Antiamerikanismus und die französische Linke: "Kommunistische Patrioten"  

von
Bernhard Schmid (Paris)

11/03    trend onlinezeitung

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Der Begriff des "antiaméricanisme" hat in der französischen Diskussion lange Zeit kaum eine Rolle gespielt. Nicht, dass es den Begriff nicht gäbe oder man sich nichts darunter vorstellen könnte. Er soll eine Haltung beschreiben, die auf systematischer Abwertung aller Aspekte der US-amerikanischen Gesellschaft losgelöst von der konkreten Politik der jeweiligen Regierung beruht und die sich zu einem ideologischen Ganzen verdichtet hat. Doch im politischen Streit, sei es als Vorwurf, als Zuschreibung in kritischer Absicht oder auch als trotzige Selbstbeschreibung, spielte der Begriff in Frankreich bis vor wenigen Jahren keine wichtige Rolle.

Als konservativer Kampfbegriff (zu dem gehört, dass die beiden oben genannten Dimensionen systematisch miteinander vermengt und ineinander verwischt werden) wurde der Vorwurf des "Antiamerikanismus" in Westdeutschland in den 80er Jahren gängig; damals erhob ihn die CDU gegen die parlamentarische Opposition aus SPD und Grünen sowie gegen die außerparlamentarische Friedensbewegung. In Frankreich hatte der Begriff zu jener Zeit jedoch keine Konjunktur. In den sechs Jahren vom 1. Januar 1987 bis zum 31. Dezember 1992 tauchte das Wort "antiaméricanisme" insgesamt 20 mal in der Pariser Abendzeitung "Le Monde" auf. Und dies zumeist im Zusammenhang mit Ländern wie Südkorea, Jordanien und dem Iran; in einem Falle ging es um die Kulturkonzeption des französischen neofaschistischen Front National (FN). Seither kommt der Begriff deutlich häufiger vor: Für die sieben Jahre 1993-1999 ergab eine CD-Rom-Recherche insgesamt 68 Treffer, und in den gut dreieinhalb Jahren seit dem 1. Januar 2000 tauchte der Begriff "Antiamerikanismus" gleich 254 mal auf. Die Debatten um die Anschläge vom 11. September 2001 spielen dabei naheliegenderweise eine wichtige Rolle.

Auch in Frankreich hat ein Teil des bürgerlich-konservativen Lagers inzwischen den "Antiamerikanismus" als Kampfbegriff entdeckt gegen linke Opposition, aber mitunter auch gegen andere konservative Strömungen. So sei hier an das Buch des radikal wirtschaftsliberalen Intellektuellen Jean-François Revel "L"obsession anti-américaine" (2002) erinnert. Darin werden die (gewiss teilweise seltsamen) Reaktionen "in der Mehrzahl der muslimischen Länder, aber auch in bestimmten Ländern des subsaharischen Afrika" auf den 11. September 2001 als Ausdruck des Neids von wirtschaftlich Schwachen erklärt. Es handele sich um "die übliche Ausflucht von Gesellschaften im Zustand chronischen Bankrotts oder Scheiterns, die vollkommen bei ihrer Entwicklung hin zu Demokratie und Wachstum versagt haben und die, anstatt die Ursache dafür in ihrer eigenen Inkompetenz oder ihrer eigenen Korruption zu suchen, die Gewohnheit haben, die Schuld dafür dem Westen im allgemeinen und den Vereinigten Staaten im besonderen anzulasten." (Revel, S. 24). Damit abstrahiert Revel völlig von den internationalen Machtverhältnissen.

Im April 2003 benutzte auch erstmals ein konservativer Regierungschef den Begriff des "Antiamerikanismus", um eine breitere (vorwiegend linke) Oppositionsbewegung zu denunzieren. Anfangs hatte die Pariser Regierung versucht, die ökonomischen und politischen Partikularinteressen Frankreichs im Irak zu wahren und die US-amerikanischen Kriegspläne zu behindern oder verzögern. Entsprechend gab die Staatsführung die Demonstrationen gegen den Irakkrieg im Februar/März als Unterstützung ihrer Aktivitäten im UN-Sicherheitsrat aus. Doch mit Beginn der Kampfhandlungen schwenkte die Regierung um. Nunmehr galt es, das Verhältnis zu den USA zu verbessern, um sich nicht aus der Nachkriegsordnung im Mittleren Osten abgemeldet zu sehen. So warf Premierminister Jean-Pierre Raffarin in den ersten Apriltagen den Anti-Kriegs-Demonstranten pauschal "Antiamerikanismus" vor.

Die KP im Kalten Krieg

Möchte man ernsthaft die Haltung französischen Linken zu den USA untersuchen, dann kommt man an der Geschichte der kommunistischen Partei nicht vorbei. Im Unterschied zur deutschen KPD, die vor 1933 immer wieder auch im nationalistischen Lager nach Bündnispartern suchte (Stichworte Schlageter-Kampagne 1923, "Programm zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" von 1930), war die französische KP bis in die 30er Jahre strikt antipatriotisch ausgerichtet. Hauptgrund dafür war, dass die Komintern eine strategische Entscheidung dahin gehend getroffen hatte, dass Deutschland nach dem Versailler Vertrag als "unterdrückte Nation" einzustufen sei die Agitation sei entsprechend ausnurichten, was der Revolution neue Kräfte zuführen könne während Frankreich als klassisch imperialistische Macht eingestuft wurde. In den Kolonialkriegen der 20er Jahre wurde diese antipatriotische Haltung manifest: Die KP legte eine sehr plakative Unterstützung für Marokkos Rebellenführer Abdel-Krim an den Tag, der gegen Frankreich kämpfte, und baute diesen gar zum Helden auf.

Diese Grundhaltung änderte sich erstmals 1936, als Frankreich unter der Front populaire-Regierung (auf Deutsch sehr grobschlächtig mit "Volksfront" übersetzt, wobei der deutsche Volksbegriff wenig mit dem französischen Begriff "populaire" gemeinsam hat) in die Nähe der Regierungsbeteiligung rückte. Zwar entschied die KP sich zunächst für eine Strategie des "soutien sans participation" (Unterstützung ohne direkte Koalitionsbeteiligung mit Ministern). Dennoch schlüpfte sie von da ab in die Rolle einer "respektablen", "verantwortungsvollen" Partei. Doch 1939, als die KP  fatalerweise! den deutsch-sowjetischen Pakt unterstützte, geriet sie erneut in den Geruch des "Vaterlandsverrats", der ihr auch das Verbot eintrug. Definitiv änderte sich die Haltung der KP zum Patriotismus dann mit der Erfahrung der Résistance gegen die deutsche Besatzung, der sie sich ab 1940/41 anschloss zuerst große Teile der Partei auf eigene Faust, dann (nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR) endlich auch der harte Kern des Apparats. Erst recht änderte sich ihre Einstellung zum Patriotismus und Nationalismus aber mit dem Beginn des Kalten Krieges.

Mit dem ganzen Prestige ihrer führenden Rolle in der Résistance ausgestattet, war die KP in der Nachkriegszeit vorübergehend die stärkste politische Kraft und erzielte 1946 über 28 Prozent der Stimmen. Ende der 40er und Anfang der 50er Jahre verfolgte die Partei eine Polarisierungsstrategie, in der die Charakterisierung politischer Gegner als "(pro-)amerikanisch" eine Schlüsselrolle spielte.

Am Ausgang des Krieges 1944/45 betrachtete die KP, wie alle zu jener Zeit bedeutenden politischen Kräfte in Frankreich, die USA als Verbündeten im Kampf gegen Hitlerdeutschland. In der damaligen weltpolitischen Konstellation fühlten sich die Parteikommunisten vor allem der UdSSR verbunden, doch diese zählte im Jahr 1945 die USA und Großbritannien zu ihren Alliierten auch wenn hinter den Kulissen bereits um die Plätze in der Nachkriegsordnung gerungen wurde, zwischen der KP und bürgerlichen Kräften in Frankreich ebenso wie zwischen den Großmächten auf internationaler Ebene.

Doch die Situation änderte sich mit Beginn des Kalten Krieges Anfang 1947. Am 5. Mai verließen die kommunistischen Minister das Kabinett von Paul Ramadier. Die Ursachen dafür waren die veränderte weltpolitische Situation, die ansteigende soziale Unzufriedenheit in ihrer Wählerschaft (die sich im großen Renault-Streik jenes Frühjahrs ausdrückte) und die Opposition innerhalb der KP gegen den Kolonialkrieg in Indochina die KP-Minister hatten den Kriegskrediten zugestimmt, aber ihre Abgeordneten enthielten sich im Parlament.

Infolge der zunehmenden internationalen Spannungen nahm die sowjetische Führung die wichtigsten westeuropäischen Bruderparteien, d.h. die französische und die italienische KP, unter engere Kontrolle als bisher. Beide wurden im September 1947 nach Polen zu einem geheimen Gipfeltreffen zitiert. Dort wurden sie scharfer Kritik unterzogen: Sie seien zu "Regierungsparteien" geworden und hätten den internationalen Klassenkampf vernachlässigt. Sie bekamen die Aufgabe, sich nun als Bannerträger des "antiimperialistischen Blocks" zu beweisen.

Das bedeutete, dass die beiden größten kommunistischen Parteien außerhalb des sowjetischen Machtblocks vor allem "die Fahne der nationalen Unabhängigkeit empor halten" sollten. Gegen jene politischen Kräfte, die für die Annahme der Wiederaufbauhilfe der USA (der Marshallplan zielte auf einen kapitalistischen Entwicklungsweg in Westeuropa) plädierten, und allen voran die entsprechenden Kräfte in den Reihen der Sozialdemokratie, sei schärfstens zu polarisieren. Mittels der von ihr kontrollierten, damals mit Abstand wichtigsten Gewerkschaft CGT führte die KP im Herbst 1947 aufstandsähnliche politische Streiks durch, in deren Folgen es zur Spaltung der CGT kam. (Fußnote 1)

In jener Phase setzten KP und CGT stark "nationales" Vokabular ein. Symptomatisch dafür ist eine Ausgabe der CGT-Mitgliederzeitschrift La Vie ouvrière (ungefähr: Das Leben des Arbeiters) aus dem Jahr 1949, deren Titelblatt neben zahlreichen anderen Titeln heute im sechsten Stock des CGT-Hauptsitzes in der Pariser Vorstadt Montreuil hängt. Der größte Teil dieser Seite Eins wird von einer Karikatur eingenommen, auf der man zunächst eine am Boden liegende Frauengestalt mit der Aufschrift "Indépendance nationale" (Nationale Unabhängigkeit) erblickt. Über der leidenden Schönen schwebt, einem Ballon gleich, das Antlitz des Finsterlings, der wohl die ruchlose Tat beging: Uncle Sam mit Zylinder in den Farben des Sternenbanners. Doch dem niedergeschlagenen Opfer kommt eine andere Schönheit mit wehendem Haar zu Hilfe, die eine Fackel mit der Aufschrift Mouvement ouvrier (Arbeiterbewegung) trägt. (Die Zeichnung verweist auf einen Artikel, in welchem es um die Rüstungsproduktion in französischen Fabriken für US-amerikanische Kriegsplanungen geht.)

Genau so, wie es hier bildlich dargestellt ist, muss man sich die Argumentation der Parteikommunisten jener Jahre vorstellen. Systematisch wurden politische Gegner der KP als "amerikanisch" dargestellt. Für die Kommunistische Partei wurde mit dem Argument geworben, es gelte den Amerikanern einen Schlag zu versetzen. Folgerichtig kommentierte die Tageszeitung der Partei ihre Ergebnisse bei den Parlamentswahlen von 1951 mit den Worten: "Fünf Millionen Stimmen! Die Amerikaner haben Grund, sich zu fürchten." (Fußnote 2)

Dieser Diskurs gehörte zu einer breiter angelegten Strategie. Die Kommunistische Partei sollte als die überlegene Formation auf allen Gebieten profiliert werden: nicht nur als beste soziale Interessenvertretung der Arbeiter (das verstand sich von selbst) sondern auch als die führende Kraft für den Frieden (da fest im "Friedenslager" im Bündnis mit der Sowjetunion verankert) und als fortgeschrittenste Kraft auf den Feldern der Wissenschaft oder der Kunst.

Die KP als führende patriotische Kraft

Im selben Sinne beanspruchte die KP eben auch, die führende nationale und patriotische Kraft zu sein. Die "Führung der nationalen Interessen" dürfe nicht der Bourgeoisie überlassen bleiben, da diese als niedergehende, zum Untergang verurteilte Kraft gar nicht dazu in der Lage sei. Aufgrund der strukturellen Schwäche sei die Bourgeoisie dazu verdammt, die Hilfstruppen einer fremden Macht in diesem Fall der USA zu spielen. So, wie sie gestern mit den nazideutschen Besatzern kollaboriert habe. Und so, wie vorgestern die Pariser Bourgeoisie lieber mit den preußischen Truppen zusammen die Pariser Commune liquidiert habe, als die Nation zu verteidigen, oder wie die königstreuen Exilanten 1792 die Armeen der europäischen Monarchien gegen das revolutionäre Frankreich aufgestachelt hatten.

Die historische Erinnerung daran, dass sich der bürgerliche Nationalstaat in Frankreich nach 1789 auf revolutionärem Wege konstituiert hatte, verschmolz so mit anderen geschichtlichen Erfahrungen zu der Idee, dass der Patriotismus das Instrument der unterdrückten Klassen bilden könne. Das ist allerdings höchst problematisch, da die geschichtlichen Voraussetzungen nicht mehr dieselben sind. Denn die Bourgeoisie, die (anders als Adel und Klerus) an den Nationalstaat gebunden ist, hat mittlerweile ein ganz anderes Entwicklungsstadium erreicht. Außerdem hat der Nationalismus zwischenzeitlich auch in Frankreich reaktionäre, ja faschistoide Ausprägungen hervorgebracht, die mit den Varianten bürgerlich-revolutionärer Herkunft konkurrieren wie das historische Nebeneinander des Vichy-Nationalismus und des Résistance-Nationalismus zeigt. 

Die Selbstdefinition als führende Vertreterin der politischen Interessen der Nation (die durch die Bourgeoisie im Stich gelassen würden) erlaubte der KP jedoch eine harte Polarisierungsstrategie. Diese sollte dazu dienen, ihre politischen Gegner zu isolieren, indem sie als Steigbügelhalter fremder Interessen und "amerikanischer Kriegspolitik" dargestellt wurden, die sowohl den nationalen Bedürfnissen als auch dem Frieden entgegen stünden.

In der Politik und Ideologie der französischen KP war diese "nationale" Profilierung immer eng an die anderen Aspekte ihrer Strategie gekoppelt  die führende Rolle der Arbeiterklasse, den "wissenschaftlichen Sozialismus" und den Internationalismus, der allerdings faktisch vor allem Anerkennung der Vorherrschaft der UdSSR bedeutete. Aus diesem Grund konnte sich das "nationale" Element der KP-Agitation nicht verselbständigen und nicht zu einem chauvinistischen Diskurs umschlagen. Aber in dem Bemühen, einen möglichst breiten gesellschaftlichen Block unter Führung der KP zu schmieden, zu dessen Grundlagen die Frontstellung gegen die Vertreter "amerikanischer Interessen" zählen sollte, wurden auch potenziell reaktionäre Versatzstücke in die Ideologie dieses politisch-sozialen Blocks aufgenommen.

So zögerten die Parteikommunisten nicht, mitunter auch an dumpfe Ressentiments zu appellieren. Dazu eine Anekdote. Aus Anlass des achtzigsten Jahrestags ihrer Gründung zeigte die KP im Dezember 2000 einige Werbe- und Propagandafilme aus acht Jahrzehnten. Mich frappierte damals ein Kurzfilm, der wohl aus dem Jahr 1954 stammt. Die Handlung ist schnell beschrieben: Ein Unbekannter wird in einer Dorfkneipe vorstellig und will den Anwesenden ein finster anmutendes Gebräu andrehen Coca Cola. Die Kneipengäste betrachten sich das merkwürdige Gesöff, testen es kurz an, erklären dann aber dem unbekannten Gast, dass man guten französischen Rotwein bevorzuge. Der Vertreter wird aus der Gaststätte hinaus komplimentiert. Dieser Appell an das Vertraute und an die Dorfgemeinschaft enthält einige wenig fortschrittliche Implikationen, auch wenn man nicht alle Produkte der Getränke-Industrie mit Jubel zu empfangen braucht (und gute Gründe haben kann, lieber französischen Rotwein zu trinken).

Allerdings war die Opposition gegen kulturelle Einflüsse und Neuerungen (nicht nur) aus den USA bei den französischen Parteikommunisten bei weitem nicht so generell und scharf ausgeprägt wie bei den deutschen. So heißt es im berüchtigten "Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands" der KPD vom November 1952: "Zugleich führt der amerikanischen Imperialismus einen systematischen Kampf gegen die deutsche Nationalkultur. Er möchte sie vernichten, damit die Deutschen vergessen, dass sie Deutsche sind. (...) Er möchte das deutsche Volk dazu erziehen, auf einen einheitlichen deutschen Nationalstaat und auf die deutsche Nationalkultur zu verzichten und die "amerikanische Lebensweise" mit ihrer äußerlichen und primitiven "Kultur" anzunehmen." Entsprechend war etwa in der DDR der frühen 50er Jahre Jazzmusik verpönt (siehe auch die Beiträge von Thomas Haury und Ivo Bozic in diesem Band). Dagegen war die französische KP gegenüber solchen kulturellen Neuerungen in ihrem Alltag durchaus aufgeschlossen. Zählte sie doch avantgardistische Kulturschaffende wie Pablo Picasso (seit 1944 eines ihrer prominentesten Mitglieder) in ihren Reihen. Die Partei versuchte, auch auf kulturellem Gebiet als fortgeschrittenste Kraft zu erscheinen.

Dass der Diskurs der KP trotz aller Liebe zu französischem Rotwein nicht zum Instrument einer nationalen oder europäischen Machtpolitik der herrschenden Elite werden konnte (in Konkurrenz zu den USA), dafür sorgten mehrere Faktoren. So verhinderte die tiefe Klassenspaltung der französischen Politik, dass sich rechte Kreise abgesehen von zugespitzten Krisenzeiten wie während der Résistance mit der Partei hätten verbünden können. Außerdem denunzierte die KP nicht ausschließlich die USA; dieses Grundelement ihrer internationalen Orientierung wurde vielmehr durch zwei weitere fundamentale Punkte ergänzt.

Erstens opponierte die Partei mindestens genauso scharf gegen die Wiederbewaffnung des benachbarten (West-)Deutschland und gegen die Restauration der dortigen Eliten. Diese Abgrenzung war zwar nicht völlig frei von nationalem Chauvinismus, aber sie stand dennoch auf einer soliden antifaschistischen Grundlage. Und sie verhinderte, dass die Abwehrhaltung der KP gegen die US-Politik sie dazu hätte verleiten können, die Herausbildung eines europäischen Machtblocks an ihrer Stelle zu befürworten. Die gemeinsame scharfe Opposition der Kommunisten, der Gaullisten und eines Teils der Christ- und Sozialdemokraten sorgte dafür, dass die geplante Bildung der "Europäischen Verteidigungsgemeinschaft" (EVG), der auch die BRD angehören sollte, am 30. August 1954 im Parlament abgeschmettert wurde.

(Übrigens: Ein wichtiger Unterschied zu den deutschen Parteikommunisten bestand dabei übrigens in der Frage der Haltung zu ehemaligen Nazis. So deklarierte der Münchner Parteitag 1951: "Es ist durchaus möglich und notwendig, mit ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und ihrer Gliederungen sowie mit solchen ehemaligen Berufsoffizieren der deutschen Wehrmacht eine Einheitsfront und den gemeinsamen Kampf für den Frieden zu organisieren, die, getragen von patriotischen Gefühlen, heute gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands und gegen die Hineinziehung Deutschlands in einen neuen Weltkrieg auftreten." Hingegen blieb die französische KP gegenüber bisherigen Faschisten und Kollaborateuren scharf ablehnend.)

Zweitens opponierte die KP gegen die französische Kolonialpolitik, wenngleich nicht zu jedem Zeitpunkt mit der gebotenen Konsequenz (die trotzkistische und libertär-kommunistische Linke ergriff früher klare Positionen). KP-Mitglieder waren schon früh in konkrete Aktionen zur Unterstützung der Befreiungsbewegung gegen die "eigene" Kolonialmacht verwickelt. Der französische Kommunist Fernard Yveton wurde auf Anweisung des "sozialistischen" Justizministers François Mitterrand deswegen geköpft. Der Kommunist Maurice Audin wurde 1957 von französischen Militärs zu Tode gefoltert. Ein weiteres Parteimitglied, der Abgeordnete Henri Alleg, schrieb im selben Jahr La question, worin erstmals einer breiten Öffentlichkeit der massive Einsatz der Folter im "französischen Algerien" dargestellt wurde.

Die radikale Linke kritisierte die KP vor allem wegen ihres Bezugs zum französischen Patriotismus. Die politische Opposition gegen "den US-Imperialismus" gehörte auch in ihren Reihen zur Selbstverständlichkeit. Aber die radikale Linke verweigerte die Unterstützung für französische "nationale" Positionen und warf der KP aus verschiedenen Anlässen vor, chauvinistisch zu sein (etwa, als sie Ende der 70er Jahre gegen eine Aufnahme Spaniens und Portugals in die damalige EG opponierte, aber nicht zugleich Frankreichs Austritt forderte).

Abschwächung der Konzentration auf die USA

Ab etwa 1956 wurde die starke Konzentration auf die "amerikanischen Interessen" seitens der französischen KP deutlich abgeschwächt. Dafür gab es mehrere Gründe. Zunächst wurde mit dem Algerienkrieg sowie dem französisch-britisch-israelischen Überfall auf Ägypten vom Oktober 1956 die "eigene" französische Militärpolitik zum beherrschenden Thema. Die Großmächte USA und die UdSSR hatten im UN-Sicherheitsrat gemeinsam ihr Veto gegen das "Suez-Abenteuer" eingelegt, um London und Paris die alten, absteigenden Kolonialmächte auszubremsen. Darauf ließ sich also keine vorrangige Frontstellung gegen die US-Politik aufbauen. Zudem begann ab 1957, mit dem Amtsantritt Chruschtschows in der UdSSR, die "Tauwetterperiode" zwischen den beiden Blöcken. Auch innenpolitisch kam es zu Veränderungen: Da der General de Gaulle 1958 in Paris die Regierungsgeschäfte übernahm, suchte die KP eine neue "Einheitsfront" mit den Sozialdemokraten zu begründen; dabei durfte deren pro-atlantische Orientierung nicht zum Knackpunkt gemacht werden.

In den 70er und 80er Jahren bot die Frage der Haltung zu den USA unter anderem deswegen wenig Projektionsfläche für eine innenpolitische Polarisierung, für eine Polemik zwischen "Pro-" und "Anti"-Amerikanern, weil die Positionen dazu sich nicht geradlinig entlang einer Links-Rechts-Front aufreihen ließen.

Die konservative Rechte war zwar prinzipiell antikommunistisch und deswegen auf Distanz zum sowjetischen Block bedacht aber es war der regierende Gaullismus, der in den 60er Jahren nach größerem Abstand zu den USA strebte. Die Gründe dafür waren primär außenpolitischer Natur: Durch die Kolonialkriege, vor allem in Algerien und Ägypten, hatte Frankreich stark an Einfluss und Sympathie in Afrika und Asien eingebüßt. Eine neue Politik, die stärker auf die Regime etwa der arabischen Länder zuging und demonstrativ auf Distanz zur westlichen Führungsmacht bedacht war, sollte verlorenes Terrain zurückgewinnen. Im Zuge des Übergangs von klassisch kolonialer zu neokolonialer Einflusspolitik, die auf Kompromisse mit den "einheimischen" Eliten setzte, sollte Frankreich seinen Großmachtstatus wahren. Der Austritt aus der militärischen Integration der Nato unter der Präsidentschaft de Gaulles (1966) oder die berühmte "Rede von Phnom Penh" vom 1. September 1966 in welcher de Gaulle die US-Kriegführung in Vietnam kritisierte waren entsprechende Meilensteine.

Dagegen ist die 1971 neu gegründete französische Sozialdemokratie stärker pro-atlantisch orientiert. Das war übrigens einer der Gründe dafür, warum die "Linksunion" aus Mitterrand-Sozialisten und Parteikommunisten, die 1972 begründet wurde, fünf Jahre später dann doch zerbrach unter anderem deswegen, weil die sowjetischen Verbündeten im Hintergrund François Mitterrand für "außenpolitisch unzuverlässig" erklärten. Der Auftritt des späteren Präsidenten Mitterrand in Bonn 1983, wo er vor dem Bundestag für die Stationierung der US-Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik plädierte, bestätigte die Vermutung, er stehe der US-Politik eher näher als die Gaullisten.

Dieser verschobene Frontenverlauf sorgte dafür, dass die Stellung gegenüber der US-Politik einer innenpolitischen Links-Rechts-Auseinandersetzung kaum Nahrung liefern konnte. Hier liegt wohl einer der Hauptgründe dafür, dass der Vorwurf (oder das Lob) des "Antiamerikanismus" lange Zeit kaum von Bedeutung war.

Der Niedergang der KP

Der Niedergang der französischen KP setzte in den 80er Jahren ein wegen des Prestigeverlusts des "real existierenden Sozialismus" aufgrund der Ereignisse in Polen und Afghanistan, aber auch wegen der erstarkenden Konkurrenz durch die modernisierte Sozialdemokratie und der tiefen Enttäuschung der KP-Wähler über die Bilanz der ersten "Linksregierung" (1981-1984). In den 90er Jahren fiel dann auch noch das weltpolitische Bezugsmodell der Sowjetunion weg. Und ab 1997 beteiligte sich die KP an einer neuen "Linksregierung", die bereits klar unter neoliberalen Vorzeichen stand. Am 21. April 2002 war die KP dann bei ihrem bisherigen Tiefpunkt angelegt: Nur noch gut drei Prozent der Stimmen entfielen auf ihren Präsidentschaftskandidaten Robert Hue.

Dieser Niedergang des Parteikommunismus hat teilweise Affekten und ideologischen Versatzstücken neue Bewegungsfreiheit verschafft, als seien diese bis dahin in einem Eisblock eingeschlossen gewesen, der nun auftaut. Das gilt teilweise, im positiven Sinne, für Ausdrucksformen sozialer Widerständigkeit. Es gilt aber auch für einige der Ressentiments, die lange Zeit durch die patriotische Selbstdefinition der KP etwa in Abgrenzung von den USA umschlossen worden waren.

Nehmen wir als Beispiel den Genforscher Axel Kahn, einen ehemaligen Kommunisten, der von 1960 bis 1977 Parteimitglied war und sich seitdem vom Parteikommunismus entfernt hat, aber einigen seiner früheren politischen Grundsätze treu geblieben ist. Die linksliberale Tageszeitung "Libération" widmete ihm am 26. 6. 2003 ein Portrait. Der Wissenschaftler schilderte dort zunächst seine distanzierte Sympathie für die soziale Protestbewegung gegen die regressive Renten"reform", die Frankreich im Frühjahr 2003 prägte. Darauf fuhr er fort: "Nur zwei Wege bieten sich uns an in der Welt, in der wir leben: Entweder den stärkeren zu kopieren, also die USA, oder zu resignieren. (Š) Wenn die USA die Welt dominieren, dann deswegen, weil Europa von jeder Macht abgedankt hat. Es hat sich entwickelt, indem es nur an seinen Wohlstand dachte, und nicht an seine Armee oder an die Wissenschaft." Von "Verständnis" (wie er sich ausdrückte) für soziale Proteste auszugehen, um beim Beklagen europäischer Dekadenz und der angeblichen Vernachlässigung europäischer Militärpolitik zu landen dieser Weg kann vorgezeichnet sein, wenn man gelernt hat, gesellschaftlichen Fortschritt vorwiegend als Abgrenzung zu den USA zu buchstabieren. So unverblümt wie Kahn würden dies heutige KP-Funktionsträger wohl nicht formulieren, da die Partei im Prinzip gegen eine Militärmacht EU eintritt. Allerdings haben ihre "Realpolitiker" (wie Ex-Transportminister Jean-Claude Gayssot dennoch öfters auf die Konkurrenz mit den USA hingewiesen, um umstrittene EU-Entscheidungen zu rechtfertigen.

Was den KP-Apparat selbst betrifft, so ist offenkundig, dass seine führenden Vertreter infolge der zahlreichen Erschütterungen, welche das Weltbild der Partei in den letzten Jahrzehnten durchmachen musste kaum mehr wissen, was oben und unten ist. Wie viele andere frühere essentials, so wird auch die Frontstellung gegen die USA in entscheidenden Momenten in Frage gestellt  wobei mitunter auch hier das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird.

So anlässlich des jährlichen Pressefests der KP-nahen Tageszeitung (der Fête de l"Humanité), das im September 2001 drei Tage nach den Anschlägen von New York und Washington begann. Aus diesem Anlass erklärte der damalige Parteichef Robert Hue seine Solidarität mit "dem gesamten amerikanischen Volk", "mit allen Bürgern und Bürgerinnen dieses großen Landes", um sodann fortzufahren: "Und mit den Regierenden, die sie sich gegeben haben". Dieses Vermischung zwischen den 3.000 zivilen Opfern der Attentate einerseits, und der Bush-Administration sowie den Führungsleuten des so genannten militärisch-industriellen Komplexes andererseits stieß bei zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern auf Empörung, Pfiffe ertönten nach diesen Worten während der angeordneten Gedenkminuten. Die "Le Monde" (16. 9. 2001) stellte fest: "Die internationale Spannung und die Malaise innerhalb der Partei verderben Robert Hue das Fest." Und die Wochenzeitung "Rouge" der radikal-linken LCR notierte (in ihrer Nummer vom 20. 9. 2001) kritisch: "Es stimmt, dass ein gewisser antiaméricanisme primaire" (d.h. simpler oder primitiver Antiamerikanismus) "stalinistischer und

patriotisch-chauvinistischer Prägung auch in den Reihen der KP zum Vorschein kam, oft gekoppelt mit Zynismus gegenüber den menschlichen Folgen (der Attentate). Aber wenn Robert Hue (...) seine Solidarität neben dem amerikanischen Volk auch der amerikanischen Führung ausspricht, dann ist dennoch eine rote Linie überschritten worden".

Tatsächlich vermochte sich die KP-Führung während des folgenden Feldzugs in Afghanistan an dem Frankreich sich zwar nicht mit Truppen, aber logistisch und durch Entsendung nachrichtendienstlicher Spezialisten beteiligte zu keinem Zeitpunkt klar zu positionieren. So beteiligte sich die Partei zahlreich an der ersten großen Demonstration gegen den Afghanistankrieg am 11. Oktober 2001 in Paris mit der Parole: "Das Parlament soll entscheiden." Das bezog sich darauf, dass der damalige Premierminister Lionel Jospin beschlossen hatte, die französische Beteiligung in Afghanistan ohne Debatte der Abgeordneten über die Bühne zu bringen. Nur leider hatte die KP völlig vergessen, zu präzisieren, was das Parlament denn eigentlich beschließen solle. Andere, offizielle Stellungnahmen waren wenig klarer.

Zweifellos wurde die Lage der KP auch dadurch erschwert, dass sie in den 80er Jahren lange die militärische Intervention der UdSSR in Afghanistan gerechtfertigt hatte, im Namen des Kampfs gegen den islamischen Fundamentalismus. Eine Ablehnung der Intervention führender westlicher Mächte, die ähnlich gerechtfertigt wurde, fiel ihr damit, aufgrund ihres realsozialistischen Erbes, von Anfang an schwer.

Angesichts dieser Ratlosigkeit der Kader stellt sich die Frage, was aus den früheren Wählern und Sympathisanten wird. Welche Orientierung wird ihnen geboten? Wie groß ist das Risiko, dass sich gerade die negativsten Aspekte des früheren KP-Diskurses in ihren Köpfen verselbständigen? Ein Randbereich der früheren Wählerschaft der Partei begann Ende der 80er Jahre, für die extreme Rechte zu stimmen. Dieser Anteil ist insgesamt nicht so bedeutend, wie eine "antitotalitäre" bürgerlich-konservative Propaganda es in den 80er Jahren gerne behauptete, derzufolge es "einen direkten Übergang vom früheren kommunistischen zum jetzigen rechtsextremen Votum" gebe. Das ist Unfug: Die Mehrzahl der heutigen WählerInnen der extremen Rechten kommt von den Konservativen.

Dennoch: Es gibt auch Arbeiter und Erwerbslose, die früher links (und teilweise kommunistisch) wählten, aber jetzt für Le Pen stimmen; dies ist etwa in der Region Nord-Pas de Calais (einem alten Kohle- und Stahlerevier, das heute eine industrielle Krisenregion bildet) ein Faktum. Der frühere Diskurs der KP, der den Fortschritt an die "nationale Unabhängigkeit" koppelte und wirtschaftliche Dominanz gern mit US-Einfluss zusammendachte, hat hier seine schlechtest mögliche Fortsetzung gefunden. Konkretes Beispiel: Die KP propagierte in den 80er Jahren noch die einfach Parole "Produisons français" (Produzieren wir französisch). Das war gegen den Niedergang etwa der französischen Stahlindustrie und gegen zunehmende Produktionsauslagerungen in Billiglohnländer gerichtet, aber in rein protektionistischer und nicht kapitalismuskritischer und vorwärts weisender Form; beschuldigt wurden regelmäßig "amerikanische Trusts" sowie die EG, am Niedergang der nationalen Industrie schuld zu sein. Heute, in der Vorbereitung der Regionalparlamentswahlen vom März 2004, verbreitet der rechtsextreme Front National in der Region Nord-Pas de Calais den  abgewandelten - Slogan "Produisons français, en France avec des français". Also: Produzieren wir französisch, (aber) in Frankreich und mit französischen Arbeitern. Die Abwandlung verleiht dem Slogan eine Wendung, die er früher nicht hatte, nämlich eine rassistischen Stoßrichtung gegen die Beschäftigung von Immigranten. Die Vorlage wurde missbraucht. Aber sie hatte den Missbrauch ermöglicht.

Der vorherrschende Diskurs in Medien und Politik über die so genannte Globalisierung hat in der rechtsextremen Agitation gegen äußere Feinde  "Globalisierungskomplott", "vaterlandsloses Finanzkapital" oder Immigranten eine ideologische Übersetzungsmöglichkeit gefunden. Jedenfalls hat die KP einen Teil ihres Publikums nicht genügend gegen eine solche Überführung sozialen Unmuts in Verschwörungsdenken und Rassismus immunisiert.

Andere linke Kräfte

Das Gros der ehemaligen kommunistischen Wähler und Sympathisanten dürfte dennoch nicht bei Le Pen hausieren gehen. So haben sich viele frühere KP-Anhänger der radikalen Linken zugewandt, die bei den Präsidentschaftswahlen immerhin 10,5 Prozent der Stimmen erhielt.

Deren beiden wichtigsten Parteien, die sich auf den revolutionären Marxismus beziehen, die eher traditionsproletarisch-trotzkistische LO (Lutte Ouvrière, Arbeiterkampf) und die eher undogmatische LCR (Ligue Communiste Révolutionnaire) sind recht unterschiedlich geprägt. LO konzentriert sich traditionell auf die Innenpolitik und auf den Klassenkampf gegen die "eigenen" Patrons und hält sich von internationalen Demonstrationen (wie jener anlässlich des G8-Gipfels in Genua) eher fern, da dies nur vom echten Klassenkampf zu Hause ablenke. Sie hat ihre Kritik deswegen auch nie auf die USA fokussiert.

Dagegen hatte die LCR stets eine stärkere internationale Orientierung. Ein eher gemäßigter oder "realpolitischer" Minderheitsflügel trat etwa während des Irakkriegs 2003 dafür ein, Präsident Chirac unter Druck zu setzen, er solle starker gegen den US-Krieg opponieren. Dagegen betonten eher leninistische oder anarcho-kommunistische Strömungen innerhalb der LCR die Kritik am französischen Imperialismus und dessen Sonderinteressen im Mittleren Osten; deswegen kam ein Appell an Chirac nicht in Frage. Beide genannte Orientierungen prägten nebeneinander die linken Aktivitäten während der Kriege in Afghanistan und im Irak. Dabei kam auch, seitens der radikalen Linken, die Kritik am "eigenen" französischen Imperialismus in der Regel nicht zu kurz. So bei der ersten Pariser Kundgebung gegen den damals noch im Planungsstadium befindlichen Irakkrieg, die am 11. November 2002 im Nordosten der Hauptstadt stattfand. Während ein in Paris lebender US-amerikanischer Hochschullehrer die Außenpolitik seines Landes kritisierte, widmete sich der französisch-libanesische Politikwissenschaftler Gilbert Achcar (den die LCR eingeladen hatte) ganz der Kritik an den französischen Großmachtinteressen im Nahen und Mittleren Osten. Dabei kam die frühere Unterstützung für den geostrategischen Alliierten Saddam Hussein ebenso wenig zu kurz wie der spätere Schwenk, der Frankreich sich am Golfkrieg 1991 beteiligen ließ. Die Kritik am "eigenen" Staat trat also nicht hinter jener an den USA zurück, sondern stand komplementär zu ihm. Um diese Orientierung musste allerdings auch immer wieder gerungen werden. Vor allem traditions-pazifistische und KP-nahe Kräfte (wie die traditionsreiche Friedensorganisation "Mouvement de la Paix") zogen es oftmals vor, in Petitionen Chirac aufzufordern, im UN-Sicherheitsrat besser gegen die Wünsche der US-Adminstration standzuhalten.

Natürlich gibt es auch in Frankreich jene radikalisierten Antiimp-Durchknaller, die so sehr an "Nord" und "Süd" als monolithische Blöcke (statt jeweils widerspruchsreiche und komplexe Gesellschaften) glauben und vor allem in den USA pauschal das Böse erblicken, dass sie über die Attentate des 11. September lautstark jubelten. Allerdings stellten sie nur eine kleine Minderheit in den linken Demonstrationen etwa gegen den Afghanistan- und den Irakkrieg. So etwa die Anhänger der maoistischen Zeitschrift "Albatroz". Sie verteilten auf der Demonstration am 11. Oktober 2001 ein Flugblatt, in dem zu lesen war, bei den Attentaten gegen "die Wolkenkratzer der Hochfinanz in Manhattan" handele es sich "nur um einen neuen Abschnitt in einem alten Krieg, der die Armen den Reichen gegenüber stellt, die Unterdrückten den Unterdrückten". Nur die dekadente Bourgeoisie könne sich über die Toten erregen: "Es gab eine Zeit, als die Bourgeoisie die heroische Geste edel hieß und bereit war, ,das Leben für das Vaterland zu geben". Es gab eine Zeit, da die Bourgeoisie darauf bedacht war, den Adel als dominierende Klasse abzulösen war und schätzte, die Sache sei es wert, ,für seine Ideen zu sterben". Heute hat die dekadente Bourgeoisie keinerlei positiven Werte mehr." Solches Gegeifer ist zum Glück selten anzutreffen.

Aber auch innerhalb des halblinken und eher staatstragenden Spektrums bestehen Akteure und Orientierungsmöglichkeiten, die an frühere "nationale" und allein auf die USA als Negativfigur fixierte Denkmuster anknüpfen. Besonders an einen Teil des Netzwerks Attac ist hier zu denken. So übersetzt der Attac-Vordenker Ignacio Ramonet regelmäßig in seinen Leitartikeln in "Le Monde diplomatique" das Vordringen neoliberaler Politik und sozialer Entgarantierung als "die Amerikanisierung der Welt"; im Frühjahr 2000 überschrieb er ein Editorial entsprechend mit "Amerika in unseren Köpfen".

Der im Dezember 2002 zum neuen Attac-Präsidenten gekürte Jacques Nikonoff (ein ehemaliges Mitglied der KP-Führung) traf am 30. April 2003 mit Staatspräsident Chirac zusammen. Dieser hatte im Vorfeld des G8-Gipfels von Evian eine ganze Spannbreite von NGOs eingeladen; das Spektrum reichte vom Roten Kreuz bis zu Attac und Greenpeace. Chirac war offenkundig auf die Einbindung sozialer Widerstände bedacht. Aus diesem Anlass eröffnete ihm Attac-Präsident Nikonoff: "Herr Präsident, ich wollte Ihnen unsere totale Unterstützung für Ihre Aktion und die Ihres Außenministers während des Irakkriegs ausdrücken." Aber nun möge Chirac doch dieses Handeln bitte auch auf die Innenpolitik übertragen, etwa bei der Renten-, Gesundheits- und Beschäftigungspolitik: "Die Politik in diesen Bereichen bleibt bisher völlig vom angelsächsischen Liberalismus beeinflusst." Zum selben Zeitpunkt waren die regierenden französischen Konservativen und das Arbeitgeberlager dabei, zu zeigen, dass sie gar keinen ausländischen Einfluss benötigen, um wichtige soziale Errungenschaften der Nachkriegszeit zu zerstören.

Zum Glück bleibt eine solche Anbiederung auch in den Reihen von Attac nicht unwidersprochen schon wegen dessen Verflechtung mit kämpferischen sozialen Basisorganisationen, wie der linksalternativen Basisgewerkschaft SUD (bei Post und Telekom) und anderen radikalen Gewerkschaftsstrukturen. Auch auf theoretischer Ebene gibt es Auseinandersetzungen: So träumen Ramonet oder der Gründungsvorsitzende Bernard Cassen vor allem von einer Rückkehr zum sozialstaatlichen Klassenkompromiss im nationalstaatlichen Rahmen, wie er in den 60er Jahren bestand und wie er gegenüber dem von den USA und Großbritannien ausgehenden Neoliberalismus zurück zu erringen sei. Dem widersprach etwa beim großen internationalen Attac-Treffen im Dezember 2000 in Paris der marxistische Intellektuelle Michael Löwy: Der sozialstaatliche Kompromiss jener Zeit habe auch stark repressive Züge gehabt, nicht zuletzt habe die französische Jugend und Arbeiterschaft im Mai 1968 gegen ihn aufbegehrt; und der französische Nationalstaat habe sich damals durchaus nicht im Sinne des Fortschritts der Menschheit verhalten, sondern Kolonialkriege in Algerien und Indochina geführtŠ Daher seien solche Illusionen abzulegen.

Mitunter sind antiamerikanische Orientierungen in sozialen Bewegungen aber auch das Produkt von Fremdzuschreibungen (vor allem der Medien) und nicht von eigenen Aktivitäten. So etwa im Falle des linksalternativen Bauerngewerkschafters José Bové. Er war im August 1999 an der demonstrativen Demontage einer im Bau befindlichen McDonald"s-Filiale im südfranzösischen Millau beteiligt und kam deswegen später drei Monate ins Gefängnis. Bürgerliche Medien machten aus ihm einen "Asterix" im Kampf gegen einen äußeren übermächtigen Feind die US-Esskultur. Nur hatte dies mit Bovés Anliegen nichts zu tun. Seine Bauerngewerkschaft demonstrierte bei McDonald"s in Millau, weil im Sommer 1999 ein transatlantischer Handelskrieg tobte. Die USA wollten die EU dazu zwingen, hormonbehandeltes Fleisch zu importieren und verhängten deswegen Strafzölle gegen französische Käsesorten. Die linken Landwirte ergriffen in diesem Konflikt auf recht materialistische Weise Partei: gegen ein konkretes Handelsinteresse der US-Außenwirtschaft, gegen die Hormonbehandlung, und für den Verkauf von Roquefort-Käse an die Nordamerikaner, der durch Zölle gehemmt wurde. Ansonsten denunziert Bovés Gewerkschaft das "produktivistische und auf aggressiven Export orientierte" Agrarmodell der EU und verteidigt die bedrohten Produzenten in der "Dritten Welt" gegen die Exportinteressen der EU wie der USA. Bové hat auch viele Sympathisanten in den USA. Eine amerikanische Gewerkschaft bezahlte 1999 seine Kaution, und eine Weinbar in Brooklyn trägt seinen Namen.

(Vorläufiges) Fazit

Die beste Garantie gegen ein nationalistisches Abgleiten der sozialen Kritik in Frankreich bleibt die große Fähigkeit zum gesellschaftlichen, zum Klassenkonflikt und die im Vergleich zum deutschen Nachbarland fehlende volksgemeinschaftliche Aufladung der "sozialen Frage". Sozialpartnerschaftliche Herrschaftstechniken, wie sie in Deutschland funktionieren, greifen bisher westlich des Rheins noch nicht hinreichend. So richtig es ist, konkrete Aspekte der US-Politik und ihres Gesellschaftsmodells zu kritisieren, so notwendig wäre es für die französische Linke, eine scharfe Kritik an Deutschland als wesentlicher Macht in einem sich herausschälenden EU-Block zu entwickeln. Und natürlich jene an den eigenen Herrschenden aufrecht zu erhalten.

Anmerkungen:

(1) Vgl. Jean-Jacques Becker: Histoire politique de la France depuis 1945, Armand Collin, 1988/1992, S. 47ff; Marc Lazar und Stéphane Courtois: Histoire du Parti communiste français, Presses universitaires de France, 1995.

(2) Für diesen Beitrag wurden sämtliche Titelseiten der Jahrgänge 1951 bis1956 der KP-Tageszeitung "L"Humanité" ausgewertet.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor stellte uns seinen Artikel in der vorliegenden Fassung für die Nr. 11-03 zur Veröffentlichung zur Verfügung. Sein  Beitrag erschien in leicht gekürzter Form im neuen Sammelband <<Nichts gegen Amerika>>. Dort trägt er den Titel <<Kommunistische Patrioten: (Anti-)Amerikanismus und (Anti-)Kolonialismus in Frankreich>>. Der von Michael Hahn herausgegebene Sammelband heißtl <<Linker Antiamerikanismus und seine lange Geschichte>>. Er erschien Anfang Oktober d. J. im Konkret Literatur Verlag (208 S., 15 Euro).