Privatisierungen
Emanzipatorische und demokratische Antworten entwickeln

von
Christian Zeller

11/02
 
 
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Im Zuge der Privatisierungen und Umstrukturierungen von Post, Telekom, Stromversorgung, Gesundheitsversorgung und zahlreichen kommunalen Versorgungsbetrieben entwickelt sich in der gewerkschaftlichen Linken und in Attac endlich eine Diskussion wie diese unsozialen Angriffe abgewehrt werden können. Viele, die den Privatisierungen kritisch gegenüberstehen, lassen sich allerdings weitgehend auf die Prämissen der Privatisierungspropagandisten ein. Sei es, dass sie ein betriebswirtschaftliches Effizienzverständnis übernehmen oder sei es, dass sie die Legende des öffentlichen Finanznotstandes akzeptieren und nicht ein anderer Steuersystem verlangen. Als Reaktion darauf verteidigen andere schlicht das Staatseigentum, ohne weitergehende Perspektiven zu entwickeln.

Der vorliegende Diskussionsbeitrag argumentiert demgegenüber, dass der konsequente Widerstand gegen Privatisierungen mit einer Perspektive verbunden werden muss, die die sozialen Bedürfnisse und demokratischen Ambitionen der Menschen in einer emanzipatorischen Perspektive in den Mittelpunkt rückt. Anstatt vermeintlichen Sachzwängen zu folgen, gilt es zunächst, die ökonomische Logik der Privatisierungen und die politischen Machtverhältnisse zu erkennen. Die folgenden Thesen sollen zu einer Diskussion bei Attac, Gewerkschaften und Verbraucherverbänden anregen.

1. Privatisierungen sind Bestandteil des neoliberalen Gesellschaftsumbaus

Der Kapitalismus geriet Mitte der siebziger Jahre in eine Strukturkrise, die vor allem durch ein Absinken der Profitabilität und eine gebremste Akkumulationstätigkeit gekennzeichnet war. Die Regierungen in Europa und Nordamerika reagierten zunächst mit den bekannten keynesianischen Rezepten einer Nachfragestimulierung. Seit Ende der siebziger Jahre haben sie zunehmend erkannt, dass sie die Verwertungsbedingungen für das Kapital mit radikaleren Methoden verbessern müssen. Die konservative Regierung Thatcher hat in Großbritannien ab 1979 als erste ein umfassendes neokonservatives Programm umgesetzt. Die US-Regierung unter Reagan kombinierte die antisoziale Offensive mit einem gigantischen Rüstungsprogramm im Sinne eines Militärkeynesianismus. In den meisten Ländern Europas konnte sich eine vergleichbare Politik zunächst nur zögerlich durchsetzen. Der Aufschwung in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre in den USA und in Europa schwächte die Brisanz der Auseinandersetzung vorübergehend ab. Im Zuge der Krise 1991/92 startete das Bürgertum in allen kapitalistischen Ländern mit dem erpresserischen Argument der Verbesserung der internationalen Konkurrenzfähigkeit und im Namen der Anpassung überkommener Strukturen eine breit angelegte Offensive. Seither wurden zahlreiche soziale Errungenschaften abgeschafft und weitere werden laufend in Frage gestellt. Die umfassenden Privatisierungswellen, die sowohl von den sozialliberal-grünen wie bürgerlichen Regierungen in Europa vorangetrieben werden, ordnen sich in einen umfassenden Kontext ein.

2. Verbilligung der Arbeit

Die industriellen Restrukturierungen sind mit neuen Formen der internationalen Arbeitsteilung und der Arbeitsorganisation verbunden. Zentrales Anliegen bleibt immer noch, den Mehrwert (der Anteil der Arbeit, der dem/der Lohnabhängigen nicht entgolten wird) zu vergrößern, die Lohnstückkosten zu senken und somit die Profitrate zu erhöhen. Mit der Verweigerung des Inflationsausgleichs und der Nichtbezahlung von Überstunden wird ein direkter Lohnabbau betrieben. Die Schaffung hochflexibler und spezialisierter Produktionsstrukturen senkt die Kosten. Parallel dazu erfolgt die Flexibilisierung der Arbeit und der Lohnverhältnisse. Aufgrund der hohen Arbeitsproduktivität sind Produktionsverlagerungen in Billiglohnlän der in den strategischen Branchen ein marginales Phänomen. Die angestiegene Erwerbslosigkeit und die Beschneidung der Rechte der Erwerbslosen bewirken einen zusätzlichen Lohndruck.

3. Verringerung der Sozialisierung der Gewinne

Das Steuersystem trägt je nach Ausgestaltung zu einer sozialen Umverteilung des Reichtums bei. Direkte Steuern auf hohe Einkommen, Vermögen und Unternehmenserträge führen zu einer gewissen Sozialisierung der Gewinne. Genau das wurde geändert. In den achtziger und neunziger Jahren wurden in zahlreichen Ländern Steuerreformen durchgeführt, die die Unternehmen begünstigten. Zu nennen sind die Abschaffung der Vermögenssteuer (durch die Kohl- Regierung) sowie die steuerlichen Begünstigungen großer Unternehmen und von Firmenzusammenschlüssen (durch die Schröder-Regierung).

Den bürgerlichen und sozial-liberal-grünen Regierungen geht es jedoch weniger um die wirkliche Sanierung der Haushalte als um die Zurückdrängung des Staates aus der Wirtschaft. Ihre Politik entspricht einem leicht verständlichen Muster: Sobald Defizite erscheinen, verlangen sie Ausgabenreduktionen; führen diese zu einem ausgeglicheneren Haushalt, fordern sie sofort Steuerreduktionen; diese wiederum bewirken neue Defizite. Die Defizite dienen wiederum als Vorwand, erneute Ausgabensenkungen zu fordern. Diese Politik verfolgt das Ziel, zuerst mit Steuersenkungen die teilweise Vergesellschaftung der Gewinne zu reduzieren und dann mit Sparprogrammen und Gebührenerhöhungen mehr Geld aus den Taschen der Lohnabhängigen zu ziehen. Gleichzeitig kann die Handlungsfähigkeit des Staates auf der wirtschaftlichen Ebene verringert werden. Privatisierungen dienen also nicht der Verminderung der Staatsschulden, sondern die Staatsschulden werden provoziert, um den Staat in den Bereichen Infrastruktur und Soziales zurückzudrängen.

4. Neue Verwertungsmöglichkeiten für das Kapital: Privatisierungen

Die Privatisierungen wurden in den achtziger Jahren in Europa mit Ausnahme von Großbritannien eher zaghaft realisiert, ideologisch wurden sie bereits zielstrebig vorbereitet. In den neunziger Jahren setzte dann die Zerstückelung und Privatisierung einiger zentraler Sektoren ein (Telekommunikation, Post, verschiedene kommunale Dienste, Energieversorgung). Neue Technologien (z.B. im Bereich der Telekommunikation und Internet) kamen sogleich unter die Kontrolle privater Konzerne. Jetzt läuft eine weitere Welle in den Bereichen Bahn, Gesundheitswesen, Altersversorgung , Wasserversorgung, Bildung und Arbeitsvermittlung. Das Kapital sucht sich im Rahmen von Privatisierungen im Sinne einer "inneren Kolonisierung" neue und rentable Bereiche zu seiner Verwertung. Dies ist umso leichter zu erreichen, wenn so genannt "nicht-rentable" Sektoren geopfert oder dem Staat überlassen werden.

Die aktuelle Phase des Kapitalismus ist eine Ökonomie der Enteignung. Enteignet werden öffentliches Eigentum sowie natürliche und intellektuelle Ressourcen auf allen Ebenen: das reicht von Berlins Wasserversorgung, über die regionalen Stromanbieter und die Telekommunikation in Deutschland, über die Wissensproduktion der High Tech-Universitäten im Silicon Valley bis zu den natürlichen Ressourcen der Menschen im Amazonas. Die internationalen Abkommen TRIPS (trade-related aspects of intellectual property rights) and GATS (General Agreement on Trade in Services) verleihen diesem Charakterzug eine institutionelle Form. Alles, was profitabel sein kann, soll privater Aneignung zufallen.

RWE und Vivendi: Bereicherung durch Wasser

Der deutsche Energiekonzern RWE mit Hauptsitz in Essen führte in den letzten Jahren einen regelrechten Feldzug zur Aneignung von Wasserressourcen durch. Im Juni 1999 erwarb die Konzerntochter RWE Acqua gmbH zusammen mit der Compagnie Générale des Eaux (CGE) des französischen Konzerns Vivendi und der Allianz Capital Partner GmbH 49,9% der Anteile an den Berliner Wasserbetrieben. Etwas mehr als ein Jahr später, im September 2000, übernahm RWE den englischen Konzern Thames Water Plc für über 7,1 Mrd. Euro. Das in London ansässige Unternehmen betreut seither als neue Führungsgesellschaft unter dem Dach des RWE-Konzerns das nationale und das internationale Wassergeschäft. Damit entstand der weltweit drittgrößte Anbieter für Wasser- und Abwasserdienstleistungen mit London, Berlin, Budapest, New Jersey, Shanghai, Jakarata und Bangok als wichtigsten Standorten. Nachdem die Wasserversorgung in England bereits in den achtziger Jahren privaten Konzernen übergeben wurde vollzieht sich die Konzentrationsprozeß nun auf internationaler Ebene. Abermals ein Jahr später, im September 2001, setzte RWE zum großen Sprung über den Atlantik an und übernahm für 4,6 Milliarden USD den Konzern American Water, der in 23 US-Bundesstaaten tätig das größte Wasserunternehmen des Landes war.

Neben dem Engagement in Berlin hat sich Vivendi im Mai 2002 auch der Stadtwerke Görlitz bemächtigt. Vivendi hat einen Anteil von 74,9% an den Stadtwerken Görlitz übernommen. Damit wurden erstmals in Deutschland Anteile an einem kompletten Querverbund- Unternehmen einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs veräußert.

Berlinwasser: Enteignung der BürgerInnen

Die Enteignung der Berlinerinnen und Berliner von ihrer Wasserversorgung zeigt wie sich ein solcher Prozeß abspielt. Der Berliner Senat beschloß am 16. Juni 1999 den Verkauf von 49,9% Anteile an den Berliner Wasserbetrieben (BWB) an ein Konsortium aus der RWETochter RWE Aqua GmbH, der Compagnie Générale des Eaux von Vivendi und der Allianz Capital Partner GmbH. Innerhalb des Konsortiums übernahmen Vivendi und RWE jeweils 45% und die Allianz 10%.

Die Regierung Berlins gab im Bündnis mit einem Teil der Wirtschaft die Marschrichtung vor: Berlin soll zu einem der zehn wichtigsten Standorte auf dem boomenden globalen Wassermarkt werden. Durch die neue Holdingstruktur der Berlinwasser mit den Anteilseignern Vivendi und RWE baute das Unternehmen nicht zuletzt auf der Grundlage ehemals öffentlichen Eigentums die Aktivitäten aus und eröffnete eine Expansionsoffensive in den neuen Wassermärkten Osteuropas und sogar in China. Berlinwasser erklärte "Unser Ziel ist es, zu einem Rundum-Dienstleister für Wasser und Abwasser in Berlin, in Deutschland und in der Welt zu werden." (Berlinwasser Geschäftsbericht 2000, S. 5). Diese Strategie wurde auf drei Achsen verfolgt:

  •  Internationale Expansion und Beteiligung an Wasser- und Entsorgungsbetrieben, denen es an "Investitionskapital und organisatorischem Know how mangelt";
  • Im Geschäftsfeld Dienstleistungen wurden unter Führung der Berlinwasser Services GmbH verschiedene Dienstleistungen in Berlin zusammengefasst. Auf dieser Basis wurden Vermarktungsgesellschaften gegründet und neue Tätigkeitsfelder z.B. in Ingenieurwesen erschlossen.
  • Das neue Geschäftsfeld Multi Utility sollte eine integrierte Rundum-Versorgung mit Strom, Wärme, Telekommunikation und vielen anderen Dienstleistungen anbieten. Die hierzu gegründete Avid GmbH machte aber bereits ein halbes Jahr nach ihrer Gründung Ende 2001 Pleite.

Das ganze Manöver Berlinwasser endete bereits nach zwei Jahren im Desaster. Der Verkauf des verschuldeten Müllverwertungszentrums SVZ Schwarze Pumpe klappte nicht. Die USFirma Global Energie löste den bereits abgeschlossenen Kaufsvertrag nicht ein. Dennoch hatten die Wasserbetriebe den Kaufspreis von 210 Millionen DM als außerordentlichen Ertrag in der Bilanz 2000 verbucht. Zugleich übernahmen die Wasserbetriebe eine Bürgschaft von 315 Millionen DM für die Holdingkommunikationstochter Berlikomm, die ihrerseits bei den Banken im Jahr 2001 mit über 233 Millionen DM in der Kreide stand. Ende 2001 war klar, dass das Projekt bereits tief im Schuldenmorast steckte. Zugleich hatten sich RWE und Vivendi beim Kauf der Anteil jährliche Renditen von 7% gesichert (ursprünglich sogar 9%, die dann gerichtlich reduziert wurden). Auf der Basis des Kapitalgrundstock lancierten RWE und Vivendi unter dem Dach der Berlinwasser Holding internationale Expansionsstrategien. Im Mitte Mai 2002 sicherte der SPD-PDS Senat der Berlinwasser Holding AG eines Landesbürgschaft von 316 Millionen Euro, um das Unternehmen vor dem Konkurs zu retten. Die Bürgschaft wird dazu verwendet, Altschulden zurückzubezahlen und das internationale Geschäft voranzutreiben.

Unterdessen schlitterte auch der Konzern Vivendi in die Krise. Seine Schulden betragen rund 35 Milliarden Euro. Der Münchner Allianz-Konzern zog als erster die Konsequenzen und zog sich im Juni aus der Berlinwasser Holding zurück. Die rivalisierenden RWE und Vivendi übernahmen den Anteil zu gleichen Teilen. Damit blieb die Pattsituation der beiden Rivalen bestehen. Wirtschaftssenator Gregor Gysi (PDS) setzte sich Mitte Juni 2002 noch aktiv dafür ein, dass die Berlinwasser-Holding einen umstrittenen Auftrag in Zagreb erhält. Ende Juni erreichte die Plünderung einen vorläufigen Höhepunkt. RWE und Vivendi schlugen vor, die Berlinwasser Holding wieder auf das Kerngeschäft der Berliner Wasserbetriebe (BWB) zu konzentrieren. Das Land Berlin erwägt einen weiteren Verkauf von Anteilen. Der Kahlschlag könnte den Abbau von 1300 Arbeitsplätzen zur Folge haben. Das internationale Geschäft wollen RWE und Vivendi wahrscheinlich unter sich aufteilen oder verkaufen.

LBK Hamburg

Die Auseinandersetzung um den stadteigenen "Landesbetrieb Krankhäuser" in Hamburg ist noch nicht so weit gediehen. Das Privatisierugnsprojekt der Landesregierung weist aber bereits Züge auf, die ein ähnliches Szenario nicht ausschließen. Der LBK ist der größte Arbeitgeber der Stadt. Hier arbeiten rund 13000 Menschen. Der LBK ist mit 1500 Auszubildenden auch der größte Ausbildungsbetrieb Hamburgs. Der LBK rühmt sich, eines der größten Gesundheitsunternehmen Europas zu sein. Der Senat hat am 5. Februar 2002 beschlossen, die Privatisierung des LBK einzuleiten Offensichtlich wurden bereits zwei große Banken mit dem Verkauf beauftragt. Dieses Geschäft sollen den Banken nebenbei eine Provision von 80 Millionen Euro einbringen. Der LBK musste bei der Umwandlung in eine öffentlich rechtliche Anstalt durch die sozialdemokratische Regierung die Versorgungszusage auch für ehemalige Klinikbeschäftigte übernehmen. Damit wurde der LBK bewusst und gezielt in eine "Überschuldung" getrieben. Diese "Überschuldung" dient nun als Vorwand, privates Kapital zu beteiligen. Zudem ist offensichtlich, dass Teile des Krankenhauswesens sehr profitabel betrieben werden. Mit der Durchführung klinischer Studien für die Pharmakonzerne sowie der Patentierung und Auslizenzierung von Forschungsergebnissen können enorme Geschäfte abgeschlossen werden. Durch die (auch nur teilweise) private Aneignung von Krankenhäusern kommen wir der Herausbildung eines medizinisch-biotechnologisch-pharmazeutischen industriellen Komplexes einen wesentlichen Schritt näher.
Auch die Gewerkschaft Ver.di verlangt, dass private Unternehmen sich am LBK beteiligen sollen, um diesen Finanzierungsnotstand zu beheben. Zynischerweise hat Ver.di eine Volksinitiative unter dem Titel "Gesundheit ist keine Ware" lanciert. Diese Initiative verlangt, dass der LBK mehrheitlich öffentlich bleiben muss. Auf dem Unterschriftenbogen schreibt Ver.di: "Mit dem Erhalt des Mehrheitseigentums der Freien und Hansestadt wird dauerhaft gesichert, dass bei Gesundheitsversorgung die politischen Interessen der Hamburger Bevölkerung und nicht die Gewinninteressen privater Eigentümer den LBK dominieren". Das ist entweder naiv oder eine glatte Lüge. Alle Erfahrungen zeigen, dass sich private Unternehmen über Holdingkonstruktionen (siehe Berlinwasser) und der operativen Eingliederung ganzer Geschäftszweige in ihre konzernweite Arbeitsteilung die tatsächliche Kontrolle über Unternehmen sichern können, auch wenn sie weit unter 50% der Anteile besitzen.

"Innere Kolonisierung" und "Rekolonisierung"

Die Ökonomien Südamerikas zeigen, dass sich die "innere Kolonisierung" schnell wieder zu einer "Rekolonisierung von außen" mutiert. Viele große Konzerne aus Europa und den USA haben sich in Südamerika beträchtliche Infrastrukturbereiche unter den Nagel gerissen. So hat sich die spanische Telefonica im Sinne einer "Reconquista" weiter Teile der festen und mobilen Telekommunikationsnetze in Argentinien, Brasilien, Peru und Chile bemächtigt. Diese Reconquista erstreckt sich auch auf die natürlichen und intellektuellen Ressourcen dieser Länder.

5. Privatisierungen befördern die Entstehung globaler Oligopole

Die Entwicklung im Telekommunikationsbereich zeigt es: zwar wurden auf nationaler Ebene staatliche Monopole abgeschafft. Aber bereits vollzieht sich eine zunehmende Konzentration, nun aber auf internationaler Ebene. Der Kampf ums Wasser zwischen RWE, Vivendi und anderen Konzerne spielt sich ebenfalls bereits auf globaler Ebene an. Einige wenige Global Players greifen sich gegenseitig in ihren Heimmärkten an. Ähnliches geschieht in anderen Bereichen. So agiert die Deutsche Post mittlerweile als zentrale Kraft in den internationalen Logistikmärkten. Der französische Konzern Vivendi hat sich der öffentlichen Infrastruktur in zahlreichen Städten auch außerhalb Frankreichs bemächtigt. Vivendi ist mittlerweile zentraler Teilhaber an zahlreichen Stadt- und Wasserwerken in Deutschland. Dieses Feld machen die deutschen Energiekonzerne RWE und E.ON dem französischen Rivalen streitig. Zentrale Infrastruktureinrichtungen werden damit jeglicher öffentlichen und demokratischen, ja sogar parlamentarischen, Kontrolle entzogen.

6. Privatisierungen schaffen Bürger/innen-rechte ab

Die bürgerlichen, sozialdemokratischen und grünen Parteien bedienen sich demagogisch der Parole "Abbau von Bürokratie". Im Namen von "individuellen Freiheiten" und des Marktes stellen sie die ohnehin bescheidene soziale Ausgleichsrolle des Staates in Frage. In diesem neoliberalen Sinne bedeutet "weniger Staat" nichts anderes als ein Angriff auf die Erfüllung öffentlicher Bedürfnisse. Die neoliberalen Ideologen und ihre sozialliberal-grünen Nachbeter geben vor, die öffentlichen Dienste und die soziale Sicherheit seien als Waren zu betrachten, für die das Gesetz von Angebot und Nachfrage spielen solle: wer bezahlen kann, hat Anrecht auf das Beste.
Infolgedessen wollen sie die Dienstleistungen im Gesundheitswesen, im Verkehr, in der Telekommunikation und sogar im Bildungswesen im Zuge von Verwaltungsreformen und Privatisierungen in die Zwangsjacke betriebswirtschaftlicher Effizienz und Rentabilität stecken. Diese führen volkswirtschaftlich zu Verschwendung und steigern die soziale Ungleichheiten. Die Bürgerrechte an öffentlichen Diensten werden damit abgeschafft. Die Bürgerinnen und Bürger werden zu Kundinnen und Kunden, oder im Falle mangelnder Kaufkraft zu Almosenempfängern/ innen.

In einer demokratischen und emanzipatorischen Perspektive setzten wir uns demgegenüber für ein Recht auf sauberes Wasser und gute Luft, eine Wohnung, auf gesunde Nahrungsmittel, auf Bildung, auf eine sinnvolle und kreative Arbeit, auf öffentlichen Transport und verschiedene kulturelle Aktivitäten ein. Niemand soll auf wohltätige Hilfe angewiesen sein.

7. Konsequent ist realistisch

Die Beispiele, insbesondere der Berlinwasser Holding und der geplanten Privatisierung des LBK Hamburg zeigen, dass eine konsequente Argumentation absolute Voraussetzung ist, um einen wirksamen Widerstand gegen die Enteignung öffentlicher Ressourcen aufzubauen. Die sogenannte Realpolitik der Gewerkschaftsführungen und von Betriebsräten ist äußerst unrealistisch und naiv. In manchen Fällen ist das Verhalten von einer "rette sich wer kann" Haltung gekennzeichnet. Dabei erhoffen sich einzelne Gewerkschaftsführer und Betriebsräte entweder den eigenen Betrieb (auf Kosten anderer) zu retten oder sogar, sich selbst ein Stück des privatisierten Kuchens abzuschneiden.

Eine konsistente und konsequente Argumentation ist nicht nur redlicher, sondern längerfristig auch glaubwürdiger. Das heiß aber: der Widerstand muss sich ein eigenes konzeptionelles Gerüst erarbeiten. Drei Achsen stehen dabei im Vordergrund. Es geht darum, eine eigene Konzeption gesellschaftlicher Bedürfnisse, der Demokratie und der sozialen Aneignung von Ressourcen auszuarbeiten (siehe Abschnitt 10). Auf dieser Basis ist Attac bestrebt, möglichst breite gesellschaftliche Bündnisse aufzubauen. Das heißt zugleich, dass Attac die Unabhängigkeit gegenüber den Bündnispartnern bewahrt und sich nicht vor politisch fragwürdige Manöver spannen läßt (z.B. Ver.di Volksinitiative zur Teilprivatisierung des LBK).
Die Privatisierungen sind nur ein Teil der Auseinandersetzung. Die Erwerbslosigkeit, das ganze System der sozialen Sicherheit, die internationalen Finanzmärkte sowie die Aufrüstung sind als miteinander verflochtene Probleme zu betrachten. Demzufolge kann auch eine alternative Politik nicht einzelne Teile isolieren und scheinbar pragmatisch realisierbare Lösungen anbieten. Bei allen Brennpunkten ist es erforderlich, Bündnisse, insbesondere zwischen den betroffenen Beschäftigten und BenützerInnen, zu entwickeln.

8. Sozialisierung statt Privatisierung der öffentlichen Dienste

Die herkömmliche, rein betriebswirtschaftlich orientierte Idee der Effizienz ist grundsätzlich abzulehnen. Es ist eine Effizienz, die dazu führt, dass das ein breites öffentliches Angebot umso kleiner wird, je mehr das Angebot an Spezialdiensten zunimmt, die zwar einen hohen Qualitätsstandard aufweisen, aber nur von Leuten mit großer Kaufkraft beansprucht werden können.

Die Altersvorsorge und die Krankenversicherungen sind zu modernisieren und unter öffentlicher Kontrolle zu vereinheitlichen um aus dem Dschungel von privaten Vorsorgeeinrichtungen und den damit verbundenen Abzockereien hinauszutreten. Durch eine Verbreiterung der Bemessungsbasis und eine progressive Gestaltung der Prämien kann der "Finanzierungsnot stand" behoben werden. Das Gesundheitswesen soll auch den RentnerInnen einen würdigen Lebensabend als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft garantieren.

Die Verwirklichung der oben erwähnten Rechte setzt entsprechende öffentliche Dienstleistungen voraus. Gratiseinrichtungen basieren auf einem Verständnis von "gleiche Rechte für alle". Diese Idee steht im Zentrum einer solidarischen Konzeption der öffentlichen Dienste. Selbstverständlich reicht es nicht, den Ist-Zustand zu verteidigen. Dennoch können die öffentlichen Dienste Ansätze einer Alternative zu den Bereicherungsmechanismen des Marktes darstellen. Gleichzeitig ist die Verteidigung eines vielfältigen und qualitativ guten Dienstleistungsangebots nicht zu vereinbaren mit einem bürokratischen, stark hierarchischen und volksfernen Apparat. Die öffentlichen Dienste weiterentwickeln heisst:

Die Lohnabhängigen sind in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Das erleichtert die Bewertung der Arbeit, weil andere Bewertungskriterien angewendet werden als diejenigen der traditionellen "Unternehmenskultur".

Hierarchische Strukturen sollen abgebaut werden. Denn sie haben nur den Sinn, das Personal ohne Eigenverantwortung zu kontrollieren und die bürokratischen Administrationsmechanismen zu erhalten, anstatt die Qualität der zu leistenden Dienste zu gewährleisten.

Ein echter Dialog zwischen BenutzerInnen/BürgerInnen- die bis jetzt nur als passive KonsumentInnen wahrgenommen worden sind - und Personalsoll entwickelt werden. Dadurch können die Angebote sozial gestaltet und gleichzeitig deren Vielfalt garantiert werden.
Angesichts der internationalen Verflechtungen, der stark angestiegenen Mobilität der Lohnabhängigen in Europa und des europaweiten und globalen Agierens großer Konzerne sind Alternativen auf europäischer Ebenezu formulieren. Welche Bahnen wollen wir in Europa, welche Sozialversicherungen, welche Telekommunikation? Wer kontrolliert die internationalen Glasfasernetze für das Internet? Wie können die europäischen mit den nationalen, regionalen und lokalen Strukturen verschränkt werden? Ein Zurück zur nationalen Perspektive ist ausgeschlossen.

Weit davon entfernt, die Gesellschaft verstaatlichen zu wollen, ist vielmehr die Sozialisierung des Staates und der gesamten Wirtschaft anzustreben. Das heisst, die BürgerInnen nehmen ihre Angelegenheiten selbst in die Hand. In diesem Sinne ist ein grundsätzlicher Widerstand gegen die Privatisierung der Krankenhäuser, der Altersvorsorge, der Krankenversicherungen, der öffentlichen Verkehrs und anderer Teile der öffentlichen Verwaltung die Voraussetzung für die Formulierung kohärenter Alternativen.

9. Für eine radikale Arbeitszeitverkürzung

Unseren Widerstand gegen die Privatisierungen verknüpfen wir mit einer aktiven Politik gegen die Erwerbslosigkeit. Alleine die Verwirklichung oben der genannten Schritte schafft mehr Arbeitsplätze. Mehr noch, eine neue, solidarische Konzeption der öffentlichen Dienste ist mit einer Politik zur Umverteilung der Arbeit zu verknüpfen. Voraussetzung für eine Umverteilung der Arbeit ist eine radikale Arbeitszeitverkürzung: die 35-h-Woche auf dem Weg zur 32-h-Woche auf europäischer Ebene bei Erhaltung der Kaufkraft für die Mehrheit der Lohnabhängigen. Die radikale Arbeitszeitverkürzung ist das wirksamste Mittel gegen die Erwerbslosigkeit und ist angesichts der enormen Produktivitätsfortschritte ökonomisch gerechtfertigt. Doch es geht um ein umfassenderes Problem. Es sind Vorstellungen für eine Neuverteilung der Arbeit, der eingesparten Arbeit und der Freizeit zu entwickeln. Ein solches Herangehen wirft unmittelbar auch die Frage nach der Neuorganisierung der Arbeitsverhältnisse, der Umverteilung der reproduktiven Arbeiten und der solidarischen Neugestaltung der internationalen Arbeitsteilung auf. Eine radikale Arbeitszeitverkürzung ist ein wesentliches Instrument zur Neugestaltung der Verhältnisse zwischen den Geschlechtern. Im Rahmen einer Neuorganisation der Arbeit ist schließlich die Frage aufzuwerfen, wo zusätzliche Arbeit dringend nötig ist. In vielen Bereichen unserer Gesellschaft, hauptsächlich bei der Bildung und im Sozialwesen können zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit sind wir wieder bei der Frage der öffentlichen Dienste.

10. Soziale Aneignung, Demokratie und Bedürfnisse

Die soziale Aneignung der öffentlichen Dienste und letztlich die Neugestaltung der Arbeit und die Aneignung der Arbeit und ihrer Erzeugnisse durch die Arbeitenden wirft zugleich natürlich die Frage des Eigentums auf. Ein Schritt in die Richtung soziale Aneignung großer Konzerne könnte zum Beispiel sein, dass Unternehmen sich an Konzessionen halten müssen, die lokal, national und kontinental diskutiert werden. So könnte zum Beispiel die Pharmaindustrie der Bedingung unterworfen werden, Medikamente für eine weltweite kostenlose Grundversorgung zu produzieren. Ähnlich Verfahren sind auf europäischer und internationaler Ebene für alle großen Sektoren denkbar. Die Diskussion dieser Konzessionen erfordert die ständige Mobilisierung von Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen. In diesem Rahmen können auch die Bedürfnisse ermittelt und ausgetauscht werden, respektive es kann darüber diskutiert werden, welche Ressourcen zur Befriedigung welcher Bedürfnisse prioritär bereitgestellt werden. Diese Konzessionen stellen die private Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel noch nicht total in Frage, aber sie können ein erster Schritt dazu und in die Richtung einer sozialisierten Ökonomie im Sinne eines Übergangs in einer sozialistischen Perspektive sein. Unsere Alternativen entwickeln sich dynamisch im Zusammenspiel von Bewegungen, Kämpfen und der Ausarbeitung neuer Konzepte.

Editorische Anmerkungen

Christian Zeller schrieb diesen Artikel Anfang August 2002. Er wurde in der Zeitschrift Debatte, Postfach 8707, 8036 Zürich, mailto:debatte@bluewin.ch, PCK 87-65158-5, Debatte, Zürich  veröffentlich und gespiegelt von:
http://www.debatte.ch/pages/news/privat.html