Le Pen(s) im Anmarsch auf die französischen Regionalparlamente ?

von Bernhard Schmid (Paris)

11/03    trend onlinezeitung

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Le Pen und Auschwitzleugner David Irving

Einmal mehr hat Jean-Marie Le Pen jüngst bewiesen, dass ihm kein Verbündeter zu schmuddelig ist, sofern es sich nur um Blut-und-Boden-Nationalisten, Rassisten oder Antisemiten handelt. Dieses Mal unterstrich er es durch einen gemeinsamen Auftritt mit David Irving, dem wegen Auschwitzleugnung einschlägig bekannten britischen Historiker. Diesen darf man, laut einem Urteil der britischen Justiz aus dem Jahr 2000, als "aktiven Negationisten (= Leugner der historischen Realität der Shoah)", "Antisemiten" und "Rassisten" bezeichnen. Am 23. Oktober dieses Jahres präsentierten Le Pen und David Irving sich gemeinsam einem ungarischen Publikum auf dem Heldenplatz in Budapest. Auch der Ort ihres Auftretens kann nicht als harmlos gelten. Denn Veranstalter der Kundgebung, die des ungarischen Aufstands gegen die sowjetische Vorherrschaft vom Oktober 1956 gedenken sollte, war die ungarische "Partei der Wahrheit und des Lebens" MIEP. Auch diese (derzeit nicht mehr im ungarischen Parlament vertretene, da bei den Wahlen im April 2002 knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheiterte) politische Formation, die seit Anfang der Neunziger Jahre durch den berüchtigten Schriftsteller Istvan Csurka geleitet wird, hat u.a. durch ihren brachialen Antisemitismus von sich reden gemacht. Jean-Marie Le Pen war bereits im Oktober 1996 in Budapest bei der MIEP aufgetreten, damals zu einer Großkundgebung aus Anlass des 40. Jahrestags der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands. Dieses Mal fiel die Kundgebung nicht ganz so mächtig aus. Der französische Front National (dessen Angaben oft großspurig ausfallen) bezifferte die Teilnehmerzahl mit 70.000 (gegenüber 100.000 vor nunmehr sieben Jahren). Ein Korrespondentenbericht für "Le Monde" sprach dagegen nur von "ein paar tausend Teilnehmern".

In seiner Kundgebungsrede spielte David Irving ziemlich direkt auf angebliche jüdische Interessen an, die denjenigen der europäischen Nationen entgegen stünden oder sie gar bevormundeten. So führte er wörtlich aus, die französische und britische Regierung hätten im Herbst 1956 "Verrat" an der antisowjetischen Erhebung in Ungarn begangen (die westlichen Mächte mischten sich damals nicht offensiv ein, da sie ansonsten den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs befürchteten), "während sie gleichzeitig die Interessen Israels in der Suezkanal-Affäre verteidigten". Die antisemitisch aufgeladene Interpretation entsteht durch die Art der Gegenüberstellung (Nichteingreifen hier, militärisches Eingreifen dort) und des Herausstreichens der vermeintlich damit verbundenen Interessen. Tatsächlich verfolgten Frankreich und Großbritannien, die im Oktober 1956 in Ägypten militärisch intervenierten - und in der Folge im UN-Sicherheitsrat durch die beiden Vetomächte USA und UdSSR zusammen ausgebremst wurden - selbstverständlich eigene Interessen. Frankreich etwa ging es um die Verteidigung seiner kolonialen Präsenz in Algerien, wo im November 1954 der Aufstand begonnen hatte, den Paris auf das "subversive" Wirken des nasseristischen Ägypten zurückführte. London agierte aufgrund der Nationalisierung des Suezkanals durch Präsident Nasser, wodurch britische Kolonialinteressen im Mittleren Osten sowie britische Besitztitel in der Kanalgesellschaft beeinträchtigt wurden. Dass Israel aus eigenen Interessen heraus die damalige französisch-britische Aktion unterstützte und an ihr teilnahm (um ein Zentrum des erwachenden arabischen Nationalismus zu schwächen), ändert daran wenig: Die französischen und britischen Militärs handelten keineswegs unter dem Einfluss israelischer und / oder "jüdischer" Interessen. Jean-Marie Le Pen wiederum verlieh bei der Kundgebung seiner Hoffnung Ausdruck, dass künftig (nach der EU-Osterweiterung) Parteien wie die ungarische MIEP auch im Europaparlament vertreten seien. Der Front National werde mit diesen künftigen Abgeordneten "im Rahmen der Fraktion der Europäischen Rechten zusammen arbeiten, an der Restauration der Souveränität der europäischen Nationen".

"Zu Hause", in Frankreich, ist die Partei Jean-Marie Le Pens zugleich seit einiger Zeit um ein sehr viel "gemäßigteres" Auftreten bemüht. Vor allem in der aktuell anlaufenden Kampagne zu den nächsten Regionalparlamentswahlen, die frankreichweit am 21. und 28. März 2004 stattfinden, zeigt man sich bestrebt, ein "sachliches" Image an den Tag zu legen. So besucht Jean-Marie Le Pen, der sich in Südostfrankreich um das Amt das Regionalpräsidenten bewirbt, seit Wochen Müllverbrennungsanlagen, Agrarbetriebe, Kleinunternehmer und von den häufigen Waldbränden in der Region gestresste Feuerwehrleute. Dabei versucht er sich in einem mitunter sachlich wirkenden Diskurs über Feuervermeidung, die Besiedlung des Hinterlands der Mittelmeerküste und Umwelt schonende Techniken bei der Müllverbrennung. Das alles kann nicht darüber hinweg täuschen, dass er der Kandidat einer autoritären und aus faschistischer Tradition kommenden Partei ist.

Der Wahlkampf hat begonnen

"Popeye" ist genervt. Den Spitznamen des Spinatmatrosen trägt seit vielen Jahren der “alte Haudegen³ Roger Holeindre, Veteran der französischenKolonialkriege, der beim Front National (FN) den parteinahen Militaristenverband CNC betreut. Heute regt der alte Herr sich auf. Denn die Spitzenvertreter des FN aus dem Raum Paris sind auf einem Ausflugsboot versammelt, das auf der Seine herumschippert, um den Wahlkampf für die Regionalparlamentswahlen im kommenden März zu eröffnen. Wir schreiben Freitag, den 3. Oktober. Die Presse ist auch dabei. Grund der Empörung: Die rechtsextremen Politiker wollten sich gern zum Abschluss mit dem Eiffelturm fotographieren lassen. Den aber verdeckt unpassenderweise eine Brücke, der Pont d¹Iéna. “Natürlich! Delanoë hat unsdiese Scheißbrücke hingepflanzt!³ Doch der sozialdemokratische Bürgermeister der Hauptstadt kann dieses Mal gar nichts für die Ungemach. Der Schuldige sitzt woanders, oder eher, er liegt unter dem Invalidendom: Napoleon hatte die “Jeaner Brücke³ an die Stelle bauen, und nach dem Ort einer seinerSchlachten benennen lassen. Bravo, Herr Nationalist: Man kennt eben “seine³Geschichte.

Jean-Marie Le Pen in Südostfrankreich

Das Bootfahren scheint in jüngster Zeit zum festen Bestandteil des Rituals rechtsextremer Wahlkämpfe zu werden. Begonnen hatte damit der Parteigründer und unbestrittene chef, Jean-Marie Le Pen. Am 18. September 03 ließ er in Nizza, bei strahlendem Sonnenschein, die Yacht “Star-Côte d¹Azur³ auslaufenund eine dreistündige Tour durch die Bucht unternehmen, um seine Kandidatur für die Präsidentschaft der Region Provence-Alpes-Côte d¹Azur (PACA) zu eröffnen. Mit an Bord: Zwei seiner drei Töchter die dritte, Marie-Caroline, ist verstoßen, da mit einem ehemaligen Führungsmitglied der Abspaltung unter Bruno Mégret verheiratet -, die Regionalparlamentarier des FN in Südostfrankreich, die örtlichen Parteikader aus Nizza. Und einige Journalisten. Denen vertraute er auch halb spaßend und halb ernst - an, warum er seinen Wahlkampf auf diese Weise zu Wasser eröffne: “So kann diePresse nicht gehen, bevor es zu Ende ist, selbst wenn Sie nicht interessiert, was ich sage.³

Tatsächlich scheint es sich vor allem um ein Mittel verstärkter Personalisierung des Wahlkampfs, um einen vor allem auf Le Pen (Vater) zugeschnittenen Politikstil zu handeln. Auch Marine Le Pen tat es ihm nach. Im Übrigen auch sein ehrgeiziger Schwiegersohn Samuel Maréchal, der mit der mittleren Tochter (Yann) verheiratet ist. Er tauchte kürzlich aus jahrelanger politischer Versenkung wieder auf und kandidert jetzt für die Regionalpräsidentschaft in der Region der unteren Loire (Pays de la Loire) um Nantes. Auch er eröffnete seinen Wahlkampf Ende September durch eine Schiffstour auf der Loire.

Jean-Marie Le Pen sieht sich bereits auf dem Siegertreppchen, was das Ringen um die Regionalpräsidentschaft von PACA betrifft. Der Präsidentenstuhl steht in Marseille, aber da der Spitzenkandidat sich seinen Wahlkreis aussuchen kann, hat der FN-Vorsitzende sich für das Département von Nizza (Alpes-Maritimes, also den Meeralpenbezirk) entschieden, wo der rechtsextreme Stimmenanteil schon immer hoch war, unter anderem wegen des Gewichts der früheren französischen Militärs und Siedler in Algerien. Als “politische Großwildjagd³ hat Le Pen seine Kandidatur bereits am 6.September angekündigt, im Hinblick auf den derzeitigen sozialitischen

Regionalpräsidenten Michel Vauzelle und den konservativen Spitzenkandidaten Renaud Muselier, der derzeit in Paris Staatssekretär (für auswärtige Angelegenheiten) in der Regierung Raffarin ist. Viele Medien berichteten Mitte September auch über den Wahlkampf Le Pens, als habe er tatsächlich ernsthafte Aussichten, die Region PACA zu regieren. Die Tageszeitung “20 minutes³ etwa (eines dieser kostenlosen Blätter, dasmorgens etwa kostenlos an den Metro-Eingängen verteilt wird) machte am 19. September mit dem Titel auf: “Der Chef des Front National hat ernsthafteChancen, an die Spitze der Region (PACA) zu rücken³.

Welche politischen Kräfteverhältnisse trifft Le Pen in PACA an? Tatsächlich hat Le Pen bei der französischen Präsidentschaftswahlen vom April 2002 in PACA unter allen Kandidaten an der Spitze gelegen, mit 23,4 Prozent der Stimmen. Im zweiten Wahlgang hatte er nochmals zugelegt und rund 27 Prozent erhalten.

Allerdings war die Landschaft bei der Präsidentschaftswahl von einer starken Aufsplitterung geprägt, da die denkbare Höchstzahl an politischen Kräften mit eigenen KandidatInnen vertreten war. So gab es drei Kandidaten auf der radikalen Linken, fünf Kandidaten aus dem damaligen Regierungslager (Mitte-Links, von der KP über die Sozialdemokratie bis zu den Linksnationalisten), fünf aus dem Bürgerblock und zwei aus der extremen Rechten sowie einen Kandidaten der Jäger-Liste. Eine so starke Auffächerung des politischen Spektrums dürfte es am 21. März 2004 vermutlich nicht geben, womit die Chancen des FN geringer werden, auf den ersten Platz zu kommen. Andererseits wird auch die Aufsplitterung der Stimmenanteile auf der extremen Rechten selbst geringer ausfallen, da dem Faktor "Bruno Mégret" jetzt noch geringere Bedeutung zukommt als vor anderthalb Jahren. Zwar hat Mégret bereits angekündigt, gerade auch in PACA Kandidaten aufstellen zu wollen. Doch nach den Mini-Ergebnissen für Mégret selbst als Präsidentschaftskandidat und für seine Partei (bei den späteren Parlamentswahlen) sowie nach dem Verlust des Rathauses von Vitrolles im Herbst 2002 dürfte er Le Pen kaum noch im Weg stehen können. Aber die wirklichen Siegesaussichten des FN müssen dennoch gedämmpft werden. Nach einer Umfrage des Institus CSA hätten Mitte August dieses Jahres, im ersten Wahlgang, 20 Prozent der Wähler in PACA für Le Pen gestimmt (bei den letzten Regionalwahlen, im März 1998, waren es 26,5 Prozent). Die Linkskoalition aus Sozialisten, KP und Grünen hinter Michel Vauzelle würde demnach 33 Prozent und die bürgerlichen Parteien 37 Prozent erhalten. Und im Fall einer Stichwahl zwischen diesen drei Blöcken würden demnach der FN 21 Prozent, die bürgerliche Rechte 39 Prozent und die Linkskoalition 40 Prozent erhalten. (Zitiert nach "20 minutes" vom 19. September 03.) Allerdings sind auch diese Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Erstens ist dabei noch nicht berücksichtigt, dass der FN in Umfragen oftmals unterbewertet ist, da es so etwas wie einen “Schameffekt³ bei manchen seinerWähler gibt, sich öffentlich zu bekennen (der freilich in Südostfrankreich schwächer ausfallen dürfte als anderswo). Und zweitens hatte Mitte August der FN noch gar nicht mit seinem Wahlkampf begonnen - den ersten Auftritt in PACA hatte Le Pen bei einem lokalen FN-Fest (Fête tricolore) in der Crau-Steppe bei Marseille am 6. September, an dem zwischen 1.000 und 2.000 Beuscher teilnahmen.

Und auf der landesweiten politischen Bühne war Le Pen seit einem guten halben Jahr völlig abwesend gewesen. Während der sozialen Konflikte im Frühjahr 2003, u.a. den Streiks gegen die Renten"reform", hatte Le Pen sich in der Öffentlichkeit eher bedeckt gehalten. Seine Positionen konnte kennen, wer sie wissen wollte - er unterstützte die sozial regressiven Optionen der Regierung und überholte sie sogar noch "rechts" (hier: im wirtschaftsliberalen Sinne). Da dies aber gerade in der, im Durchschnitt eher sozial schlecht gestellten, FN-Wählerschaft nicht nur Freude hervor gerufen hätte, hielt Le Pen sich mit lauten Tönen in der Öffentlichkeit eher zurück. Seit Mitte September aber ist die "Maschine Le Pen" wieder am Warmlaufen, und die Spalten der Zeitungen sind erneut voll von Nachrichten über die Le Pens (Vater, Tochter und Clan).

Le Pen (Papa) bleibt verquast

Anlässlich seines ersten Auftritts am 6. September in PACA, in Saint-Martin-de-Crau, machte Le Pen deutlich, wie stark er mittlerweile auf teilweise irrationale Erwartungen baut, die in der Tradition der rechten bzw. populistischen Idee vom “homme providentiel³ (Mann der Vorsehung)stehen, welcher in der entscheidenen Stunde vom Schicksal auserkeren werde, die Nation zu retten. Im August hatte es rund 15.000 Hitzetote in Frankreichs Krankenhäusern und Altenheimen gegeben ein Zeichen für die Funktionsstörungen des öffentlichen Gesundheitssytems, die u.a. daraus resultieren, dass es durch die Sparpolitik ausgetrocknet wurde. Dass Le Pen diesen Skandal auszuschlachten versucht (und dabei von “Kriminellen³ undVerantwortungslosen in der Regierung spricht), erscheint normal.

Aber seltsam mutet an, was er vor der Presse ferner zum Besten gab: “Ichglaube fest, dass die Tatsache, dass Präsident Chirac sich Mitte August lange nicht zu dem Geschehen äußerte, verrät, dass er dazu mehrere Tage lang geistig oder körperlich nicht in der Lage war. Dass es einige Tage ein Vakuum an der Spitze gegegen hat.³ Und was, wenn Chirac, der zu jener Zeit im kühlen Kanada weilte, schlicht seine Ruhe haben wollte und die Verantwortung auf seine Minister abwälzte? Tatsächlich deutet dieses Motiv, das Le Pen nicht zum ersten Mal verwendete seit Mitte der Neunziger Jahre deutete er öfters an, er rechne mit einer Überraschung, “möglicherweisevorgezogenen Wahlen³, einer Amtsunfähigkeit des Präsidenten zeigt, wie sehr er mittlerweile auf solche Prophezeiungen baut.

Ansonsten hat Jean-Marie Le Pen betont, er habe "bereits damit begonnen, das Verwaltungspersonal zu rekrutieren, um die Region PACA zu regieren". Zugleich betonte er anlässlich seiner Schiffstour vom 18. September, ein Regionalpräsident habe "wenig Macht", da er von Gesetzestexten und Budgetmitteln abhänge (was natürlich zutrifft). Damit wollte Le Pen wohl noch nicht seine politischen Ambitionen herunterschrauben, sondern vermutlich vor allem vorab klarstellen, dass er PACA im Fall eines Erfolgs vor allem als Sprungbrett hin zur Macht in Paris betrachte. Bezüglich der zum Grundpfeiler des FN-Programms erhobenen '"préférence nationale" (systematischen Bevorzugung der Staatsbürger, z.B. bei Sozialleistungen), die derzeitigen Gesetzes- und Verfassungsbestimmungen wegen ihres diskriminatorischen Gehalts widerspricht, erklärte er, er "werde das Gesetz respektieren". Dennoch halte er an ihrer Notwendigkeit fest ("Wir sind bereits zu viele im Boot").

Als Ziele seines Wirkens in PACA malte Le Pen aus, es gehe um "das Überleben Frankreichs gegenüber den Kriminellen und den Islamisten, damit die Franzosen endlich wieder Herr im eigenen Hause werden". Er kündigte an, künftig auch gegenüber bisherigen politischen Gegnern nicht nachtragend zu sein, falls sie in der Region loyal mit ihm zusammenarbeiten würden. Ferner solle die FN-Liste zum Regionalparlament angeblich für Kandidaturen außen stehender, unabhängiger Persönlichkeiten geöffnet werden. Bekannt wurde bisher nur ein einziger Name, jener der Ex-Schauspielerin und heutigen fanatischen Tierschützerin Brigitte Bardot - deren Sympathien für Le Pen seit Jahren keinerlei Geheimnis mehr darstellen. Diese aber hat in einem Antwortschreiben an Le Pen höflich, aber bestimmt abgelehnt. Nicht tragisch, meinte Le Pen, man werde nunmehr einfach ihren Gatten bitten. Der aber, Bernard d' Ormal (mit dem "die Bardot" seit 1992 verheiratet ist) hat ohnehin seit langen Jahren eine Mitgliedskarte beim FN. Dass er wirklich kandidiert, konnte bisher nicht bestätigt werden; Le Pen gab sogar öffentlich an, der Bardot-Gatte sei bisher nicht auf das Angebot eingegangen ("Le Monde" vom 23.09.03), vielleicht aus Altersgründen oder mit Rücksicht auf die Tierschutz-Stiftung seiner Frau.

Es kam auch bereits zu Gegendemonstrationen und Protesten gegen Auftritte von Jean-Marie Le Pen in der Region PACA. So am 8. Oktober in Gap im Hochalpen-Département, wo 300 Leute sich versammelten; dabei flogen auch Steine und Tomaten in Richtung des Hotels, in dem Le Pen sich aufhielt, und nach Polizeiangaben ging eine Fensterscheibe kaputt. Auch in Avignon fand am 9. Oktober eine Demonstration statt, die vor allem von Studierenden besucht war.

Marine Le Pen im Großraum Paris

In der Region Ile-de-France (dem Großraum Paris) wiederum tritt Marine Le Pen als Spitzenkandidatin an, die jüngste Tochter des alternden Chefs, die mittlerweile recht offen zur politischen Nachfolgerin aufgebaut wird. Damit wurde ihr die zweite, medienträchtige Kandidatur gesichert. Zugleich arbeitet Marine Le Pen weiter an ihrer medialen Statur, als "Modernisierin" des FN, wie auch an ihren internationelen Kontakten. Sie weilt derzeit, vom 20. bis 27. Oktober 2003, in den USA - und zwar auf Einladung einer Frauenvereinigung der Republikanischen Partei der USA (siehe Kurzmeldung in "Le Monde" vom 15.10.03). Kontakte des FN bei den US-Republikanern, jedenfalls auf ihrem Rechtsaußenflügel, sind nicht völlig neu. So hatte Le Pen um die Mitte der 80er Jahre Kontakte zum berüchtigten US-Senator Jessy Helms, der ihn auch 1987 an einer Konvention der US-Republikaner teilnehmen ließ, wo Le Pen sich beim Händedruck mit deren damaligem Herold Ronald Reagan ablichten ließ. Später freilich, in den Neunzigern, hatte der FN eher auf ressentimenthafte antiamerikanische Effekte gesetzt und ward in den USA, in Großbritannien und Israel nicht mehr gern gesehen. Es wird sich zeigen müssen, ob bei Bushs US-Republikanern da etwas am Aufbrechen ist. - Am Samstag, 4. Oktober hatte Marine Le Pen noch, in einem Hotel in Trouville-sur-Mer in der Normandie, eine diskrete Unterredung mit Parlamentariern des belgischen rechtsextremen Vlams Blok gehabt. ("L'Humanité" vom 7. Oktober zufolge).

Anders als in PACA, hat der Front National in der Ile-de-France zu seinem Wahlziel erklärt, den zweiten Platz zu belegen. Zu ihrem Bedauern wird Marine Le Pen in der Ile-de-France vor dem 21. März 2004 nicht mit dem konservativen Innenminister Nicolas Sarkozy, dem derzeit ehrgeizigsten und profiliertesten Vertreter der Rechtsregierung, konfrontiert werden. Die Präsidentenpartei UMP hatte Sarkozy zwar die Kandidatur im Großraum Paris angetragen, aber der hatte nach einigem Überlegen dankend abgelehnt da er sich zu Höherem berufen sieht und bereits von einer Präsidentschaftskandidatur 2007 oder dem Sessel des Premierministers träumt. Damit entgeht Marine Le Pen auch die Chance, dem Hardliner in Sachen “InnereSicherheit³ - dessen Appel in der eigenen Wählerschaft des FN nicht ungehört verhallt - in direkter Auseinandersetzung entgegen zu treten, um sich an seiner Demontage zu versuchen. Stattdessen wird als konservativer Spitzenkandidat in der Ile-de-France der derzeitige Regierungssprecher Jean-François Copé antreten, der dem Wahlkampf wesentlich weniger Medienaufmerksam sichern wird als der “Star³ Sarkozy.Das derzeitige Verhalten von Spitzenkandidat Copé, der nunmehr bei der UMP-Fraktion im Regionalparlament Ile-de-France seit kurzem den Ton angibt, deutet darauf hin, dass die Konservativen sich von rechts her (d.h. vom FN her) unter starkem Druck fühlen. So hat die UMP ihre Haltung im Regionalparlament des Großraums Paris radikalisiert. Sie lehnte nunmehr jüngst Projekte ab, welche sie bereits zugesagt hatte und die mit der derzeitigen, vom Sozialisten Jean-Paul Huchon geführten Regionalregierung oder dem Pariser Rathaus vereinbart waren.

So stimmte die konservativen UMP auch zusammen mit den beiden rechtsextremen Abgeordnetengruppen FN und MNR gegen eine Subvention in Höhe von 300.000 Euro an das Europäische Sozialforum (ESF), das vom 12. bis 15. November in Paris sowie drei Vorstädten stattfinden wird. Seit der Abstimmung am 2. Oktober ist jetzt beim ESF drastisches Sparen angesagt, da die Subvention - neben jener der Stadt Paris sowie der Zentralregierung unter Jean-Pierre Rafarin - bereits durch die rechte Zentralregierung im Namen ihrer Parteifreunde versprochen und daher eingeplant worden war. Zwar hatte die UMP-Fraktion am 2. Oktober nicht den Entschließungsantrag des MNR-Abgeordneten Jean-Yves Le Gallou unterstützt, der eine Verdammung des ESF als eines Unternehmens "der anarcho-trotzkistischen Subversion" forderte. Doch bei der direkt darauf folgendne Abstimmung über die schon zugesagte Regionalsubvention stimmte die UMP dann, überraschend, zusammen mit der extremen Rechten. (Bürgerliche Rechte und Neofaschisten zusammen haben im Prinzip die Mehrheit im Regionalparlament inne, doch ist eine gemeinsame Regierungsbildung derzeit politisch undenkbar. Daher spricht die konservative Rechte sich normalerweise mit der sozialistischen Minderheitsregierung ab, die im Frühjahr 1998 gebildet hatte - nachdem ein Minderheitsflügel der Konservativen unter Didier Julia doch noch den Pakt mit dem FN geprobt hatte.)

Aus Anlass des Votums vom 2. Oktober wurden auch einige eher beunruhigende Angaben bekannt. Demnach hatte die christdemokratisch-liberale UDF in der Vorwoche eine "vertrauliche" Befragung im Großraum Paris in Auftrag gegeben. Dabei sollen sich besonders hohe Ergebnisse für den FN in der "Grande banlieue", d.h. in den in mittlerer und größerer Entferung (ab 12 bis 15 Kilometern) von Paris gelegenen Trabanten- und Vorstädten abgezeichnet haben. Demnach sollen die Meinungsforscher für das Département Seine-et-Marne, das 15 bis 20 Kilometer östlich von Paris beginnt und eine teils industrielle und teils ländliche Struktur aufweist, über 30 Prozent Wahlabsichten für den Front National festgestellt haben. (Siehe "Libération" vom 3. Oktober) Der Bezirk Seine-et-Marne aber ist das Hausdépartement von Jean-François Copé, der hier früher Bürgermeister von Meaux war, einer der größeren Städte im Bezirk. Dies hat Copé allem Anschein nach besonders beeindruckt.

Programmatisch hat Marine Le Pen betont, es gehe ihr darum, "das Gewicht der illegalen, aber auch der legalen Einwanderung, das jeden Tag größer wird und unsere Ökonomie mehr erstickt" zu verringern. Das umstrittene und im Prinzip verfassungswidrige Prinzip der "préférence nationale" taucht jedoch nicht direkt und explizit auf - Anzeichen der "Modernisierung"? Der FN will in der Ile-de-France ferner private Sicherheitsgesellschaften in Schulen, wo mitunter Gewaltprobleme herrschen, zu Wachdiensten einsetzen. Er will die katholischen Privatschulen begünstigen, aber auch die Autofahrer gegenüber den öffentlichen Transportmitteln (was als "Wiederherstellung des Gleichgewichts zwischen Automobil und öffentlichem Transport" bezeichnet wird, eine reichlich absurde Darstellung der derzeitigen Verteilung zwischen beiden Beförderungsarten).

Auch in der Ile-de-France ist an eine Öffnung der Listen für so genannte unabhängige Persönlichkeiten gedacht. Bisher fand sich aber nur eine: Jean-Richard Sulzer, ultra-wirtschaftsliberaler Ökonomieprofessor an der Universität Paris-Dauphine (Paris-9). Dieser hatte zwar bis vor kurzer Zeit eine Mitgliedskarte der konservativen Einheitspartei UMP, doch seine Nähe zum FN ist nun wirklich keine Überraschung. Sulzer hatte etwa seit Jahren regelmäßig der rechtsextremen Wochenzeitung "Minute", die als Bindeglied zwischen einem Teil der Konservativen und dem FN-nahen Spektrum gilt, Interviews und Texte zur Verfügung gestellt.

Der Front National setzt wieder auf die sozialdemagogische Karte Allem Anschein nach plant der Front National, dessen Führungsgremien die Wahlkampfstrategie definitiv am 7. Dezember dieses Jahres beschließen bzw. absegnen werden, seinen Wahlkampf stark auf soziale Fragen auszurichten, um dem “Sarkozy-Effekt³ gegenzusteuern. Einem Bericht der Pariser Abendzeitung“Le Monde³ vom 4. Oktober zufolge soll der Diskurs vor allem beimderzeitigen Generalbeauftragten (délégué général) des FN formuliert werden, Carl Lang, der als Spitzenkandidat in der Region Nord / Pas-de-Calais antritt. Gerade in Pas-de-Calais, als altem Kohle- und Stahlrevier und indutrieller Krisenregion, hatte der FN bereits in den frühen Neunziger Jahren den Einbruch in eine desorientierte frühere Linkswählerschaft versucht. Zwischenzeitlich, vor allem nach der Parteispaltung 1998/99, war die soziale Thematik seitens des FN weitgehend unbesetzt geblieben. Nun soll es laut Carl Lang darum gehen, wieder offensiv “das Unglück derfranzösischen Arbeiter mit der Geißel der ungezügelten Einwanderung³ in Verbindung zu bringen.

In den Mittelpunkt soll dabei der Begriff der "sozialen Unsicherheit" gestellt werden. Damit beweist die rechtsextreme Partei einmal mehr ihre Geschicklichkeit im Entwenden von Begriffen aus anderem Zusammenhang, die in den FN-Diskurs eingebaut und deren Sinngehalt dabei völlig umgedreht wird. Zu Anfang des Jahres 2002, im Vorfeld der Präsidentschaftswahl, hatten die großen Parteien (allen voran Amtsinhaber Jacques Chirac) einen Wahlkampf geführt, der weitgehend im Zeichen der "Inneren Sicherheit". Kritiker monierten das Schüren diffuser Ängste, um einen Ruf nach dem starken Staat und nach Repression zu entfachen. Ein Teil der Linken und der sozialen Bewegungen anwortete darauf, indem man betonte, man solle doch vielmehr von der "sozialen Unsicherheit" reden, die nicht mit verstärkten polizeilichen Mitteln zu bekämpfen sei.

Der Front National dreht jetzt die Stoßrichtung einfach um - und zeigt sich bemüht darum, den Begriff in einen Diskus einzubauen, der das genaue Gegenteil beabsichtigt, nämlich das Schüren sehr diffuser Ängste, in denen sich diverse Bedrohungsgefühle miteinander vermengen sollen: Sehr real begründete soziale Ängste, eine diffuse Wahrnehmung der "Globalisierung" als bedrohliche Kulisse (aus der sich die sozialen Probleme angeblich ableiten lassen), "Überflutungs"- und Invasionsfantasien im Hinblick auf die Einwanderung, die natürlich weiterhin ebenfalls als Ursache für die soziale Regression dargestellt wird. Der bisherige Diskurs soll dadurch nicht ersetzt und ausgetauscht werden (wie die linken und antifaschistischen Kritiker des "Sicherheits"-Programms dies beabsichtigten), sondern lediglich eine Ergänzung erfahren, die ihn umso umfassender erscheinen lässt. Das Ganze passt nämlich scheinbar logisch zusammen, indem man durch die Benennung als "soziale Unsicherheit" dieselbe lediglich als einen Aspekt eines umfassenden, globalen Phänomens namens "Unsicherheit" erscheinen lässt. Ein Bedrohungsszenario, das sich angeblich aus der Öffnung der nationalen Grenzen ableiten lässt, das aus dem Bild der Entfesselung einer nicht völlig grundlos als zerstörerisch ausgemalten (doch nicht materialistisch analysierten und daher unverstandenen, teilweise fantastische Züge annehmenden) "Globalisierung" heraus erklärbar werden soll. Altbekannte und neue Verschwörungstheorien schwingen dabei ebenso mit wie rassistische Abgrenzungssuche.

Auch bürgerliche Politiker erkennen diesen Wandel in der Wahrnehmung in einem Teil des Publikums an, so ein (nicht namentlich genanntes) Führungsmitglied der konservativen Regierungspartei UMP gegenüber "Libération" (13. Oktober): "Wir sind von einem Gefühl der physischen Unsicherheit zu einem noch mächtigeren Gefühl übergegangen, jenem der wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheit. Und demgegenüber sind wir völlig machtlos." Vor allem - so wäre der Beobachter versucht hinzuzufügen - wenn man durch das Handel der eigenen Regierung täglich daran arbeitet, die reale, materielle Unsicherheit auf sozialem Gebiet noch zu verstärken. Ob der Front National wirklich damit sein bisheriges Publikum ausdehnen wird können, ist unterdessen fraglich. Denn seine Wählerschaft achtet nicht wirklich auf das geschriebene (Wahl)-Programm, sondern ist vor allem durch dasjenige Bild vom Front National angezogen, das sie selbst sich ausmalt. Und das ist tatsächlich vor allem das ungeschminkte Bild einer Anti-Immigranten-Partei. Alles andere ist in den Augen nur schmückendes Beiwerk - manche der Wähler würden es vermutlich ungeschminkter ausdrücken als die Parteikader, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Das gilt jedenfalls für den "harten Kern" dieser Wählerschaft, um den herum sich in konzentrischen Kreisen ein Publikum schart, das auf diffuse Weise "Proteste" auszudrücken sucht, indem es diejenige Stimme abgibt, die vermeintlich den größten Aufschrei in den Medien und bei der politischen Klasse hervorruft. (Und die es damit scheinbar "denen da oben mal so richtig zeigt", auch wenn diese autoritäre Revolte von vornherein einprogrammiert ist und einem Teil der herrschenden Eliten dazu dient, die Gesellschaft weiter nach rechts zu treiben.) Auch hier ist es aber eher ein sehr generelles Image des Front National, denn die von ihm ausgerarbeiteten Wahlprogramme, welches die Wahlentscheidung beeinflusst. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Plakatserie mit knappen Parolen, die "soziale" Themen betreffen, dasjenige Publikum ansprechen und verstärkt mobilisieren kann, das bereit ist, diffusen "Protest" auszudrücken.

Der allgemeine Hintergrund ist, dass "10 bis 15 Prozent der französischen Bevölkerung die gesellschaftlichen Probleme nur noch (vor allem) durch den Filter <Einwanderungsproblematik> hindurch wahrnehmen", wie ein Forscher des Cevipof (Zentrum zur Untersuchung des französischen politischen Lebens) es nach der vorletzten Präsidentschaftswahl vom April 1995 ausdrückte. Dieses Anteil ist nicht unwandelbar. Er dürfte etwa in der Arbeiterschaft zurück gegangen sein, nachdem die Gewerkschaften 1996/97 einen Kurswechsel vollzogen und sich nunmehr mit den "illegalen" Einwanderern als besonders ausgebeuteten (da in ungeschützten Arbeitsverhältnissen beschäftigten) Kollegen solidarisierten und dafür auch eine offensive Kampagne an ihrer Basis betrieben. Viele zwischen unterschiedlichen "Polen" in der Gesellschaft hin- und hergerissenen Individuen können auf diesem Wege, indem man ihnen ein konkretes Angebot zum Verständnis gesellschaftlicher Zusammenhänge und zugleich Identifikationsangebot macht, vom Abgleiten in den Rassismus abgehalten oder (zumindest zeitweilig) zurück gewonnen werden. So sank der FN-Stimmenanteil unter den Arbeitern sowie den Erwerbslosen zwischen der Präsidentenwahl 1995 und der Parlamentswahl 1997 deutlich, damals zugunsten der Sozialdemokratie, die vor ihrem damaligen Regierungsantritt erneut Ausstrahlungskraft auf die sozial destabilisierten Teile der Gesellschaft entwickeln konnte (was ihr heute, nach fünf Jahren an der Regierung, nur schwerlich gelingen dürfte).

Dennoch bleibt stets ein harter Kern bestehen - jener des Stammpublikums der extremen Rechten -, der sich in den letzten 15 Jahren ideologisch verfestigt haben dürfte. Man kann ihn derzeit auf ungefähr acht bis zehn Prozent der abgegebenen Stimmen schätzen, denn diesen Pegel erreichte die extreme Rechte, als sie nach der Parteispaltung 1998/99 auf ihrem Tiefpunkt angelangt war (knapp 9 Prozent der Stimmen bei der Europaparlementswahl im Juni 1999, allerdings bei einer Wahlenthaltung von über 50 Prozent). Das entspräche ungefähr 5 Prozent der Bevölkerung.

Dieses Stammpublikum lässt sich verfestigen und in seinem Bruch mit den anderen politischen Angeboten bestärken, indem ihm der Eindruck vermittelt wird, dass der FN tatsächlich auf alles eine Antwort hat, wie beispielsweise im konkreten Fall auch auf die sozialen Probleme. Ob es dem FN wirklich auch gelingen kann, genau damit in neue Wählerschichten einzudringen, dürfte höchst fragwürdig sein - wer sich dazu entschließt, Le Pen seine Stimmen zu gehen, tut dies selten nach genauer Lektüre des Programms und mittels eines intellektuellen Akts. Und die Versuche des FN, im gesellschaftlichen Alltag der sozialen Unterschichten präsent zu sein (wie weiland, um ein Extrembeispiel zu wählen, die SA im Deutschland der Jahre um 1930 - freilich in stark abgemildeter Form), beispielsweise mit der Gründung parteieigener Gewerkschaften oder Mietervereinigungen im sozialen Wohnungsbau, hat es zwar gegeben. Vor allem in den Jahren zwischen 1996 und 1998. Sie sind jedoch überwiegend gescheitert, wenngleich sie vor allem auch aufgrund der Parteispaltung im Januar 1999 abgebrochen wurden.

Insofern richtet sich die abermalige Ausrichtung auf die soziale Demagogie vor allem auch an das bereits gefestigte FN-Publikum, um es in der Überzeugung zu bestärken, die rechtsextreme Partei präsentiere die "umfassende Alternative". Dennoch ist, leider, im jetzigen Klima durchaus mit einem Anwachsen der FN-Wählerschaft zu rechnen. Das Klima dafür ist günstig, berücksichtigt man einerseits die Abnutzungserscheinungen der regierenden Konservativen an ihrer Basis, andererseits aber auch die Probleme bei der (Neu-)Begründung einer linken und sozialen Alternative.


ANHANG:

Welche Siegeschancen hat Le Pen? (Das neue Wahlrecht) Le Pen baut erklärtermaßen darauf, dass das neue Wahlrecht nicht so sehr - wie durch die Regierung erwartet - den großen Partein, sondern vor allem auch dem Front National zugute komme. Wie sieht es damit wirklich aus?

Es ist prinzipiell möglich, dass das Wahlrecht den Front National tatsächlich begünstigt, falls er ein hohes Ergebnis erhält. Erst im März und April dieses Jahres hatte die konservative Parlamentsmehrheit in Paris am Wahlrecht für die Regional- wie auch die Europaparlamentswahlen, die beide im nächsten Jahr stattfinden, herumgedoktort. Um dem eigenen politischen Lager vermeintlich einige wackelnde Mehrheiten zu sichern, wurden etwa für die Regionalwahlen Bestimmungen angekündigt, welche vor allem @die stärkste Liste begünstigen.

Erstens wird für die Regionalparlamentswahlen (die alle sechs Jahre stattfanden, in allen 22 französischen Regionen am gleichen Datum) eine zweite Runde eingeführt. Diese fanden bisher in einem Wahlgang statt, anders als die Präsidentschafts- und nationalen Parlamentswahlen. Dabei wurden die Sitze nach dem Mehrheitswahlrecht verteilt, d.h. anteilsmäßig auf alle Listen, die mindestens 5 Prozent der Stimmen bekommen haben. Dies war für zahlreiche kleinere und mittlere Parteien günstiger als das (bei nationalen Parlamentswahlen geltende) Mehrheitswahlrecht und ermöglichte ihnen, mit Abgeordneten in den Regionalparlamenten vertreten zu sein. So sitzen bspw. seit der letzten Regionalparlamentswahl vom 15. März 1998 auch rund 20 Vertreter(innen) der radikalen Linken, besonders der beiden trotzkistischen Parteien, in mehreren Regionalräten.

Ab der nächsten Regionalparlamentswahl, die am 21. März 2004 stattfinden wird, gilt ein anderes Verfahren. Demnach werden zwei Wahlgänge abgehalten, wobei nur ein Teil jener Listen, die im ersten Durchgang antreten, auch in der Stichwahl präsent sein können. Die Bedingungen, die definieren, welche Listen den ersten Wahlgang "überleben" können, dürften den Front National tendenziell besonders begünstigen (siehe unten). Dabei werden - zweite größere Neuerung - künftig diejenigen Listen, die als stärkste Kraft aus dem zweiten Wahlgang hervorgehen, deutlich begünstigt. So werden künftig derjenigen Liste (von zweien oder auch mehreren), die das höchste Einzelergebnis erhält, vorab 25 Prozent der Sitze zugeteilt - bevor die übrigen Mandate dem prozentualen Anteil der Parteien entsprechend verteilt werden. Das könnte unter Umständen in manchen Regionen wirklich den FN begünstigen, wie dessen Chef öffentlich kalkuliert.

Die Neuregelungen im Detail - und warum sie den FN begünstigen Ursprünglich hatte die neokonservative Raffarin-Regierung das Wahlrecht so ändern wollen, dass nur die beiden Listen, die in der ersten Runde am besten abschnitten, überhaupt in die Stichwahlen gehen sollten. Das sollte vor allem den bürgerlichen Block sowie die Sozialdemokratie begünstigen, hätte jedoch auch vielerorts zu einer Wiederholung der Konstellation des 21. April 2002 sorgen können, als der erste Durchgang der Präsidentschaftswahl Le Pen als einzigen Herausforderer neben dem Amtsinhaber Jacques Chirac übrig ließ. Denn bei der Präsidentschaftswahl gelten genau diese Bestimmungen, d.h. es bleiben nur die beiden bestplatzierten Kandidaten nach der ersten Runden übrig. So konnte Le Pen allein, neben Chirac, in die Stichwahl gelangen. Bei den Regionalparlamentswahlen hätte sich diese Konstellation an einigen Orten wiederholen können, denn der Kandidat Le Pen hatte am 21. April 2002 immerhin in 7 von insgesamt 22 Regionen das höchste Einzelergebnis erhalten (was aber, aus mehreren Gründen, nicht direkt auf die Regionalwahlen übertragbar sein dürfte). Zugleich aber handelt es sich bei diesem Szenario um dasjenige, in welchem der FN wohl die geringste Chance hätte, wirklich den Sieg davon zu tragen. Weil er dann in einem "Einer-gegen-alle"-Turnier eine sehr breite Koalition von GegnerInnen auf den Plan ruft - die alle das Kreuz auf dem Stimmzettel an der selben Stelle machen, da nur noch eine Gegenoption zum FN übrig bleibt.

Der Conseil d'Etat, das oberste Verwaltungsgericht, hat jedoch Premier- und Innenminister im Frühjahr 2003 an den Ohren gezogen und befunden, dass diese Wahlrechts-Änderung - die nach dem ersten zweiten Wahlgang nur noch zwei politische Blöcke übrig lässt - undemokratisch sei und das (heterogene) französische politische Spektrum zu sehr einenge. Das trifft auch zu, da es etwa für die Grünen und die radikale Linke (Trotzkisten) die Unmöglichkeit bedeutet hätte, auch nur die geringste Chance auf Präsenz im zweiten Wahlgang oder aber auf Einflussnahme (bei Rückzug ihrer Listen gegen politische Zugeständnisse seitens der größeren Linksparteien) zu haben. Auch die christdemokratisch-liberale UDF, die wahrscheinlich eigenständige Listen neben der großen bürgerlichen Kraft - der Regierungspartei UMP - aufstellen wird, wäre dadurch sofort zwischen den großen Blöcken zerrieben worden. Durch die obersten Richter zum Nachbessern an ihrem Entwurf gezwungen, verabschiedete die Regierung dann im April 03 eine anderen Neuregelung. Künftig muss eine Liste 10 Prozent (statt bisher 5 Prozent) der Stimmen im ersten Durchgang erhalten, um im zweiten Wahlgang noch präsent sein zu können. Und sie muss mindestens 5 Prozent (statt bisher 3 Prozent) erhalten haben, um künftig einer anderen Liste anbieten zu können, zu deren Wahl im zweiten Durchgang aufzurufen, wenn sie ein paar KandidatInnen der schwächeren Kraft auf ihre eigenen Listen übernimmt. Dieses neue "Fallbeil" (couperet) im ersten Wahlgang dürfte jedoch eine perverse Wirkung nach sich ziehen: Die neue Regel sorgt tendenziell für den Ausschluss aller anderen kleineren und mittleren Parteien (KP, Grüne, Trotzkisten, vielleicht auch der UDF) - aber sie behindert nicht oder kaum den Front National. Denn die erstgenannten kleineren Parteien werden künftig (von regionalen Sondersituationen abgesehen) kaum Chancen haben, im zweiten Wahlgang präsent zu sein oder ihren Rückzug - etwa auf der Linken zugunsten der Sozialdemokratie - ernsthaft zu verhandeln. Hingegen beeinträchtigt die neue 10-Prozent-Regel die extreme Rechte so gut wie überhaupt nicht. Dazu zwei Zahlen: Bei der Präsidentschaftswahl 2002 lag Le Pen in ausnahmslos allen Regionen über der Zehn-Prozent-Marke. Und bei der letzten Regionalparlamentswahl im März 1998 überschritt der FN in 16 von 22 Regionen die Zehn-Prozent-Marke, in drei weiteren lag er nur knapp unter den 10 Prozent, mit Ergebnissen zwischen 8,8 und 9,9 Przoent. (Siehe Überblick in "Le Monde" vom 18.10.2003)

Doch dem FN werden derzeit überall höhere Ergebnisse als bei den letzten Regionalwahlen vor sechs Jahren vorhergesagt. Bei einer Befragung von Politologen und Wahlforschern durch die Nachrichtenagentur AFP Anfang Oktober antwortete die führende FN-Kennerin Nonna Meyer, sie rechne damit, dass die rechtsextreme Partei "leicht" ein nationales Durchschnittsergebnis von 17 Prozent einfahre (gegenüber 15 Prozent bei den Regionalparlamentswahlen 1998). Die Konjunktur ist günstig, da die regierenden bürgerliche Rechte Abnutzungserscheinungen zeigt, aber zugleich eine halbwegs erkennbare Alternative seitens der großen Linksparteien ausbleibt. Damit hat der FN beste Chancen, in 19 von 22 Regionen in die Stichwahl zu gelangen.

Dabei wird sich aber ein peverser Nebeneffekt bemerkbar machen: Dank des neuen Wahlrechts werden in der Regel wahrscheinlich nicht zwei, sondern drei Listen (in manchen Fällen auch vier, da in manchen Regionen auch mit der radikalen Linken gerechnet wird, die aber in Wirklichkeit eher geringe Aussichten auf Überschreiten der 10 Prozent hat) die Vorraussetzungen erfüllen, um im zweiten Wahlgang präsent zu sein. Wenn beispielsweise drei Listen die Zehn-Prozent-Hürde schaffen, dann dürfte der FN in der Regel einem Mitte-Links- und einem Mitte-Rechts-Block gegenüber stehen. Das aber erhöht seine Siegeschancen deutlich gegenüber einer Konstellation, in der nur zwei Listen präsent sind, da es die Stimmen der FN-GegnerInnen auf zwei Blöcke verteilt.

Dies könnte dann ausgeschlossen werden, wenn die Sozialdemokratie plus Anhang (KP, Grüne, Š) einerseits und die Konservativ-Liberalen andererseitssich darauf einigen können, dass eine ihrer beiden Listen sich zurückzieht.Das aber ist in den meisten Fällen höchst unwahrscheinlich, aus einer Reihe von Gründen. Erstens sind Vertreter beider großen politischen Lager der Ansicht, es sei für die politische Debatte und "Kultur" nicht gut, wenn beide großen Blöcke zu nahe im Konsens zusammenrücken ; tatsächlich könnte dies den FN noch verstärken, da er dann als "einzige Alternative gegenïber einem Kartell von Komplizen" da stünde.

Schwerer aber wiegt der zweite Grund: Er besteht darin, dass jene politische Kraft, die einen Rückzieher macht, künftig höchstens mit einigen wenigen Abgeordeten im Regionalparlament vertreten sein werden. Nämlich mit denen, welche die noch verbleibende Liste auf den eigenen Wahlzettel aufnimmt, falls es überhaupt zu einem solchen Abkommen zwischen den beiden Listen (des Mitte-Links- sowie des Mitte-Rechts-Blocks) kommt. Denn, drittens, das ist sogar sehr unwahrscheinlich. Die juristischen Regeln des neuen Wahlrechts werden das nämlich in den meisten Fällen verhindern: Falls es zu einer "Fusion" zwischen zwei Listen kommt, wenn also die schwächere von beiden Listen sich zurückzieht und im Gegenzug die stärkere Liste einige Kandidaten der anderen aufnimmt, dann müssen beide Listen auch gemeinsam ihre Wahlkampfkosten abrechnen. Diese Kosten aber sind nach dem französischen Wahlrecht durch eine gesetzliche Obergrenze limitiert. Wenn nun aber beide Listen, bevor die eine ihren Rückzug erklärt, ihr gesetzlich zulässiges Wahlkampfkosten-Budget bereits zum Großteil ausgeschöpft haben, dann kommt ein Zusammenschluss beider Listen gar nicht mehr in Frage. Denn das würde bedeuten, dass die solcherart "verdoppelte" Liste sofort weit oberhalb des zulässigen Höchstwerts an Wahlkampf-Ausgaben liegen würde. Damit aber würde die Wahl ihrer Abgeordneten, nach geltendem französischem Wahlrecht, für ungültig erklärt, womit der gesamte Wahlgang wiederholt werden müsste. Aus diesem Grund hält "Le Figaro" (20. Oktober 03) Abkommen zwischen dem Mitte-Links- und dem Mitte-Rechts-Block über den jeweiligen Rückzug ihrer Listen, wo es gilt, den Front National zu blockieren, für äußerst unwahrscheinlich. Eine solche Einigung würde schlicht bedeuten, dass diejenige politische Kraft, die ihren Rückzug akzeptiert, die Aussicht auf sechsjährige völlige Abwesenheit aus dem Regionalparlament hinnimmt. Und besonders in der Region PACA, wo die (partei-)politischen Kämpfe mit sehr harten Bandagen ausgetragen werden, gilt ein solches Abkommen zur Selbstverpflichtung auf Rückzug als quasi unmöglich. Erstens aufgrund der erbitterten Gegnerschaft zwischen Bürgerlichen und Sozialisten und erheblicher (teilweise mafiösen) Eigeninteressen von Lokalpolitikern und Parteiapparaten. Und zweitens, weil gerade in PACA, angesichts der Präsenz der "Wahlkampfmaschine Le Pen", besonders hohe Ausgaben im Wahlkampf zu erwarten sind. Wird Le Pen also dabei der lachende Dritte sein? Das wird man sehen müssen.

Editorische Anmerkungen:

Der Autor stellte uns seinen Artikel in der vorliegenden Fassung für die Nr. 11-03 zur Veröffentlichung zur Verfügung.