Der keineswegs kurze Sommer
der Autobomben

von Gaston Kirsche (gruppe demontage)

11/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung

Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin

Seit 1989 handeln viele Guerrillas nationale Befreiung neu aus. Von dem früheren Ziel von ETA, „Baskenland und Freiheit“, einer unabhängigen, sozialistischen Nation, ist die Unabhängigkeit geblieben. Auf ETA bezieht sich ein breites linksnationales legales Spektrum, MLNV, „Baskische Bewegung der nationalen Befreiung“, das eine Vielzahl von Organisationen bezeichnet - etwa die Gewerkschaft LAB oder die Frauenkoordination egizan.

Die „soziale Frage“ wird vom militanten, sich sozialistisch nennenden Nationalismus kaum noch gestellt. Auch die Gewerkschaft LAB, „Baskische Arbeiter-Versammlung“, buttert für den „antikolonialen Kampf“ soziale Kämpfe unter, vermischt beides und fordert „elementare Rechte der Völker und Arbeiter“. Durch die nationalistische Verschleierung der Klassenwidersprüche erklärt sich die Aktionseinheit der LAB mit der traditionell-nationalistischen Gewerkschaft ELA: Auf kaum einem Gebiet funktioniert die Kooperation von militantem und etabliertem nationalistischem Milieu so verläßlich. ELA, „Solidarität der baskischen Arbeiter“, wurde 1911 gegründet, um Katholizismus und Nationalismus gegen die damals radikal-sozialistische UGT zu verteidigen. Bei den Betriebsratswahlen 1998 wurde die ELA stärkste Gewerkschaft mit über 40%, LAB kam auf über 15%. Weil ELA und LAB zuerst Nationalisten sind, gibt es keine Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften der spanischsprachigen Arbeiter UGT und CC.OO. Die nationale Bündnispolitik ist wichtiger als konkrete soziale Kämpfe. Die Flugblätter von LAB sind konsequenterweise meist nur in baskischer Sprache, die viele der ArbeitsmigrantInnen nicht verstehen. Der Unmut über Ausbeutung soll umgeleitet werden in den Kampf für die baskische Nation.

Die Unterordnung der sozialen Kämpfe ging soweit, daß Mitte der 80er Jahre die MLNV in allen Basisbewegungen die „nationale Selbstbestimmung“ zum Hauptziel erklärte und sie so spaltete. Seitdem gibt es auf allen Feldern sozialer Bewegung eine linksnationalistische Präsenz. Außer im Bereich der Totalverweigerung drohen die nichtnationalistischen Bewegungen dabei an den Rand gedrängt zu werden: Beim Militär klappte es deswegen nicht, weil nur wenige Jugendliche einsahen, warum ein baskisches Militär besser sein sollte als das spanische.

In den 60er Jahren spalteten sich zwei linke Fraktionen von der ETA ab, die heute die Organisation „Zutik“ bilden. Ihre Kritik, daß es sich beim Baskenland um einen entwickelten Industriestandort handelt und nicht um eine Kolonie, und die MigrantInnen aus Spanien und anderswo ohne Bekenntnis zur baskischen Nation die gleichen Rechte wie baskische NationalistInnen haben sollten, ist nach wie vor richtig. Sowohl ETA als auch HB und die ganze linksnationalistische Bewegung gehen trotzdem vom Gegenteil aus.

Am 18.9.98 erklärte die ETA einen unbegrenzten Waffenstillstand: Sie wolle die neuen politischen Entwicklungen abwarten, die eine neue Chance für eine nationale Unabhängigkeit bedeuten könnten. Damit reagierte die ETA auf die am 13. September 98 beschlossene „Erklärung von Lizarra“. Zur Lösung des Konfliktes im Baskenland wird als Option auch auf die Möglichkeit einer Unabhängigkeit verwiesen, statt von Sozialismus war nur vom Frieden die Rede. Die Erklärung von Lizarra wurde nicht nur von HB unterschrieben, sondern von sämtlichen baskisch-nationalistischen Parteien einschließlich der PNV, der Baskisch-Nationalistischen-Partei sowie von IU, Vereinigte Linke. Dadurch steht Lizarra für ein Ende der Isolation der ETA, die als politischer Faktor anerkannt worden ist. Zeitlich fast parallel dazu hat HB es geschafft, ihre Isolation als Partei zu überwinden. Um dem drohenden Verbot vorzubeugen, initiierte sie zu den Regionalwahlen am 25. Oktober 1998 die offene Liste EH - Euskal Herritarrok, „Baskische Bürger“, die 18% der Stimmen erhielt.

Auch wenn die neue Liste EH Stimmen gewonnen hat und die konservative PNV weiterhin ohne EH bzw. HB regiert, gibt es keinen Grund, sie zur stärksten radikalen Linken in Westeuropa zu erklären. EH vertritt nichts weiter als eine Ansammlung von nationalistischen Platitüden. In der „Euskadi Información“ stand am 27.9. 98 in der Kurzvorstellung des Wahlprogrammes von EH unter dem Stichwort Sozioökonomie: „Ökonomische Souveränität für die Zukunft, Schaffung von baskischen ökonomischen Räumen, eigene ökonomische Planung. Schaffung einer baskischen Zentralbank, eines baskisch-staatlichen Kreditinstitutes, eines durch die Basken definierten Steuersystems. Tarif- und Arbeitsrecht für den Bereich des Baskenlandes, Schaffung von baskischen Statistik- und Planungsinstituten.“ Solche Aussagen wirken vermeintlich radikal nur durch einen positiven Bezug auf den militanten Aktionismus der ETA, wodurch sich solche Positionen vom traditionellen bürgerlichen Nationalismus unterschieden.

Mit einem Kommuniqué vom 27. November 1999 beendete ETA ihre 14-monatige Waffenruhe. ETA erklärte, das „baskische Patrioten“ im Jahr zuvor zwar viel geredet hätten, aber „währenddessen Spanien und Frankreich die Okkupation, die Angriffe und die repressive Herrschaft fortgeführt haben“.

Am Schluß des Kommuniqués liess ETA ein unabhängiges und sozialistisches Baskenland hochleben. Bei den Übersetzungen ihres natürlich auf baskisch verfassten Textes ins Spanische fiel diese Parole weg, die ein reines Ritual ist. In früheren Zeiten machte die ETA Anleihen bei sozialistischen Ideologien. In dem aktuellen Text ist aber nichts weiter ausser dem Willen zur selbstgemachten Nation zu erkennen.

Drei Provinzen Spaniens bilden offiziell die Region Baskenland. Die ETA beansprucht mehr: Noch die spanische Provinz Navarra und die französische Region Atlantische Pyrenäen.

Die Regionalregierung der drei offiziell baskischen Provinzen wird beherrscht von der konservativen PNV, der Baskisch-Nationalistischen-Partei. Sie koaliert derzeit mit der eher sozialdemokratischen Partei EA, der Baskischen Solidarität. Diese hat sich 1986 von der PNV abgespalten. Toleriert wurde diese Minderheitsregierung bis zum Mai 2000 von der linksnationalistischen Partei EH, Baskische Bürger. Alle drei zusammen wurden bei den letzten Regionalwahlen am 25. 10. 98 von 54,5% gewählt. EH ist das am 4. September 1998 im Vorfeld dieser Wahlen gegründete neue Wahlbündnis rund um Herri Batasuna.

Früher hat sich das linksnationalistische Spektrum zwar zur Wahl gestellt, aber nicht an den parlamentarischen Spielereien beteiligt. Der wesentliche Grund hierfür: Die Beteiligung an den Institutionen des spanischen Staates sei eine Legitimation desselben, deshalb: Keine Kollaboration mit Spanien! Dem gegenüber haben die bürgerlichen Nationalisten um die PNV sich der Institutionen bedient. 1980 wurde die baskische Regionalautonomie institutionalisiert, baskischsprachige Schulen und Fernsehsender aufgebaut. Fördermittel der PNV-Regionalregierung gingen in neue High-Tech-Branchen. Dem Boom für die neuen Mittelschichten stehen unsichere Beschäftigungsverhältnisse für die Arbeiterklasse gegenüber.

Wirtschaftlich war das Baskenland zu Zeiten des Fordismus mit seiner traditionellen Schwerindustrie besonders seit dem Boom der Montageindustrie in den 50er und 60er Jahren eine wirtschaftliche Wohlstandsregion innerhalb Spaniens. Die Industrie von Bilbao gründete sich auf Kohlebergbau, Stahlöfen und Werften, in den Fabriken der Kleinstädte wurden Konsumgüter produziert. Mit dem Ende der fordistischen Massenproduktion kam die bis heute anhaltende Strukturkrise. Die Krise beschleunigte 1975 das Ende der Franco-Diktatur und ihrer autoritären Variante fordistischer Staatswirtschaft, die unfähig war, auf die neuen Anforderungen eines postfordistischen nationalen Wettbewerbstaates zu reagieren. Die Staatsbetriebe aus der Franco-Zeit sind infolge der Öffnungspolitik gegenüber dem europäischen Markt nach dem Beitritt zur EU 1986 längst pleite oder privatisiert. Die Autowerke von SEAT gehören heute VW.

Während die Agrarindustrie und die industrielle Großfischerei auf dem westeuropäischen Markt im Vorteil sind, ist die EU für die im gebirgigen Baskenland lebenden zahlreichen Kleinbauern und die Besatzungen der kleinen Fischkutter in den Küstenorten eine Verschlechterung. Da es zur Kleinviehwirtschaft, zur Fischerei und Fischverarbeitung und etwas Tourismus als Lohnarbeitsmöglichkeit keine Alternative gibt, verarmen zunehmend größere Teile der ländlichen Bevölkerung des Baskenlandes.

Deregulierung und Privatisierung wird im Baskenland häufig als Angriff des spanischen Staates auf die baskische Nation gesehen, nicht als Umbau des Kapitalismus. Die ETA sieht sich im antikolonialen Kampf für die nationale Unabhängigkeit. Kolonialismus wird dabei völlig losgelöst von der Kapitalstruktur betrachtet. Den reichsten Familien des Baskenlandes gehört ein Großteil der zentralspanischen Banken und Konzerne. Das Pro-Kopf-Einkommen im Baskenland ist das zweithöchste der spanischen Regionen. Im Baskenland gibt es im Vergleich zu ärmeren Regionen Spaniens einen sehr stark ausgeprägten Klassengegensatz. Die Wahrnehmung und Thematisierung von Klassenwidersprüchen wird in der linksnationalistischen Bewegung zugunsten der Vorstellung von einer homogenen baskischen Nation verschleiert.

Die ETA ist mit ihrem bewaffneten Kampf in die Sackgasse geraten: Soziale Kämpfe um Befreiung sind für ETA kein Thema - die nationale Sache steht im Vordergrund. So fehlte der ETA ein Korrektiv gegen durchgeknallte Aktionen wie Bombenattentate in südspanischen Supermärkten: Bereits 1987 legte ein Kommando in einem Arbeiterviertel von Barcelona eine Bombe in einen geöffneten Supermarkt der Hipercor-Kette - um französische Interessen zu treffen. 21 Menschen starben. Nach massiver Kritik von linken Bündnisorganisationen übte ETA Selbstkritik: Ja, sie hätten sich nicht darauf verlassen sollen, dass die Besitzer und die Polizei den Hipercor räumen. Aber 1995 liess ein ETA-Kommando wieder eine Bombe in einem geöffneten Supermarkt hochgehen - wieder an der Mittelmeerküste.

Im Juli 1997 war der Tiefpunkt erreicht: ETA entführte den Kommunalpolitiker Miguel Ángel Blanco Garrido aus der Kleinstadt Ermua und stellte dem spanischen Ministerpräsident, der wie Garrido der PP, der spanisch-nationalistischen Volkspartei angehörte, ein Ultimatum: Entweder würde die PP-Regierung innerhalb von 24 Stunden Zugeständnisse gegenüber den Gefangenen aus der ETA machen - oder Garrido würde erschossen. Der verblutende Garrido wurde gefunden und war auf allen Fernsehkanälen zu sehen. Eine massive Staats- und Medienpropaganda malte das Bild von einer willkürlich mordenden ETA, der jedeR zum Opfer fallen könnte. Danach gingen hunderttausende auf die Straße, forderten ein Ende der ETA-Aktionen. Und das überall in Spanien, auch im Baskenland. Der spanische Staat konnte sich und die Bevölkerung als Opfer der ETA darstellen - vom Staatsterrorismus von Polizei und Paramilitärs war keine Rede mehr.

Danach bot die PNV, die Baskisch-Nationalistische-Partei, ETA Anfang 1998 in Geheimverhandlungen einen Deal an: ETA hört auf, mit Aktionen das Investionsklima im Baskenland zu stören - und die PNV verpflichtet sich im Gegenzug, politisch wieder stärker für eine baskische Nation einzutreten. Während die PNV dabei für einen etablierten Nationalismus steht, dessen 100 Jahre alter baskischer Rassismus wunderbar mit Lobbypolitik zusammenpasst, ist ETA für ihren befreiungsnationalistisch definierten Kulturalismus die Grundlage weggebrochen, weil die PNV-Regionalregierung die zentralen Bestandteile eines kulturalistischen Nationalismus in ihre Politik integriert und umgesetzt hat: Baskisch als Sprache wird heute nicht nur in entsprechenden Schulen, den Ikastolas, gelehrt: Baskischsprachige Medien gibt es von Fernsehen über Radio bis hin zu Printmedien, Büchern und neuen Medien.

Neben der etablierten PNV mit ihrer im Sinne eines baskischen Nationalismus mittlerweile sehr ausgebauten Kulturpolitik gibt es für eine einfache Kopie keine Notwendigkeit. Diese Erfahrung hat bereits die PNV-Abspaltung von 1986, die EA gemacht: Sie ist bereits wieder fest mit der PNV verbunden. Bei den Kommunalwahlen am 13. Juni kandidierte die EA meist im Schlepptau der PNV in einer Listenverbindung. Der Unterschied der bereits 1959 vom PNV abgespaltenen ETA waren früher die Kritik am biologistischen Blut-und-Boden-Rassismus der PNV, der aber gegenwärtig nur noch im Hintergrund präsent ist und zumindest nominell-sozialistische Forderungen. In Anlehnung an die algerische Befreiungsbewegung FLN und die kubanische Revolution. Jetzt ist nur noch die antiinstutionelle Ausrichtung, der bewaffnete Kampf übrig. Und der Wettkampf darum, wer die baskische Nation besser vertritt.

Die aus kommunistischen Linksabspaltungen aus ETA hervorgegangene Organisation Zutik kritisierte, dass ETA im Dezember 1999 wieder zu den Waffen griff und forderte eine argumentative Auseinandersetzung ein: „Der Dialog muss unverzüglich dazu führen, das Problem der politischen Gefangenen zu lösen und die demokratischen Rechte im Baskenland einzusetzen.“

Zutiks Kritik, das eine Rückkehr zu den Waffen durch die ETA nur wieder eine Militarisierung des Konfliktes bewirken würde, reicht nicht aus. Einer Lösung der Konflikte ist die ETA ohne Waffen kaum näher. Solange nationale, ethnisierte Polarisierung die Grundlage des politischen Handelns bleibt und der Nationalstaat das Ziel, kann es keine Lösung geben. Die müsste etwas anderes sein als die gegenseitige nationalistische Ausgrenzung, von der die militaristische Frontenbildung nur die offen gewalttätigste Form ist.

Genau die betreibt aber nicht nur der spanische Staat, sondern auch ETA mit ihrer Sommerkampagne: Mehrere Anschläge pro Woche, Autobomben, Erschiessungen von Politikern auf offener Straße und Bomben in Einrichtungen des spanischen Staates - ETA zeigt ihre militärische Handlungsfähigkeit, die spanische Polizei verhaftet danach weiter willkürlich linksnationalistische BaskInnen: Auf der Strecke bleiben Ansätze für einen politischen Dialog und nichtnationale linken Ansätze nimmt die nationale Polarisierung den öffentlichen Raum zum Agieren.

Die weitverbreitete Anti-ETA-Stimmung, die im Moment alle anderen politischen Debatten in Spanien überlagert ist auch eine Reaktion auf die massive Sommerkampagne von ETA.

Bis zum Juni hatte ETA seit dem Ende ihrer Waffenruhe monatlich ein Attentat verübt. Seit Anfang Juli macht ETA mindestens zwei Aktionen pro Woche.

Am 12. Juli explodierte im Stadtzentrum von Madrid morgens um 6 Uhr eine Autobombe vor einem Kaufhaus der Kette El Corte Inglés. Die dreifache Warnung der ETA vor der Explosion wurde ernstgenommen, das Gebiet geräumt. Neben hohem Sachschaden gab es trotzdem neun Verletzte. Dadurch konnten die dominierenden zentralspanischen Medien eine allgemeine Stimmung der Bedrohung durch ETA erzeugen.

Einen knappen Tag später explodierte am 18. Juli in der Nähe der nordspanischen Stadt Soria eine Autobombe vor einer Kaserne der paramilitärischen Guardia Civil. Die enorme Sprengkraft reichte aus, um an der Kaserne hohen Sachschaden anzurichten.

Noch am selben Tag hatte der spanische Ministerpräsident José María Aznar seinen großen Auftritt - natürlich mit der spanischen Flagge im Hintergrund. Obwohl beim Staatsbesuch in Algerien eigentlich andere Themen auf der Agenda standen, verkündete er in Algier einmal mehr seine harte Linie: „Sie werden uns nicht in die Knie zwingen.“ Die ETA könne seine Regierung nicht von ihrem Weg abbringen: Dass dies eine rein repressive Antwort auf die Aktionen von ETA bedeutet, brauchte er nicht ausdrücklich zu sagen. Letztes Jahr wurde Aznar noch stark von der staatstragenden Opposition, der PSOE und etlichen Regionalparteien dafür kritisiert, dass er das Angebot der ETA zu Verhandlungen nur zum Schein angenommen hat. Es ging der PP nur darum, möglichst die gesamte Leitung von ETA dingfest zu machen. Das gelang. Es gab etliche Festnahmen, ETA brach die Verhandlungen ab und griff wieder zu den Waffen.

Im Baskenland selbst gibt es mehrere aktive Gruppen von ETA. Das „Kommando Bizkaia“ hat die laufende Anschlagserie begonnen. Allerdings ging es bei der Autobombe, die sie am 25. Juni in Getxo bei Bilbao zündeten, nicht vorrangig um eine militärische Konfrontation und Polarisierung wie bei den Anschlägen der letzten Wochen. Der weiße Mercedes, der vollgepackt mit Dynamit um Mitternacht hochging, richtete hohen Sachschaden an. Es gab zwei Vorwarnungen, die Straße wurde geräumt. Der Anrufer erklärte, dieser Anschlag richte sich „gegen die Finanzoligarchie“. Der Stadtteil Neguri in Getxo ist beliebt bei der regionalen Bourgeoisie des Baskenlandes. Im Umkreis von einem Kilometer um das explodierte Auto wohnen etwa mehrere Mitglieder des Aufsichtsrates der Bank von Bizkaia, der BBVA, zweitgrößter Bank Spaniens und ihr Präsident Emilio Ybarro. Ebenfalls Anwohner ist der Präsident des „Rates Baskischer Unternehmer“, Alfonso Basagoiti.

Die baskische Regionalregierung beeilte sich auch sofort, diesen Anschlag schärfstens zu verurteilen. Javier Balza, der regionale Innenminister, erkannte hinter der Autobombe von Getxo das Mahnwesen von ETA, mit dem die „Revolutionssteuer“ eingefordert wird. ETA hat seit Mai wieder verstärkt Briefe verschickt an Kapitalisten, in denen diese zur Zahlung von jeweils nach den Unternehmensgewinnen festgelegten Geldsummen aufgefordert werden. Mit Revolution hat das wenig zu tun, mehr mit einem eigenen Inkassobetrieb zur Finanzierung von ETA. Die Reichen von Getxo, aufgebracht über den Anschlag vor ihren Haustüren, beschimpften den Bürgermeister von Getxo, Iñaki Zarraoa von der PNV. Sie machen die PNV dafür verantwortlich, das ETA wieder agieren kann.

PNV ist unter Druck, weil sie in zahlreichen Rathäusern mit der Partei Baskische Bürger, EH, kooperieren, die sich nie von der ETA distanziert. Seit Ende Juli hat die PNV nun begonnen, in zahlreichen Stadträten jede kommunale Zusammenarbeit mit EH aufzukündigen. Angefangen mit Basauri, folgen täglich weitere kleinere Städte: So etwa am 20. Juli Beasain, Bergara und Deba. Der Druck seitens der zentralspanischen Parteien gegen PNV geht trotzdem weiter. Die PNV solle sich wieder den spanisch-nationalen Interessen unterordnen. Die PP, mit der PNV bis zu ihrem Rausschmiß letztes Jahr gemeinsam in der christdemokratischen Europäischen Volkspartei sass, ist dabei federführend. Kaum ein Regionalpolitiker der PP schwingt sich derzeit nicht zum Ritter gegen ETA auf. So erklärte der Vorsitzende der PP in Katalonien, Alberto Fernández Díaz, dass „EH die politische Kapuze der ETA sei“ und die PNV „endgültig brechen soll mit allen jenen Gruppen und Formationen, welche die Gewalttätigen unterstützen.“ Gleichzeitig verschärft die spanische Justiz wieder die Verfolgung politischer Einrichtungen, die als ETA-nah gelten: So forderte der Untersuchungsrichter Baltasar Garzón am 21. Juli, das die linksnationalistische Tageszeitung Gara die Schulden von Egin übernehmen soll. Die Zeitung Egin wurde im Juli 1998 auf Betreiben Garzóns verboten und geschlossen. Wenn Gara die seitdem aufgelaufenen Schulden von Egin bezahlen müsste, wäre Gara pleite. Für Ende September plant die konservative PP-Regierung Gesetzesverschärfungen gegen die soziale Basis von ETA: So soll der militante Straßenkampf im Baskenland dadurch beendet werden, dass das Strafmündigkeitsalter gesenkt wird: Dann können schon 16-Jährige zu bis zu 20 Jahren Haft wegen „terroristischer Betätigung“ verurteilt werden, wenn sie einen leeren städtischen Bus anzünden.

Die verstärkte Remilitarisierung des Konfliktes um spanische versus baskische Nation seitens spanischer Polizei und ETA stört die regionalistische Standortpolitik der PNV massiv. Während es in ganz Spanien einen Bauboom gibt, ist der Häuserbau seit dem Ende der Waffenruhe von ETA im Baskenland drastisch zurückgegangen: 28,7 Prozent weniger Bauaktivität als im Vorjahr. Kein gutes Investitionsklima - aber auch kein gutes Klima für emanzipatorische Politik. Unter sozialer Befreiung stelle ich mir was anderes vor als nationale Ziele.

Zum Weiterlesen:

  • „Euskadi: Sozialismus in einer >Ethnie<?“, in gruppe demontage: Postfordistische Guerrilla - Vom Mythos nationaler Befreiung“, 292 Seiten, 29,80 DM, Unrast, 2. Auflage 1999.
  • Reiner Wandler (Hg.): Euskadi - Ein Lesebuch zu Politik, Geschichte und Kultur des Baskenlandes, 207 Seiten, 32 DM, Tranvia 1999.