Nicas & Ticos
Migration in Zentralamerika

Von Gaston Kirsche (gruppe demontage)
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“49.804 Nicaraguaner sind von Costa Rica dieses Jahr bisher zurückgewiesen oder deportiert worden”, verkündete das Ministerium für öffentliche Sicherheit Costa Ricas am 26. September bei der Vorstellung eines Berichtes zur Migration. 3.914 Nicaraguaner wurden demnach deportiert, der Rest bereits an der Grenze oder nach weniger als 24 Stunden Aufenthalt im Land ausgewiesen. In dem Bericht geht das Ministerium davon aus, bis Ende diesen Jahres cirka 75.000 Nicaraguaner abzuschieben. Im letzten Jahr waren es bereits 67.000. Im August wurden die Ergebnisse der letzten Volkszählung veröffentlicht. Danach leben offiziell 226.374 Nicaraguanerinnen in Costa Rica. In den Tageszeitungen gab es zahlreiche Artikel, wie viele es mit den ohne Papiere eingereisten Inoffiziellen insgesamt sind - frei nach dem Motto: Wieviele Nicas machen uns Probleme. Die Zeitung Extra titelte beispielsweise am 21. August: “70 % der Ausländer in Costa Rica sind Nicas”. In vielen Bussen in Costa Ricas Hauptstadt San José, habe ich Sprüche hingeschmiert gesehen wie “Nicas Raus!”. Die Nicaraguaner versuchen, im Alltag nicht aufzufallen. Trotz offiziell 91.000 Nicas allein in San José haben sie kaum von außen erkennbare eigene Treffpunkte.

Miguel Ángel Rodriguez und Arnoldo Alemán, die Präsidenten von Costa Rica und Nicaragua, traten am 19. September gemeinsam mit den anderen zentralamerikanischen Präsidenten vor die Presse und verkündeten eine Verschärfung der Grenzkontrollen. Sie begründeten die stärkere Kontrolle der Migration offiziell damit, wegen der Anschläge in den USA die Bewegungsfreiheit für international operierende Terroristen einschränken zu wollen. Aber die Folgen werden die vielen Nicaraguaner zu spüren bekommen, die vor der Hungersnot und der Verelendung in das südliche Nachbarland Costa Rica zu migrieren versuchen. Leda Vargas, die im Grenzort Los Chiles für die Einwanderungsbehörde tätig ist, erklärte bereits Ende Juli: “Nicht wenige Opfer der Dürre,unter welcher Nicaragua leidet, wandern in unsere Nation aus um Arbeit zu suchen.” In Los Chiles, Upala und San Carlos wurden die Patrouillen in der waldigen, sumpfigen Grenzregion umgehend verstärkt. Es sind vor allem Kleinbauern und Tagelöhner, die versuchen, über die Grenze zu kommen. Ihre eigene Ernte ist vertrocknet, und temporäre Arbeit auf den Kaffeeplantagen gibt es dieses Jahr keine - weil die Preise auf dem Weltmarkt niedriger sind als die Kosten für Anbau und Ernte des Kaffees. Hunger, Armut und Unterbeschäftigung sind schon seit Jahren die Hauptgründe dafür, aus Nicaragua auszuwandern. Die Aussichten für ein Überleben in Nicaragua sind seit der Abwahl der FSLN 1990 immer schlechter geworden, sodaß für viele Auswandern die einzige Perspektive ist. Die Lebensverhältnisse in Costa Rica, wo es nur 5 Prozent Arbeitslosigkeit und ein funktionierendes staatliches Gesundheits- und Bildungssystem gibt, sind auch von einer Wirtschaftskrise geprägt - aber hier hungern nicht Hunderttausende wie in Nicaragua, wo der konservative Präsident Alemán zudem die Hungersnot zu einer sandinistischen Propagandalüge erklärt hat.. Im August erregte eine Umfrage des Institutes für nicaraguanische Studien, IEN, in Costa Rica Aufsehen: Danach möchte jeder Dritte Nicaraguaner auswandern. Auf die Frage, in welches Land, antworteten 49 Prozent, nach Costa Rica - gefolgt von den USA, in die 37 Prozent migrieren möchten. Rodolfo Delgado, der Präsident des IEN erklärte dazu in Managua: “Eine nicaraguanische Lehrerin verdient 800 Córdobas im Monat. Dort, In Costa Rica, kann sie als Hausangestellte dreimal mehr verdienen, etwa 180 US-Dollar.”

Nach der Studie der IEN haben nur 47 Prozent der fünf Millionen Nicaraguaner eine feste Anstellung. Die Mehrheit ist Arbeitslos (15 Prozent) oder unterbeschäftigt und im informellen Sektor tätig (38 Prozent). Weil Migration eine traditionelle Überlebensstrategie in Zentralamerika ist, haben viele Nicaraguaner Familenangehörige oder Freunde in den USA, Mexiko oder eben Costa Rica, die ihnen weiterhelfen können bei der Suche nach legalen oder inoffiziellen Arbeitsverhältnissen. Douglas Esquivel, Chef des costaricanischen Unternehmerverbandes, schätzt, dass 70% der Nicas, die in Costa Rica arbeiten, auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder als Hausangestellte arbeiten. Er sieht die zunehmende Ablehnung der Nicas “nicht als Problem”, weil sie in diesen Bereichen weiter arbeiten werden - zu geringeren Löhnen, selbst wenn sie legal im Land sind.

Carlos Sandoval, Professor an der Universität von Costa Rica, der UCR, sieht das anders. Ende diesen Jahres wird im Verlag der UCR eine Studie von ihm erscheinen: “Andere Bedrohungen: Die Nicaraguaner und die Formierung der nationalen Identitäten in Costa Rica”. Grundlage des Buches sind Interviews mit Nicas, die in Costa Rica leben. Sandoval kritisiert, dass insbesondere die durch die Wirtschaftskrise und die Umstrukturierung Costa Ricas zum postfordistischen Wettbewerbsstaat beeinträchtigte Mittelschicht für negative Entwicklungen “die Nicas” verantwortlich macht: Sei es die mit der zunehmenden sozialen Polarisierung angestiegene Kriminalität oder sei es die Krise der sozialen staatlichen Versorgungssysteme. Wer arm ist und eine dunklere Hautfarbe hat, wird als potentiell krimineller und die soziale Hängematte ausnutzender Nica angesehen. In der Grenzregion zu Nicaragua gilt als verdächtig, wer dunkle Haut hat: “Das Problem, das mir derzeit Sorgen macht ist, dass sie Minderjährige nur wegen ihrer Hautfarbe festnehmen und für 12 Stunden und länger in Zellen stecken, bevor sie feststellen, dass es Ticos sind”, erklärte dazu Marianela Soto vom Staatlichen Kinderinstitut im Grenzort Los Chiles. Wer Tico ist, Bürger Costa Ricas, kommt dann frei. Die Nicas werden abgeschoben. Junge Frauen werden zusätzlich oft sexuell belästigt von den Grenzpolizisten, wogegen Marianela Soto versucht vorzugehen, wie im Fall einer 15-Jährigen, die beim inoffiziellen Grenzübertritt verhaftet wurde: “Sie hat uns erzählt, das der Polizist nackt in ihre Zelle torkelte und sie sexuell belästigt hat. Danach nahm r ihr noch ihr weniges Geld ab und ließ sie laufen”. Obwohl die junge Frau zu Marianela Soto ging, sind die Chancen auf eine Verurteilung des Polizisten gering, wie aus der Ausage eines anonymen Mannes der Einwanderungsbehörde gegenüber der großen Tageszeitung La Nación deutlich wird: “Alle Welt weiß, dass hier viele Jugendliche herkommen um ihre Eltern zu suchen; und dass die jungen Mädchen als Prostituierte in den Bars von Los Chiles enden ... Aber die Wahrheit ist, das die kleinen Nicas auch keine Heiligen sind.”

In den Medien Costa Ricas kommt die Sichtweise der Nicas kaum vor, es wird über sie als Problem berichtet. Die Hausangestellte Nereyda erklärte gegenüber Carlos Sandoval: “Die Abwertung unserer Art zu Sprechen, uns zu Kleiden, unserer Hautfarbe oder unserer Gesten schmerzt.”

In Costa Rica wird im Februar gewählt. Der christsoziale Präsidentschaftskandidat, Abel Pacheco, hat sich kürzlich sehr empört: In La Nacion erschien eine Anzeige anonymer Gegner, in der ihm ein Zitat untergeschoben worden sei: “Meine Politik gegenüber den Nicaraguanern wird eine Umarmung sein, ich beabsichtige nicht, Mauern zu errichten, welche die Einwanderung verhindern.” Pacheco dementierte umgehend: “Einige leiten eine Kampagne der Lüge und des Schmutzes gegen mich, zu sagen, ich wolle die Grenzen für Einwanderer öffnen, ist eine Lüge, ich habe nie eine solche Barbarei gesagt.”

Editoriale Anmerkung:

Von: "Gaston Kirsche" <otzelotl@hotmail.com>
An:
info@trend.partisan.net
Betreff:
Textangebot NicaraguanerInnen in Costa Rica

Datum:
Thu, 01 Nov 2001 15:21:41 +0000

Liebe GennossInnen,

angehängt ein Text von mir zur Migration von Nicaraguanerinnen nach Costa
Rica. Ist hoffentlich was für Euch zum Einstellen - am 4. 11. sind ja Wahlen in Nicaragua, wo der Text auch zu passt.

Freundliche grüße
Gaston Kirsche (gruppe demontage)

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