Bin Laden an der Südgrenze der Festung Europa ?

Von Gaston Kirsche (gruppe demontage)

11/01
trdbook.gif (1270 Byte)
 
trend
online
zeitung
Briefe oder Artikel
info@trend.partisan.net
ODER per Snail:
trend c/o Anti-Quariat
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
“Das ist ein grundloser, nicht zu rechtfertigender Akt der Repression gegen Marokko”, tobte der Arbeitsminister von Marroko, Abbas el Fassi, am 15. November, gegenüber der marrokanischen Agentur MAP. Spanien würde den Vertrag über Arbeitsmigration boykottieren, den er im Juli mit dem spanischen Innenminister Mariano Rajoy ausgehandelt hatte. Danach können pro Jahr 20.000 Marokkaner mit Arbeitserlaubnis nach Spanien einreisen. Von dem Vertrag versprach sich Spanien eine Kontrolle der Arbeitsmigration.

Aber unlängst erklärte der spanische Staatssekretär für Migration, Enrique Fernández, dass wegen der momentanen diplomatischen Krise zwischen Marokko und Spanien die Umsetzung des Vertrages gefährdet sei und nächstes Jahr wohl das im Vertrag vorgesehene Kontingent an Arbeitserlaubnissen verfallen werde. Die Vereinigung von marrokanischen Arbeitsmigranten in Spanien ATIME beschuldigte den Staatssekretär daraufhin, “einen Verrat zu begehen”. Marroko hatte zuvor am 27. Oktober seinen Botschafter aus Madrid abgezogen. Einer der Gründe war die Kritik Spaniens an der Annexion der Republik Westsahara durch Marokko, ein anderer Grund die zahlreichen Vorwürfe in spanischen Medien, dass Marroko nichts gegen die Migranten unternehme, die versuchen, klandestin über die Meerenge von Gibraltar nach Spanien zu kommen - die Südgrenze der Festung Europa. Der spanische Außenminister Josep Pique hatte marokkanischen Behörden Zusammenarbeit mit vermeintlichen Schleppermafias vorgeworfen, weil täglich mehrere hundert klandestine Grenzgänger von dort kommen. Marokkos König Mohamed VI entgegnete darauf, “die meisten dieser Mafias sitzen in Spanien”.

Seit den Anschlägen vom 11. September werden Marokkaner und andere Araber auch in Spanien als potenzielle islamistische Terroristen angesehen. Bereits traditionell werden sie aus rassistischen Gründen diskriminiert und nur im Niedriglohnsektor beschäftigt. Spanische Zeitungen kolportierten jetzt eine alte Geschichte von 1998: dass die algerische islamistische GIA, Bewaffnete islamische Gruppe, unter Arbeitsmigranten aus Algerien in Spanien eine Art Steuer erheben würde. Die genauesten Daten hierzu stammen angeblich als El Ejido - dem Ort, der für den selbstorganisierten Streik von Arbeitsmigranten gegen rassistische Diskriminierung bekannt geworden ist. Ein Algerier, der anonym bleiben möchte, erklärte dazu gegenüber El País: “Aber es zahlen nicht alle, die gefragt werden, noch werden alle Algerier gefragt. Sie fragen nur diejenigen, die ihren Positionen nahestehen - und das sind nicht viele.”

Jetzt kommen verstärkte polizeiliche Massnahmen hinzu, die von vielen Spaniern begrüsst werden. Denn auch in Madrid und Granada wurden Mitte November 14 mutmaßliche Mitglieder von Al-Qaida verhaftet, von denen überall behauptet wird, sie hätten in Tschetschenien, Bosnien und Afghanistan mitgekämpft. In Zeitungen werden sie als “Männer Bin Ladens” bezeichnet, Waffen, Sprengstoff und gefälschte Papiere seien beschlagnahmt worden.

Außer der Vereinigten Linken IU protestiert keine Parlamentspartei gegen die geplanten neuen sogenannten Anti-Terror-Gesetze, die von Otto Schily entworfen sein könnten. Und der Protest von Migrantenorganisationen dagegen wird kaum beachtet. Der Sprecher von ATIME, Mustafá Elmerabet, erklärte etwa Mittwoch letzter Woche: “Wenn sie die juristischen Rechte derart einschränken, bringen sie den Rechtsstaat aus dem Gleichgewicht.” Er brachte seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die Einschränkung der Freiheiten auf die moslemischen Arbeitsmigranten zielt: “Wir Moslems sind im Auge des Hurrikans. Und damit wird den Faschisten zugearbeitet.”

Polarisiert ist die Lage in den beiden Städten Ceuta und Melilla. Diese beiden spanischen Enklaven liegen an der Küste Nordafrikas. Das Pro-Kopf-Einkommen ist zwölfmal höher als in Marokko. Es sind die letzten spanischen Kolonien in Afrika. 11 Kilometer lang ist die hochgesicherte Grenze zu Marroko - auf der anderen Seite liegt die Meerenge von Gibraltar. Die nächste spanische Stadt liegt acht Autostunden entfernt - Ceuta, oder acht Stunden auf der Fähre über die Meerenge Málaga. Mit dem Abkommen von Schengen wurden auch die Zäune um Ceuta und Melilla höher. Seit 1999 sind die Grenzanlagen fast unüberwindbar: Über 3 Meter hoch, mit Stacheldraht oben und einem Betonsockel unten verlaufen zwei Zäune mit Bewegungssensoren, dazwischen zwei Meter Freifläche. In Ceuta stehen 25 Wachtürme der Guardia Civil an der achteinhalb Kilometer langen Grenze. Nachts sind 100 Flutlichtlampen an, Nachtsichtgeräte und Richtmikrofone gehören zur Ausrüstung der Grenzpolizisten. In Melilla sieht es genauso aus. So bleibt für die heimliche Grenzpassage nach Spanien nur der gefährliche Weg in kleinen Booten über die Meerenge.

Der 11. September bot einen günstigen Anlaß, jetzt auch den kleinen Grenzverkehr viel schärfer zu kontrollieren, um die Einreise ohne gültige Papiere einzuschränken: Mit Magnetkarten und Scannern zur Identifikation der Fingerabdrücke für die Anwohner der marrokanischen Nachbarstädte: Nador liegt bei Melilla, Tetuán bei Ceuta. Marokkaner aus anderen Regionen benötigen einen Pass mit Visum. Bereits länger vorbereitet, sind die neuen Kontrollen jetzt seit Ende September in Kraft.

Entwickelt hat das neue Kontrollsystem die Firma Tecisa aus Nordspanien. In zwei mobilen Einheiten werden die Marokkaner fotografiert, ihre Daten und Fingerabdrücke aufgenommen.

Alles wird innerhalb von drei Minuten auf der Magnetkarte gespeichert. Francisco Sanz von der Grenzaufsicht findet das alles ganz praktisch: “Die Marokkaner müssen sich nur vor einem Bildschirm aufstellen und mit den Fingern die interaktive Oberfläche berühren. Die Computer identifizieren die betreffenden Person dann innerhalb von 5 bis 10 Sekunden.” Der marokkanische Konsul im andalusischen Algeciras, Hammadi Saadaui, sah sich Anfang November genötigt, sich angesichts des verbreiteten Unmuts offiziell über diese verschärften Kontrollen zu beschweren.

Gleichzeitig wird die Situation für Migranten ohne Papiere in Ceuta und Melilla schwerer. Sie können kaum noch über die Grenze ins Umland zu Verwandten und die Notaufnahmelager für klandestine Grenzgänger sind überfüllt.

“Melilla kann jederzeit sozial explodieren, erklärte gegenüber El Mundo Juan José Imbroda, der Bürgermeister der Stadt: Wegen der Konsequenzen aus der Armut und der Marginalisierung, in dem ein großer Teil der arabischen Bevölkerung der Stadt lebe.

In Melilla leben offiziell 70.000 Menschen. Davon sind über 1000 Mitglieder der jüdischen Gemeinde, 25.000 Moslems und über 40.000 Christen. Es gibt 14 Moscheen und 8 Kirchen, aber nur noch zwei Rabbiner für die 8 Synagogen.

In einem interkonfessionellen Rat kooperieren der Vikar Manuel Arteaga; Yonaida Sel-Lam, Moslem und Sozialdemokratin; Abderramán Benyaya, vom Islamischen Rat und Jacobo Wahnon, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde.

Trotzdem kam es Ende September kurz vor dem wichtigen jüdischen Yom-Kippur-Fest das erste Mal zu massiven antisemitischen Ausschreitungen, die sich auch gegen die Kirchen richteten: Im Stadtteil Cañada de Hidún wurden zuerst eine Kirche und die Hauptsynagoge mit Steinen und Flaschen beschmissen. Danach wurden Parolen gesprüht wie “Osama Bin Laden ist unschuldig - wir sind mit Dir” “Jeder Moslem ist Osama Bin Laden” und “Tod für Israel”. Neben ein Porträt von Bin Laden wurde in Farbe die Fahne Palästinas gesprüht. In der Nacht darauf wurden neun jüdische Gräber mit roter Farbe geschändet. Während die Stadtverwaltung die Parolen übermalen liess, blieb die Wiederherrichtung der Gräber der Jüdischen Gemeinde überlassen.

Die mutmaßlichen Täter wurden gefasst; Ein Dutzend Jugendliche moslemischen Glaubens, die in dem von hoher Arbeitslosigkeit und Verarmung geprägten Stadtteil Cañada de Hidún leben.

Während die Stadtverwaltung und der Islamische Rat der Stadt die Ereignisse als “Unfug von Halbstarken” bezeichnen, erklärte Jacobo Wahnon, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde, gegenüber El Mundo seine Sorgen: “Hier haben wir uns immer respektiert in den vier religiösen Gemeinschaften, aber was in den letzten Tagen passierte ist sehr besorgniserregend, weil es zeigt, das es sich nicht um einige vereinzelte Vorfälle handelt, sondern dass das Zusammenleben schwer gestört werden kann”. Einige Minuten später beobachtet der Reporter von El Mundo, wie sich ein paar Jugendliche dem jüdischen Friedhof nähern, an dessen geschändeten Gräbern das Interview stattfand, und Bin Laden hochleben lassen. Außerdem rufen sie etwas gegen “jüdische Schweine.”

Der Vertreter der spanischen Zentralregierung in Melilla, Arturo Esteban, erklärte, die Eltern der minderjährigen Täter würden hart sanktioniert werden. Die politische Tragweite der Ereignisse spielte er gegenüber der Agentur Europa Press gleichzeitig herunter: “Als die Polizei mit den Kindern sprach, kam sie zu dem Schluß, dass die nicht wissen wovon sie sprechen, weil sie gar nicht wissen, wer Bin Laden ist.” Hauptsache, alles ist unter Kontrolle.

Abderramán Benyaya vom Islamischen Rat wiegelte auch eher ab, wie die Meisten: “Das eine Gruppe Kinder Parolen malt ist nicht schlimm, aber besorgniserregend, es könnte ein schlechtes Beispiel für andere Kinder sein.”

Ein Vertreter einer NGO, die mit den zahlreichen Straßenkindern arbeitet, fand da klare Worte. José Palazon erklärte: “Es gibt hier eine latente Spannung, die sich bemerkbar gemacht hat. Sich mit palästinensischen Fahnen hinter Synagogen aufzustellen oder rumzuprahlen ist wirklich nicht das beste, um die Situation zu beruhigen.” Eine Auseinandersetzung mit den antisemitischen Parolen fand aber nicht statt.

 

Am 13. November erklärte Mohamed Benaissa, Außenminister von Marroko in seiner Rede vor der UNO-Vollversammlung in New York: “Die fortdauernde Besetzung der marrokanischen Städte Ceuta und Melilla durch Spanien ist ein Anachronismus, der sich gegen die universellen Werte und Prinzipien richtet, welche die internationale Gemeinschaft verteidigt.” Er betonte das Interesse Marokkos an guten Beziehungen zu Spanien, aber: “Spanien muß die legitimen Rechte Marokkos über Ceuta und Melilla anerkennen.”

Der spanische Außenminister Josep Piqué, wies dies in seiner Rede vor der UNO umgehend zurück: “Ceuta und Melilla sind spanische Städte, welche über eine entsprechende politische Vertretung in den nationalen parlamentarischen Institutionen verfügen.” Spaniens Kriegsminister, Federico Trillo-Figueroa, erklärte Anfang November, das Melilla und Ceuta “seit ihrer Gründung spanisch sind”. Wer mit der Fähre von Spanien nach Melilla übersetzt, bekommt als erstes von der Stadt eine riesige Zitadelle zu sehen. Eine bis heute genutzte Festung, die den imperialen Anspruch Spaniens unterstreicht.

Editoriale Anmerkung:

Der Autor schreibt uns am 29.11.2001 zu seinem Artikel:

Liebe Leute von "trend",

angehängt ein neuer Text ("Melilla Bin Laden") von mir, von dem es mich
freuen würde, wenn Ihr ihn einstellen würdet.Falls ja, bitte möglichst dieses Wochenende,weil es sich auf die aktuelle Situation mit Rassismus/Bin-laden-Sympathien an der Südwestgrenze der EU bezieht.

Freundliche Grüße
Gaston Kirsche

Auf der Homepage der Gruppe Demontage gibt es ausgewählte Artikel zum Lesen und Download nach folgenden Themen sortiert: