sänger
wird als Musterbeispiel für den „Sozialbetrug“ aufgeführt.
Immigranten und Immigrantinnen stehen im besonderen Verdacht
„Sozialbetrüger“ zu sein. Breit wird in dem Heftchen des
Ministeriums darüber schwadroniert: wie „die Sozialbetrüger aus
dem EU-Ausland kassieren“, natürlich muß auch eine ausländische
Frau dabei sein, „die hier Arbeitslosengeld II kassierte, aber
längst wieder in Tunesien lebt“. Die Gewichtung in dem Heft ist
deutlich, „nicht-Deutsche“ stehen im Fokus der Kritik. Die
Bildzeitung bringt, seitdem die Broschüre des Herrn Ministers
auf dem Markt ist, laufend Berichte über „ausländische Betrüger“
in Deutschland. Die „Deutsche Stimme“ der NPD bejubelt diese
Passagen und die rassistische Hetze des Ministeriums, weil das
ganz auf ihrer Linie liegt. Letzteres lag mit Sicherheit nicht
in der Absicht von Herrn Clement, aber der Weg zur Hölle ist
bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. Allerdings muß man
bezogen auf Herrn Clement das deutsche Sprichwort korrigieren.
Der Herr ist frustriert, denn sein angeordneter sozialer
Kahlschlag reichte nicht aus um ihn im Amt zu halten. Die
Arbeitslosigkeit stieg auch in der Zeit, als Herr Clement
„Superminister“ war und da er nicht die Verantwortung dafür in
einem bestimmten Wirtschaftssystem mit seinen brutalen
Marktgesetzen sieht, bekämpfte er die Arbeitslosen und nicht die
Arbeitslosigkeit. Dazu gehört, damit die Argumentation greift,
eine gute Portion Rassismus.
Warum ist
Clement latent antisemitisch ?
Begrifflichkeiten wie „Schmarotzer“ und „Parasiten“ haben in der
deutschen Geschichte eine unheilvolle Tradition. Mit solchen
Begrifflichkeiten bezogen auf die Juden bereiteten die Nazis den
Genozid und die Schoa vor. Der Mord beginnt bekanntlich mit
Worten. Die Bezeichnung Parasit stellt das Mensch sein des
anderen in Frage. In der gesellschaftlichen Realität der
Bundesrepublik Deutschland gibt es bei knapp 50% der
Erwachsenen die Meinung, „Juden seien nur an Geld interessiert“,
sie würden daher „die Vergangenheit mißbrauchen“. Für den
aktuellen deutschen Hardcoreantisemiten ist der Jude immer noch
ein „Parasit“ und „Schmarotzer“. Die Wortwahl des Herrn Clement
gegenüber Arbeitslosen ermutigt den offenen Antisemiten mit
seinen Bezeichnungen für Juden entgültig aus dem Schatten
gesellschaftlicher Isolierung herauszutreten. Das Einbringen
solcher Begrifflichkeiten wie „Parasit“ und „Schmarotzer“ in den
politischen Diskurs ist gemeingefährlich und befördert jede Art
von Unmenschlichkeit. Die Politik und die Thesen des Herrn
Clement sind unsozial, rassistisch und zudem befruchten sie
(ungewollt von Herrn Clement) den offenen antisemitischen
Diskurs. Von einer anderen Seite her bediente Herr Müntefering
vor einigen Monaten ebenfalls den Antisemitismus. Statt von
Kapitalverhältnis als solchem zu reden, attackierte Müntefering
sogenannte „profitgierige Heuschrecken“ und reaktivierte damit
den antisemitischen Antikapitalismus. Dieser geht bekanntlich
davon aus, dass es ein „raffendes“ und ein „schaffendes“ Kapital
gibt.
Quelle:
„Vorrang für die Anständigen“ Oktober 2005
Bundeswirtschaftsministerium
Editorische Anmerkungen
Der Autor übergab
uns seinen Artikel am 8.11.2005 zur Veröffentlichung.
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