US-Energiepolitik vor und nach dem Krieg
Scheich Laden und das Öl


von
Steffen Hertog, London
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Erdöl und Erdgas spielen auch im Krieg gegen Afghanistan eine Rolle. Machtpolitische und energiepolitische Interessen der USA überlappen sich.

Wenn die US-AmerikanerInnen mehr Velo fahren würden, hätte Usama Bin Laden vielleicht gar kein Problem mit ihnen. Doch leider schlucken US-Autos alleine zehn Prozent des weltweit geförderten Öls; und vor allem des Öls wegen führten die USA den zweiten Golfkrieg.
An diesem Krieg aber entzündete sich der Zorn des mittlerweile ausgebürgerten Saudi-Arabers – Zorn ob der amerikanischen Militärpräsenz in seinem Land, in blasphemischer Nähe zu den beiden höchsten islamischen Kultstätten. Mittlerweile ist das US-Militär aus den saudischen Städten grösstenteils verbannt – aber verschwunden ist es nicht. Die GIs müssen sich heute in der saudischen Wüste langweilen, um die Ölfelder des Einfamilienregimes zu schützen.
Amerika treibt immer mal wieder die Angst um, nahöstliche Finstermänner könnten den Hahn zudrehen. Aber wer? Die Saudis vielleicht, unter dem Druck wieder erwachter arabisch-muslimischer Solidarität? Im Wirbel eines neuen arabisch-israelischen Krieges?
Genau diese Befürchtungen liessen die US-Regierung bis vor gerade einmal drei Jahren ausgesprochen wohlwollend auf die Taliban-Bewegung blicken. Dass der pakistanische Geheimdienst ISI den aufstrebenden «Koranschülern» seit Mitte der neunziger Jahre bei ihren Feldzügen unter die Arme griff, wurde billigend geduldet.
Es ging um eine Pipeline fürs Öl: Das verwüstete Afghanistan wurde Mitte der neunziger Jahre durch Ölprojekte in Zentralasien geostrategisch aufgewertet – es schien sich als Transitroute anzubieten, um den fossilen Ressourcen der nicht mehr kommunistischen Staaten Kasachstan und Turkmenistan einen billigen Weg auf den Weltmarkt zu bahnen. Die Taliban als mächtigste afghanische Kriegspartei sollten der Bevölkerung zwar keine Menschenrechte, dafür aber dem Transitland Stabilität bringen.

Pipelines, ein Emir und eine Menge Scharia
Öl aus Zentralasien sollte die US-Energiepolitik ein wenig unabhängiger von den politischen Wackelkandidaten im Nahen Osten machen. Preiswerte Transportalternativen zur Strecke durch Afghanistan gab es aus US-Sicht keine: Den Iran hielt die Regierung von Präsident Bill Clinton – schon fast traditionsgemäss – für geopolitisch ungeniessbar, und der bisherige Transportmonopolist Russland schied aus, weil ein wesentliches Ziel der US-Politik war, dessen Griff um Zentralasien zu lockern. Andere Routen waren zwar denkbar, aber weit teurer.

Ab 1996 machte der in Turkmenistan aktive US-Ölkonzern Unocal der Taliban-Führung Avancen. Im Verbund mit dem saudischen Unternehmen Delta Nimir sollte eine Gasleitung bis nach Pakistan ans Arabische Meer gebaut werden. Damals hatten die USA Afghanistan noch nicht zum «Schurkenstaat» ernannt, und US-Diplomaten leisteten den Ölmanagern diskrete Hilfestellung – wie sie hinter vorgehaltener Hand später selbst zugaben.
Anfang 1997 lud Unocal eine Gesandtschaft der Taliban nach Houston/Texas ein, wo diese, nach dem Bericht eines Fachmagazins der Ölbranche, «fürstlich bewirtet» wurden. Delegierte des Konzerns tourten ihrerseits durch Afghanistan, um sicherheitshalber Kontakte mit weiteren Kriegsparteien aufzunehmen. Auf den laufenden Bürgerkrieg angesprochen, erläuterte ein Unocal-Vertreter an einer Messe in Aserbaidschan: «Das ist kein Problem, wir haben Deals mit allen Warlords.» 1997 erklärte ein US-Diplomat dem Journalisten und Taliban-Experten Ahmed Rashid die afghanische Zukunft: «Die Taliban werden sich wahrscheinlich so wie die Saudis entwickeln. Es wird so etwas wie Aramco geben (der früher amerikanische, heute saudische Ölmonopolist im saudischen Königreich), Pipelines, einen Emir, kein Parlament und eine Menge Scharia-Gesetzgebung. Damit können wir leben.»
Ein knackiges realpolitisches Szenario – nur fehlt da jemand: Usama Bin Laden. Denn der, Mitte der neunziger Jahre schon weit oben auf US-Fahndungslisten, kam nach seinem Rauswurf aus dem Sudan 1996 ausgerechnet bei den Taliban unter. Nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia im Sommer 1998, die Bin Laden zur Last gelegt werden, sah sich US-Präsident Clinton veranlasst, ein Exempel zu statuieren: Amerikanische Cruise-Missiles schlugen nicht nur in einer pharmazeutischen Fabrik im Sudan ein, sondern auch in mehreren – wirklichen oder vermeintlichen – Ausbildungslagern Bin Ladens in Afghanistan. Spätestens ab dann aber war mit den Taliban kein Staat mehr zu machen.

Politik und Paranoia
Im Dezember 1998 gab Unocal offiziell seine transafghanischen Pipeline-Pläne auf. Auch wenn anhaltende Proteste von Menschenrechtsgruppen geholfen haben, das Projekt zu verhindern: Ausschlaggebend war wahrscheinlich der afghanische Dauergast Bin Laden.
Öl und Gas am Kaspischen Meer sowie die möglichen Transportrouten sind heute immer noch Thema für US-Aussenpolitik und US-Ölmanager. Manch Aussenstehender stellt weit reichende Verbindungen her: Die bahrainische Tageszeitung «al-Ayyam» etwa schrieb, der Krieg in Afghanistan sei «nur ein weiteres Kapitel in den Plänen des ehemaligen US-Aussenministers Henry Kissinger, die Vormachtstellung der USA zu sichern. Der Plan wurde nach dem Oktoberkrieg 1973 erstellt. (...) So wie die Amerikaner den Golfkrieg genutzt haben und unter dem Deckmantel der internationalen Legitimität militärisch in diese Region eindrangen, um ihre Ölressourcen zu kontrollieren, so haben die USA in den Ereignissen des 11. September einen Vorwand gefunden, um gegen Afghanistan Krieg zu führen. Ihr Blick ist auf die Ölfelder Zentralasiens gerichtet.»
Natürlich schiessen dieser Tage Spekulationen ins Kraut, und gerade die Paranoia der extrem strukturkonservativen Ölproduzenten am Golf droht ausser Rand und Band zu geraten. Doch die US-Politik in Afghanistan war tatsächlich bis vor kurzem zu einem guten Teil Ölpolitik; da bedarf es keiner Verschwörungstheorien. Ölinteressen sind in der Bush-Regierung sehr gut vertreten; Bush wie sein Vize Dick Cheney haben mehr oder weniger erfolgreiche Karrieren im Ölbusiness hinter sich. Die USA haben Afghanistan sicher nicht angegriffen, um dort danach möglichst schnell eine Pipeline zu bauen – aber in die Nachkriegspläne für Afghanistan könnten Vorstellungen der Öl-Lobby sehr wohl hineinspielen.
Dies ist auch einer der Gründe, warum sich die zentralasiatische Grossmachtallianz, an der Russland und die USA zu schmieden scheinen, als Totgeburt herausstellen könnte. Bis vor kurzem bestand die Zentralasienpolitik der beiden Staaten vornehmlich aus machtpolitischen Manövern und Gegenmanövern.
Der Machtkampf im postsowjetischen eurasischen «Kernland», oft mit verkrampfter Wirtschaftsrhetorik notdürftig drapiert, machte sich vor allem an der kaspischen Energiepolitik fest. Er wurzelte in altem geostrategischem Denken – der Idee exklusiver, rivalisierender Einflusssphären. Öl und Pipelines wurden zu modernen Symbolen der Geostrategie. Beide Seiten versuchten sich in einer kruden Mixtur von Militär- und Ölpolitik. Ab 1994 bemühten sich die USA, durch lautstarke politische Rückendeckung für bestimmte West-Ost-Pipeline-Projekte Russland möglichst zu verdrängen und gleichzeitig dem Iran den Zutritt zum kaspischen Energiebusiness zu verwehren.

Der erste Tanker mit kasachischem Öl
Es hat nicht sollen sein: Die oft als rückständig und inkompetent verlachten Russen waren schneller. Anfang Oktober verliess der erste Tanker mit Öl vom kasachischen Tengis-Feld den Hafen Noworossijsk an der russischen Schwarzmeerküste – seit kurzem besteht eine direkte Pipeline-Verbindung, die über russisches Territorium führt. US-amerikanische Pläne, sich per Unterwasser-Pipeline durchs Kaspische Meer an Iran und Russland vorbei nach Aserbaidschan zu schlängeln, sind damit bis auf weiteres obsolet geworden.
Ein anderes Unterwasserprojekt hingegen nähert sich der Vollendung: die russische «Bluestream»-Gasleitung quer durch das Schwarze Meer an die türkische Küste. US-Plänen für den Gastransport durch den Kaukasus hat dies wiederum einen kräftigen Dämpfer verpasst.
Das amerikanische Königsprojekt, eine Pipeline von Baku in Aserbaidschan über Georgien nach Ceyhan an der türkischen Mittelmeerküste, wird nach mehrfachen Verzögerungen nun vielleicht doch gebaut. Damit wäre aber weder Kasachstan noch Turkmenistan jenseits des Kaspischen Meeres geholfen, die weiterhin vom russischen Transportmonopol abhängen.
Hier könnte die afghanische Option wieder ins Spiel kommen: Ein hoher Beamter des US-Aussenministeriums wusste Mitte Oktober zu berichten, dass der turkmenische Präsident Saparmurad Nijasow nach Beginn der US-Angriffe bei mehreren Gelegenheiten wieder auf Afghanistan als potenzielles Transitland aufmerksam gemacht hat. Ein direkter Anschluss Turkmenistans an den Weltmarkt würde den russischen Einfluss erheblich mindern; hat sich doch eine gelegentliche Transportblockade als probates Mittel russischerseits erwiesen, um die eigenwilligen Turkmenen bei Bedarf gefügig zu machen. Bisher scheinen solche Gedankenspiele aber den Aufbau der russisch-amerikanischen Entente in Zentralasien nicht zu bremsen. Terrorismusbekämpfung ist das einzige offizielle Thema.
Falls die USA transafghanische Transportpläne aus Rücksicht auf Russland nicht aktiv propagieren, wären die Würfel zum grossen Teil gefallen und die Pipeline Baku–Ceyhan würde gebaut. Eine Art gemeinsame Dominanz über Zentralasien wäre zumindest aus energiepolitischer Perpektive denkbar. Doch in diesem Falle müssten die USA einiges an ideologischem Ballast über Bord schmeissen oder besser: Die islamophobe Fraktion in der Regierung müsste sich gegenüber der russophoben durchsetzen.

Partner und Komplizen
Dabei käme eine solche Doppelpatronage den Völkern Zentralasiens kaum zugute. Die US- wie die russische Regierung vertiefen zurzeit ihre Komplizenschaft mit den Diktatoren der Region. Politische Reformpläne für die korrupten Regimes Zentralasiens sind schon in den letzten Jahren fast von der Tagesordnung verschwunden – schliesslich boten sich die herrschenden Kleptokraten für die schnelle Energiepartnerschaft an. Politische Öffnung könnte nun endgültig einem zentralasiatischen Sicherheitsregime geopfert werden. Durchaus wahrscheinlich wäre in diesem Falle die Radikalisierung der islamischen Opposition in den zentralasiatischen Staaten.
Ob die Angst vor Islamisten alleine langfristig als gemeinsamer Nenner taugt, ist ohnehin unklar; zumindest wäre die Partnerschaft auf eine dauerhaft sichtbare terroristische Bedrohung angewiesen. Führende Kreise in Russland sind immer noch sehr sensibel, was fremde Eingriffe in der unmittelbaren Nachbarschaft anbelangt. Eine langfristige US-Militärpräsenz in Usbekistan und Tadschikistan würden grosse Teile des Militärs und des aussenpolitischen Establishments nicht gerne sehen.
Prophezeiungen einer Wende gibt es auch für das iranisch-amerikanische Verhältnis. Klar ist, dass der Iran helfen soll, die Nordallianz in Afghanistan zu bändigen, denn Teheran unterhält enge Beziehungen zu schiitischen Gruppen im Bündnis. Was aber sind die USA zu zahlen bereit? Eine grosse Belohnung wäre das amerikanische Einverständnis zu einer Pipeline vom Kaspischen Meer an den Persischen Golf. Doch dies würde die Bankrotterklärung der bisherigen Isolierungsstrategie bedeuten.
An manchen der regionalen Nachkriegspläne wird auch das Ölbusiness selbst mitschreiben. Die Nachfrage auf dem Weltmarkt ist allerdings seit dem 11. September deutlich gesunken, Öl ist zwanzig Prozent billiger als vor dem Anschlag. Der kaspische Raum ist wegen der immensen Förder- und Transportkosten auf langfristig hohe Preise angewiesen. Sollte aus dem globalen Konjunkturknick eine Rezession werden, könnte zumindest im Energiesektor vorübergehend Ruhe einkehren. «Big Oil» aber – die grossen Konzerne – schweigt bisher.

Editoriale Anmerkung:
Der Artikel  wurde von http://www.woz.ch/wozhomepage/usa/oel47j01.htm gespiegelt.