Pierers Abschied, Siemens mit Rekordgewinn

von Max Brym
11/04

trend

onlinezeitung

Siemens Chef Heinrich von Pierer beendet seine Laufbahn mit einem Rekordgewinn. Das Ergebnis des Konzerns stieg im abgelaufenen Geschäftsjahr um 39% auf 3,41 Milliarden Euro. Dennoch reagierte die Börse relativ abwartend, die Siemens Aktie verbesserte sich nur leicht. Operativ erzielte der Konzern mit knapp fünf Milliarden Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr 2003/04 (30. September) einen gewaltigen Gewinn. Allerdings lag der Umsatz von Siemens mit 75,17 Milliarden Euro nur um ein Prozent höher als im Geschäftsjahr 2003.

Der Profit des Konzerns ergibt sich im wesentlichen aus der gestiegenen Produktivität mit einer zahlenmäßig verringerten Belegschaft. Siemens verstand es im vergangenen Jahr die Belegschaft zu reduzieren und somit den Ausbeutungsgrad der Beschäftigten zu erhöhen. Im Geschäftsbericht betont die Geschäftsleitung ständig „ihre Erfolge im Kampf gegen die hohen  Lohnkosten“. In der Tat, Siemens baute Personal ab und war im Lager des Kapitals Vorreiter im Kampf um unbezahlte Mehrarbeit. Dabei kungelte Pierer erfolgreich mit Stoiber, der unbezahlte Mehrarbeit von den Beamten verlangte. Ansonsten ist der scheidende Siemens Boß ein Freund Gerhard Schröders. In der „Financial Times Deutschland“ schrieb Pierer Anfang Oktober: „Mit der Agenda 2010 hat Kanzler Gerhard Schröder die Grundlage für den Wiederaufstieg Deutschlands geschaffen.“ Der Unternehmer Jürgen Heraeus sagte über Schröder nach einem gemeinsamen Chinatrip den auch Pierer mitmachte: „Das ist brillant, wie er das anstellt.“ Die „Brillanz“ Schröders besteht darin deutschen Kapitalisten die Tür für Investitionen und Warenexporte zu öffnen. Der Standort China (der  Mindestlohn wurde in China gerade auf unter 60 Cent die Stunde gedrückt) ist ein Reklameposten auf dem Parkett um die Siemens Aktie zu verhökern. Potentiellen Anlegern soll klargemacht werden, dass Siemens in der Lage ist, durch Lohndrückerei weltweit und im Heimatbiotop Deutschland seine Problemzonen in den Griff zu bekommen. 

„Handysparte“ als Problem 

Im Bereich Handys und Festnetztelefone schrieb Siemens im vergangenen Geschäftsjahr keine schwarzen Zahlen. Die Mobiltelefone mußten aufgrund eines Softwarefehlers im Bereich der neuen 65er Serie im vergangenen Quartal zurückgerufen werden. Dadurch entstand ein Verlust von Juli bis September von 141 Millionen Euro, der Verlust ist in dieser Sparte im Geschäftsjahr mit 152 Millionen Euro beziffert. Abgesehen von den technischen Problemen macht Pierer in der „Süddeutschen Zeitung“ das „schwierige Marktumfeld“ für die Probleme verantwortlich. Pierer rechnet bei diesen Produkten nicht „mit einer schnellen Rückkehr in die Gewinnzone“. Das ist auch nicht zu erwarten, denn es gibt auf dem Weltmarkt die Realität, dass die Produzenten die von ihnen produzierten Waren nicht mehr kaufen können. Die Möglichkeit Handys und Telefone zu produzieren steht in keinem Verhältnis zur gegebenen Kaufkraft. Auf den enger gewordenen Märkten wird schärfer um die latenten Kunden gekämpft. Pierer gibt seinem Nachfolger Klaus Kleinfeld deshalb folgenden Rat mit auf den Weg, „die Produkte müssen technisch besser werden billiger angeboten werden und der Kostenfaktor Lohn muß sinken“. Diese typisch kapitalistische Krisenlösungsstrategie, die jeder Kapitalist anwenden muß, verschärft nur den Widerspruch zwischen gesellschaftlicher Produktion und privatkapitalistischer Aneignung. Die Erscheinungsform dieses Widerspruches ist der zwischen Planung und Organisation, der Produktion in der einzelnen Fabrik und der Anarchie auf dem Markt. Dazu kommen Nebeneffekte und technische Fehler in einzelnen Bereichen, die einen bestimmten Konkurrenten begünstigen. Die Verkehrstechnik machte wegen Rückstellungen für fehlkonstruierte Straßenbahnen einen Verlust von 434 Millionen Euro. Angenommen der Firma Siemens wären diese Pannen nicht passiert, so würde das kein Jota an dem Druck auf die Arbeiter und Arbeiterinnen ändern. Das belegt ein Blick auf die erfolgreichen Segmente der Firma Siemens.

Automatisierung (A&D), Kraftwerkstechnik (PG), Medizintechnik (Med)

Die Produktion von Automatisierungstechnologie (A&D) ist im Hause Siemens ein äußerst erfolgreicher Zweig, ebenso wie die Kraftwerkstechnik und die Medizintechnik. Von diesen Erfolgen haben die Beschäftigten bei Siemens nichts. Die kapitalistische Entwicklung erheischt unter der Peitsche der Konkurrenz, die Ersetzung von lebendiger Arbeitskraft durch tote vergangene Arbeit in Gestalt von Maschinen. Die Einzelkapitale erhoffen durch den Einsatz von Maschinen, die beispielsweise einen Getränkeabfüller in die Lage versetzen, statt 10.000 Getränken in der Stunde 20.000 Getränke abzufüllen, Extraprofite. Diese Extraprofite verwandeln sich letztendlich in ihr Gegenteil. Der Konkurrent wird nachziehen und die Leute deren Kaufkraft sinkt, können sich nicht an Limonade totsaufen. Der Extraprofit ist eine kurzfristige Angelegenheit, die organische Zusammensetzung des Kapitals ist auf Kosten der lebendigen Arbeit gestiegen. Zwar nimmt die Profitmasse (wie am Beispiel Siemens gezeigt werden kann) zu, aber die Profitrate nimmt ab. Es ist immer mehr Kapital nötig, um die Profitrate selbst in den rentablen Bereichen zu halten. Das muß den Druck auf die Arbeiterschaft erhöhen, denn das Kapital hat nur einen Daseinszweck, sich maximal selbst zu verwerten. Natürliche Vorteile wie den, dass in immer kürzerer Zeit immer mehr Produkte produziert werden können, kommen der Gesellschaft nicht zu gute. Die Produktionsmittel sind Kapital und Maschinen die Kapital sind müssen im Profitinteresse des Kapitals nach Möglichkeit rund um die Uhr laufen. Diese Aufgabenstellung gibt Herr von Pierer seinem Nachfolger mit auf den Weg. Gleichzeitig den Rat, „Die Siemenskultur gegenüber der Belegschaft weiter zu pflegen“, ergo den Appell an die Arbeiter doch gefälligst schlanker, schneidiger und bescheidener für das Siemenskapital zu schuften. Sollte das alleine nicht ausreichen, dann gilt es den Beschäftigten mit „Standortverlagerungen“ zu drohen, um Lohnkürzungen und Personalabbau durchzusetzen.

Der Staat und die Firma Siemens

Heinrich von Pierer weiß, was er am bürgerlichen Staatsapparat hat. Siemens ist auch ein Rüstungsunternehmen. Aufträge der Bundeswehr erhält Siemens zum Vorzugspreis und Siemens ist bei der Schaffung einer europäischen Armee im Geschäft. Der Hauptkonkurrent von Siemens, General Electric, hat keinen nennenswerten Anteil an diesem Geschäft in Europa. Der Global Player Siemens benötigt für seine weltweiten Ambitionen das nationale Heimatbiotop. Natürlich sitzt Siemens im Flugzeug, wenn Schröder nach China oder Rußland fliegt. Die rentable „Kraftwerkstechnik“ lebt stark von nationalstaatlichen Grundsubventionen und der deutschen Diplomatie. Um auf dem Weltmarkt erfolgreich zu sein, muß Kapitalstärke existieren und ein starker Staat zur Verfügung stehen der unwilligen Gebilden klar macht, wo es lang zu gehen hat. Die Geschäftsfelder Kraftwerkstechnik und Medizintechnik sollen nach Pierer schwerpunktmäßig in Staaten wie „China, Rußland und den Vereinigten Staaten erweitert werden“. Deshalb begrüßt das Haus Siemens als bedeutende Kraft innerhalb des deutschen Kapitals, die „Männerfreundschaft“ zwischen Schröder und Putin sowie das gute Verhältnis zu China und betrachtet besorgt „isolationistische und protektionistische Tendenzen in den USA“. Das rentable Geschäftsfeld Medizintechnik wird zusätzlich für den Kampf um den Weltmarkt fitgemacht, indem Siemens in Deutschland imstande ist, monopolistische Preise durchzusetzen. Bezahlt wird dies u.a. durch eine „Gesundheitsreform“, die einfache Menschen zur Kasse bittet, aber nirgendwo wird die hohe Profitrate im Segment der medizinischen Technologie zur Debatte gestellt.

Quellen: SZ-12.11.04 Handelsblatt 12.11.04 FTD 13.11.04     

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 15.11.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.