Zur kommunistischen Utopie Kollision
weiter als abschreckendes Gespenst oder endlich als begehrenswerte Möglichkeit ?

von Hubert Herfurth
11/05

trend onlinezeitung


Hubert Herfurth schreibt in dem Vorwort zu seinem Essay:

"Beim aufeinander bezogenen Lesen von Holloways Kritik am Partei- und Staatssozialismus (2002) und Robert Schlossers Nachbetrachtungen zum kommunistischen Manifest (2002b) stieß Holloways  'Schrei' in meinem Kopf auf die Marxsche 'ungeheure Mehrzahl' und dieser Zusammenprall löste eine  schlagartige Erosion meines damaligen politischen Selbstverständnisses aus. In der durchaus als elitär empfundenen Minderheitenposition des kommunistischen Revolutionärs erschienen Brüche und Risse. Ich vernahm Schreie, die sich plötzlich gegen mich selbst richteten. Der Bezug auf die emanzipatorische Marxsche Assoziation und die dafür auch von mir versuchte Akquisition der Mitglieder waren plötzlich nicht mehr deckungsgleich und in der feinsinnigen Unterscheidung zwischen Genossinnen und „Normalos“ entdeckte ich ein Unterordnungsverhältnis, welches zur von mir offiziell angestrebten Emanzipation im krassen Widerspruch steht. Am Ende dieser Erosion stand dann die schmerzvolle Einsicht in die unumgängliche Notwendigkeit einer radikalen Kritik am voluntaristischen Revolutionarismus, der der Gesellschaftlichkeit, die zur Aufhebung des Wertverhältnisses notwendig ist, selbst ganz grundsätzlich im Wege steht."

Dies machte uns neugierig, wir lasen seinen Text, der uns als PDF von ihm zugesandt worden war und leiten ihn hiermit zum DOWNLOAD weiter - verbunden mit der Hoffnung auf kritische Reaktionen. Um den Appetit noch ein wenig anzuregen - sozusagen als Leseauszug - hier seine Einleitung:

Erkenntnisse ergeben sich aus Widersprüchen.

Es gibt Texte, aus denen es sich beim besten Willen nicht wirklich schlau werden läßt. Die etwas kuriose, als Rezension mehr schlecht als recht getarnte Polemik zum Büchlein von Bini Adamczak  im express 5/2005 gehört dazu. (2) Die Beschäftigung und zugleich Nichtbeschäftigung mit unliebsamen Auffassungen im Feld marxistischer Gesellschaftskritik läßt die Leserinnen zwischen mehr abwertender als lobender Kritik, vielen seltsamen Andeutungen und ein paar völlig abstrusen Behauptungen zum angeblichen Revolutionsverrat der 68er etwas ratlos zurück. Einerseits wird der in diesem Milieu bekannten Unart gehuldigt, auch sehr weitgehende, inhaltliche Übereinstimmungen aus  den nichtigsten Gründen einer zwischen fremd und feindlich schwankenden Distanz zu opfern, die  der im Begriff 'Kommunismus' steckenden Gesellschaftlichkeit Hohn spricht, weil sie jedes gemeinsame Anliegen konterkariert. Was hier aber keinesfalls als individuelles Fehlverhalten verniedlicht,
sondern als Ausdruck der Sackgasse zu begreifen ist, in der die kritische Theorie sich befindet. Dazu bieten die hier zutage tretenden Verrücktheiten, also die mit Händen förmlich zu greifenden Unlogiken und Paradoxien andererseits die Chance, die Utopie-Kollision im marxistischen Emanzipationsanspruch ein wenig auszuleuchten. In diesem Sinne lohnt der (allerdings nicht ganz kleine)  Aufwand sich mit diesem Büchlein, wie mit der Kritik daran ein wenig näher zu beschäftigen durchaus.

Der Vorwurf des „Subjektivismus“ (wie er von Rakowitz/Christoph am Ende ihrer Rezension erhoben wird) erinnert nicht ganz zufällig an so inquisitorische wie unfruchtbare Zeiten der Arbeiterbewegung, die bis heute im Staatsbezug dieser Bewegung nachwirken und denen mit der hier  anhaltenden Hilflosigkeit gegenüber einer grundsätzlichen Alternative ein bis heute stabiles Denkmal gesetzt wurde. Eine Bewegung, die damit zurecht gegen eigentlich unsinnige Parolen wie  „Freiheit oder Sozialismus“ mehr als nur einem besseren Image erfolglos hinterherlaufen muß.

Unabhängig von diesem Blick auf den belastend durchscheinenden, historischen Hintergrund verbirgt der Vorwurf jedoch zugleich eine Selbsttäuschung, weil allein der positive Bezug auf
das Wort „Klassenkampf“ (bei den Rezensenten) nicht darüber hinweghelfen kann (1. Kapitel), daß  der auf beiden Seiten als gemeinsame Klammer wirkende Voluntarismus wie ein Spiegel den Vorwurf des „Subjektivismus“ an seine Ausrufer zurückwirft. Diese Gemeinsamkeit schließt einen sehr  ähnlichen Blick auf die Geschichte ein: zielt bei Christoph und Rakowitz die Kritik völlig unselbstkritisch auf die Sozialdemokratie als Verursacher einer „Eiszeit“ gleichnamigen „Zeitalters“, noch  zugespitzt in der Verunglimpfung eines Schröder Zitats (?), wo „wir“ angeblich „gemeinsam an  der Planung der Revolution beteiligt waren, die wir heute gemeinsam verhindern“, so wird bei Adamczak eine zwischen Larmoyanz und Trotz schwankende Sicht auf die Niederlage deutlich, die
zwar keinen weiter spezifizierten Feind als Verursacher erkennen läßt, aber auch jeden kritischen Blick in die eigene Richtung zunächst kategorisch ausschließt (2. und 3. Kapitel). Zumindest wenn die Lektüre hier mit dem Text „warum mir das Ausbleiben der Revolution auf den Magen schlägt“  (Diskus 2/03) beginnt, (3) der übrigens in dieser Rezension eine sowohl größere als auch deutlich positivere Rolle spielt als der eigentlich rezensierte Kommunismus-Text, obwohl der „Subjektivismus“ (im Sinne der Rezensenten) hier ein noch stärkeres Gewicht hat. Indem sich mit dem „Kommunismus“ Büchlein bei Bini Adamczak ein zumindest zaghaftes Umdenken andeutet, weil sie mit der Entwicklung eines „kommunistischen Begehrens“ beginnt, an dem o. g. Denkmal zu rütteln, setzt bei
den Rezensenten ausgerechnet hier eine Blockade gegen die durch B. A. aufgeworfenen Fragestellungen ein, die so gar nicht nachvollziehbar ist, weil die zaghaften, neuen Orientierungsversuche damit gleich wieder zunichte gemacht werden (sollen).

Wie künstlich die Trennungen gerade dort eingeführt werden, wo die offensichtlich größten
Gemeinsamkeiten durchaus positiv zu Buche schlagen könnten, zeigt der von den Rezensenten so  dogmatisch wie konfus andiskutierte Postonebezug Adamczaks. Dieser ruft bei Christoph und Rakowitz den allergrößten Unwillen hervor und zeigt neben der seltsamen Haltung zum Kinderbezug  die eigentümlichsten Folgen. (4) Die "uneigentlich-poppige Verpackung" beinhaltet damit für die beiden zwar einen "alles andere als bescheidenen Anspruch", der allerdings im "theoretischen Kern" auf eine Art „'Großtheorie'" zurückgreift, die mit einer "noch einmal radikal-konstruktivistisch überbotenen Postone-Adaption" identifiziert wird. Wobei diese Identifikation im doppelten Sinne nicht eindeutig sondern nur oberflächlich ist. Denn zum einen wird der Autorin zugleich eine Nähe zu den Marxschen Grundrissen attestiert, die aber, kaum ausgesprochen, schon wieder zurück genommen werden muß, um jeden Eindruck einer womöglich entwicklungsfähigen Gemeinsamkeit radikal abzublocken: die beiden Kritikerinnen wissen (natürlich ohne daß wir als Leserinnen erfahren woher), daß die Autorin selbst dies entweder gar nicht weiß oder aber nicht zugeben will. Zum anderen beziehen sie die Kritik total verbohrt allein auf den Epilog, übersehen also alle inhaltlichen Schwächen der Erzählung, wie aber auch alle inhaltlichen Stärken des Epilogs, ohne den die Erzählung übrigens eher unverständlich bliebe und eine Verbindung zur Marxschen Strukturkritik nur schwer hergestellt werden könnte. Gerade weil ich Vorbehalte gegenüber Postones Theorie gut nachvollziehen kann, zeigt mir diese Art des Umgangs bei genauerem Hinsehen jedoch, wie unsinnig sie ist, trägt Postone zur Auseinandersetzung im engeren Sinne hier doch gar nichts bei. (5) Aber allein der punktuelle, positive Bezug Bini Adamczaks auf Postone im Epilog reicht aus, um ihre
Ausführungen hier unter eine Generalanklage zu stellen, wohingegen die stellenweise haarsträubenden Ungenauigkeiten ihres Erzählversuchs in ökonomischer Hinsicht und die damit verbundenen Ungereimtheiten ihrer eigenen Erzählinterpretation großzügig übersehen werden (4. Kapitel). Was selbst wieder zweierlei zeigt: 1. Die Künstlichkeit des Widerspruchs, für den Postone bei inhaltlicher Übereinstimmung nur den formellen Grund gibt, und 2. ist das Übersehen der Fehler bei der praktischen Anwendung der Marxschen Strukturkritik im Rahmen B. A.'s fiktiver Kommunismusentwicklung als Hinweis auf die praktische Unwichtigkeit der Marxschen Strukturkritik selbst zu lesen, die offensichtlich über keine wirklich relevante, inhaltliche Verbindung zum Klassenkampf verfügt. Klassenkampf wird bis heute nicht als Kampf um eine neue Gesellschaftlichkeit verstanden, sondern bleibt rein negativ im Kampf gegen das Kapital stecken. Ein Manko, welches sich gerade auf Seite der Klasse zeigt, die nach der Theorie aller Klassengesellschaft ein Ende machen soll,
real aber über den Status des Warenverkäufers nicht hinauskommt und auch nicht hinauskommen kann, weil bis heute nicht mal theoretisch als praktische Möglichkeit etwas anderes gedacht werden kann. Gegenüber B. A. geht es für mich darum, den Widerspruch zwischen ihrem Anliegen (die gerade angeführte Sackgasse zu vermeiden) und der daran m. E. allerdings gescheiterten Ausführung, so zu fassen, daß die notwendige Auseinandersetzung um die Inhalte gefördert und nicht behindert wird, also an verbesserten Fassungen ihrer „Kommunismus“ Darstellung unverzagt weiter gearbeitet werden kann. Ich nehme sie daher beim Wort: da mit inhaltlichen Mängeln ja „gerechnet werden muß(te)“, kann sie nun zeigen, ob wirklich auch ihre Vorstellungen „dieses Begehren(s) (...)
unter Aufwendung des schärfsten historischen Wissens und der schneidensten theoretischen Kritik als verkürzte denunziert werden“ dürfen (S. 61). Im Horizont ihres Büchleins liegt es doch nahe, mir genau dies zu wünschen. Wohl wissend, daß auch von kleinen Ursachen größere Wirkungen ausgehen können.
 

Anmerkungen:

2) Nadja Rakowitz'/Peter Christoph: „ich hätte von dem negativ gerne einen abzug“, eine Rezension (express 5/2005). Im Netz zu finden unter www.unrast-verlag.de/unrast,3,0,226.html  

3) des mit „Kommunismus“ betitelten Schwerpunktheftes zum Frankfurter Kommunismuskongreß.

4) Fast so negativ schneidet in der Tat unverständlicherweise auch der Kinderbezug ab, wobei die Kritik stilistisch  als ironische Distanzierung allerdings völlig anders rüber gebracht wird. Die Kritiker scheinen kinderbeziehungslos zu sein und kennen wohl deshalb die gerade für Erwachsene so segensreiche TV-'Sendung mit der Maus'  nicht, so daß ihnen die Stärke dieser Methode offensichtlich verschlossen geblieben ist. Ganz abgesehen etwa von  Tahar Ben Jelloun's „Gesprächen mit meiner Tochter“, die ausgehend von „Papa, was ist ein Fremder?“ (Hamburg 2000) inzwischen aus guten Gründen zu einer ganzen Buchreihe avanciert ist. Oder sollte hier noch eine sozialdemokratisch-bolschewistische Gemeinsamkeit nachwirken, bei der stillschweigend davon ausgegangen wird,  Sozialismus sei eine Sache der Experten?

5) Auch wenn in B. A.'s Argumentation sporadisch der Postonesche Arbeitsbegriff durchschlägt, zeigt sie doch selbst, wie unpraktisch die Postoneschen Überlegungen hier sind, weil sie es z. B. so ohne weiteres gar nicht schafft, die Anwendung dieses Begriffes durchzuhalten, denn die Arbeit bleibt bei ihr auch im Kommunismus immer als Arbeit zu erkennen. Zur genaueren Postonekritik etwa Robert Schlosser auf www.trend.infopartisan.net/trd0604/t180604.html

DOWNLOAD Zur kommunistischen Utopie Kollision (PDF 427 Kb)
 

Editorische Anmerkungen

Der Autor übergab uns seinen Artikel am 31.10.2005 zur Veröffentlichung.