Satan erteilt Flugverbot

von
Bernhard Schmid
11/04
 
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Die Regierung der Côte d‘Ivoire will mit antifranzösischen Parolen und einer rassistischen Mobilisierung gegen die Bewohner des Nordens ihre Macht erhalten. Frankreich bombardierte und zerstörte die Luftwaffe des Landes.  

War es politische Eskalationsabsicht? Ein Versehen mit schweren Konsequenzen? Oder ein Ausdruck schwelender Machtkämpfe in der politischen und militärischen Hierarchie der Côte d‘Ivoire (Elfenbeinküste)? Fest steht, dass am vorletzten Samstag eine 250 Kilogramm schwere Fliegerbombe der ivoirischen Luftwaffe neun französische Soldaten und einen US-amerikanischen Zivilisten, Mitarbeiter einer NGO, in einem Camp bei Bouaké tötete und 38 Franzosen verletzte.  

Bekannt ist ferner, dass Frankreichs Präsident Jacques Chirac noch am selben Tag anordnete, nahezu die gesamte ivoirische Luftwaffe zu zerstören. Und so bombardierten die Franzosen am Abend des 6. November sieben Fluggeräte der Armee des westafrikanischen Staates: die beiden Sukhoi-Jagdflieger aus russischen Beständen, die um die Mittagszeit Bouaké überflogen hatten, sowie zwei weitere Flugzeuge und fünf Helikopter. Alle wurden zerstört - damit bleibt der Luftwaffe von Präsident Laurent Gbagbo, dem auch ein Privatflugzeug abhanden kam, nur noch eine einzige Maschine übrig, ein Mi 24-Kampfhubschrauber. Bei den Luftangriffen sollen auch drei Personen getötet worden sein.  

WIE KAM ES ZUR MILITÄRISCHEN ESKALATION?  

Dabei hatte, nach übereinstimmender Darstellung verschiedener Pariser Presseorgane, die politische Führung der Côte d‘Ivoire die französische Staatsspitze vorab von ihrer bevorstehenden Großoffensive gegen die "Forces Nouvelles” (FN, Neue Kräfte), wie die ehemaligen Rebellentruppen im Norden des Landes seit 2003 neutral bezeichnet werden, unterrichtet. Und Paris hatte demnach mehr oder weniger grünes Licht dazu erteilt.  

Die auf Satire und investigative Untersuchungen spezialisierte Wochenzeitung 'Le Canard enchaîné' berichtete so am vorigen Mittwoch, die beiden Staatschefs Jacques Chirac und Gbagbo hätten drei Tage vor dem folgenreichen Bombardement von Bouaké miteinander telefoniert. Dabei habe Chirac den afrikanischen Präsidenten lediglich vor "jedem Ausrutscher gegen französische Staatsbürger und das Leben von Franzosen” gewarnt, was dieser wiederum als generelle Zustimmung zu der geplanten Angriffswelle auf die Nordhälfte der Côte d‘Ivoire interpretiert habe. Am folgenden Tag startete die ivoirische Armee ihre Attacken.  

Die eher konservativ orientierte Boulevardzeitung 'France Soir' vom selben Tag schreibt ihrerseits ergänzend, an jenem Vortag der militärischen Offensive habe in Yamoussoukro - der administrativen Hauptstadt des Landes, die aus dem einstigen Geburtsdorf des früheren Präsidenten Félix Houphoet-Boigny hervorging - eine gemeinsame Sitzung des Generalstabs der ivoirischen Armee und der Offiziere der 'Opération Licorne' (Operation Einhorn) stattgefunden. Auf diesen Namen hört die im Vorjahr gestartete Mission der französische Armee zur "Sicherung des Waffenstillstands” zwischen Regierungstruppen und Rebellen in der Côte d‘Ivoire: Frankreich hat in diesem Rahmen derzeit 5.200 Mann in dem afrikanischen Staat stationiert, neben 6.012 Soldaten der UN-Truppe für die Côte d‘Ivoire ONUCI.  

Darüber und über die angekündigte Offensive gegen die Rebellen seien die Pariser Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie ("MAM”) und Chirac in Echtzeit unterrichtet worden. Die Pariser Abendzeitung 'Le Monde' dagegen berichtet, Chirac habe seinem Amtskollegen Gbagbo am Telefon allenfalls ein "orangenes Licht" für die Armeevorstöße gegeben und ihn zugleich vor einem "Boomerangeffekt" gegen seine Regierung gewarnt. Derselben Quelle zufolge haben französische Militärs zwei Marschkolonnen der Forces armées nationales de Côte d‘Ivoire (FANCI), wie die regulären Streitkräfte des Landes heißen, auf ihrem Weg nach Norden gestoppt. Ferner seien Mirage F1-Kampfflugzeuge aus Frankreich nach Libréville im äquatorialafrikanischen Gabun verlegt worden, die mit Luft-Luft-Raketen für den eventuellen Einsatz gegen Flieger ausgerüstet seien. Aus derselben Quelle geht aber ebenfalls hervor, dass die französische Armee erst nach der Bombardierung ihrer eigenen Stellung, ohne Absprache mit der UN-Truppe, aktiv in das Geschehen einzugreifen begann.  

DER ANGRIFF AUF DIE FRANZOSEN: KOLLATERALSCHADEN ODER ESKALATIONSWUT?  

Alle Protagonisten, die derzeit in Politik und Medien zu Wort kommen, geben inzwischen an, nicht von einer Absicht seitens von Präsident Gbagbo zur Bombardierung der französischen Stellung auszugehen. Ein durch 'France Soir' zitierter französischer Offizier spricht von einer "Panne"; so lautet auch die offizielle ivoirische Position. Der UN-Botschafter des Landes, Philippe Djangone-Bi, hat die Durchführung einer "unabhängigen Untersuchung" gefordert, die dies bestätigen solle. In einem Interview mit der 'Washington Post' vom vorigen Freitag zog Präsident Gbagbo allerdings die Existenz der getöteten Franzosen generell in Zweifel: "Ich habe keine Leichen gesehen, ich habe nichts gesehen"; in Wirklichkeit gehe es Paris nur darum, seine Autorität zu sabotieren.  

Dagegen sprach die französische Staatsführung zunächst von einer bewussten Handlung. Am Freitag (12. 11.) schrieb 'Le Monde' dann aber, der Elysée-Palast und das Außenministerium gingen davon aus, dass Gbagbo "bestimmt nicht" Order zum Angriff auf die französische Stellung gegeben habe. Der Generalstabschef Henri Bentégeat seinerseits wird mit der Auffassung zitiert, er denke nicht, dass Gbagbo "persönlich" eine entsprechende Anordnung gegeben habe, was keinen Sinn ergäbe. Dennoch sei er "in einem Punkt sicher: dieser Angriff war gewollt, beabsichtigt", und er fordere eine Untersuchung. Im Prinzip bieten sich daher zwei Varianten zur Interpretation. Entweder könnte es sich tatsächlich um einen "Kollateralschaden" beim Angriff der FANCI auf Bouaké, wo sich das Hauptquartier der Rebellenarmee unter Guillaume Soro befindet, handeln. Oder aber extremistische Kräfte innerhalb des Staatsapparats, die sich zu verselbständigen beginnen, sind der Kontrolle durch die aktuelle politische Führung entglitten.  

Zu solchen Kräften zählt höchst wahrscheinlich der einflussreiche Präsident des ivoirischen Parlaments und Wirtschaftsprofessor an der Universität in Abidjan, Mamadou Koulibaly, der noch am vorletzten Wochenende die Franzosen wortradikal mit einem Desaster in der Côte d‘Ivoire, "schlimmer als Vietnam" für die US-Amerikaner, bedrohte. Koulibaly steht der Bewegung der 'jeunes patriotes' (Junge Patrioten) nahe, die von Charles Blé Goudé angeführt wird, dem selbsternannten "Präsidenten der Straße". Diese Milizen haben sich zu einer parallelen Machtstruktur entwickelt, die von den 'Licorne'-Soldaten eindeutig mehr gefürchtet wird als die loyalen Militärs der FANCI, deren Chefs oftmals in französischen Offiziersschulen ausgebildet wurden.  

IM HINTERGRUND: DIE ETHNISIERUNG GESELLSCHAFTLICHER VERTEILUNGSKÄMPFE  

Hintergrund der Konflikte ist die zunehmende Ethnisierung der Auseinandersetzungen in der ivoirischen Gesellschaft. Der weltgrößte Kakaoproduzent und –exportateur hatte in den 70er Jahren einen Wirtschaftsboom erlebt, der vor allem auf der Nutzung billiger Arbeitskräfte aus den nördlichen Nachbarländern Mali und Burkina-Faso beruhte. Doch durch den Verfall der ‘termes of trade‘, der vor allem solche Länder der "Dritten Welt" hart traf, die vom Export einzelner weniger Rohstoffe abhängen, implodierte das Modell. Seit den Jahren 1999/2000 nimmt eine rassistische Aufladung der ivoirischen Politik rapide zu. Damals wurden die Leute aus dem muslimischen Landesnorden durch den dominierenden, christlich-animistisch geprägten Süden faktisch zu Ausländern erklärt, da sie in Wirklichkeit Burkinabés (Bürger von Burkina Faso) seien.  

Die sich ausbreitende Ideologie der rassisch definierten 'Ivoirité' diente am Anfang vor allem der Elite im Süden dazu, den aussichtsreichen Präsidentschaftskandidaten aus dem Norden, Allessandra Ouattara, von den Wahlen auszuschließen. Doch der identitätspolitische Ausschlussmechanismus wurde zum Selbstläufer. Bis dahin war jede zweite geschlossene Ehe eine "interethnische Mischheirat", und 25 Prozent der Bevölkerung stammten ursprünglich aus dem nördlichen Nachbarland. Doch nun entfalteten die national-rassischen Identitätskonstruktionen ein immenses Gewaltpotenzial. Der Prozess hätte dorthin führen können, wo unter ähnlichen Bedingungen (verknappenden Ressourcen und der Monopolisierung des Staatsapparats durch eine schmale Elite, die zur Rettung ihrer Macht eine scharfe Ethnisierung betreibt) der Genozid in Ruanda 1994 begann.  

Doch ab 2002 bremste die, seit der formalen Unabhängigkeit von 1960 stets präsente, Vormacht Frankreich das Regime des Laurent Gbabgo aus: Einerseits wollte Frankreich nicht erneut der Komplizenschaft bei einem afrikanischen Genozid wie jenem in Ruanda beschuldigt werden. Andererseits hätten viele französische Konservative eigentlich gern Ouattara als Präsident gesehen, da der ehemalige Weltbankfunktionär ihnen als Garant wirtschaftlicher "Vernunft" gilt. Frankreich hat ausgeprägte ökonomische Interessen in der Côte d‘Ivoire, die 240 Filialen französischer Großunternehmen und 600 Firmen im Besitz französischer Geschäftsleute zählt. Insbesondere kontrolliert der Pariser Bolloré-Konzern die wichtigste Exportgesellschaft für Kaffee und Kakao, die Häfen und den Holzeinschlag. Gbagbo gilt der französischen Rechten eher als unzuverlässig, da er lange Zeit der Freund der französischen Sozialdemokraten war. Diese brachen erst vorige Woche explizit mit ihm, unter Protest ihre ehemaligen 'Kooperationsministers' (so heißt heute der frühere Kolonialminister) Charles Josselin.  

NACH DEM ABKOMMEN VON MARCOUSSIS  

Dem ivoirischen Präsidenten wurde die Hand geführt, um ihn zur Unterschrift unter die Abkommen von Marcoussis (das den Namen eines Pariser Vororts trägt) im Januar 03 zu drängen. Dieses sah eine faktische Aufteilung des Landes zwischen den nördlichen Rebellen, die vier Monate zuvor einen gescheiterten Putsch betrieben hatten, und der Zentralregierung im Süden vor. Ferner sollten beide zusammen eine "Regierung der nationelen Versöhnung" bilden. Doch diese formal amtierende Regierung unter Seydou Diarra wurde durch Gbagbo, als faktischen Machthaber, marginalisiert und zum Papiertiger degradiert. Gleichzeitig gingen die staatlichen Repressionskräfte mitunter mit brutaler Härte gegen die AnhängerInnen der Opposition aus dem Landesnorden vor; beispielsweise am 25., 26. und 27. März 04 in Abidjan, wo die "Sicherheitskräfte" in Demonstrationen hinein feuerten und über 200 Menschen töteten.  

Die am 30. Juli 2004 in der ghanaischen Hauptstadt Accra geschlossene Übereinkunft sah die Waffenniederlegung durch die Rebellen, die Verabschiedung von zehn Reformgesetzen (insbesondere die Revision der rassistischen Staatsbürgerschaftsdefinition, sowie des Gesetzes zum Bodenbesitz) sowie die Abhaltung von Wahlen im Herbst 2005 vor. Doch von den in Aussicht gestellten Gesetzen wurden nur zwei angenommen. Die FN-Rebellen, die oft ebenfalls autoritär gegen die Bevölkerung vorgehen, ihrerseits behielten ihre Waffen über das im Abkommen "Accra III" vereinbarte Stichdatum des 15. Oktober 04 hinaus. Deswegen erfolgte der Angriff der loyalen Truppen auf die Nordhälfte des Landes ab dem 4. November 04.  

Die Tatsache, dass die ehemalige Kolonial- und derzeitige neokoloniale Hegemonialmacht Frankreich das Teilungsabkommen von 2003 und die "Regierung der nationalen Aussöhnung" maßgeblich inspirierte und durchsetzte, sorgte dafür, dass diese in den Augen eines Großteils der ivoirischen Bevölkerung illegitim erscheinen. Damit lässt sich die rassistische Mobilmachung gegen die Leute aus dem Norden, die als "fünfte Kolonne der Kolonialisten" denunziert werden, trefflich mit der Agitation gegen Frankreich vermengen, das als Projektionsfläche für diverse Frustrationen und (darunter auch berechtigte) Vorwürfe dient. Auch die Regierungspresse wie etwa die Zeitung ‘Notre Voie‘ in Abidjan, das Organ der Regierungspartei ‘Front populaire de Côte d’Ivoire‘, heizen die Stimmung kräftig an. Dort steht beispielsweise zu lesen, die Rebellen im Norden des Landes seien "Hampelmänner in der Hand Chiracs", während es über Frankreich heißt: "Dieses Land könnte seinen Staatshaushalt nicht ohne die Reichtümer der Côte d’Ivoire ins Gleichgewicht bringen. Dieses Land, das die Bevölkerungen der Côte d’Ivoire pauperisiert und dessen Staatsbürger in einem beleidigenden Luxus am Ufer der Ebrié-Lagune leben." (Zitiert nach den Auszügen aus der ivoirischen Presse, die in der französischen Publikation ‘Le Courrier international‘ – deren Hauptaufgabe die Auswertung der internationalen Zeitungen bildet – dokumentiert werden.) Dabei mischen sich im Kern nachvollziehbare Vorwürfe, was die ökonomische Ausbeutung des Landes betrifft, mit einer gegen die individuellen Französinnen und Franzosen gerichteten Hasspropaganda und einer demagogischen Hetze gegen die Rebellen im Landesnorden.  

Daraus entsteht ein politisches äußerst brisantes Gemisch. Es handelt sich also keineswegs um vorrangig rational-politische antikoloniale Proteste, wie insbesondere die Berliner ‚junge Welt‘ (11. November) suggeriert, bei der neutral-wohlwollend lediglich von "Proteste(n)" gegen "massive Präsenz der Pariser Streitmacht" die Rede ist.  

Vorangetrieben wird diese Mobilisierung durch die 'jeunes patriotes', aber auch durch evangelikale und fundamentalistische Fernsehpastoren und ihre, im Land auf ein breites Echo stoßenden, Sekten . Einer von ihnen, Sprecher der Eglise de la parole vivante (Kirche des lebendigen Wortes), gab etwa vorige Woche im Staatsfernsehen zum Besten, Chirac sei "vom Geiste Satans besessen", und das Land müsse "von den Bösartigen befreit werden", da es "in zwei Blöcke aufgeteilt ist, jenen des Teufels und jenen Gottes". Begleitet werden solche Töne von einer offenen rassistischen Hetze. Unterstützung finden die evangelikalen Brandpredigter namentlich auch bei der Präsidentengattin Simone Gbagbo.  

Vor diesem Hintergrund entsteht eine apokalyptische Atmosphäre. Der Rebellenführer Guillaume Soro bezeichnete jüngst in einem Interview mit einem AFP-Journalisten die öffentlichen Medien als 'Radio 10.000 collines' (Radio der 10.000 Hügel), in Anspielung an den Sender 'Radio 1.000 collines', der vor zehn Jahren in Ruanda die Milizen zum Völkermord aufpeitschte.  

Insofern ist tatsächlich nicht auszuschließen, dass sich im Staatsapparat eine Fraktion herausschält, die nicht mehr unter politischer Kontrolle steht und bei der die Dynamik des rassistischen Hasses auch die rationalen strategischen Ziele des eigenen Lagers gefährden könnte. In Ruanda hatten die extremistischen Hutu-Milizen im April 1994 den Staatspräsidenten aus dem eigenen Lager getötet und den Genozid gestartet, der sie derart in Anspruch nahm, dass zugleich die Tutsi-Rebellen an den Landesgrenzen die Eroberung Ruandas beginnen konnten.  

Aber auch die Rebellen ihrerseits zeichnen mancherorts duchaus auch für die Drangsalierung der Bevölkerung verantwortlich. UN-Emissäre fanden in der Zóne unter der Kontrolle der Rebellen, im Norden der Côte d'Ivoire, ein Massengrab. Am 20. und 21. Juni 04 hatten Machtkämpfe und "Säuberungen" unter den Rebellen in Bouaké und Korhogo gut 100 Tote gefordert. Ferner soll die Rebellenarmee sie mindestens 700 Kindersoldaten rkrutiert haben. Viele der Rebellenführer sind keine "Politiker", sondern ehemals sozial marginalisierte Personen oder auch ehemalige Rapmusiker; und träum(t)en oft vor allem davon, mit ihrer Erhebung schnell reich zu werden. Auch die Rebellen glauben im Übrigen nicht an die "Vermittler"rolle Frankreichs, sondern werfen Paris vor, das Gbagbo-Regime im Herbst 2002 vor dem Untergang bewahrt zu haben: Hätte Frankreich sich damls nicht dazwischen gestellt oder Gbabgo zum Überleben verholfen, so meinen sie, dann wären sie seinerzeit bis in die Metropole des Südens, Abidjan, durchmarschiert und hätten die bestehende Staatsmacht hinweggefegt. Auch dabei steckt einiges an ideologischem Mythos mit im Spiel, wenngleich Paris damals tatsächlich tendenziell Gbabgo unterstützt hat.  

DOPPELSPIEL DER MACHT ODER RUANDISCHES SZENARIO?  

Ein ähnliches Schicksal wie seinem 1994 getöten ruandischen Amtskollegen Juvénil Habyarimana droht dem Präsidenten Gbagbo derzeit wohl nicht, der geschickt auf der aufgeheizten Stimmung im Lande surft - aber die Mobilisierung bisher immer dann zurückdrehen verstand, wenn sie realpolitisch kontraproduktiv zu werden drohte. Die Frage ist dennoch, wie lange er dieses Doppelspiel zum Zwecke seiner Machtsicherung durchhalten kann.  

Ab dem Wochenende des 6./7. November eskalierte die Straßenmobilisierung zunächst, im Anschluss an die Zerstörung der ivoirischen Luftwaffe vom Samstag. Eine Menschenmenge zog los, um den Flughafen von Abidjan zu besetzen, der von den Franzosen militärisch kontrolliert wird; sie wurden jedoch durch deren Armee aufgehalten. Zugleich belagerte und bedrohte ein Lynchmob einige der insgesamt noch 15.000 im Lande lebenden Franzosen, von denen 8.000 die doppelte Staatsbürgerschaft innehaben - vor dem wirtschaftlichen Abstieg des Landes waren es 50.000. Einige von ihnen sind Mitarbeiter der Großkonzerne, die das Land ausplündern; andere dagegen sind einfache Restaurantbesitzer, schlichte Afrikaliebhaber oder mit IvoirerInnen verheiratet. Ihnen schallen nun regelmäßig Schreie entgegen, in denen sich die Rufe "schmutzige Franzosen" und "dreckige Kolonialisten" miteinander mischen. Nach Angaben des Pariser Außenministeriums kam es dabei nicht zur Tötung von Franzosen, aber zu mehreren Dutzend Fällen von Vergewaltigung. Bis zum Wochenende wurden etwa 3,700 Franzosen aus dem Land evakuiert; das französische Außenministerium sprach davon, 5.000 westliche Staatsbürger hätten Côte d’Ivoire verlassen.  

Um die Demonstranten und "Patrioten" vom Vormarsch auf den Flughafen aufzuhalten und um zugleich französische Staatsbürger zu schützen, feuerte französisches Militär an mehreren Orten auf die Menge. Dabei kam es zu 37 Toten laut 'France Soir', anderen Quellen (wie dem ‘Figaro‘ vom 10. November) zufolge dagegen zu über 50 Toten. Die Hetzmedien des Landes verfügen damit über ihre Märtyrer, von denen es immer wieder heißt, sie seien "mit bloßen Händen" marschiert. Das hämmert etwa die Regierungszeitung ‘Notre Voie‘ mehrmals pro Artikel ihren LeserInnen in die Köpfe, die demagogisch fragt: "Wird Frankreich diese Millionen Männer, Kinder und Frauen töten, die bereit sind, für den zu sterben, den sie gewählt haben? Denn das Volk der Côte d’Ivoire, das solidarisch zu seinem Präsidenten steht und sich total engagiert, um eine neue Kolonisierung zu vermeiden, dieses Volk ist eine ganze Nacht lang (Anm.. jene vom 6. zum 7. November) marschiert, um die Werte zu verteidigen, an die es glaubt. Es ist nicht bereit, gegenüber Frankreich und seinen Mördern nachzugeben."  

Gleichzeitig kam es an einigen Orten auch zu unkontrollierten Entlasungen von Gewalt, und möglicherweise Pogromen. Die Rebellen im Norden geben jedenfalls an, in der westlichen Landeshälfte und besonders in Gagnoa (nordwestlich von Abidjan) seien 50 bis 60 Menschen aus der nördlichen Côte d’Ivoire sowie aus Burkina Faso, die dort auf den Kakaopflanzungen arbeiten, durch Angehörige der Ethnie der Bété getötet worden. Ihr gehört auch Präsident Laurent Gbagbo an, weshalb diese Ethnie durch die Staatsmacht begünstigt wird und diese wiederum unterstützt. Denselben Angaben zufolge sollen am 9. November ein Dutzend von Passagierbussen à 70 Plätze durch mobilisierte Bété angemietet worden sein, die damit nach Abidjan gefahren seien, um das Präsidentenlager zu unterstützen, bei Bedarf mit Gewalt. 10 weitere solcher Busse sollen in die südivoirische Hafenstadt San Pedro gefahren sein, wo der Kakao verschifft wird. In einigen Landesteilen, so nördlich der Metropole Abidjan, sollen Straßensperren der ‘jeunes patriotes‘ errichtet worden sein.  

BERUHIGUNG UND ERNEUTE VERBALE ESKALATION  

Ab dem Dienstag (9. November) gab es dann aber gemeinsame Patrouillen von französischen, ivoirischen und UN-Soldaten in Abidjan, um die Lage zu beruhigen. Frankreich erklärte, es habe keinerlei Absicht, Gbagbo zu stürzen. Das ivorische Regime hat einen erneuten Schwenk im Wechselspiel von Agitation und Realpolitik eingeschlagen. Es fragt sich, wie lange das gut geht.  

Das Verhältnis zwischen Frankreichs Präsident Jacques Chirac und dem ivoirischen Staatschef Laurent Gbabgo hat sich in den letzten Tagen erneut angespannt. Chirac sprach am Sonntag (14. November) in Marseille öffentlich von einem "zweifelhaften Regime" in Côte d‘Ivoire; es komme nicht in Frage, die französische Armee aus dem Land zurückzuziehen. Dagegen beschuldigte Gbagbo diese in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung ‘La Republicca‘, "in die Menge geschossen" und über 60 Ivoirer getötet zu haben. Er selbst, so Gbagbo, werde durch die Franzosen "zu einem Märtyrer gemacht".  

Zugleich ernannte Gbagbo den Oberst Philippe Mangou, der die Offensive gegen die Rebellen im Norden - bei der auch die neun französische Soldaten getötet wurden – vom 4., 5. und 6. November leitete, zum neuen Armeechef.  

Am Wochenende des 13./14. November, an dem im muslimischen Norden der Côte d’Ivoire das Fest zum Ende des Fastenmonats Ramadhan begangen wurde, ließ die Staatsmacht in Abidjan dem Landesnorden erneut den Strom abdrehen. Bereits in den Tagen vom 2. bis zum 11. November hatte der Norden unter einer Elektrizitätssperre gelitten.  

REAKTIONEN DER POLITISCHEN KRÄFTE in FRANKREICH: DIE LINKE  

Aber wie reagiert die französische Linke und die Parlamentsopposition auf die französische Verwicklung in die Kämpfe in Côte d’Ivoire?  

Die französische Sozialdemokratie, in deren Reihen der Historiker und jetzige Präsident Laurent Gbagbo dereinst Mitglied war, hat das ivoirische Regime in der jüngsten Krise fallen lassen."Der Parti Socialiste (PS) ist zunehmend enttäuscht worden", befand etwa Pierre Moscovici, ihr früherer Minister für europäische Angelegenheiten. Bisher hatte es aus den Reihen des französischen PS Kritik etwa an der eskalierenden Ethnisierungspolitik in der Côte d’Ivoire gegeben; aber das Regime hatte noch vor wenigen Monaten seine Verteidiger in den Reihen des PS wie etwa den ehemaligen Premierminister Michel Rocard oder den "Parteilinken" Henri Emmanuelli. Nunmehr ist erstmals die Rede von einem expliziten Bruch, dem sich aber der ehemalige "Kooperationsminister" (früher sagte man dazu Kolonialminister) der Regierung Lionel Jospins, Charles Josselin, widersetzte. Der Parteivorsitzende des PS, François Hollande, will Präsident Gbagbo jedenfalls künftig vor allem "als Staatschef und nicht als Sozialisten beurteilen". Noch aber ist die ivoirische Regierungspartei, der Front populaire de Côte d’Ivoire (FPCI) des Laurent Gbagbo, noch Mitgliedspartei der so genannten Sozialistischen Internationalen.  

Im Gegenzug zum Aufgeben der engeren Bindungen an Gbagbo unterstützten und rechtfertigten so gut wie alle Spitzenpolitiker der Partei das Vorgehen der Armee unter dem Oberbefehl Chiracs und suchten in dieser Frage den nationalen Schulterschluss. Der französische Präsident habe "nur seine Aufgabe erfüllt", befand etwa ihr Fraktionsvorsitzender in der Pariser Nationalversammlung, Jean-Marc Ayrault. Kritische Fragen zum französischen Neokolonialismus als solchem sind aus dieser Ecke also nicht zu erwarten.  

Die Parteikommunisten des Parti communiste français (PCF) zeigen sich kritischer gegenüber der französischen Politik. So ist in einem Kommentar der KP-nahen Tageszeitung ‘L'Humanité‘ zwar kritisch vom französischen Neokolonialismus in Afrika die Rede, der einer der Gründe dafür sei, warum Frankreich sich nicht zum glaubwürdigen Vermittler aufschwingen und Frieden zwischen den Konfliktparteien schließen könne. Hinsichtlich der Konsequenzen ist aber nicht die Rede von einem Rückzug der französischen Armee aus Côte d’Ivoire, sondern es heißt, Paris dürfe nicht "allein" die ivoirische Krise zu meistern versuchen, sondern müsse mit den UN zusammenarbeiten.  

Seitens der radikalen Linken stellt die traditionalistisch-proletarische Partei Lutte ouvrière (LO, Arbeiterkampf) auf eher klassische Weise die Forderung "Französischen Imperialismus raus aus Afrika" voran. Die französische Militärpräsenz habe "nie etwas Anderes zum Ziel gehabt, als die Interessen der großen industrie- und Finanzkonzerne Frankreichs zu verteidigen". Deswegen sei es auch nicht verwunderlich, dass die Abwehrreaktionen provoziere, die allerdings durch die Gbagbo-Regierung - die jedoch von Frankreich unterstützt werde -instrumentalisiert seien. Die französischen, militärischen und zivilen, Opfer seien ihrerseits ebenfalls Opfer dieser Politik zugunsten des Großkapitals.  

Die undogmatisch-trotzkistische LCR révolutionnaire (LCR) erinnert in ihrer Erklärung zunächst daran: "Frankreich bleibt eine neokoloniale Macht", und verurteilt die französische militärische und ökonomische Rolle in der Côte d'Ivoire. Gleichzeitig warnt die LCR aber auch vor den gefährlichen Folgen der dortigen Ethnisierungspolitik und verurteilt explizit das rassistische ‘Ivoirité‘-Konzept. Sie fordert eine "ivoirische politische Lösung", die nicht von der Großmacht Frankreich aufgezwungen werden könne, die aber voraussetze, "dass alle Ivoiriens unabhängig von ihrer Religion, Ethnie oder Herkunft das gleiche Wahlrech" hätten. Für den Fall des geforderten Rückzug Frankreichs und einer Beendigung der französischen Intervention, so heißt es, könnten eventuell "andere Nationen der Afrikanischen Union" mit Puffertruppen in der Côte d'Ivoire präsent sein, um die Konfliktparteien auseinander zu halten. Über letztere müsse zudem ein Waffenembargo verhängt werden.  

Editorische Anmerkungen

Diesen Artikel schickte uns der Autor am 14.11.2004 in der vorliegenden Fassung zur Veröffentlichung. Eine Kurzfassung erschien in "Jungle World" vom 17. November 04: