Kosova/Kosovo
Regierung Rugova-Haradinaj.

von Max Brym
11/04

trend

onlinezeitung
Knapp einen Monat nach den Wahlen steht die „Regierungsbildung“ in Kosova bevor. Für viele Analytiker und Kommentatoren ist die Koalitionsbildung zwischen der LDK und der AAK überraschend. Dennoch ist bei näherer Betrachtung das Bündnis zwischen Rugova und Ramush Haradinaj kein Zufall. Die Wahlen am 23. Oktober bescherten der LDK mit etwas über 45% eine für ihre Verhältnisse deutliche Niederlage. Damit hat die LDK erstmals ihre Mehrheit verloren. Die AAK unter der Führung des ehemaligen UCK- Kommandanten Haradinaj gewann etwas über 8% der Stimmen, sie verlor aber in absoluten Zahlen gegenüber den letzten Wahlen deutlich. Der Wahlkampf der LDK war ohne konkretes Programm auf die Person Ibrahim Rugova konzentriert. Natürlich sprach sich die LDK für die „Unabhängigkeit Kosovas“ und die „Schaffung marktwirtschaftlicher Strukturen“ aus. Konkrete Antworten auf die Frage, wie der Masse der Verelendeten geholfen werden kann, blieb sie schuldig. Zu dem Punkt, wie sie die Unabhängigkeit zu schaffen gedenke, fiel ihr ebenfalls nichts ein. Konfrontiert sah sich die LDK mit Vorwürfen wie, „ihr errichtet ein Familien- und Clansystem“ oder „ihr unterschreibt alles, was von der UNMIK erwartet wird“. Zudem fand sich in den Presseorganen, die der LDK nahestehen, wüste antikommunistische Hetze, die Hashim Thaci (Vorsitzender der PDK) zum enveristischen Kommunisten erklärten. Dieser komplette Unsinn hatte einen konkreten Hintergrund. Die PDK legte ein bürgerlich demokratisches Modell für die Integration und die Gleichberechtigung der nationalen Minderheiten in Kosova vor. Ansonsten legte die PDK Wert auf die Formel: „Die UNMIK soll uns assistieren und nicht umgekehrt“. Auch gab es im PDK Wahlkampf mehr soziale Aspekte, was nicht zu verwechseln ist mit einem Programm, das tatsächlich mit der Prämisse „bürgerliche Wirtschaftsordnung“ bricht. Auch spielte die Gleichberechtigung der Frau im Wahlkampf der PDK eine wichtige Rolle. Das Bürgerbündnis ORA des Publizisten Veton Surroi gab sich modern und aufgeklärt und attackierte das „postfeudale System Rugova“. Die AAK unter Ramush Haradinaj hatte als zentrale Losung „Nicht RECHTS nicht LINKS- GERADE“ auf ihre Plakate gedruckt. Der Doktorvater der AAK ist Mahmut Bakalli, dieser Herr war bis Mai 1981 Gebietsparteichef der KP in Kosova. Nach Angaben von Bakalli, verbindet ihn „eine dicke Freundschaft mit dem ehemaligen FAZ „Balkanexperten Viktor Maier.“ Inhaltlich hatte die AAK im Wahlkampf am wenigsten zu bieten. Die AAK zelebrierte die „heroische“ Rolle von Ramush Haradinaj während des Krieges gegen den serbischen Chauvinismus. Mit der LDK hatte Haradinaj bis vor kurzem keine großen Gemeinsamkeiten entdeckt. Behauptete doch Rugova noch im März 1998, „die UCK ist eine Erfindung des serbischen Geheimdienstes“. Vor knapp zwei Jahren begrüßte das publizistische Umfeld von Ibrahim Rugova die Verhaftung des Bruders von Ramush Haradinaj, Daut Haradinaj. Daut Haradinaj wurde wegen angeblicher Verbrechen als UCK Kämpfer durch ein UNMIK Gericht in Kosova (die Beweislage war mehr als dürftig) zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Warum gedenkt Haradinaj jetzt den Ministerpräsidenten unter Rugova zu geben?

Opportunismus und Angst

Veton Surroi und Hashim Thaci bemühten sich in den letzten Wochen ein Bündnis aller Parteien, einschließlich der Parteien der nationalen Minderheiten zu bilden. Die Bemühungen waren ziemlich weit gereift, für die LDK sah es düster aus. Ministerpräsident sollte Thaci werden und auch die Abwahl von Rugova als Präsident erschien möglich. Das Modell „Ohrid“ von Thaci unterbreitet, hatte für die Vertreter der nationalen Minderheiten eine gewisse Anziehungskraft. Nach dem Modell gelten Serbisch und Albanisch als Amts und Schulsprachen, auf der Ebene der Gemeinden sollte es weitgehende Selbstverwaltung geben und die Vertreter der Minderheiten hätten im Parlament ein Vetorecht in allen wichtigen Fragen. Gleichzeitig sollte über diese Schiene der Widerstand gegen die Unabhängigkeit gebrochen werden. Doch nicht Thaci wird Ministerpräsident, sondern Ramush Haradinaj, unter dem Präsidenten Rugova. Der urplötzliche Sinneswandel von Haradinaj hat opportunistische Gründe. Es geht Haradinaj nicht nur um seine Karriere sondern er befürchtet in Den Haag angeklagt zu werden. Kürzlich wurde Haradinaj in Prishtina von Vertretern des Tribunals zwei Tage lang „befragt“. Von dem Posten des „Ministerpräsidenten“ erhofft sich Haradinaj eine gewisse Sicherheit. Der UNMIK ist das sehr willkommen, will sie doch Leute im Protektorat, die alles abnicken. Mit der LDK wurden hierbei bereits positive Erfahrungen gemacht, wenn jetzt noch ein ehemaliger hochrangiger UCK-Kommandeur als Hiwi zu Verfügung steht, dann ist das für die UNMIK gut und nicht schlecht. Das Spiel teile und herrsche, kann im Protektorat fortgesetzt werden. Dies findet statt, obwohl die UNMIK selbst Umfragen publiziert, in denen ihre Herrschaft immer negativer beurteilt wird. Die meisten Kosovaren nennen die UNMIK ARMIK, was Feind heißt.

Ausblick und Prognose

Am Donnerstag den 18.11.04 äußerte sich Sören Jessen-Petersen, der UN-Verwalter in Kosova, er begrüßte den Abschluß der Koalitionsverhandlungen. Zu Haradinaj sagte Petersen: „Wenn ich mich gegen diesen Kandidaten ausspreche, spreche ich mich gegen die Demokratie aus“. Es ist in der Tat bezeichnend, wie unverfroren der Protektoratsherr das Wort „Demokratie“ in den Mund nimmt. Einerseits arbeiten die Behörden der UNMIK in Kosova nach dem Motto: „Wir tun alles, um den Kampf der UCK mit den Massenmorden der serbischen Soldateska gleichzustellen, indem wir nur gegen UCK- Kommandanten ermitteln, aber nicht gegen serbische Offiziere und Paramilitärs im Zeitrahmen Frühjahr 1998 bis März 1998, andererseits, wenn es uns politisch nützt, ignorieren wir dies“. Kosova wird eine absolut unterwürfige ideenlose Regierung erhalten. Diese Regierung wird kein langes Zeitfenster haben. Die Koalition aus LDK, AAK sowie der „Albanischen Christlichen Partei“, den Vertretern der türkischen und bosnischen Partei, sehen sich einer starken Opposition gegenüber. Diese besteht aus der PDK, ORA, LPK und den serbischen Abgeordneten. Auch die Askahli und die Roma-Partei beteiligen sich nicht an der Regierung. Wesentlich bedrohlicher für die UNMIK Herrschaft im Land ist die enorme soziale Unzufriedenheit der Bevölkerung. Nicht umsonst lag die Wahlbeteiligung am 23. Oktober bei nur noch knapp 53%. Die Menschen im ärmsten Gebiet in Europa mißtrauen einem Parlament, das mittels eines „Gesetzlichen Rahmens“ der vollständigen Kontrolle durch die Protektoratsmacht unterliegt. Das Pulverfaß Kosova kann jederzeit explodieren, allerdings stellt sich die Frage, in welche Richtung der Knall geht. Denn bis auf kleine linke Gruppen gibt es keine relevante Kraft, die für wirklichen Fortschritt steht.


Quellen: Radio DW Albanisch 19.11.04 Koha Ditore 20.11.04 Epoka E Re 19.11.02

Erläuterungen
LDK= Demokratischer Bund Kosovas, die LDK hat 47 Abgeordnete
AAK= Allianz für die Zukunft Kosovas, die AAK stellt 9 Abgeordnete
PDK= Demokratische Partei Kosovas, die PDK hat 30 Abgeordnete
ORA= Bürgerbündnis Stunde, die ORA stellt 7 Abgeordnete
LPK= Volksbewegung Kosovas, die LPK hat 1 Abgeordneten

Das Parlament Kosovas hat 120 Abgeordnete. 10 Sitze sind für die serbische Minderheit reserviert und weitere 10 Sitze für die Vertreter anderer nationaler Gruppen.
Enverismus= Bezeichnung für die Anhänger Enver Hoxhas albanischer Parteiführer bis 1985
 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 21.11.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.