Rezension
Hans-Olaf Henkel entsorgt deutsche Geschichte

von Max Brym
11/04

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Der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel hat ein neues Buch unter dem Titel „Die Kraft den Neubeginns“ geschrieben. Verlegt hat das Werk der Droemer-Verlag. In dem Buch verrührt der frühere Präsident des „Bundesverbandes der Deutschen Industrie“ die Welt mit seiner persönlichen Familiengeschichte. Letztendlich ist die Grundaussage des Buches ein Aufruf zur „Reform des Landes“. Der gelernte Ökonom läßt es als Hobbyhistoriker in dem Büchlein richtig krachen. Nach Meinung von Henkel „hat es den 2. Weltkrieg eigentlich nicht gegeben, sondern nur eine Fortsetzung der Kämpfe des ersten.“ Henkel schlußfolgert, dass Deutschland damit keineswegs die alleinige Schuld für die Greuel des 2. Weltkrieges trage. In Henkels Buch wimmelt es von unzähligen deutschen Opfern, von den Toten des Bombenkrieges über gefallene Soldaten bis zu den „Vertriebenen“. Die nazistische Shoa an den Juden, der Massenmord an sowjetischen Zivilisten und Kriegsgefangenen – all das beschäftigt den Autor höchstens aus einem Grund: „Weil es uns schuldbewußt durch die Welt laufen lasse.“ Der Ökonom Henkel fordert den historischen Schlußstrich, er fordert einen bewußten „Neuanfang“ bezüglich der geschichtlichen Wahrnehmung und der historischen Verantwortung. Henkel befürchtet, „die Lähmung unserer nachwachsenden Generation, was ihnen die Zukunft verbaut.“

Der Standortpropagandist beklagt die „Selbstzerstörung Deutschlands“. Nach der Interpretation Henkels hat diese „Selbstzerstörung Deutschlands nicht mit dem 3. Reich aufgehört, sondern weit darüber hinaus gereicht“. Henkel fabuliert, „ich habe sogar den Verdacht, der Prozeß der deutschen Selbstzerstörung dauert heute noch an, aber darüber will keiner sprechen“. Für Henkel sind die Übeltäter nicht nur die „Terroristen der RAF, sondern die geistige Elite, die dieses Treiben stillschweigend gebilligt oder gar ermuntert hat“. Selbst einige Personen in der Regierung nimmt Henkel nicht von der Kritik aus.

Wie kommt ein Industrieboß auf solche Gedanken?

Gegenwärtig propagiert der „Bundesverband der Deutschen Industrie“ den Kampf um den Standort Deutschland. Das Land müsse flexibilsiert und dereguliert werden, es gelte Abschied zu nehmen „von alten sozialen und ökonomischen Gewohnheiten.“ Das Magazin „Der Spiegel“ begründete vor einigen Wochen den Abbau des Sozialstaates in Deutschland „mit einer notwendigen zweiten Revolution nach der Revolution von 1989 in der DDR“. Völlig zu recht diagnostiziert der Spiegel: „Viele soziale Leistungen waren Reflexe auf die Existenz der sozialistischen Bedrohung“. Den Deutschen wird im Zusammenhang mit der Kampagne um Hartz IV laufend vorgeworfen, „wehleidig zu sein“ und am „Sozialklimbim“ zu hängen. Olaf Henkel geht es in seinem Buch nicht nur um die kalte, auf Basis der wirtschaftlichen Konkurrenz existierenden, Standort- Deutschland-Kampagne, sondern er will der Standortpropaganda etwas Fleisch und Blut und etwas fürs Gemüt mit auf den Weg geben. Die Präsentation der Deutschen als Opfer im 2. Weltkrieg hat für Henkel mehrere Funktionen, das beschworene Leid soll den Sozialkahlschlag in Deutschland erträglich erscheinen lassen. Deshalb soll über das „deutsche Leid“ in der Vergangenheit gesprochen werden, statt über aktuelle Verarmungsprozesse. Gleichzeitig will Henkel ein selbstbewußtes Opferritual inszenieren (längere Arbeitszeiten, drastische Lohnsenkungen, Beseitigung sozialer Leistungen), diese Inszenierung soll mit Stolz und Patriotismus verbunden werden. Der Autor hat begriffen, dass eine nur ökonomistische Standort-Deutschland-Agitation auf Dauer nicht haltbar ist. Nach dem Verständnis Henkels benötigt der „deutsche Michel“ theoretische Rechtfertigungsszenarien um hingebungsvoll für den Standort Deutschland zu schuften. Jedes erinnern an die Verbrechen des Nazismus ist in diesem Zusammenhang kontraproduktiv. Die kalte Logik des ehemaligen BDI-Chefs will keine 100%-ige Ablehnung des Hitlerfaschismus mehr, denn diese Ablehnung gefährdet nach seinem Gusto den „Neubeginn“ und die Ummodelung der deutschen Realität auf das Entschiedenste. Die Erinnerung an die Verbrechen des Hitlerfaschismus kostet Zeit und Geld und befördert permanent gefährliche Gedanken. War doch der Hitlerfaschismus nichts anderes, als die auf die Spitze getriebene Verwertungslogik einer bestimmten Produktionsweise. „Unproduktive Menschen“ wurden der Euthanasie zugeführt und die Juden sowohl für die bolschewistische Gefahr, als auch für die Unwägbarkeiten des Weltmarktes verantwortlich gemacht. Die deutschen Großindustriellen wurden nach 1945 auf die Anklagebank gesetzt, weil sie nachweislich die braunen Massenmördern unterstützten und an Krieg und Vernichtung profitierten. Bis zum heutigen Tag wird die Industrie mit dem Faschismus in Verbindung gebracht. Letztendlich mußte sie eine kleine Summe für Zwangsarbeiterentschädigungen herausrücken. Die Kunstausstellung des Flickenkels in Berlin führte zu größeren innenpolitischen Debatten. Zurecht wurde dem Erben des Nazikriegsverbrechers Flick vorgeworfen, seine Ausstellung sei durch die Profite des Flickimperiums im 3. Reich finanziert worden. Von solchen Dingen will Hans-Olaf Henkel nichts mehr wissen, er will eine ökonomisch gesellschaftliche Erneuerung des Landes inklusive rechtskonservativem Geschichtsrevisionismus.

Hans-Olaf Henkel ist kein Nazi!

In dem Buch finden sich einige Randbemerkungen gegen die Nazis. Man merkt Henkel an, dass ihm Nazis und braune Gruppen zuwider sind. Henkel ist seit vielen Jahren Mitglied von Amnesty International, er leugnet die Untaten der Nazis nicht, er hält sie nur für hinreichend bekannt. Im Sinne des „Neubeginns“ will Henkel nur nicht mehr über nazistische Untaten reden. Ihm geht es tatsächlich darum, die „deutsche Unbeweglichkeit“ aufzubrechen. Ihn stört das Grundgesetz, da es seiner Meinung nach zu viele „Blockademöglichkeiten“ enthält. „Blockademöglichkeiten“ die nach Henkel wegen dem „Parteienstreit“ den Standort Deutschland gefährden. Natürlich agitiert Henkel in dem Buch gegen Tarifverträge und bestimmte gewerkschaftliche Rechte. Henkel muß im Interesse der Profitmaximierung bestimmte Lehren aus der deutschen Geschichte ziehen. Die Kompetenzen der verschiedenen Parlamente, vielfältige Wahlen und die nicht vorhandene Möglichkeit, mittels Notstandsparagraphen zu regieren, wurden geschaffen, mit der Begründung, „wir lernen aus der Geschichte“. Diese Lehren hält Henkel als „Geschäftsmann“ nicht mehr für angebracht. Ihm dauert jeder Entscheidungsprozeß zu lange und er führt die Verzögerungen im politischen Tagesgeschäft und die Rolle der Gewerkschaften auf die „Vergangenheitsbezogenheit“ deutscher Staats und Gesellschaftslehren zurück. Henkel stellt die bürgerliche Demokratie objektiv in Frage, ohne auf eine Reaktivierung nazistischer Strukturen zu setzen. Dieser Spagat führt ihn an die Seite des berüchtigten Ex-CDU- Abgeordneten Martin Hohmann. Er schreibt, „Hohmann hatte nicht diskriminiert, sondern wurde selbst diskriminiert.“ Für Hohmann waren „die Juden“ kollektiv für den Bolschewismus verantwortlich, zusätzlich verglich Hohmann den Bolschewismus mit dem Naziregime. Hohmanns Zielstellung besteht darin, mittels des Antisemitismus den Nazismus zu entlasten. Dabei folgt ihm der ehem. Präsident des BDI. Es bleibt festzuhalten, ein Teil der deutschen Elite rückt immer weiter nach rechts, propagiert Geschichtsverdrängung und die Neuinterpretation historischer Abläufe für das politische und ökonomische Tagesgeschäft. Daran können die offenen Nazis anknüpfen. Befriedigt stellt Udo Voigt, (NPD-Bundesvorsitzender), gegenüber der Berliner Zeitung fest: „Das Klima normalisiert sich, die politische Entwicklung arbeitet uns entgegen“.
 

Editorische Anmerkungen

Max Brym stellte uns diesen Artikel am 01.11.2004 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München.