"Es war die Hölle. Die Hölle der totalen Emotion" 

Rainald Goetz, 
1999 zum Jugoslawienkrieg und deutscher Beteiligung

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Ich werde mich in diesem Text im Wesentlichen auf Aussagen beziehen, die in den Stellungnahmen der Bahamas - Redaktion zum "islamistischen Massaker in den USA" ("Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder" - der Titel ist Programm) beziehen, was allerdings keineswegs bedeutet, daß ich solche Positionierungen für marginal bei Linken halte, vielmehr könnte ich mich ebenso auf etliche Texte aus der "Jungle World", aber auch "Interim" usw. beziehen, die zwar häufig im Wortlaut weniger kraß, aber inhaltlich voll kongruent zur Bahamas Reaktion sind. Die Probleme, die ich mit den darin gemachten Positionierungen habe, werde ich der Einfachheit halber mit drei Schlagworten bezeichnen: Opferaffinität, globaler Antisemitismusvorwurf und Positionierungszwang.

Meines Erachtens unterscheiden sich Positionen wie die von Bahamas strukturell nicht wesentlich von den in Deutschland tradierten. Die deutschte Politik und Berichterstattung ist - das zumindest ließe sich feststellten - immer ostentativ auf der Seite der Opfer bzw. diejenigen, die zu Opfern erklärt werden. So konzentriert sich das "Verständnis" für den Islam auf die Armut der afghanischen Bevölkerung oder die Unterdrückung der palästinensischen. In eben dieser Weise kann uneingeschränkte Solidarität mit den USA - den USA als Terrorismusopfer - eingefordert werden und dies gleichzeitig vom "Aggressor" USA getrennt werden. Wie begründet sich diese Opfer - Affinität? Mit der sogenannten deutschen Sonderrolle? Und wenn ja, wie? Stellt sich Deutschland auf die Seite der Opfer, weil es sich damit als Mitglied eines Opfer- (und nicht Täter-) Kollektivs wähnen darf? Oder (und einher gehend damit) geht es darum auf dieser humanistischen Nebenstraße doch wieder am deutschen Wesen die Welt genesen zu lassen? (Denn stellt der letztlich alleinige positive Bezug auf die zu Opfern erklärten, diese auf eine niedrigere Stufe, eben auf die, die Deutschlands Hilfe und Solidarität bedürfen). 
Aus dieser Einstellung heraus bestimmt sich m.E. auch das Verhältnis (linker wir nicht-linker) Deutscher zu Israel. Der positive Bezug zu Israel hat nahezu ausschließlich seine Begründung im Kontext mit Auschwitz. Das ist auf der einen Seite absolut zwingend und selbstverständlich (jedenfalls sollte es das sein). Auf der anderen Seite wird damit die Reduzierung von Juden als Opfer - und nur als solche ist ein positiver Bezug möglich -, also ein letztlich antisemitisches Stereotyp, zur Grundlage im Umgang mit Israel. Israel wird zum Opfer - Staat reduziert. 
Und es stellt sich die Frage, ob eine Entweder - Oder - Attitüde (wie die von Bahamas und anderen), die sich so weit zuspitzt, Gegnern und Kritikern des sogenannten "Kampfs gegen den Terrorismus" zu unterstellen, sie würden damit die Existenz des Staates Israel zumindest nicht verteidigen, wenn nicht gar negieren, ob also diese Attitüde sich nicht auf den gleichen Prämissen gründet: Israel wird auf das kompromißlos zu unterstützende Opfer reduziert. 
Den globalen Antisemitismusvorwürfen der "Bahamas" Redaktion haftet m.E. etwas manächistisches an. Er teilt die Welt auch Gut und Böse ein, aufgrund dessen hinter welchen Denken und Handeln sich Antisemitismus verbirgt. Die politische und sonstige Positionierung hat in folge nur diesen einzigen Maßstab. Daß die Antisemitismusvorwürfe der Bahamsredaktion absolut berechtigt und notwendig sind, ist dabei nur die eine Seite. 
Bahamas schreibt aber betont undifferenziert: "Es ist hier ein zur Vernichtung entschlossener Antisemitismus am Werk - darin seinem nationalsozialistischen Vorbild auf qualitativer Ebene durchaus ebenbürtig - , der die Wahl - und Maßlosigkeit palästinensichen Massenmordens begründet. In dieser Hinsicht kommt momentan dem Koran eine ähnliche Rolle zu wie seinerzeit Hitlers Machwerk 'Mein Kampf' in Deutschland". Wenn also wie hier der Antisemitismus von Palästinensern gleichgesetzt wird mit dem des nationalsozialistischen Deutschland (und man sollte sich fragen, ob nicht auch das letztlich Relativierung von Auschwitz bedeutet) und damit eine unheilvolle geschichtslose Allianz entsteht, die darauf aus ist "die Juden" auszumerzen, so wird damit ein Art "ewiger Antisemitismus" konstruiert, der mehr verdunkelt als erhellt. Detlev Claussen schreibt dazu: "Reduziert sich die Geschichte auf die Offenbarung feststehender Entitäten, dann hat jeder Gedanke an Befreiung oder Veränderung sein Existenzrecht verloren." Mehr noch: "Der entscheidende Unterschied liegt [...] in den Formwechseln der Herrschaft, die an sich selbst Doppelcharakter besitzen. Sie als fortschreitende Vollendung des Antisemitismus zum Weltsystem zu begreifen, heißt, der antisemitischen Weltsicht allzusehr nachzugehen". In diesem Fall: Ein Horts Mahler kann sich mit islamischen Antisemiten verbunden sehen, weil es (vermeintlich) um den gleichen gemeinsamen Kampf gegen die "jüdische Weltverschwörung" geht. Wenn, wie bei Bahamas geschehen, dieses Konstrukt des globalen und ewigen Antisemitismus nur bestätigt werden, werden damit die zur Bekämpfung des Antisemitismus notwendigen Differenzierungen - Antijudaismus, manifester Antisemitismus, sekundärer Antisemitismus, eliminatorischer Antisemitismus usw. - negiert und damit auch die Möglichkeit einer Veränderung - diese Auffassung ist in sich selbst m.E. ein Manächismus, ein auf Ewigkeit angelegter Kampf gegen den Antisemitismus. Aber darüber hinaus läuft man auch Gefahr durch solche Konstruktionen, die Funktion und Ursprung der verschiedenen Formen von Antisemitismus ja gar nicht erklären zu wollen, "Antisemitismus als aus einem Block geschnitten, als beinah zeitlosen Begleiter der Geschichte zu betrachten, der in einem virtuell außerzeitlichen und extraterritorialen Vorurteil wurzelt" (Zygmunt Bauman). 
Die machtstrukturelle Einteilung der Welt in solche, die Opfer sind und solche die die Macht besitzen ist nicht nur vereinfacht und falsch, sie unterbricht die Logik dessen, was sie kritisiert - in diesem Fall z.B. das plötzliche affirmative Interesse an dem Islam - nicht, sondern scheut wirkliche Fragen zu stellen, wir z.B. wer, wie mit welchem Ziel und welchen Hintergründen antisemitisch handelt und denkt. Eine solche Differenzierung käme dabei keineswegs einer Einteilung in schlechten und noch schlechteren Antisemitismus gleich, sondern wäre Bedingung zu dessen Kritik und Bekämpfung. "Einzig in der Differenzierung kann emanzipatorisch gedacht werden: daß nicht alles notwendig so kommen mußte, und daß nicht alles so bleibt, wie es ist" (Claussen).

Und warum resultiert aus all dem dieser geradezu monströse Positionierungszwang auf allen Seiten? Positionierungszwang meint hier nicht etwa die Notwendigkeit zu den Ereignissen Position zu beziehen, sondern sich dabei anscheinend zwingend auf eine der beteiligten und/oder kritisierten und bekämpften Gruppen (die es in dieser homogenen Einheit ja überhaupt nicht gibt) affirmativ beziehen zu müssen. Daraus resultieren ganz obskure Schlüsse: Verurteile ich die Anschläge vom 11. September auch als (zumindest strukturell) antisemitische, habe ich der Bekämpfung des Terrorismus und damit letztlich dem Krieg vorbehaltlos zuzustimmen? Tue ich dies nicht, nehme ich damit die Israel zerstörenden Prämissen islamischen Terrorismuses zumindest billigend in Kauf, wenn ich nicht gar dies klammheimlich wünsche? - "Wenn die deutschen Medien zusammen mit den ehemaligen deutschen Antiimperialismus [...] um Frieden winseln, dann deshalb, weil sie das mörderische Treiben in ihrem Innersten als zutiefst gerecht empfinden. [...] von der FAZ bis zu den Autonomen reicht die Gemeinschaft derer, die sich klammheimlich darüber freuen, daß dem 'großen Teufel Amerika' nun dasselbe Schreckliche widerfährt wie dem 'kleinen Teufel Israel'". (Bahamas) -. Wende ich mich hingegen konsequent gegen den Antisemitismus, muß ich dann, wie sich dies bei Bahamas und anderswo zeigt, jetzt auch konsequent Antiislamist sein, da ja der Islam, so heißt es, heute der schlimmste aktuelle Antisemitismus, allenfalls mit dem der Nationalsozialisten vergleichbar, sei? (Man muß sich diesbezüglich das anti-islamistische Vokabular von Bahamas, aber auch von anderen Gruppen und in anderen Zeitungen zur Gemüte führen. Selbst der sich gegen kopftuchtragende Lehererinnen oder den Bau einer Moschee in seiner Nähe hetzende rassistische Spießer, drückt sich zum Teil dezenter aus.) Was für schwachsinnige Kausalitäten, die da konstruiert werden, immer unter der Prämisse: wer nicht gegen wen-auch-immer ist, ist für ihn. Differenzierungen und Eigenpositionierungen sind nicht gestattet - zu irgendwem zu halten, heißt dann auch folgerichtig, die manchmal sauren Konsequenzen daraus ziehen zu müssen. (Wer meint von linker Seite den Anti - Terror - Maßnahmen und somit dem Krieg zustimmen zu müssen - und Bahamas betrachtet unter Berufung auf Marx die "US-amerikanischen Militärschläge gegen islamische Zentren" als zustimmungspflichtig und fordert sogar eine Ausweitung des Krieges über Afghanistan hinaus -, kann nicht umhin, die davon kaum zu trennenden Innere Sicherheitsmaßnahmen und - pakete auch billigend in Kauf zu nehmen.)
Schon in der Einschätzung der Anschläge selbst bedurfte es häufig wohl einer eindeutigen Positionierung für eine der beiden Seiten. Unmöglich schien es zu sein, festzustellen, daß hier wohl ein fragwürdiges System auf das andere getroffen ist. Das nämlich würde bedeuten den allseits beliebten Weg zur Identitätspolitik zu versperren. 
Absolut richtig ist es, wenn in Bezug auf die Anschläge auf den (gewiß fundamentalen) Antisemitismus islamischer Gruppen hingewiesen wird. Merkwürdig unkritisch wird es, wenn jede aber auch jede islamische und/oder palastinsnensiche Position und Aktion als antisemitisch, tendenziell auf die Auslöschung des Staates Israel bedacht, eingeschätzt wird und auf der anderen Seite israelische militärische Regierungsaktionen nur auf ihre Notwendigkeit und Präventivwirkung anerkannt werden (wenn z.B. die Jungel-World einen israelischen Militär interviewt, sollte man fragen: in welchen andern Kontext sie das je tun würde). Auch hier heißt es also wieder: Entweder - oder. Wäre es denn nicht möglich, sich auf z.B. die israelisch - palästinensiche Friedensbewegung zu beziehen, die eine solche Spaltung eben nicht mitmacht. (Aber von einer solchen Friedensbewegung, an der Israelis und Palästinenser gemeinsam teilhaben, will z.B. Bahamas offenbar nichts wissen, denn für Bahamas praktiziert ja die gesamte "palästinensische Gesellschaft" bzw. "plästinensiche Volksgemeinschaft" einen "auf Vernichtung Israels entschlossenen Antisemitismus"). Wäre nicht auch eine Art Solidarität zu Israel, die auf der einen Seite das Existenzrecht dieses Staates in keinster Weise in Frage stellt und auf der anderen Seite eine kritische Positionierung gegenüber israelischer Regierungspolitik, nicht weit mehr eine antisemitischen Opferstereotypen freie Anerkennung von und Umgang mit Israel? 
Henryk M. Broder berichtet in einigen seiner älteren Kommentare von Deutschen, die nach einer Israelreise, bei der sie "unvermeidliche Erfahrung [machten], daß Juden ganz normale Wesen sind [...], die sich bei Tisch schlecht benehmen, ihr im vollbesetzten Bus zu nahe kamen" usw. und wie solche deutschen Israelreisenden dann "ernüchtert und von allen Schuldgefühlen befreit" zurück nach Deutschland flogen. Mit umgekehrten Vorzeichen scheint bei einigen anti-deutschen Linken ähnliches zu passieren. Unmöglich anscheinend, sich auf Juden als ganz normale Menschen beziehen zu können (auch in diesem Diskurs behalten sie den Status des Besonderen, des Anderen), und den Staat Israel auch als ganz normalen Staat zu betrachten und einzuschätzen. Zu fragen wäre immerhin auch, inwieweit sich hinter der kritiklosen Positionierung zu Israel (wohlgemerkt zu dessen Regierung und deren Politik und eben nicht der heterogenen Bevölkerung), die ja weit mehr als die bedingungslose Anerkennung Israels als Staat ist, nicht auch dem klammheimlichen Wunsch vieler sich als antinational und antideutsch verstehenden, sich doch irgendwo und irgendwie positiv auf den Begriff der Nation beziehen zu können.

Nicht auszuschließen ist übrigens, daß das hier geschriebene auch nur aus meinem eigenen Positionierungszwang resultiert, der in diesem Fall aber beim besten Willen nicht befriedigt wird: Ob nun Kanzler Schröder uneingeschränkte d.h. eben auch militärische Solidarität mit den USA einfordert, ob sich als linksradikal verstehenden Gruppen mit den ja völlig richtigen Verweis auf Israel, diesem Krieg anscheinend zustimmen müssen, ob auf der anderen Seite sich auf Palästina beziehende Gruppen den Anschlägen wegen der Politik der USA und Israel eine gewisse Folgerichtigkeit abgewinnen wollen - ich finde mich weder da noch dort wieder. Zum Glück, wie ich trotz allen Ärgers und aller Verzweiflungserscheinungen sagen muß.

r.p.

Editoriale Anmerkung:
Der Text wurde dem trend am 12.11.2001
von bate2@gmx.at zugeschickt:

"...anbei eine Reaktion auf die "Bahamas" (aber nicht nur) - Positionen zu den anschlägen und ihren Folgen.."