http://www.sozialismus.de/aktuell/brem-erk.htm 

Thesen Bremer Wissenschaftler zur Rechts-"Extremismus"-Kampagne

11/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung

Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

In diesem Sommer haben Politik und Öffentlichkeit die kritische Befassung mit dem Rechts-"Extremismus" ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Seit Wochen vergeht kein Tag, an dem nicht von neuen Übergriffen auf Ausländer berichtet wird, "Erfolge" bei der Verfolgung von "Glatzen" ausgebreitet und neue Vorschläge zur Bekämpfung des Rechtsradikalismus vorgestellt werden. Wir - einige Bremer Wissenschaftler, die sich seit Jahren auch mit den Themen Ausländerfeindlichkeit, Nationalismus und (Neo-)Faschismus beschäftigen - unterstreichen die Notwendigkeit einer politischen, öffentlichen und wissenschaftlichen Befassung mit dem Rechtsradikalismus, wenden uns aber entschieden gegen Ziele, Inhalte, Mittel und Formen, die die aktuelle Kampagne auszeichnen:

1. Wir stellen fest: Das Anliegen der offiziellen Politik besteht nicht in erster Linie darin, verbreitete Ausländerfeindlichkeit zu bekämpfen oder potentielle Opfer zu schützen. Ihre Sorge gilt primär dem Umstand, dass sich die Übergriffe auf Ausländer als Störung der Standortpolitik geltend machen könnten; diese hat ihr Maß nicht im Schutz von Menschenleben, sondern allein in den Erfolgen der nationalen Ökonomie auf dem Weltmarkt. Gegen den völkischen Nationalismus von Skins und der NPD wird der deutsche Standort-Nationalismus ins Feld geführt. So wird nicht nur Nationalismus mit Nationalismus bekämpft; zugleich wird dem "braunen Sumpf", der sich aus enttäuschten Nationalisten rekrutiert, ein neues Kriterium für private nationalistische Berechnungen unterbreitet.

2. Die offizielle Politik nimmt nichts von der Ausländerfeindlichkeit zurück, mit der sie selbst die Asylgesetzgebung von 1992 deutschen Bürgern nahegebracht hat. ("Das Boot ist voll!"). Wenn jetzt offiziell zwischen "nützlichen Ausländern" und solchen, "die uns ausnützen" (Beckstein) - schönfärberisch formuliert: "Ausländer, die wir brauchen, und Ausländer, die uns brauchen" (Özdemir) - sortiert wird, dann gilt weiterhin das Grunddogma nationalstaatlicher Menschensortierung, demzufolge Ausländer von Inländern grundsätzlich nicht nur nach Rechten und Pflichten, sondern auch nach "Wertigkeit" zu scheiden sind. Ausländern wird im Inland der Aufenthalt nur zugestanden, wenn sie sich als nützliches - genauer: geschäfts-nützliches - Menschenmaterial nationalen Interessen dienstbar machen lassen (vgl. Greencard). Ein solch berechnender Umgang mit Ausländern unterstreicht den generellen politischen Vorbehalt parlamentarisch-demokratischer Ausländerpolitik gegenüber Ausländern. Er gibt insofern den Rechtsradikalen und Neofaschisten, deren Rassismus keine Ausnahmen vom Prinzip der Ausländerausgrenzung kennt, noch in der Kampagne gegen sie recht.

3. Als besonders ärgerlich empfinden wir es, dass die Öffentlichkeit (Presse, Funk und TV) sich des Themas geradezu devot nach Maßgabe politischer Vorgaben annimmt. BILD stellt täglich auf der Frontseite kommentarlos einen nützlichen Ausländer vor und affirmiert damit ex negativo das Urteil, dass"Fremde", die nichts zum deutschen BSP beitragen, sondern einfach nur Schutz, Unterkunft und eine Minimalversorgung suchen, "bei uns" nichts verloren haben. Die taz bemüht mit Steckbriefen von Neonazis die Logik der Lynchjustiz. DIE ZEIT listet Woche für Woche die jüngsten fremdenfeindlichen Brutalitäten von Skins auf - allerdings nur die im Osten (!) der Republik. Und auch sonst fällt der hiesigen Presse nicht die eigene Barbarei auf, wenn sie die nationalistischen Sprüche deutscher Antifaschisten wiedergibt. Kommentarlos verbreitet sie, dass "Neonazis deutlich gemacht werden müsse, dass sie keine guten Deutschen" seien (Stolpe); dass nicht die "Ausländer, sondern die Ausländerfeinde den Deutschen Arbeitsplätze vorenthalten" würden (Höppner), oder dass es gelte, die Rechtsradikalen so auszugrenzen, "als ob von ihnen ein widerlicher Gestank ausgehe" (Sprecher des sächsischen Innenministeriums, FAZ 4.8.)!

4. Uns fällt auf, dass der offiziellen Politik für den Kampf gegen den Rechtsradikalismus in erster Linie solche Mittel einfallen, die in anderen Zusammenhängen gerne der politischen Programmatik jener Kräfte zugeordnet werden, gegen die sie jetzt in Anschlag gebracht werden sollen. Parteiverbote, Schnellgerichte, Abschreckungsurteile, Berufsverbote, politisch begründete Entlassungen, Pranger usw. stellen ein Arsenal von Repressionsinstrumenten dar, mit denen ein "starker Staat" unliebsame "Extremisten" - wie sie im Jargon des Verfassungsschutzes heißen - unter Einsatz seiner Gewalt brandmarkt und aus dem Verkehr zieht. So wird der völkische Nationalismus nicht kritisiert, sondern kraft der Drohung mit der Zerstörung der bürgerlichen Existenz daran gehindert, praktisch zu werden. Unauffällige Rechtsradikale, die ihre politische Heimat im Spektrum der demokratischen Parteien finden, gelten nicht als Gefahr für die Demokratie, sondern werden als Wählerpotential "am rechten Rand" umworben.

5. Wenig überzeugend finden wir auch die gebetsmühlenhafte Beteuerung, dass die Repression natürlich durch eine "inhaltliche Auseinandersetzung" mit dem Neofaschismus ergänzt werden müsse. Diese "inhaltliche Auseinandersetzung" findet nämlich einfach nicht statt: Sie wird ersetzt durch den Appell, sich wieder auf klassische Werte, die nicht selten auch den Beifall von Rechtsextremen finden, zu besinnen oder durch die Präsentation von Prominenten (Becker, BAP, Jauch, Ferres...), die der Jugend als Vorbild dienen sollen, weil sie reich und berühmt sind.

6. Geradezu naiv mutet es an, wenn der Bremer Bildungssenator die ausführlichere Befassung mit dem deutschen Nationalsozialismus anregt, um der Jugend vor Augen zu führen, "welches Leid durch die Machtübernahme von Rechtsradikalen entstanden sei" (FR,27.8.). Eine primär moralische Unterweisung, an der es in der Vergangenheit nicht gefehlt hat, birgt nämlich in sich die Gefahr einer begriffs- und kritiklosen Einschwörung auf die bestehenden politischen Verhältnisse, die angeblich alles "Leid" von den Menschen fernhalten. Dabei ist dem Wirken von Skinhead-Gruppen und jungen Nationaldemokraten der gegenteilige Befund zu entnehmen: Mit unschöner Regelmäßigkeit bringt die demokratisch-kapitalistische Gesellschaft diese brutale Variante von Nationalismus selbst hervor.

7. Auch eine Erklärung von Kollegen aus den Sozialwissenschaften (vgl. "Extremismusforscher" in der FR vom 23.8.) greift unseres Erachtens zu kurz. In ihr wird wieder nur dem NPD-Verbot das Wort geredet, bei den demokratischen Parteien eine "inhaltliche Auseinandersetzung mit rechtsextremistischer Programmatik" angemahnt und von der Regierung eine "Gleichstellungs- und Integrationspolitik" gegenüber Ausländern gefordert. Zumindest hätten sich die "Extremismusforscher" die Frage stellen müssen, welche Sorte "inhaltlicher Auseinandersetzung" von demokratischen Parteien eigentlich zu erwarten ist, die sich geschlossen zum Prinzip "Null Toleranz" bekennen und dafür das staatliche Gewaltmonopol "in seiner ganzen Härte" einsetzen wollen. Außerdem stünde Gesellschaftswissenschaftlern die Überlegung gut zu Gesicht, ob die Aufforderung zur "Integration" der Ausländer in jene Gesellschaft angemessen ist, die sich - wie sie in ihrer Erklärung selbst vermerken - durch ein "beträchtliches rechtsextremistisches und fremdenfeindliches Einstellungspotential" auszeichnet.

*******

Die erste Konsequenz, die wir als Hochschullehrer aus unserer Kritik des Rechtsradikalismus und der politischen bzw. öffentlichen Kampagne gegen ihn ziehen, besteht darin, in den Lehrveranstaltungen des WS 2000/01 hinreichend Zeit zur Diskussion einzuräumen. Auch stehen wir für eine Erörterung der vorstehenden Thesen zur Verfügung. Wir erhoffen uns eine wissenschaftliche Debatte, die nicht zuletzt hinsichtlich der Frage nach den Ursachen und Zusammenhängen aller Spielarten von Nationalismus - des demokratischen sowie des rechtsradikalen bzw. neofaschistischen - Fortschritte bringt.

Unterzeichner: Rudolf Bauer, Wendula Dahle, Jörg Huffschmid, Freerk Huisken, Margaret Wirth

Bremen, den 15.10.2000