http://www.nadir.org/nadir/periodika/zag/

Die Erfindung der weißen Rasse

Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle, von Theodore W. Allen

11/00  
trdbook.gif (1270 Byte)  
trend
online
zeitung

Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net  ODER per Snail: Anti-Quariat 
Oranienstr. 45
D-10969 Berlin
Eigentlich kommt dieses Buch in deutscher Sprache schon etwas spät. Es ist inzwischen in seiner englischen Variante längst zu einem Standard geworden. Es soll jetzt aber niemand auf die wenig glorreiche Idee verfallen zu glauben, Allen hätte das definitive und ultimative Werk über ‚die' Geschichte des Rassismus geschrieben. Solche Ankündigungen und Vorstellungen sind ohnehin dem Reich des geistig Armen zuzuordnen, dieses Buch gehört garantiert nicht dorthin. Es ist eine hervorragende Darstellung der rassistischen Unterdrückung in den USA - deren historische Entwicklung und ihrer gesellschaftlichen Bedingungen. Die wichtige Dimension der deutschen Übersetzung liegt wo anders - hier in der Bundesrepublik. Daß der hiesige universitäre Forschungsbetrieb in der Regel nicht zu denen gehört, bei dem rassismustheoretische Meilensteine zur Tagesordnung gehören, ist auch ein Spiegel der gesamten antirassistischen Arbeit in der Bundesrepublik. Banale Grundlagen antirassistischer Analysen, wie institutionelle Verankerung, staatliche Sanktionierung oder gesellschaftlicher Diskriminierungskonsens, stehen hier garantiert nicht im Mittelpunkt politischer Auseinandersetzungen. Was unter dem Slogan ‚Gegen Fremdenfeindlichkeit' diskutiert wird, ist eher ein humanitär gebremster Multikulti-Rassismus. - Um Mißverständnissen vorzubeugen: Das ist sehr wohl ein großer Unterschied zum bundesrepublikanischen gesellschaftlich ‚Normalen', denn es enthält das direkte Totschlagen nicht mehr.

Bis auf wenige Ausnahmen ist von der Rassismusforschung hierzulande zu sagen: Eigentlich gibt's sie nicht. Das, was unter diesem Titel firmiert, ist positiv umschrieben sozialpsychologische Forschung zu Fremdenfeindlichkeit und -angst. Ein bewährtes Entsorgungsverfahren durch Individualisierung. Es gehört hier zu den beliebtesten Spielen und leistet der Vertauschung der Täter-Opfer-Wahrnehmung Vorschub.

Der wichtigste Punkt in Allens Veröffentlichung ist nicht der Nachweis, daß es sich bei der "weißen Rasse" um eine soziale Konstruktion handelt - das gehört schon länger zum Grundlagenwissen der kritischen Rassismustheorie. Der wichtigste Punkt seiner Untersuchung ist der Nachweis, daß diese Konstruktion nichts Unveränderbares ist, sondern sich ihre Basis in sozialen Auseinandersetzungen schon öfter schnell in Schall und Rauch aufgelöst hat und dies auch jederzeit wieder tun kann.

Die Unterdrückung Irlands im Verlauf der englischen Herrschaft benutzt Allen als Spiegel, "um Einsichten in die Natur rassistischer Unterdrückung und deren Implikationen für die soziale Kontrolle durch die herrschende Klasse in den Vereinigten Staaten zu gewinnen." Die Unterdrückung der Iren durch die Briten mit allen rassistischen Komponenten ist besonders geeignet, um die psycho-kulturelle Mär des Rassismus als Reaktion der großen Verunsicherung und Orientierungslosigkeit der Unterdrücker - die klassische Täter-Opfer-Verkehrung - in ihrer ganzen Blödigkeit preiszugeben. Der mitleidheischende Ansatz einer Rassismustheorie als 'Bedürfnis, sich zu vergewissern, daß sie weiß waren' ist in Irland bar jeder Grundlage gewesen. Die irischen Katholiken sind in einem weiteren Punkt ebenfalls sehr aufschlußreich. Die stark verbreitete Vorstellung, daß die Opfer rassistischer Unterdrückung durch diese 'Erfahrung' selbst nicht zu Rassisten mutieren könnten oder dürften, ist mit der Haltung der ausgewanderten Iren als 'weiße Amerikaner' leicht zu widerlegen. Der Gedanke, daß Unterdrückung und/ oder Verfolgung einen erzieherischen Charakter haben könnten oder sollten, ist ohnehin eine Perversion des Denkens, die ihresgleichen sucht. Nichtsdestotrotz gehört auch sie zu den Alltäglichkeiten, die bei Dauererschütterten auf der Suche nach den 'besseren' Menschen sehr wohl verbreitet sind. Mit dem für derartige Vorstellungen notwendiger Weise stark tiefgelegten geistigen Fahrgestell verwandelt sich Rassismus in eine pädagogische Veranstaltung mit läuterndem Effekt.
Der Umkehrschluß kommt dann zusätzlich auf Breitreifen daher und schafft damit die Spitzkehre: Wer durch die Unterdrückung nicht zum Guten bekehrt wurde, ist von besonderer Verwerflichkeit. Mit dieser Ausrüstung verschwindet das Ursprungsziel mit Hochgeschwindigkeit im Rückspiegel. Warum nun die katholischen Iren sich als Irisch-Amerikaner problemlos "an ein bereits »weißes« amerikanisches Gesellschaftssystem angepaßt" haben und warum die weit verbreitete Theorie der »Konkurrenz um die Arbeitsplätze« ein Teil "des Katalogs an Selbstrechtfertigung" darstellt, wird dann im zweiten Band untersucht. Dort wird dann der Grund für die Einbindung der Irisch-Amerikaner durch 'weiße Privilegien' in die amerikanische 'weiße Rasse' untersucht. Das Buch von Allen ist jeder/m besonders empfohlen, der/ die mit Vorstellungen durchs Leben wandelt, daß Rassismus irgendetwas mit Hautfarben zu tun hätte. Es räumt auch mit den Zweifeln am Zweck des Rassismus auf und zeigt ihn in seiner ganzen Blüte als bürgerliches Instrument der Unterdrückung.

Es ist zwar kein Dünndruckbändchen, das auch die Himalayaexpedition nicht weiter belastet, im gut sortierten Urlaubsgepäck fällt es jedoch genausowenig ins Gewicht, wie die Gummiente für den Badesee.

Tobias Faßmeyer (ZAG)

Allen, T. W., Die Erfindung der weißen Rasse, Rassistische Unterdrückung und soziale Kontrolle, Bd. 1, London 1994, ID Verlag, Berlin 1998, 338 S., 48,- DM