Generalverdacht gegen Muslime

Wo "Anti-Terror-Paket" drauf steht, ist Überwachungsstaat drin

von m.b.

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Hektisch, nervös und mit sachfremden Vorstellungen werde die Diskussion um die "Innere Sicherheit" seit dem 11. September geführt - dies ist, man höre und staune, die Einschätzung des Vorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg. Was angeblich dem Schutz vor Terrorangriffen dienen soll, erweist sich bei näherem Hinschauen als Ausweitung repressiver Maßnahmen in Richtung Überwachungsstaat.

Seit dem 8. Oktober sucht das Bundeskriminalamt (BKA) mit Steckbrief nach dem 26-jährigen Deutsch-Marokkaner Said B. sowie nach dem aus dem Jemen stammenden Ramiz B. (29). Said B. soll nach Erkenntnissen der deutschen Behörden für die logistische Vorbereitung der Anschläge in den USA zuständig gewesen sein. Ramiz B. war unter derselben Adresse gemeldet wie einer der angeblichen Hamburger Selbstmordattentäter und hatte sich vergebens um ein Visum für die USA bemüht. Beide Gesuchten seien Anfang September mit unbekanntem Ziel verreist, so die Bundesanwaltschaft (BAW).

Im BKA ist eine Sonderkommission "Besondere Aufbauorganisation USA" eingerichtet worden, die Anfang Oktober aus 613 BeamtInnen bestand, verteilt auf Hamburg, Wiesbaden und Meckenheim. Zu bearbeiten sind 8.500 Hinweise aus der Bevölkerung, die bisher zu 32 Hausdurchsuchungen geführt haben. Nach Angaben des BKA-Chefermittlers seien rund 15 FBI-Beamte und "andere Mitarbeiter US-amerikanischer Dienststellen" an den Ermittlungen beteiligt. (FAZ, 9.10.01) In dem vom BKA als "plausibel" eingeschätzten Material US-amerikanischer Behörden wird von einem "Hamburger Netz" gesprochen, das auf Weisung Osama Bin Ladens gearbeitet habe.

Der German Connection auf der Spur

Bereits drei Tage nach den Anschlägen in den USA entdeckte das FBI erste Hinweise auf eine "German Connection", die nach Hamburg-Harburg führte. Danach soll der 33-jährige Ägypter Mohamed Atta die Maschine gesteuert haben, die als erste das World Trade Center rammte. Der aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammende 23-jährige Marwan al-Shehhi soll das zweite Flugzeug navigiert haben. An Bord der Maschine, die in der Nähe von Pittsburgh abstürzte, habe sich der Libanese Ziad Jarrah (26) befunden, gab das FBI bekannt.

"Waren die Mörder unter uns?", fragte sich daraufhin nicht nur die FAZ. Als radikale Islamisten sind die fünf Studenten in Deutschland nie in Erscheinung getreten. "Sie haben ein völlig unauffälliges Leben geführt, sind nie polizeilich aufgefallen, haben keine falschen Namen benutzt", so die damalige Hamburger Wissenschaftssenatorin Krista Sager (GAL). Von Bekannten und Nachbarn werden die Hamburger Verdächtigten als intelligent, freundlich und unauffällig beschrieben. Wegen ihres angepassten Lebensstils bezeichnen die Ermittlungsbehörden sie inzwischen als "Schläfer", die sich in Deutschland "hoch konspirativ" auf ihren Einsatz in den USA vorbereitet hätten. Und obwohl es zur Eigenschaft von "Schläfern" gehört, unerkannt auf ihren Einsatz zu warten, will der nordrhein-westfälische Innenminister Fritz Behrens (SPD) wissen, dass sich noch rund 100 "Schläfer" in Deutschland aufhalten.

Ermittelt wird fieberhaft und mit gewaltigem Aufwand. Am 1. Oktober wurden auf Veranlassung der BAW ein Türke und zwei Jemeniten in Wiesbaden unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung "mit fundamentalistisch-islamistischem Hintergrund" festgenommen. Sie sollen nicht näher definierte "schwere Straftaten" in Deutschland geplant haben. Knapp drei Wochen nach der Verhaftung setzte die BAW einen der Verdächtigen mangels dringenden Tatverdachts wieder auf freien Fuß. Laut BAW gibt es keine Verbindung dieser Gruppe zu den Anschlägen in den USA. Allerdings wurde durch einen Hinweis im Zuge der Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Attentäter bekannt, dass einer der am 1. Oktober Festgenommenen eine Homepage mit " islamistisch-fundamentalistischen Inhalten" betrieben habe, auf der auch die E-Mail-Adresse des mutmaßlichen Logistikchefs der Hamburger Attentätergruppe aufgeführt ist.

Unterdessen erlebt Deutschland die größte Fahndung seit den 70er Jahren. Wurde damals die Rote Armee Fraktion (RAF) zum Staatsfeind Nr. 1 aufgebaut, so sind es heute islamische Fundamentalisten. In fast allen Bundesländern wurden eiligst die Etats des Verfassungsschutzes und des polizeilichen Staatsschutzes aufgestockt. Anfang Oktober begann eine gigantische Rasterfahndung. In den Computerabgleichen wird nach männlichen Personen zwischen 18 und 35 Jahren geforscht, die sich zum Islam bekennen und in Deutschland studieren oder studierten. Zu den gerasterten Persönlichkeitsmerkmalen gehören auch "ledig" und "keine Kinder" sowie "legaler Aufenthalt" in Deutschland, der keinen Beschränkungen durch Asyl- oder Duldungsauflagen unterliegt. Der Abgleich der Datensätze soll auf die Zeit zwischen 1996 und 2001 eingegrenzt werden. Dabei werden nicht nur staatliche Datenbanken herangezogen, auch die Universitäten wurden verpflichtet, die Daten von Studenten bestimmter Nationalitäten zu übermitteln. In Berlin wird dabei laut FAZ auch auf Datenbestände von u.a. Sicherheitsunternehmen, Catering- und Reinigungsfirmen zurückgegriffen.

In den anderen Bundesländern wird die Fülle der Datenmenge ähnlich sein. Dass man es dabei mit den offiziell ausgewiesenen Rastern nicht allzu eng sieht, zeigt eine "Erfolgsmeldung" aus Baden-Württemberg. So verkündete der dortige Justizminister Ulrich Groll (FDP), die Rasterfahndung habe zu zahlreichen "Zufallsfunden" bei Verstößen gegen das Ausländergesetz und das Asylverfahrensgesetz geführt. (FAZ, 16.10.01)

Soweit bekannt, soll es bei der Rasterfahndung gegen die RAF nur einen Fahndungserfolg gegeben haben: die Verhaftung von Rolf Heißler 1979. Damals wurden alle Stromkunden in Frankfurt gerastert, die ihre Rechnung bar bezahlten. Von 16.000 StromkundInnen verblieben 2.000, die nicht polizeilich gemeldet waren, bei 1.000 von ihnen war kein Auto unter derselben Adresse gemeldet, auf zwei Wohnungen traf das Kriterium "kein Kindergeldbezug" zu, so dass genau diese zwei Wohnungen als potenzielle konspirative Wohnungen in Frage kamen. Im Gegensatz zur Rasterfahndung nach der RAF, die sich gegen bekannte Personen richtete, die lediglich an unbekannten Aufenthaltsorten unter falscher Identität lebten, richtet sich die aktuelle Fahndung gegen Menschen, die hier ganz unauffällig leben und von denen nur vermutet wird, dass sie "Schläfer" sein könnten.

Den Sicherheitsfanatikern geht es derzeit vor allem darum, die Befugnisse der Polizei und der Geheimdienste bei der Informationsbeschaffung auszubauen. Dabei werden rechtsstaatliche Grundsätze (wie z.B. die Unschuldsvermutung und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) über Bord geworfen. Weil der Einsatz von verdeckten Ermittlern schwierig sei, schlug der niedersächsische Innenminister Heiner Bartling (SPD) vor, sollten schon bei Personen, die in der Rasterfahndung hängengeblieben sind, die Telefone abgehört und die Post überwacht werden dürfen. (FAZ, 4.10.01)

Alles in allem fällt auf, dass viele aktuelle Vorschläge zur "Bekämpfung des Terrorismus" seit langen Jahren schon als Vorhaben diskutiert werden. Das so genannte Sicherheitspaket I bestand hauptsächlich aus Vorhaben, die an bestehende Pläne anknüpften. So wäre das Religionsprivileg im Vereinsrecht auch ohne die Terroranschläge abgeschafft worden. Die zunächst bis Ende 2001 vorgenommene befristete Änderung der Strafprozessordnung, die Telefonunternehmen zur Herausgabe von Informationen zwingt, wurde einfach bis Ende 2004 verlängert. Die Einführung des neuen §129b in das Strafgesetzbuch, mit dem künftig auch "terroristische Aktivitäten" im Ausland durch die deutsche Justiz verfolgt werden können, weist allerdings in eine andere Richtung. Im EU-Rahmen ist die Bundesrepublik schon seit einiger Zeit gezwungen, eine solche Ergänzung des §129a vorzunehmen (vgl. ak 440); der jetzige Beschluss bezieht sich jedoch nicht nur auf den EU-Raum, sondern ermächtigt die bundesdeutschen Ermittlungsbehörden zu Ermittlungen gegen "im Ausland aktive und terroristische Vereinigungen". Da unklar ist, was konkret darunter verstanden wird, könnte zukünftig eine Spendenkampagne wie "Waffen für El Salvador", die in den 80er Jahren rund 4 Millionen Mark für die FMLN erbrachte, als Unterstützung einer "terroristischen Vereinigung" kriminalisiert werden.

Auf dem Weg zur Bundespolizei

War beim so genannten Sicherheitspaket I der rot-grünen Bundesregierung die Stoßrichtung noch unklar, so schält sich die Zielrichtung mit den nun bekannt gewordenen Bestandteilen des Sicherheitspakets II zunehmend heraus. Das zweite "Anti-Terror-Paket" soll den Ermittlungsbehörden weit reichende Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung eröffnen. Geplant ist ein Einreiseverbot für Menschen, die "terroristischer" bzw. "extremistischer" Aktivitäten verdächtigt werden. Ebenso ist vorgesehen, Flüchtlinge und MigrantInnen auszuweisen, die im Verdacht stehen, "extremistische Organisationen" zu unterstützen. Auch "Ausländervereine", die "gewalttätige oder terroristische Organisationen z.B. durch Spenden, durch Rekrutierung von Kämpfern oder auf sonstige Weise unterstützen", sollen verboten werden können. Die Vorschläge zielen außerdem auf die Ausweitung der Ermittlungskompetenzen des Bundeskriminalamtes und des Bundesgrenzschutzes, die lückenlose Kontrolle von AsylbewerberInnen, Visa-AntragstellerInnen und AusländerInnen mit einem Duldungsstatus (Beteiligung der Sicherheitsbehörden und der Ausländerämter bei Visaverfahren und der Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen; zehnjährige Speicherung von Lichtbildern, Visaentscheidungen, und Sprachaufnahmen, Einführung fälschungssicherer Ausweispapiere für AsylbewerberInnen und DuldungsinhaberInnen, Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz, Ausländerämtern und Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, wenn "Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen" vorliegen).

Bundesinnenminister Otto Schilys Beteuerung, sein Maßnahmenpaket richte sich nur gegen Terroristen, ist nicht glaubwürdig. Auf die Täterprofile der mutmaßlichen Attentäter aus Hamburg-Harburg treffen diese Maßnahmen jedenfalls nicht zu. Auch das Vorhaben macht in diesem Zusammenhang keinen Sinn, für alle Bundesbürger Pässe einzuführen, die Fingerabdrücke oder andere biometrische Identifikationsmittel bzw. verschlüsselte Angaben zur Person enthalten. Vielmehr ist zu vermuten, dass über diesen Umweg eine bundesweite Fingerabdruckdatei aufgebaut werden soll, denn die Einführung solcher Identifikationsmittel macht ja nur Sinn, wenn diese auch überprüfbar sind. Bislang hat sich das Innenministerium noch nicht zu der Frage geäußert, wie sie eine Überprüfung bewerkstelligen will.

Darüber hinaus sieht das Paket auch eine so genannte Initiativermittlungskompetenz für das BKA vor. Dadurch kann es auch ohne Anfangsverdacht Ermittlungen anstellen. Dem Verfassungsschutz sollen zudem weit reichende Auskunftsrechte zugestanden werden. Außerdem sollen so genannte Informationsboards eingerichtet werden, die für einen systematischen Austausch auch personenbezogener Informationen zwischen BKA, VS und BND genutzt werden können. Das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst wird so immer weiter aufgehoben, und auch die Kompetenzverlagerung in Richtung einer Bundespolizei ist ein Bruch mit dem im Grundgesetz verankerten föderalen System im Sicherheitsbereich. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhard Baum (FDP) kommt angesichts solcher Vorstöße nicht umhin, Schilys Vorstellungen als teilweise verfassungswidrig zu kritisieren. (FR, 18.10.01)

Nimmt man noch die geplanten Maßnahmen im Bereich der Telekommunikation hinzu, dann zeigt sich, dass hier flächendeckende Bewegungsprofile und eine lückenlose Überwachung drohen. Zur Rückverfolgung "digitaler Täterspuren in Datennetzen" wird die Einführung einer "mindestens sechsmonatigen Verpflichtung zur Speicherung von Verbindungs- und Nutzungsdaten" gefordert.

mb.

Editoriale Anmerkung:
Der Artikel wurde erstveröffentlicht in ak - analyse & kritik, Zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 455 / 25.10.2001. Er ist eine Spiegelung von
http://www.akweb.de/ak_s/ak455/30.htm
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