"Das Wunder von Bern“
Gut gemachter Humbug und nationaler Wahn

von Max Brym 

11/03
 
 
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Der Film von Sönke Wortmann „Das Wunder von Bern“, wird ein Kinorenner und  rührte Kanzler Schröder zu Tränen. Überall im Lande, soll des Wunders von Bern  im Jahr 1954, gedacht werden. Dabei steht nicht die sachlich, fachliche Erinnerung, an den überraschenden Gewinn der Fußballweltmeisterschaft durch das  deutsche Team im Mittelpunkt, sondern die Wiedergewinnung von nationalem Stolz.  Im Jahr 2003, ist dies neuerlich eine Herzensangelegenheit der gesamten  politischen Kaste. Kanzler Schröder sprach kürzlich von einer, „neuen deutschen  Normalität“ und der „Wiedererlangung unserer Souveränität“ (Rede zum Tag der  „Deutschen Einheit“ 3.10.03). Die Erinnerung an Bern, die Tore von Helmut Rahn,  im Endspiel gegen Ungarn 1954, dienen filmisch aufbereitet der deutschen  Geschichtsentsorgung, dem Kult der harten Männer und der Durchsetzung deutscher  Interessen im Weltmaßstab. Ein Fußballspiel, wird für reaktionäre politische  Konzepte mißbraucht, ein völkischer Mythos weiterentwickelt. Deshalb weint der  Kanzler, nicht wegen dem in Wirklichkeit tatsächlich sympathischen Helmut Rahn  oder wegen der technischen Brillianz eines Fritz Walter. Der Film von Sönke  Wortmann, hat in der Tat wenig mit Fußball zu tun, dafür um so mehr mit  nationaler Gefühlsduselei und der Haltung „wir sind wieder wer“.

Kein Film für Fußballbegeisterte und Fußballinteressierte

Nichts, buchstäblich nichts, außer den Resultaten, erfährt der Laie über die  beiden Siege des DFB- Teams gegen die Türkei, in der Vorrunde 1954 in der  Schweiz. Warum Nationaltrainer Herberger, damals in der Vorrunde gegen die  Fußballmacht Ungarn, die Reserve spielen ließ und mit 8:3 verlor, überläßt  Wortmann der Spekulation. Im Viertelfinale, ließ Herberger statt Berni Klodt,  Helmut Rahn über rechts angreifen und das Spiel gegen Jugoslawien wurde 2:0  gewonnen. Ob das Resultat mit der geänderten Aufstellung zu tun hatte, oder an  der defensiven Spielweise des DFB-Teams in diesem Match lag, erfährt der  Besucher des Filmes nicht. Herrn Wortmann der selbst einige Zeit in der zweiten  Liga Fußball spielte, tangieren solche Fragen nicht sonderlich. Warum im  Halbfinale gegen Österreich Rahn nicht traf, dafür Ottmar Walter aber um so  mehr, ist ebenfalls nicht von belang. Statt dessen werden die Fußballkalauer von  Herberger: „Der Ball ist rund, ein Spiel dauert neunzig Minuten, nach dem  Spiel, ist vor dem Spiel“, auf eine Putzfrau aus der Schweiz zurückgeführt. Das mag  ein gelungener Regieeinfall gewesen sein und ist nicht verwerflich. Allerdings  das Finale am 4. Juli 1954, einfach als „Wunder“ hinzustellen, den 3:2 Sieg des  deutschen Teams gegen Ungarn zu mystifizieren, ist mehr als bedenklich. Diese  traditionelle Betrachtung des Endspiels von Bern „das Wunder, „der Wahnsinn“ ist  irrational und steht intellektuell unter der Binsenweisheit Herbergers: „ Der 
Ball ist rund“. Zudem wird dem keineswegs fortschrittlich gesinnten Herberger,  der Fußballfachverstand abgesprochen. Den wenn der Sieg ein „Wunder“ war, dann  hatte die Anweisung Herbergers an Hans Schäfer, „offensiv die Schwächen der  ungarischen Abwehr über links zu nutzen“, keine wirklich entscheidende  Bedeutung. Auch nicht die Order für Horst Ekel, „den ungarischen Spielmacher  hauteng zu decken.“ Die Freiheiten die Herberger, Helmut „Boß“ Rahn über rechts  gewährte, werden ebenfalls nicht richtig gewichtet. Rahn galt als nervenstarker  Fußballegozentriker, der schwer auszurechnen war. Der berühmte Kommentar:  „Schäfer nach innen geflankt, abgewehrt, aus dem Hintergrund müßte Rahn  schießen, Rahn schießt Tor, Tor, Tor, Tor“, konnte nur deshalb gesprochen  werden, weil Rahn statt mit rechts einfach draufzuhalten, sich den Ball auf den  linken Fuß legte, dadurch rutschte der ungarische Verteidiger ins Leere, es  entstand eine Lücke und der nervenstarke „Boß“, knallte den Ball mit dem linken  Fuß ins Tor. Diese Szene wird im Film gegen Ende kurz nachgestellt, aber Rahn  gelingt in dem Film die Aktion nur, weil er einen kleinen deutschen Jungen aus  Essen am Spielfeldrand erblickt, der ihn mystisch animiert, den Ball für ihn und  alle Deutschen ins Tor zu hauen. Darum, um den völkischen Wahn, geht es dem  Filmemacher Sönke Wortmann in Wahrheit. Anders sind solche sachlichen Fehler,  wie die Beziehungskiste zwischen Fritz Walter und Helmut Rahn falsch darzustellen, nicht erklärbar. In dem Film, ist der sensible Techniker Walter,  der Starke und der in Wahrheit robuste Rahn, der Weiche. Das Gegenteil war der  Fall, ein Blick in die Memoiren von Fritz Walter, hätte Wortmann belehren  müssen. Aber es geht in Wirklichkeit in dem Film, nicht um ein Fußballspiel und  seine Typen, sondern um nationalen Pathos. Das Fußball immer etwas mit Glück zu  tun hat, ist eine Binsenwahrheit. Glück gehört zu jedem gelungenen Torschuß,  entscheidend ist aber das Training, die Taktik, das System und die Einstellung  der Mannschaft. Dennoch ist dem Zufall im Fußball, Tür und Tor geöffnet, kein  Ergebnis kann sicher prognostiziert werden. Fußball ist ein Spiel und der  Ausgang, wenn halbwegs gleichwertige Mannschaften aufeinandertreffen, relativ  offen. Deshalb hat der Aberglaube, die Hoffnung und das Metaphysische, in diesem  Sport breiten Raum. Das „Wunder von Bern“, stellt den Sieg der deutschen  Mannschaft 1954, als nationale „ Wiedergeburt“ nach der „Niederlage“ von 1945  hin. Eine Familie aus Essen hat in dem Film die Starrolle. Die deutsche Familie  hat die Hauptrolle und nicht Toni Turek, Werner Liebrich, Boß Rahn oder der fußballerisch geniale Fritz Walter.

Eine Familie aus Essen, eine Dame aus München

Ein kleiner Junge aus Essen, ist Freund, Fan und Kofferträger von Helmut Rahn,  der damals für Rot- Weiß Essen kickte. Der älterer Bruder des Jungen, schmeißt  die Kneipe der Mutter und ist Kommunist. Die Mutter rackert zusammen mit ihrer  Tochter in der Arbeiterkneipe. Ein gutes Geschäft, verspricht sich die Mutter  von der kommenden WM und stellt ein TV Gerät im Lokal auf. Kurz vor der WM,  kehrt der Vater aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück. Tyrannisch behandelt  er seinen Jüngsten, dem er die Bewunderung für Helmut Rahn austreiben will. Er  ohrfeigt den Jungen und fügt hinzu: „ Ein deutscher Junge weint nicht“. Der  Tochter verbietet er, mit amerikanischen Soldaten zu tanzen und Schminke zu 
benützen. Dem älteren Sohn verübelt er den Kommunismus und die Renitenz. Die  Mutter versucht den Streit beizulegen, indem sie auf Papas Schicksal hinweist.  Sie prägt den Satz: „Wir alle sind unschuldig“. Gemeint sind damit alle  Deutschen, bezogen auf die jüngste Vergangenheit. Der älteste Sohn ist nicht  gewillt, an dieser Versöhnung teilzunehmen und übersiedelt in die DDR. Der  jüngere Bruder verurteilt diesen Schritt, denn „soziale Gleichheit könne es  nicht geben“. Wunder gibt es nach dem Kleinen nur, wenn der Boß Fußball spielt.  Der tyrannische Vater, entdeckt seine Liebe zum Fußball wieder und fährt mit  seinem Filius zum Endspiel nach Bern. Beglückt nimmt der Mann den Sieg der 
Fußballmannschaft wahr und freut sich über das „deutsche Wunder“. In der Kneipe  der Eltern, werden anläßlich der Übertragung der Spiele laufend rassistische  Sprüche geklopft, wie: „ Vorsicht die Jugos sind alle Partisanen und unfair“. Ein anderer Kneipengast sagt, nachdem Ungarn im Endspiel früh 2:0 führt: „Wir  werden das Spiel genauso verlieren, wie den Krieg.“ Die Message des Films, ist  jedoch eine andere, das Spiel endete 3:2 für Deutschland, die Kriegsniederlage  wiederholte sich nicht. Eine verwöhnte Dame aus München, Frau eines SZ-Reporters ist anfangs nicht am Fußball interessiert. Im Lauf des Turniers, entwickelt sie sich zum „Fan“. Vor dem Spiel gegen Ungarn fordert sie: „Schickt 
sie zurück in die Pusta, macht Schaschlik aus den Ungarn“. Während des Spiels,  kommt die deutsche „Walküre“ groß ins Bild und brüllt „Deutschland, Deutschland,  die Hauptribüne folgt der Dame aus München blind. Kurz nach diesem  Gefühlsausbruch, schießt Max Morlock den Anschlußtreffer für Deutschland.  Kitsch, Nationalismus und Rassismus prägen den Film, „Das Wunder von Bern“ wird  neuzeitlich instrumentalisiert. Dichtung und Wahrheit liegen nah zusammen, die  Kernaussage ist jedoch „ Deutschland, Deutschland über alles in der Welt“. Die  führenden Politiker des Landes sind von dem Film begeistert, ein Schelm wer böses dabei denkt. Sind doch alle bloß Fußballfans, oder ?

Editorische Anmerkungen:

Max Brym stellte uns diesen Artikel zur Veröffentlichung zur Verfügung. Er lebt als freier Journalist in München. Im Partisan.net hat er seine Homepage.