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Deutscher Gewerkschaftsbund 
Kreis Berlin Wallstr 65 10179 Berlin 

Berlin - Metropole im Wandel ? 
Fuer eine sozial-oekologische Stadtpolitik

Arbeitspapier fuer die innergewerkschaftliche Diskussion

10/99 trdbook.gif (1270 Byte) trend online zeitung Briefe oder Artikel: info@trend.partisan.net   ODER per Snail: Anti-Quariat Oranienstr. 45 D-10969 Berlin

I. Berlins Staerken

II. Berlins Schwaechen

III. Berlin braucht eine sozial-oekologische Reformpolitik

1. Gemeinsame Erklaerung des DGB Berlin und der Berliner Umweltverbaende

2. Berlin - ungebildete Stadt ? Oder Stadt fuer Bildung, Partizipation und Emanzipation!

3. Berlin - kranke Stadt ? Oder Gesundheit Berlin!

4. Berlin - Statt Flucht Wohnen in der Stadt!

5. Berlin - im Stau ? Oder Stadt in Bewegung !

6. Berlin - Ort ohne Arbeit ? Oder Berlin als Arbeitsort !

IV. Berlin - Stadt der Frauen ? Oder Wem gehoert die Stadt ?

V. Berlin - Stadt fuer Jung und Alt !

VI. Berlin - die Stadt der unterschiedlichsten Nationalitaeten und Kulturen !

ViSdP: Ursula Schaefer, DGB Kreis Berlin, Wallstr 61/65, 10179 Berlin


Vorwort

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit unserem DGB-Grundsatzprogramm "Die Zukunft gestalten" haben wir wiederholt die Forderung nach Vollbeschaeftigung, nach sozialer Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit gestellt und als eine der wichtigsten Aufgaben unseres Staates und der Staaten in Europa angesehen, gleichwertige Lebensbedingungen in allen Regionen in Deutschland wie in Europa zu schaffen.

Vollbeschaeftigung, Verteilungsgerechtigkeit und mehr Lebensqualitaet sind und bleiben fuer die Gewerkschaften und den DGB die wichtigsten Ziele oekonomischen Handelns. Wir haben fuer uns beschlossen, uns dafuer einzusetzen, dass mit Hilfe einer sozial-oekologischen Reformstrategie die Arbeitslosigkeit ueberwunden wird und Wirtschaftswachstum und Umweltschutz in Einklang gebracht werden. Oekologisch wachsen und umsteuern, Einkommen und Vermoegen gerecht verteilen - dies sind fuer uns die Zielsetzungen, nach denen wir eine erfolgreiche neue Politik beurteilen und Ziele, denen wir uns verpflichtet fuehlen.

Zur sozialen Sicherheit gehoeren fuer uns nicht nur die Sozialsysteme der Sozialversicherung und das Recht auf Arbeit sondern auch eine gut ausgebaute soziale Infrastruktur und buergerfreundliche oeffentliche Dienste. Die Politik auf regionaler und oertlicher Ebene hat hier sehr wichtige Aufgaben zu uebernehmen und muss sich diesem Anspruch offensiv stellen.

Der DGB Kreis Berlin und seine Vorlaeuferorganisationen, der DGB Kreis Berlin-Sued und Berlin-Nord, haben in der Vergangenheit in vielfaeltigen Veranstaltungen auf die zunehmenden Probleme der Stadt Berlin, die sich aus der Massenarbeitslosigkeit ergeben, aufmerksam gemacht und sich an der Debatte ueber Loesungsmoeglichkeiten beteiligt. Mit diesem Diskussions- papier moechte der DGB Kreis Berlin einen weiteren Anstoss geben, das sozial-oekologische Reformkonzept auch auf der kommunalen Ebene Berlins offensiv in Angriff zu nehmen und damit fuer neue zukunftsfaehige Arbeits- plaetze zu sorgen und die Lebensqualitaet und die Lebenschancen fuer die Bewohnerinnen und Bewohner Berlins zu verbessern. Wir fordern alle Funktionaerlnnen im DGB Kreis Berlin und alle interessierten Mitglieder der Gewerkschaften auf, unseren Diskussionsprozess zu unterstuetzen, dieses Arbeitspapier, wo es womoeglich Luecken aufweist, weiterzuentwickeln und sich an unseren kommunal- und umweltpolitischen Veranstaltungen zu beteiligen. Ziel muss es sein, unsere stadtpolitischen Forderungen offensiv gegenueber der Politik zu vertreten.

Mit herzlichen Gruessen

Ursula Schaefer DGB Kreisvorsitzende


I. Die Staerken Berlins

1. Berlin im Jahre 1999 hat 3,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Knapp 1,8 Millionen sind weiblich, 1,7 Millionen sind maennlich. In den Grenzen Berlins leben 438 Tausend Menschen mit nicht-deutschen Paessen. 1998 wurden 30 Tausend Kinder geboren, juenger als 15 Jahre sind 435 Tausend EinwohnerInnen. 900 Tausend sind juenger als 25 Jahre.

2. Berlin ist Einwanderungsstadt. In Berlin leben Menschen der unter- schiedlichsten Nationalitaeten und Kulturen friedlich zusammen. Der Zuzug von Menschen anderer Kulturen gehoert zur Geschichte Berlins und hat der Entwicklung der Stadt immer neue Impulse gegeben. Diese positiven Impulse gilt es, auszubauen und weiter zu beleben. 

3. In Berlin sind zur Zeit 1,4 Millionen Menschen lohn-und gehalts- abhaengig beschaeftigt.Etwa 140 Tausend sind selbstaendig taetig, rund 300.000 Menschen - meist mit guter Qualifikation - sind auf der Suche nach neuen Beschaeftigungschancen. 

4. In der Berliner Industrie arbeiten noch etwa 130 Tausend (Stand 1996) Frauen und Maenner. Berlin hat als Industriestadt vielen Menschen Arbeit und Heimat gegeben. Durch die vielfaeltigen Industriezweige ist die Berliner Mischung von Industrie, Gewerbe und Wohnen ent- standen, die sich als positiv fuer die Stadtentwicklung und ihre Bewohnerlnnen ausgewirkt hat. Die Berliner Industrie muss als Basis der Wirtschaftsstruktur erhalten und weiterentwickelt werden. Neue Chancen liegen nicht nur bei der Bestandssicherung sondern auch bei der Erweiterung und Neuansiedlung von Umwelt- und Verkehrstechnik- unternehmen und von Unternehmen der Nahrungsmittelbearbeitung. Ziel muss es sein, den Exportanteil der Berliner Industrie zu staerken und zu erweitern und darueberhinaus eine regional vernetzte Industriestruktur zur Versorgung des Regionalmarktes zu installieren. 

5. 400 Tausend (Stand 1996) Menschen arbeiten im oeffentlichen Bereich (Staat, private Organisationen ohne Erwerbszweck). Sie halten den Betrieb in Kita, Schule, Berufsschule, Hochschule, Krankenhaus, Theater, Polizei, Museum, Arbeitsamt, Sozialamt, Rathaus, Bau-, Verkehrs-, Umwelt-, Wirtschafts-, Innen-, Sozial-, Gesundheits-, Schulverwaltung, Jugendheim, im Bereich Gruenflaechen,Buergerbe- ratung, Umweltdienstleistungen, Feuerwehr und Polizei aufrecht. Der oeffentliche Dienst ist in den letzten Jahren durch Stellen- streichungen und Umstrukturierungen belastet worden. Der oeffentliche Dienst und die oeffentlichen Betriebe haben fuer Berlin nicht nur eine wichtige Beschaeftigungsfunktion. Fuer die soziale Infrastruktur ist der oeffentliche Dienst die tragende Saeule Berlins. Die Berliner oeffentlichen Dienste sind, wenn sie in die Lage versetzt werden, ihre Aufgaben offen, transparent, buergerfreundlich und vor allem kompetent zu erfuellen, eine der wichtigstene Saeulen fuer den sozial-oekologischen Umbau Berlins. 

6. 550 Tausend Menschen arbeiten im privaten Dienstleistungsbereich. Den Bereich der privaten Dienstleistungen gilt es auszubauen. Dafuer bedarf es jedoch einer Staerkung und Stabilisierung der privaten und oeffentlichen Nachfrage. Durch Lohndumping und Destabilisierung der Beschaeftigungsverhaeltnisse im Grundbereich der privaten Dienstleistungen (Handel, private Verkehrsdienst- leistungen, Altenheim, Pflegedienste, Gesundheitsvorsorge) wird der gesamte Bereich der privaten Dienstleistungen insgesamt geschwaecht und vor allem entprofessionalisiert. Hier gilt es, gegenzusteuern und zu einer Stabilisierung beizutragen. 

7. Berlin ist Standort fuer 17 Universitaeten/Hochschulen und Fachhoch- schulen und 39 Fachschulen. An den Universitaeten/ Hochschulen und Fachhochschulen studieren 145 Tausend junge Menschen. In den Fachschulen sind ueber 5 Tausend Studierende eingeschrieben. Der Bereich der Forschung und Lehre ist durch Sparmassnahmen erheblich belastet worden. Diesen Trend gilt es umzudrehen. Berlin braucht fuer die hier aufwachsenden Kinder- und Jugendlichen mehr Hochschulplaetze als zur Zeit in Planung sind. Auch fuer den Zuzug von jungen Leuten waren die Berliner Hochschulen, Fachhochschulen und Fachschulen gerade in Zeiten der Mauer ein wichtiger Faktor. Soll Berlin junge Stadt bleiben, bedarf es gerade in diesem Bereich hoher Anstrengungen, Mittel zum Erhalt und zum Ausbau der Studienplaetze nach Berlin zu holen bzw. bereitzustellen. 

8. An den 93 Ausbildungsstaetten des Gesundheitswesens sind ueber 7 Tausend Lehrgangsteilnehmerlnnen eingeschrieben. In den 45 Berufs- schulen werden 62 Tausend SchuelerInnen ausgebildet, und in den 42 Berufsfachschulen lernen 7200 SchuelerInnen. Berlin verfuegt ueber 29 Fachoberschulen mit insgesamt 3400 SchuelerInnen, in den Ober- stufenzentren lernen 1900 Schuelerinnen.

9. In Berlin wird die 6-klassige Grundschule als Regelschule angeboten, in der die Schuelerinnen und Schueler die Gelegenheit erhalten, sich auf die weiterfuehrenden Schulen vorzubereiten, eine frueh- zeitige Auslese findet nicht statt. Neben der Hauptschule, der Realschule und dem Gymnasium besteht ein hohes Angebot an Gesamt- schulen. Diese Gesamtschulen tragen wie die 6-klassige Grundschule dazu bei, dass Kinder und Jugendliche aus allen Bevoelkerungs- schichten Zugang zu einer umfassenden Bildung erhalten. Gerade an Gesamtschulen besteht die Moeglichkeit, in Projekten, sozial- oekologisches Denken zu foerdern. in Berlin werden in 952 allgemeinbildenden Schulen insgesamt 413 Tausend SchuelerInnen von 31.834 LehrerInnen unterrichtet. 

10. In Berlin gibt es 2184 Kindertagesstaetten mit 157 Tausend Plaetzen sowohl in oeffentlicher als auch in konfessioneiler und gemein- nuetziger Traegerschaft. Neben diesem Angebot bestehen in der Stadt eine Vielzahl von Kinderlaeden, von denen sich ein grosser Teil auch mit der Integration behinderter Kinder befasst. Die Berliner Kinder- tagesstaetten und Kinderlaeden sind nicht nur ein wichtiger Faktor sozialer Infrastruktur, sie sind ein wichtiger Faktor sozialer Integration und vor allem Bildungseinrichtungen, an denen Kinder fruehzeitig soziale Kompetenz erlernen und Sprachschwierigkeiten ausgeglichen werden koennen. Ausserdem gleichen sie Mobilitaets- einschraenkungen aus, denen in unserer Stadt vor allem Kinder ausgesetzt sind, die Berliner Kindertagesstaetten koennten zu wichtigen Vermittlern oekologischer Kompetenz ausgestaltet werden. 

11. In Berlin gibt es 1484 Kinderspielplaetze und 322 Spiel und Liege- wiesen. Die Spiel- und Freizeitflaechen haben eine Groesse von 4642 qkm. Die vorhandene soziale Infrastruktur im Bereich Gesundheit liegt ueber dem Ausstattungsgrad anderer vergleichbarer Metropolen. In Berlin befinden sich 73 Schwimmbaeder und 1119 Sportstaetten, Berlin verfuegt ueber einen Reichtum an Wald, Gruenflaechen und Gewaessern. Dies sind gute Voraussetzungen fuer eine lebenswerte gesunde Stadt. Zur Zeit bestehen jedoch akute Gefaehrdungen bei der weiteren Ausgestaltung und notwendigen Umstrukturierungen des Gesundheitswesens. Hier gilt es, trotz sinkender Einnahmen der Sozialversicherungstraeger, ein zukunftsfaehiges Konzept fuer die Gesundheitsdienste Berlins zu entwickeln und umzusetzen. 

12. In Berlin werden 275 Jugendfreizeitheime mit 30 Tausend Plaetzen unterhalten. 

13. Berlin hat einen hohen Freizeitwert. Der Flaechenanteil von Seen, Gewaessern und Wald belaeuft sich auf 35 Prozent, bei einer Gesamt- flaeche Berlins in Hoehe von 89.085 ha. Die in Berlin vorhandenen Gruenflaechen gilt es zu erhalten und zu schuetzen. 

14. Berlin hat ein hohes Angebot an Kneipen, Cafes und Restaurants. Dieses Angebot gilt es, durch eine Staerkung und Verstetigung der Nachfrage zu stabilisieren. 

15. Berlin ist die Stadt mit dem breitesten Kulturangebot in Deutschland. Das Angebot reicht von 22 Theatern in oeffentlicher Traegerschaft ueber 29 Privattheater bis zum alternativen Angebot der freien Theatergruppen. in Berlin befinden sich eine Vielzahl von Kabaretts, Musikhallen und drei Opernhaeuser. Die Stadt beherbergt mittlerweile 129 Museen. 1995 haben in den Ausstellungsstaetten fuer bildende Kunst insgesamt 768 Kunstausstellungen stattgefunden. In der kuenftigen Kulturpolitik gilt es zu beachten, dass die staedtische Kultur nicht nur im Sinne der Foerderung des Tourismus gepflegt werden darf sondern weiterhin dezentrale, bezirksorientierte Angebote fuer die BewohnerInnen der Stadt vorhanden sein muessen. 

16. Berlin hat eine positive Tradition der Buergerbeteiligung. Sie aeussert sich in Buergerinitiativen, Selbsthilfeprojekten, in Stadtteilprojekten, Elterninitiativen, Mieterbeteiligung und Alternativprojekten im Jugendbereich. Durch Sparmassnahmen sind viele Initiativen zurueckgedrSngt worden bzw. drohen zu scheitern. Berlin braucht diese alternativen Initiativen. Sie sind eine wichtige Basis zur erweiterten Buergerlnnenbeteiligung, die Berlin dringend braucht, um die in der Bevoelkerung vorhandenen Kompetenzen und Ideen zu erschliessen. 

17. In Berlin sind alle 12 Gewerkschaften des DGB ansaessig. Der Deutsche Gewerkschaftsbund ist sowohl mit einer Landesbezirksverwaltung - laenderuebergreifend zustaendig fuer Berlin und Brandenburg - als auch mit einer Kreisgeschaeftsstelle - zustaendig fuer die kommunale Ebene - in der Stadt vertreten. Die Gewerkschaften sind nicht nur ein wichtiger Motor fuer die Entwicklung sozialer Kompetenz, sie sind fuer die Meinungsbildung und Information der Arbeitnehmerlnnen Berlins ein unerlaesslicher und wichtiger Faktor. 

18. Berlin hat einen breiten Forschungssektor. Dieser Faktor ist insbe- sondere fuer neue Impulse in der lndustriepolitik und in der Umwelt- politik der Stadt zu nutzen. Die Stadtstruktur Berlins und sein Wissenschaftspotential bilden eine ideale Basis fuer die Erforschung und Realisierung umweltfreundlicher Loesungen. 

19. Berlin hat einen gut ausgebauten oeffentlichen Personennahverkehr. Die Einbindung Berlins in den Schienenregionalverkehr ist ebenso wie die Anbindung an den Hochgeschwindigkeits- und Fernverkehr der Bahn kontinuierlich verbessert worden. Auch der Gueterverkehr muss zu- nehmend auf die Schiene verlagert werden, deshalb gilt es, das Schienenangebot fuer den Gueterverkehr zu staerken. 

20. Die Oekologischen Initiativen des alten Westberlins im Bereich der Stadtentwicklung <Internationale Bauausstellung in den 80er Jahren> bilden die ideale Basis fuer die Erforschung und Realisierung umwelt- freundlicher Loesungen. 

21. Die vorhandene soziale Infrastruktur und die Infrastruktur fuer die industrielle Produktion und fuer die Ansiedlung von Gewerbe ist im Vergleich zu anderen ostdeutschen Standorten ueberdurchschnittlich und braucht sich auch hinter westdeutschen Standorten nicht zu verstecken. 

22. Berlin hat ein hohes Potential im Kleingewerbe sowohl im Handel als auch im Handwerk. In den Berliner Bezirken besteht zusaetzlich ein hohes Angebot an Wochenmaerkten. Dies ist auch eine gute Basis fuer die Stadt der kurzen Wege und der Vermeidung von Verkehr. 

23. Berlin ist Mieterstadt. Dies kann das Modell der Stadt der kurzen Wege unterstuetzen, wenn die Menschen einen flexiblen, bezahlbaren Wohnungsmarkt vorfinden und Gelegenheit erhalten, in der Naehe ihrer Arbeit zu leben. 

24. Das Berliner Tempo, das die Umgangsweise der BerlinerInnen praegt, ist ein positives Potential fuer die Ansiedlungswerbung Berlins. Es sollte durch Abbau buerokratischer Huerden und von Doppelzustaendigkeiten auch auf die Berliner Verwaltung uebertragen werden. 

25. Insgesamt verfuegt Berlin ueber eine solidarische Stadtgesellschaft. Insbesondere in den Familien wird in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit hier Vorbildliches geleistet. Dies sollte durch eine familienorien- tierte Stadtpolitik gewuerdigt werden. 

II. Berlins Schwaechen

1 . Berlin hat - im Vergleich zu anderen Ballungsraeumen - den geringsten Anteil an Industriebeschaeftigten. 1994 lag der Anteil der Industrie- beschaeftigten an der Gesamtwirtschaft in Hamburg, Frankfurt/Main, Stuttgart und Muenchen um 60 v.H. hoeher als im Westteil der Stadt Berlin. Fuer den Bereich der Metall- und Elektroindustrie ergibt sich ein noch schlechterer Wert, hier liegt der Anteil um 65 v.H. unter dem der genannten westdeutschen Staedte. 

2. Der Berliner Industrieluecke folgt die Dienstleistungsluecke. In den Vergleichsstaedten Hamburg Frankfurt/Main, Stuttgart und Muenchen ist eine Parallelitaet zwischen hoher Beschaeftigung im Dienstleistungssektor und im industriellen Sektor vorhanden. 

3. Berlins Proportionen der Wirtschaftssektoren stimmen nicht. Es besteht ein hoher Leerstand in den Dienstleistungszentren. Es gibt keine separate Dienstleistungsentwicklung der Berliner Wirtschaft ohne ein modernes industrielles Fundament. 

4. Berlin hat einen zu geringen Exportanteil. Berlins Industrie hat einen Exportanteil in Hoehe von 14 v.H. Der Exportanteil der west- deutschen Industrie liegt bei 30 v.H. Im Vergleich zu Hamburg, Frankfurt/ Main, Stuttgart und Muenchen liegt Berlin mit seinem Exportanteil noch weiter zurueck. 

5. Berlin hat eine innovationsschwache Wirtschaft. 

6. Berlin hat einen unterentwickelten Bankensekto 

7. Berlin besitzt zu wenig Entscheidungszentralen. Berlin beheimatet 7 Hauptsitze der 200 umsatzstaerksten deutschen Unternehmen, Hamburg 20, Muenchen 15, Frankfurt/ Main 30. 

8. Berlin fehlen Managerlnnen und wichtige Unternehmensfunktionen. 

9. Berlins Haushaltslage ist dramatisch. Erhebliche Mittel wurden durch die Realisierung von Grossprojekten auch fuer die Zukunft gebunden. 

10. Berlin hat in den letzten Jahren allein 40.000 Arbeitsplaetze im oeffentlichen Bereich "eingespart". Weitere 20.000 sollen in den naechsten Jahren zusaetzlich abgebaut werden. Ein Einstellungs- korridor zur Einstellung von jungen, hoch qualifizierten Menschen besteht - mit Ausnahme geringer Ansaetze im Schulbereich - nicht. Auch im Schulbereich - ist der Neueinstellungsbedarf hoeher als die tatsaechlichen Einstellungen. 

11. Einstellungschancen fuer den oeffentlichen Bereich bestehen praktisch nur ueber befristete Arbeitsbeschaffungsmassnahmen mit abgesenkten Einkommen und ohne Moeglichkeit der spaeteren Einstellung. Mit dieser Einstellungspolitik gehen wichtige Ressourcen fuer die Stadt verloren. 

12. In Berlin leben rund 300.000 Arbeitslose, knapp 40 v.H. sind lang- zeitarbeitslos. Etwa ein Viertel der Arbeitslosen sind unter 30 Jahre alt, knapp 40 Prozent aller Arbeitslosen sind bis zu 35 Jahre alt! 

13. Besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind folgende Berufsgruppen: Verwaltungs- und Bueroberufe, Warenkaufleute und Bauberufe aber auch die Sozial- und Bildungsberufe. 

14. Der Anteil der Frauen an der Arbeitslosigkeit liegt weit ueber dem Durchschnitt anderer (westdeutscher) Ballungsgebiete, und zwar bei 44 v.H.

15. Der Anteil der auslaendischen Arbeitsiosen liegt weit ueber dem Durchschnitt anderer (westdeutscher) Ballungsgebiete, und zwar bei 16 v.H.. Im Westteil der Stadt ist die Arbeitslosigkeit unter aus- laendischen Kolleginnen und Kollegen weit hoeher als die Gesamtziffer der Stadt dokumentiert.

16. In Berlin sind 270.000 Menschen von der Zahlung von Sozialhilfe abhaengig. Auch die uebrigen Sozialeinkommen sind sehr niedrig, da die Verdienste vor Arbeitslosigkeit und Verrentung unter dem Durch- schnitt anderer (westdeutscher) Grossstadtzentren liegen.

17. Die Haushaltseinkommen im Westteil der Stadt sind in den letzten Jahren erheblich gesunken. Insgesamt sind die Haushaltseinkommen Berlins mit anderen Grossstadtraeumen Westdeutschlands nicht ver- gleichbar, da erheblich niedriger. Im reichsten Bezirk Berlins - Zehlendorf - wurde gerade mal ein Durchschnittseinkommen von DM 4200,- erzielt. In 17 der 23 Bezirke Berlins liegt das durchschnitt- liche Haushaltseinkommen unter DM 3000,--. Charlottenburg, ehemals einer der wohlhabenden Bezirke Berlins erzielt ein Durchschnitts- einkommen pro Haushalt in Hoehe von DM 2.750,--, Kreuzberg DM 2.300,--, Tiergarten DM 2.250,-- und Friedrichshain in Hoehe von 2.150,--.

18. Die Fahrpreise fuer den OePNV sind in den letzten Jahren mehrfach angehoben worden. Die Umweltkarte kostet monatlich DM 114,--. Die Sozialkarte (!) kostet DM 40,--, ein Arbeitslosenticket gibt es nicht.

19. Die Mietenbelastung ist im Vergleich zu den zur Zeit erzielbaren Haushaltseinkommen exorbitant gestiegen. Dies schraenkt die private Nachfrage erheblich ein und sollte bei der Erhoehung oeffentlicher Gebuehren beruecksichtigt werden. Auch die Wohngeldbestimmungen sind der Berliner Situation nicht angemessen und fuehren vor allem im Westteil der Stadt nicht zu den dringend erforderlichen Entlastungen.

20. Die soziale Infrastruktur ist durch die Sparmassnahmen des Senats, die hauptsaechlich die kommunale Ebene der Bezirke trifft, erheblich gefaehrdet. Zwischenzeitlich besteht eine Unzahl von unterschied- lichsten Beschaeftigungs- und Honorarverhaeltnissen bei privaten Traegern, die die Aufgaben fuer die Bezirke wahrnehmen sollen. Fuer diese Beschaeftigungsverhaeltnisse hat der Tarifbereich des oeffentlichen Dienstes keinerlei Geltung. Qualifizierte Arbeit ist dadurch erheblich abgewertet worden.

III. Berlin braucht eine sozial-oekologische Reformpolitik

1. Gemeinsame Erklaerung des Deutschen Gewerkschaftsbundes Kreis Berlin und Berliner Umweltverbaenden fuer eine soziale und oekologische Politik

Zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit und zur Bekaempfung der anhaltenden Zerstoerung der natuerlichen Lebensgrundlagen ist ein integrierter Ansatz in der Wirtschafts- und Umweltpolitik erforderlich. Die Politik der Massen- arbeitslosigkeit und Umweltzerstoerung duerfen nicht laenger achselzuckend hingenommen werden. Die Berliner Umweltverbaende und der Berliner DGB fordern daher eine neue Politik fuer mehr Umweltschutz und Beschaeftigung.

Die Unterzeichner dieser Erklaerung sind sich dabei einig in der Forderung nach einer sozial-oekologischen Steuerreform. Das Steuer- und Abgabensystem ist schrittweise so umzugestalten, dass der Faktor Arbeit entlastet wird und der Verbrauch von nichterneuerbaren natuerlichen Ressourcen durch die Ein- fuehrung einer Energiesteuer belastet wird.

Im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung und einer nachhaltigen Ent- wicklung der Regionen ist die Infrastruktur, z. B. in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Verkehr, unter oekologischen und sozialen Aspekten um- und auszubauen. Ein Umsteuern in der Politik muss insbesondere umwelt- und ressourcenschonende Verkehrssysteme foerdern. Die Forschungs-und Technologie- politik hat die Ziele einer sozial-oekologischen Reformstrategie vorrangig zu unterstuetzen. Die Foerdermittel hierfuer muessen kraeftig aufgestockt werden.

Fuer Berlin eroeffnen sich durch eine sozial-oekologische Reformpolitik neue Beschaeftigungschancen. Bereits vorhandene Arbeitsplaetze in Forschungsein- richtungen, in der Bauwirtschaft, in der Metall- und Elektroindustrie (Schienenverkehrstechnik, Schienenfahrzeugbau und Fahrzeugbau) koennten in Berlin zusaetzlich gesichert werden, neue Arbeitsplaetze in der Umweltschutz- industrie und bei den Umwelt-Dienstleistungen koennten entstehen. Schon heute arbeiten mehr als 700.000 Menschen bundesweit in der Umweltschutz- industrie, sie erwirtschaften einen jaehrlichen Umsatz von 50 Mrd. DM. Insgesamt sind ueber 1 Million Menschen im Umwelt-<Schutz) -Bereich taetig. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts fuer Wirtschaftsforschung (DlW> kann durch eine oekologische Steuerreform ein Innovations- und Nachfrageschub auch bei Umweltprodukten und Umweltdienstleistungen ausgeloest werden, der innerhalb von 10 Jahren weitere zusaetzliche 600.000 Arbeitsplaetze schafft. Auch Berlin koennte von dieser Entwicklung profitieren.

Die Umweltverbaende haben Steuerkonzepte erarbeitet, die sich mit den Forderungen der Gewerkschaften in weiten Bereichen decken. Die Unterzeichner fordern die politischen Parteien auf, diese Vorschlaege aufzugreifen und nicht ihre eigenen entsprechenden Beschluesse, die sie in der Vergangenheit gefasst haben, aus Opportunismus fallen zu lassen. Wir fordern von den Parteien:

+ eine Verkehrswende in diesem Land herbeizufuehren mit einem klaren Vorrang fuer bezahlbaren oeffentlichen Personennahverkehr und mit Vorrang des Schienenverkehrs,

+ eine Energiepolitik umzusetzen, die Energiesparen belohnt und foerdert, die regenerativen Energien aus Sonne, Wind und Wasser foerdert und den Ausstieg aus der Atomenergie einleitet,

+ eine Steuerreform durchzufuehren, die geeignet ist, die Arbeitskosten zu senken und den Umwelt- und Naturverbrauch zu verteuern. Einher- gehen mit dieser Steuerreform muss eine Senkung der Sozialabgaben. Aus sozialen wie aus oekonomischen Gruenden muessen insbesondere die unteren Einkommen entlastet werden.

Wir erinnern daran, dass sich der Senat von Berlin selber das Ziel gesetzt hat, den Anteil des oeffentlichen Nahverkehrs in der Innenstadt auf 80% anzuheben. Ausserdem erinnern wir an die Verpflichtungserklaerung der Bundesregierung und des Berliner Senats, bis zum Jahr 2005 fuenfundzwanzig Prozent des Kohlendioxidausstosses einzusparen. Wir fordern, endlich die Umsetzung anzugehen.

Unterzeichnerlnnen dieser Erklaerung:

ADFC Allgemeiner Deutscher Fahrradclub Berlin e. V. 
BLN Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz e. V. 
BUND Bund fuer Umwelt und Naturschutz Deutschland, Landesverband Berlin e. V. 
DGB Deutscher Gewerkschaftsbund Kreis Berlin 
FOeS Foerderverein oekologische Steuerreform e. V. Pfarrer Reinhard Dalchow, Umweltbeauftragter der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 
GEB Berliner Fahrgastverband e. V. 
NABU Naturschutzbund Deutschland, Landesverband Berlin e. V.

Unterstuetzerlnnen: Greenpeace Berlin, Heinrich Boell Stiftung, Berlin

2. Berlin - ungebildete Stadt? Oder Stadt fuer Bildung, Partizipation und Emanzipation

Der DGB Berlin lehnt grosse Gruppen in Kindertagesstaetten ab. Kindertagesstaetten sind Bildungsstaetten und muessen auch einen Ausgleich fuer die eingeschraenkte Mobilitaet der Kinder Berlins bieten. Hierzu ist ein ausreichendes Platzangebot und ein Angebot an paedagogischer Kompetenz erforderlich. Toben und Spielen muss wenigstens in geschuetzten Raeumen moeglich sein. In den Kindertagesstaetten sind qualifizierte ErzieherInnen zu beschaeftigen. Der durch Stellenstop und Sparmassnahmen beginnenden schleichenden Dequali- fizierung ist dringend Einhalt zu gebieten. Durch Neueinstellungen muessen neue Ideen und neues Engagement in die Kindertagesstaetten der Stadt einziehen.

Kinder brauchen soziale Raeume, in denen sie selbst soziale Kompetenz erfahren und erlernen koennen. Kindertagesstaetten bieten fuer dieses soziale Lernen eine wichtige Basis. Auch das Erleben der unterschiedlichen Kulturen und deren Sprachen ist in Kindertagesstaetten positiv zu vermitteln. Darueber hinaus muss ,in den Kitas genuegend Foerderkapazitaet vorhanden sein, um Kindern mit Sprachschwierigkeiten, Kindern mit Handikaps und Kindern, die unter Entwicklungsschwaechen leiden, die entsprechende Zuwendung und indivi- duelle Foerderung zu vermitteln. Die derzeitige Finanzpolitik, die zu grossen Gruppen und zum Einstellungsstopp gefuehrt hat, wird diesen Anspruechen nicht gerecht und ist dringend reformbeduerftig.

Auch die derzeitige Kostenstruktur - in dieser Legislaturperiode sind mehr- fach die Betreuungspreise angehoben worden -entspricht nicht der Sozial- struktur Berlins. Der DGB kann sich durchaus vorstellen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Steuerentlastung von Familien mit Kindern auch zur Ueberpruefung der Kostenbeitraege fuer die Berliner Kitas fuehrt. Fuer diskussionswuerdig halten wir eine Berliner Initiative fuer den Null-Tarif fuer Kindertagesstaetten und fuer das Angebot fuer alle z.Zt. "steuerge- foerderten" Kinder. Alternativ koennten dafuer die Steuervorteile, die insbesondere Grossverdiener belohnen, gestrichen werden. Dafuer muss ein Ausgleich an Laender und Kommunen gezahlt werden. Diese Vorgehensweise wuerde auch unterstreichen, dass Kindertagesstaetten Bildungseinrichtungen sind.

Auch die Berliner Schulen und deren Schuelerinnen und Schueler sind in der letzten Legislaturperiode mehr als stiefmuetterlich behandelt worden. Trotz steigender Schuelerlnnenzahl sind allein in den letzten 3 Jahren 3 Tausend Lehrerinnen "eingespart" worden. Pro Woche fallen 18.000 Unterrichtsstunden in Berlin aus. Allein durch Krankheit sind pro Woche 1 000 LehrerInnen an der Ausuebung ihres Berufs gehindert. Es fehlt an Vertretungslehrerlnnen. Die nunmehr - kurz vor den Wahlen -genehmigte "Lehrerlnnen-Feuerwehr" von 100 <!> LehrerInnen fuer die Gesamtstadt ist nicht geeignet, genuegend Ausgleich zu schaffen.

"Beruhigungsappelle" und "Sonder"-Angebote fuer bestimmte Eltern-Schichten - wie das Express-Abitur und das Angebot von grundstaendigen Gymnasien (Aufnahme ab 5. Klasse) sind nicht geeignet, das absolut notwendige Bildungs- angebot fuer alle zu erbringen. Der DGB Kreis setzt sich weiter dafuer ein, dass am Lehrangebot nicht gespart werden darf und die notwendigen LehrerInnen - Stellen geschaffen werden. Dies gilt fuer alle allgemeinbildenden Schulen aber auch fuer alle Berufsschulen, an denen die Bildungsmisere ganz besonders deutlich geworden ist.

Auch der vom Senat beschlossene Abbau von Studienplaetzen wird vom DGB Berlin abgelehnt, weil er der jungen Stadt Berlin nicht gerecht wird. Hier wird ein wichtiger positiver Standortvorteil verspielt.

Kuerzungsmassnahmen, die Schulen, Kindertagesstaetten und Hochschulen, Fach- hochschulen und Fachschulen treffen, sind nicht nur bildungsschaedlich, sie treffen die Stadt auch in ihren Standort - Staerken und wachsen sich zunehmend zu ihrer Schwaeche aus. Soziales Lernen und oekologisch - verantwortlicher Handel muessen in den Berliner Bildungseinrichtungen erprobt, erfahren und weiterentwickelt werden. Hierzu benoetigen die Schulen sowohl die personellen als auch die finanziellen Ressourcen. Die an einigen Schulen angesiedelten Schulstationen haben sich trotz geringster finanzieller Mittel als positiver Faktor bei der Unterstuetzung benachteiligter und verhaltensauffaelliger Kinder erwiesen. Sie sind vom 2. Arbeitsmarkt in den oeffentlichen Dienst der Stadt zu integrieren, zu erweitern und weiter zu professionalisieren.

Standortbezogene, kiezorientierte, multikulturelle Schulen werden gebraucht. Schulen, insbesondere in den von sozialer Aufloesung betroffenen lnnenstadt- bezirken, muessen zu Zentren der Kiezentwicklung werden. Die Schule ist der gemeinsame Ort, an dem sich Menschen aller Religionen, Schichten und Nationa- litaeten eines Einzugsgebietes treffen und sich austauschen koennen. Die Schule kann so den Rahmen stellen fuer ein Miteinander. Theater, Tanz, Sprachunterricht fuer Eltern koennen Angebote sein. Die Stabilisierung der Nachbarschaftlichkeit kann aber nicht allein auf den Schultern der Lehrer und vor allem der Lehrerinnen erfolgen. Die Schulen benoetigen fuer die Ausdehnung des ausserschulischen Angebotes der personellen und finanziellen Unterstuetzung durch Sozialarbeiter, Erzieherinnen, Kuenstler, Medienfachleute und Hausmeister. Zeitlich befristete ABM-Massnahmen als Feuerwehreinsaetze sind jedoch fehl am Platz. Die positiven Beispiele von "Schule im Kiez" wie an der W.-Hauff-Schule im Wedding sollten dabei als Leitbilder zur Orientierung dienen. Die in Berlin befindlichen Bildungseinrichtungen sind ein wichtiger Faktor fuer Standortentscheidungen. Auch die Berliner Finanzpolitik ist gefordert, hier neue Schwerpunktsetzungen vorzunehmen. Die Stadt muss auch jegliche Bildungssoffensive auf Bundesebene offensiv nutzen und unterstuetzen und das know-how der Stadt in derartige Initiativen einbringen.

3. Berlin - kranke Stadt? Oder Gesundheit Berlin!

Berlin ist eine Stadt, die zu mehr als einem Drittel aus Wald, Wasser und Gruenflaechen besteht. Das Freizeitangebot und das kulturelle Angebot der Stadt ist im Vergleich zu anderen Staedten Ostdeutschlands und Westdeutsch- lands immens. Dennoch leben die Berlinerinnen und Berliner nicht unbedingt gesund.

In vielen "Quartieren" der Stadt bestimmt mittlerweile Arbeitslosigkeit und Armut den Alltag der Menschen. Untersuchungen beweisen, dass Armut und Gesundheit gegensaetzliche Paare sind. Menschen armer Haushalte sind mehr von Krankheit und frueherem Tod betroffen als Menschen hoeherer Einkommens- schichten. Die in der Stadt lebenden Kinder werden immer mehr von Stress- faktoren, die durch die Arbeitslosigkeit der Eltern und durch Armut entstehen, beeinflusst, sie sind zunehmend in ihrer koerperlichen und geistigen Entwick- lung beeintraechtigt.

Die dicht besiedelten lnnenstadtbezirke werden durch die steigenden Verkehrs- stroeme immer mehr belastet. Insbesondere fuer die Bewohnerlnnen der Haupt- verkehrsstrassen ist die Belastung durch Laerm und Abgase enorm gestiegen. Strassen und Plaetze sind vom KFZ.-Verkehr "besetzt". Das beeintraechtigt insbesondere das Leben der Kinder und schraenkt ihren Bewegungsraum ein. Die Mobilitaet sozial schwacher Familien ist zusaetzlich durch hohe Kosten des oeffentlichen Personennahverkehrs eingeschraenkt. In den Bezirken bestehen unterschiedliche Versuche, durch Angebote der sozialen Infrastruktur gegen- zusteuern. In besonderen sozialen Brennpunkten werden seit Kurzem Quartiers- management-Angebote gemacht, die jedoch durch Sparmassnahmen im Kinder-und Jugendbereich unterlaufen werden. Die Berliner Bezirke haben sich im Zusammenhang mit der Einkommenssituation ihrer Bewohnerlnnen in den letzten Jahren deutlich auseinander entwickelt.

Zur Verbesserung der Lebensbedingungen der BewohnerInnen der Stadt ist ein Gegensteuern des Senats und der Bezirke unbedingt erforderlich. Von der verantwortlichen Politik duerfen nicht mehr laenger die Augen davor ver- schlossen werden, dass ein Grossteil.der Bevoelkerung auf die soziale Infrastruktur der Stadt mehr als angewiesen ist und sich eine sozial- oekologische Reformpolitik an der Einkommenssituation der Bewohnerlnnen und an ihrem Bedarf an sozialer Sicherung ausrichten muss.

Der DGB Berlin fordert den Erhalt und den Ausbau von Kinderspielplaetzen - ganz besonders in "Problem"-Bezirken. Ein verlaesslicher Kinderspielplatz- entwicklungsplan ist fuer ganz Berlin zu entwickeln. Bei der Ausstattung der Kinderspielplaetze sind Angebote zu machen, die die Mobilitaet und Kreativitaet der Kinder foerdern. Spielplaetze in sozial besonders benach- teiligten Bezirken sind durch paedagogisch geschultes Personal zu betreuen. - Auch die Berliner Kindertagesstaetten sind Teil der sozialen Infrastruktur und muessen weiterhin fuer alle gesellschaftlichen Gruppen offenstehen.

Um Laerm und Stressfaktoren zu mindern, muss ein Gegensteuern in der Verkehrs- politik erfolgen. Dies muss durch ein verlaessliches, bezahlbares Angebot an oeffentlichen Verkehrsleistungen gewaehrleistet werden und muss durch Ein- schraenkungen des individuellen Autoverkehrs, durch Buendelung des Liefer- verkehrs, durch "intelligente Systeme" und durch ein System, das Parken in der Stadt verteuert und zusaetzliche Finanzierungsmoeglichkeiten fuer oeffent- liche Verkehrsdienstleistungen schafft, erreicht werden. Fuer dieses neue Verkehrssystem ist ein offener Dialog in der Stadt erforderlich. Der DGB wird diesen offenen Dialog unterstuetzen, fordert aber auch vom Senat und von der Bezirkspolitik entsprechende Initiativen.

Gesundheit und Krankheit liegen dennoch dicht beieinander. Berlin verfuegt zur Zeit ueber ein Angebot an Gesundheitsdienstleistungen, das weit ueber dem Durchschnitt anderer Ballungsgebiete in Deutschland liegt. Dies gilt insbesondere fuer das Angebot an Hochleistungsmedizin, fuer das Aerzteangebot und die Aerztedichte. Die Berliner Krankenhauslandschaft bietet eine Traeger- vielfalt, die allerdings (noch) nicht abgestimmt und koordiniert ein umfang- reiches Paket an Gesundheitsdienstleistungen anbietet. Hier wurden in der Krankenhausplanung des letzten Jahrzehnts erhebliche Fehler gemacht, die nunmehr nicht mehr zu verheimlichen und tolerierbar sind. Zur Zeit wird deutlich, dass die hochqualifizierten Beschaeftigten der Berliner Kranken- haeuser die Zeche bezahlen muessen. Durch den Abbau von 4.000 Betten sind z. Zt. 7.000 Beschaeftigte direkt betroffen und fuerchten um ihre Beschaef- tigungsperspektiven.

Der Berliner Senat hat es versaeumt, rechtzeitig die Weichen zu stellen fuer eine Strukturreform in der Berliner Krankenhauslandschaft und Anstoesse zu geben fuer eine bessere Vezahnung von ambulanten und stationaeren Gesund- heitsleistungen. Zur Zeit fehlt es immer noch an der Analyse der ueberhoehten Kostenstruktur der Krankenhausleistungen und an einer konkreten Perspektive fuer die betroffenen Beschaeftigten. Zur Verbesserung der Kostenstruktur ist ein gemeinsames Auftreten der unterschiedlichen Krankenhaustraeger bei der Sachmittelbeschaffung unbedingt erforderlich. Durch Bildung eines Landes- krankenhausbetriebs fuer die staedtischen Haeuser kann das zumindest fuer diesen Bereich gewaehrleistet werden. Ausserdem kann damit die Kostenstruktur untereinander abgeglichen werden und innovative Konzepte zur verbesserten Betreuunq der PatientInnen entwickelt und umgesetzt werden.

Auch zur Umwidmung von Hochleistungsbetten, die in der Stadt ueberproportio- nal vorhanden sind, in Betten der Regelversorgung bietet sich das Modell des Landeskrankenhausbetriebes als richtiger und effektiver Traeger an. Grundvor- aussetzungen fuer diese Strukturverbesserungsmassnahmen ist jedoch ein betriebswirtschaftlich geleiteter Betrieb, der der Gesundheit der Bevoel- kerung verpflichtet ist und die volle Mitbestimmung der Beschaeftigten gewaehrleistet.

Die Vielfalt der Traeger der Berliner Krankenhauslandschaft wird vom DGB Berlin nicht in Abrede gestellt. Fuer die Zukunft ist entscheidend, dass fuer genuegend Kostentransparenz gesorgt wird, und dass Leistungen nicht mit ueberhoehten Kostenstrukturen erfolgen, die vor allem im Sachmittel- bereich vermeidbar sind.

Durch ein Angebot von vor-stationaeren und nach-stationaeren Leistungen bis hin zum ambulanten Reha-Angebot durch die Berliner Krankenhaeuser kann das Leistungsangebot fuer die Patientinnen verbessert werden und die medizinisch nicht erforderliche Verweildauer in Grenzen gehalten werden. Es bietet sich an, dass Grossgeraete vor allem in Gesundheitszentren und in Polikliniken der Krankenhaeuser vorgehalten werden. Ausserdem sind Aerzte besonders zu unterstuetzen, die ein umfassendes Beratungsangebot sowohl zur Praevention als auch zur Therapie von Krankheiten zur Verfuegung halten. Diese ambulanten Dienste muessen wesentlich besser honoriert werden als die Apparatemedizin.

Der Berliner Senat ist gefordert, Werbung fuer ein neues Berliner Kranken- hausmodell zu machen, dass auch die Leistungen der Beschaeftigten in den Krankenhaeusern besonders herausstellt. Im Vergleich zu Hamburg und Bremen ist Berlin noch viel zu wenig mit seinem Umland vernetzt. Hier muss eine gemeinsame Krankenhausplanung zumindest mit Brandenburg fuer Verbesserungen sorgen. - Sollte die Arbeitslosigkeit in der Stadt jedoch auf dem hohen Niveau der 90er Jahre verharren, wird eine umfassende Versorgung der Bevoel- kerung mit Gesundheitsleistungen ueber die Sozialversicherungsbeitraege immer schwieriger zu finanzieren sein. Demnach ist gerade die Wirtschaftspolitik des Landes Berlin gefordert, die Staerken Berlins fuer eine offensive Ansiedlungspolitik herauszustreichen und neue Arbeitsplaetze nach Berlin zu holen.

Auch muss dafuer Sorge getragen werden, dass moeglichst viele sozialversic- herungspflichtige Arbeitsplaetze in dieser Stadt angeboten werden. Die von der Berliner CDU geforderte Initiative zur Abschaffung des neuen 630,-- Mark-Gesetzes sind in diesem Zusammenhang voellig kontraproduktiv.

4. Berlin - statt Flucht Wohnen in der Stadt!

Berlin steht vor vielfaeltigen Problemen, wenn es seine Wohnbevoelkerung zum Bleiben ueberreden will und wenn es Impulse fuer einen Zuzug junger Menschen und von Familien geben moechte. Die Foerderungsmoeglichkeiten der vergangenen Jahre sind nicht mehr gegeben. Berliner Politik muss sich vornehmlich an den Interessen seiner Bewohnerinnen und Bewohner und der potentiellen Bewohner- lnnen ausrichten. Diese Interessen liegen vor allem beim bezahlbaren Wohnen, beim Angebot von sozialer Infrastruktur, beim Angebot von Bewegungsraumen, bei sauberer Luft und gesundem Lebensumfeld, das nicht durch Laerm und Schmutz beeintraechtigt wird. Stadtentwicklungspolitik, Verkehrspolitik und Baupolitik muessen diese Interessen der Wohn-bevoelkerung endlich in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. Nicht groesser, weiter, luxurioeser und elitaer muessen die Grundsaetze der Politik bestimmen sondern vielmehr gesuender, sozialer und umweltgerecht. Wenn der Begriff der Nachhaltigkeit die Grundlage fuer Politik sein soll, dann muss das ganz besonders fuer die Stadtentwicklungspolitik, fuer die Verkehrspolitik und fuer die Baupolitik Geltung haben.

Viele Chancen sind in Berlin in den vergangenen Jahren vertan worden, weil ein falschverstandenes Metropolen-Bild die Politik der Stadt bestimmt hat und immer noch bestimmt. Die Grossprojekte haben viel Geld verschlungen, haben wenig Arbeitsplaetze fuer die Wohnbevoelkerung Berlins gebracht und haben dennoch keinen "run" auf die Metropole Berlin ausgeloest. In Zukunft gilt es, sich auf die Staerken Berlins zu besinnen, fuer diese zu werben und diese auszubauen.

Berlin bietet viel Platz zum Ausbau des Bewegungsraumes der Berliner Bevoelkerung. Die Vielzahl der Plaetze der Stadt, das Ueberangebot von Wasserstrassen und Bruecken, das Angebot von Seen, Wald und Freiflaechen bieten die Grundlage fuer das urbane Leben Berlins. Diese Grundlage darf nicht den Interessen Einzelner geopfert werden sondern muss der gesamten Bevoelkerung offen stehen. Bei Neubauprojekten - insbesondere beim Bau von Geschaeftszentren - ist darauf zu achten, dass der oeffentliche Zugang jederzeit gewaehrleistet sein muss. Ausserdem ist durchaus zu pruefen, ob durch Genehmigung weiterer Geschaeftszentren nicht die gewachsene Struktur bestehender Geschaefte gefaehrdet wird.

Zur Berliner Mischung gehoert, dass Wohnen und Arbeiten in naechster Naehe moeglich sein muessen und dass Freizeitangebote, soziale Infrastruktur und Geschaefte in naechster Naehe vorhanden sein muessen. Diese Stadt der kurzen Wege gilt es, zu erhalten und auszubauen. Hier hat nicht nur die Baupolitik und die Stadtentwicklungspolitik ihre Aufgaben zu erfuellen sondern auch die Sozialpolitik, die Verkehrspolitik und die Wirtschaftspolitik. Foerderung des Klein- und Mittelstandes beinhaltet nicht nur die Foerderung bei An- siedlung sondern auch den Schutz vor vermeidbaren Strukturbruechen.

Die Senatsinitiative zur Abschaffung des Ladenschlussgesetzes wird dazu fuehren, dass die Stadt der kurzen Wege endgueltig der Vergangenheit angehoert, weil hiermit vor allem ein weiterer Zentralisierungsprozess im Einzelhandel ausgeloest wird, viele kleinere Haendler schliessen muessen und die Preis- entwicklung zu einer weiteren Drosselung der Nachfrage fuehren wird. Der DGB lehnt diese Initiative sowohl aus sozialen als auch aus strukturpolitischen und oekologischen Erwaegungen ab.

Die Beschluesse von Rio de Janeiro zu einer lokalen Agenda 21 erwarten auch von Berlin ein nachhaltiges Handeln fuer die Zukunft der Berlinerinnen und Berliner sowie fuer auch die zukuenftigen Generationen - unsere Kinder und Enkel -.

Dies setzt voraus, dass sowohl in der Verwaltung und bei der Foerderung von Nichtregierungsorganisationen (NGO) die Umsetzung der Beschluesse von Rio fuer eine lokale Agenda 21 zur Pflichtaufgabe werden.

In der Zukunft sollte Berlin sich bei Baumassnahmen insbesondere der Foer- derung des oekologischen Bauens und Umbauens verpflichten. Kleinteiligere Bauvorhaben - wie Lueckenschliessungen im Wohnungsbestand - sind sehr gut dazu geeignet, Beschaeftigungsmoeglichkeiten am Bau zu erhalten und zu erschliessen. Zum oekologischen Umbau gehoeren auch Massnahmen der Waermedaemmung, Energie- sparmassnahmen, Dach- und Hofbegruenung und Solardaecher. Auch hiermit werden nicht nur neue Beschaeftigungsmoeglichkeiten erschlossen sondern Berlin zur lebenswerten Metropole umgebaut

Als konkrete groessere Bauprojekte fuer die naechsten Jahre schlaegt der DGB Berlin folgende Massnahmen vor:

1. Umbau des Palastes der Republik zum Hundertwasser-Haus. Das Haus sollte so umgebaut werden, dass es als soziales und oekologisches Zentrum im Herzen Berlins genutzt werden kann. NutzerInnen sollen soziale und oekologische lnitiativgruppen sein sowie Kinder- und Jugendzentren und Handwerksbetriebe, die oekologische Baumassnahmen konzipieren und umsetzen. Ausserdem sind Fraueninitiativen besonders zu unterstuetzen.

2. Umbau des Flughafen Tempelhof zum autofreien Stadt-und Wohngebiet mit car-sharing Angeboten, Kulturstaetten, unter oekologischem Aspekt gebauten Schulen und Kindertagesstaetten.

3. Umbau des Kurfuerstendamms und der Tauenzienstrasse zwischen Joachimstaler Strasse und Wittenbergplatz zur Fussgaengerzone mit Strassencafe's und Kulturangebot. Zwei verengte Fahrspuren sollten fuer den Bus- und Taxiverkehr geoeffnet bleiben.

4. Umbau der Schlossstrasse in Berlin-Steglitz zwischen Walter- Schreiber-Platz und Hermann-Ehlers-Platz zur Fussgaengerzone. Zwei verengte Fahrspuren sollen fuer den Bus- und Taxi-Verkehr freigehalten werden.

5. Umbau der Karl-Marx-Strasse zwischen Hermannplatz und Karl-Marx-Platz zur Fussgaengerzone

Mit der Einrichtung von Fussgaengerzonen besteht die Moeglichkeit, dass die Bewohnerlnnen sich wieder ihre Stadt erobern und unnoetige Verkehrsstroeme hin zur "Gruenen Wiese" verhindert werden.

Bei der Daempfung von Wohnungsmietkosten und Pachtkosten fuer Gewerbe und Handel hat Berlin seine Chancen nicht genutzt. Dies hat dazu gefuehrt, dass trotz gesunkener bis stagnierender Netto-Einkommen und gesunkener Sozialeinkommen die Mieten immer weiter gestiegen sind und auch der Mittel- stand mit hohen Mieten zu kaempfen hat.

Durch ein verstaerktes oeffentliches Angebot z. B. bei Vergabe der Wohn- siedlungen der ehemaligen Alliierten waere diese Entwicklung vermeidbar gewesen. Zusammen sind die Mieten durch Erhoehung der oeffentlichen Abgabe- kosten (Wasser, Abwasser, Muell, Steuern) erheblich gestiegen. Hier muss endlich vom Senat erkannt werden, dass durch diese Politik eine Nachfrage- drosselung stattfindet und sich der Lebensstandard der normalen Bevoelkerung zusaetzlich wesentlich verschlechtert. Initiativen zur Mietpreisbegrenzung und zur Erhoehung des Wohngelds sind gerade von Berlin aus erforderlich, um hier endlich Abhilfe zu schaffen. Ausserdem sind besondere Foerdermassnahmen und Steuererleichterungen fuer normalverdienende Mieterlnnen beim Kauf ihrer Wohnung erforderlich, die nicht vor allem an der Anzahl der Kinder bemessen werden. - Der Gesamt-Verkauf von Wohnungs-baugesellschaften wird vom DGB Berlin abgelehnt. Berlin braucht weiterhin Einflussnahme in der Mietenpolitik. Dies ist nur durch weitere Beteiligung an den Wohnungsbaugesellschaften und durch den Erhalt der Wohnungsbaugesellschaften zu gewaehrleisten.

5. Berlin - Stadt im Stau? Oder Stadt in Bewegung!

Durch die "neue Lage" der Stadt haben sich die Verkehrsstroeme weiter drastisch verstaerkt. Der Autoverkehr ist stellenweise so angeschwollen, dass die Grenze des Ertraeglichen - insbesondere fuer Bewohnerinnen und Bewohner der Hauptverkehrsstrassen - laengst ueberschritten wurde. Verkehrs- planerische Massnahmen seitens der Stadtregierung sind nicht erkennbar. Es wird vielmehr alles dafuer getan, den motorisierten Verkehrsfluss weiterhin als anscheinend wichtigsten Verkehrstraeger nicht weiter zu behindern.

Der oeffentliche Personennahverkehr ist durch drastische Sparmassnahmen ins Gerede gekommen und ist - gemessen an den Einkommen der BewohnerInnen der Stadt - viel zu teuer. Dennoch ist immer noch eine gute Basis von Verkehrsdienstleistungen vorhanden, die es gilt, auszubauen und nicht weiter zu beeintraechtigen. Positiv ist, dass der oeffentliche Personennahverkehr quer durch alle Schichten genutzt und gewuenscht wird.

Die vorhandenen Luecken im innerstaedtischen S-Bahn-Netz muessen zuegig geschlossen werden. Die geplanten Erweiterungen der S-Bahn-Strecken in das Umland muessen zeitnah realisiert werden. Dazu gehoert auch die Inbetriebnahme neuer S-Bahn-Haltepunkte.

Wir wenden uns gegen die beabsichtigte Privatisierung der BVG. Die Kontrolle ueber die Verkehrsnetze, also darueber, wer wie, wann und zu welchem Preis die Menschen transportiert, muss in der Hand der Politik bleiben. Die Anbindung der Stadt an den Schienenfernverkehr ist in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden und hat den Zugang zur Stadt erheblich verbessert. Dies ist u.a. an den kontinuierlich steigenden Zahlen der Touristinnen und Touristen ablesbar. Die Anbindung Berlins an den Regionalverkehr und den lnterregioverkehr ist jedoch weiterhin fuer eine Stadt mit ueber 3 Millionen EinwohnerInnen aeusserst minimal und noch dazu wenig duchschaubar. Auch der nunmehr geltende Verkehrsverbund hat zu keiner quantitativen und qualitativen Verbesserung gefuehrt.

Fuer den Industrie- und Gewerbestandort Berlin gibt es immer noch wenig Alternativen, Lieferverkehre von der Strasse auf die Schiene und auch auf die Wasserstrassen zu verlagern. Berlin wird insbesondere aus der Ferne beliefert. Um den Konsum der BerlinerInnen zu decken, werden immer noch die (kleinteiligeren> Verkehrsdienstleistungen der Speditionen bevorzugt genutzt. Fuer den Zulieferverkehr der umfangreichen Bauprojekte besteht stellenweise eine sehr gute Verkehrslogistik, mit der LKW-Verkehr tunlichst vermieden wird. An diesen Konzepten gilt es in Zukunft anzusetzen. - Auch der OePNV muss sich nach den Arbeits- und Oeffnungszeiten von Handel und Gewerbe ausrichten (Beispiel: Bus-Taktzeiten fuer Schichtbetriebe>.

Der DGB Kreis Berlin richtet seine verkehrspolitischen Forderungen insbe- sondere an den Menschen aus, die von der derzeitigen Verkehrspolitik total ausgeblendet worden sind und deren Lebens-und Bewegungsraum in unserer Stadt nahezu vollstaendig zu Lasten anderer Interessen eingegrenzt worden ist. Dies ist auch an den staendig steigenden Wegzugzahlen von jungen Familien ablesbar. Wenn tatsaechlich der Wunsch besteht, die Stadt Berlin zu einer lebenswerten Metropole auszubauen, muessen die Kinder als juengste und schwaechste Verkehrsteilnehmerlnnen endlich in das Blickfeld der Verkehrs- planer gelangen.

Kinder benoetigen zu ihrer gesunden Entwicklung Freiraeume und Bewegungs- raeume in der Stadt, die Berlin ihnen nicht mehr bietet. Immobilitaet macht krank, dies ist auch an der zunehmenden Zahl von hyperaktiven und verhaltens- gestoerten Kindern ablesbar. Kinder muessen sich angstfrei und ohne Gefaehr- dungen auch in Metropolen bewegen koennen.

Die Mobilitaet der Stadt misst sich an der moeglichst grossen Anzahl an Fuss- gaengerfreundlichen Strassen und Plaetzen und nicht an einem moeglichst un- gehinderten Autoverkehr, bei dem Jung und Alt wie Hasen durch die Stadt gejagt werden.

Deshalb muss als erstes der in die Stadt stroemende Pendlerverkehr moeglichst auf oeffentliche Verkehrsmittel umgeleitet werden. Hier haben der weitere Ausbau der Eisenbahn-Regionalverbindungen mit verlaesslichen, bezahlbaren Preisen hoechste Prioritaet. Ausserdem muessen park and ride- Angebote dafuer Sorge tragen, dass der individuelle Autoverkehr, der in die Stadt stroemt, moeglichst niedrig gehalten wird. Verkehrskonzepte der Bahn, die ausschliess- lich den Fernverkehr favorisieren, sind fuer die lebenswerte Metropole Berlin deshalb dringend ueberarbeitungs- und erweiterungsbeduerftig: Wir brauchen noch mehr verlaessliche, im Zeittakt fahrende Verkehrsanbindungen an die umliegenden Staedte in unserer oestlichen Region, als zur Zeit technisch moeglich und von den Laendern Berlin und Brandenburg kuenftig zur Bestellung vorgesehen sind.

Um zur Vermeidung von Pendlerverkehr beizutragen, muss vor allem jungen Familien ein "Zuzugsangebot" gemacht werden und der Wegzug gut verdienender Schichten gestoppt werden. Dies wird nur mit einer konsequenten Veraenderung der Verkehrspolitik -weg von der autogerechten Stadt hin zur Bewohnerlnnen- freundlichen Stadt - erreicht.

Die bisher fuer den Transrapid bereitgestellten Mittel koennen beim Ausbau der Anbindung Berlins an den Regional- und lnterregioVerkehr weitaus sozialer und effektiver eingesetzt werden. Auch das Arbeitsplatzargument spricht fuer eine regionale Schwerpunktsetzung und nicht fuer "fern, schnell und elitaer."

Alternativen zum Transrapid liegen von der Gewerkschaft der Eisenbahner und den Umweltverbaenden vor.

Der oeffentliche Personennahverkehr in und um Berlin verdient sowohl aus sozialen als auch aus oekologischen Gruenden mehr Zuwendung durch die Politik: Durch Angebot eines job-Tickets fuer den Berufsverkehr auch fuer Einpendler- lnnen, durch Verbilligung der Sozialkarte, die z. Zt. mit DM 40,-- im Ver- haeltnis zu den niedrigen Sozialeinkommen viel zu teuer ist, durch ein be- zahlbares Semesterticket, durch Einfuehrung eines Arbeitslosentickets und durch Verbilligung der uebertragbaren Umweltkarte kann wieder mehr bezahl- bare Mobilitaet fuer die Bewohnerlnnen Berlins geschaffen werden.

Die Mobilitaet und die Lebensqualitaet der BewohnerInnen liesse sich auch durch verlaengerte Gruenphasen an Ampeluebergaengen fuer FussgaengerInnen und durch mehr Fussgaengerueberwege erhoehen. Spielstrassen und Tempo 30 in Wohn- gebieten sowie von den betroffenen BewohnerInnen akzeptierte autofreie Stadtgebiete koennen die Lebensqualitaet der BewohnerInnen Berlins ebenfalls erheblich verbessern. Verkehrsvermeidung ist auch durch ein ausreichendes Angebot von sozialer Infrastruktur und von Arbeitsplaetzen in Wohnortnaehe erreichbar. Hiermit wuerde auch ein Beitrag zu mehr Kreativitaet am Arbeits- platz geleistet, da die Belastbarkeit der Arbeitnehmerlnnen nicht durch unsinnige Verkehrswegezeiten eingeschraenkt werden wuerde.

Es ist dem DGB ein wichtiges Anliegen, die "Berliner Mischung" aus Wohnen und arbeiten zu erhalten und wieder zu beleben.

Car-sharing-Projekte in Wohnsiedlungen muessen auch von den staedtischen Wohnungsbaugesellschaften und von genossenschaftlichen Wohnungsgesellschaften angeboten werden. Fuer eine Vielzahl von MieterInnen bieten sie eine Alter- native zum eigenen, teuren Auto. Dies ist fuer eine Stadt mit geringen durch- schnittlichen Haushaltseinkommen wie Berlin durchaus auch aus sozialen Gruenden geboten. Auflagen dazu gehoeren in die Vergabebedingungen oeffentlicher Gelder.

Auch der Fahrradverkehr kann eine Alternative zum individuellen Autoverkehr sein. Dieses Verkehrsmittel wird in Berlin vor allem von jungen und jungge- bliebenen Leuten genutzt. Bei der Werbung fuer die junge Stadt Berlin sollte die Nutzung dieses Verkehrsmittels besonders herausgestellt werden. Berlin hat eine Vielzahl von Radwegen, die durch die Ausweisung von durchgehenden Fahrradrouten auf Wohnstrassen noch ergaenzt werden koennen. Auch durch ein hoeheres Angebot an Fahrradstellplaetzen kann die Alternative Fahrrad in Berlin besser genutzt werden. Ein Ausbau des Fahrradwegnetzes im Ostteil der Stadt ist dringend geboten.

Der Ausbau der Fernfahrradwegenetze, das die Innenstadt an die Erholungs- gebiete des Umlandes anbindet und das auch von Familien mit kleinen Kindern genutzt werden kann, findet unsere volle Unterstuetzung

Berlin braucht zum Ausbau als Industrie- und Gewerbestandort vor allem ver- laessliche Zulieferwege und die verbesserte Anbindung an die Region. Auch hierfuer sind die immer knapper werdenden Mittel moeglichst effektiv einzu- setzen.

Berlin braucht ein schluessiges Logistik-, Gueterverteil- und Hafenkonzept. Erst dann kann gesagt werden, was Binnenschiffe, Bahn und Lkw wohin trans- portieren koennen und sollen.

Fuer den Lieferverkehr fuer das Berliner Gewerbe muss die Kombination von Schienenverkehr und kleinteiligem Autoverkehr sowie eine Ausweitung des Transports auf den Wasserstrassen zu intelligenten Loesungen gefuehrt werden.

Die Mittel der Verkehrslogistik sind insbesondere fuer den gewerblichen Verkehr zu nutzen. Eine staerkere Anbindung an die Versorgung in der Region und wieder mehr Lebensmittelverarbeitung in der Stadt muss durch gezielte Wirtschaftsfoerderung auch im Sinne einer sozialen und oekologischen Stadt Beruecksichtigung finden.

Um den Transport auf den Wasserstrassen zu erhoehen, ist eine steuerliche Gleichstellung mit den anderen Verkehrsteilnehmern und eine Abgabenbefreiung der Binnenschiffahrt erforderlich. Ein Ausbau der Wasserstrassen ist unter weitgehender Beachtung von oekologischen Kriterien durchzufuehren.

Die Anbindung Berlins an den Schienenfernverkehr ist in den letzten Jahren erheblich verbessert worden. Dieser Standart ist durch eine vernuenftige Preispolitik nicht nur fuer den Personen-sondern auch fuer den Gueterverkehr zu halten bzw. zu verbessern. Berlin muss sich daher fuer eine Kostenentlastung der Deutschen Bahn stark machen, indem die Kosten fuer den Schienenweg, wie es im Strassenverkehr immer schon ueblich gewesen ist, durch Steuergelder beglichen werden.

Die derzeitige Verkehrs- und Steuerpolitik der Bundesrepublik ist vor allem an den Interessen des laendlichen Raums orientiert. Berlin hat die Pflicht, die Interessen der Grossstadtbewohnerlnnen in die Debatte einzubringen. Grossstadtbewohnerlnnen gehen rationell mit der Nutzung von Raum, von Grund und Boden um. Das Wohnen und Arbeiten auf engstem Raum ermoeglicht kosten- guenstigere Angebote bei der Schaffung und dem Angebot von sozialer Infra- struktur. Dieser Vorteil der Ballungsgebiete muss in der politischen Diskussion seinen Niederschlag finden. Mit einer weiteren Zersiedlung unseres dicht besiedelten Landes ist niemandem gedient.

Eine Zusammenlegung des Berliner Umwelt- und Stadtentwicklungsressorts mit dem Verkehrsressort ist aus den oben angefuehrten Gruenden und aufgrund der in der Vergangenheit gemachten negativen Erfahrungen mehr als ueberfaellig.

Der DGB Berlin sieht durchaus, dass bei der Umsetzung seiner Vorschlaege Konfliktpotentiale eroeffnet werden und auch Anschubkosten auf die Stadt zukommen. Ein Teil der Mittel fuer den verkehrspolitischen Umbau kann durch Umschichtung von Bundesmitteln (Transrapid) und durch Bereitstellung von Foerdermitteln der Europaeischen Union zur Verbesserung der regionalen Infrastruktur erbracht werden. Die Kosten zur Foerderung des oeffentlichen Personennahverkehrs werden laengerfristig durch die Ausweitung des Kunden- stammes wieder hereingeholt. Viele Kosten gehoeren aber zu den Kosten der Sozialpolitik und der Werbungskosten einer Metropole und werden durch eine bessere Lebensqualitaet und den Zuzug junger Menschen und von Familien mehr als wettgemacht. Will Berlin Arbeitsort fuer die Menschen dieser Region bleiben und wieder werden, muessen diese Investitionen in die Zukunft auf jeden Fall getaetigt werden.

6. Berlin - Ort ohne Arbeit? Oder Berlin als Arbeitsort!

Berlin braucht neue zusaetzliche Beschaeftigungschancen. Bei dieser Zielrichtung sind sich alle gesellschaftlichen Gruppen in der Stadt einig. Auch ueber die Branchen mit Zukunftschancen besteht weitgehend Einigkeit. Ueber die Wege zur neuen Beschaeftigung und ueber die Beschaef- tigungsbedingungen herrschen jedoch erhebliche Diskrepanzen.

Der DGB Berlin vertritt weiterhin die Auffassung, dass der 2. Arbeits- markt nur voruebergehend geeignet ist, Arbeitslosen Beschaeftigung- sperspektjven zu bieten. Der oeffentliche Dienst hat weiterhin die Aufgabe, qualifizierte Arbeitsplaetze im sozialen Bereich und in Bildungsbereich und zunehmend auch im oekologischen Bereich zu schaffen. In Berlin gehen viele Qualifikationen verloren, da in den genannten Bereichen ein Einstellungsstopp auf kommunaler Ebene herrscht und die fuer die Gesellschaft erforderlichen Arbeiten entweder privatisiert zu schlechten Bedingungen oder aber nur auf dem 2. Arbeitsmarkt mit einjaehriger Befristung zu finden sind. Arbeitslosigkeit gehoert mittlerweile zu einer nicht zu umgehenden Erfahrung fnr junge Berlinerinnen und Berliner. Das wird so lange rauhe Realitaet bleiben, wie von Seiten des Senats keine antizyklische Politik bei der Vergabe von Auftraegen und bei Neueinstellungen betrieben wird bzw. betrieben werden kann.

Die strukturellen Probleme in Berlin haben mittlerweile Auswuechse erreicht, die einen Umbruch aus eigener Kraft nicht mehr machbar erscheinen lassen. Die Ansiedlung neuer Branchen und ein erhoehtes Steueraufkommen, mit dem Einstellungen im oeffentlichen Bereich finanziert werden koennen, sind nur erreichbar, wenn auf Bundesebene neue Foerderungsmoeglichkeiten erschlossen werden und eine sozial- oekologische Steuerreform neue Nachfrageimpulse schafft. Begleitet werden muss eine derartige Politik durch Ausweitung der Nachfrage- potentiale der Stadt Berlin. Berlin hat also nur Chancen, wenn die Stadt ihr Verbraucherpotential staerkt und sich Standortpolitik mit der Funktion Berlins als Absatzmarkt verbindet.

Um das gesamte Ausmass der Strukturkrise Berlins bewerten zu koennen, genuegt ein Rueckblick auf die Ausgangslage, die Berlin im Jahr 1989 im Jahr des Mauerfalls hatte:

1989 waren in beiden Stadthaelften Berlins Insgesamt 1,8 Mio Erwerbs- taetige beschaeftigt. In West-Berlin herrschte "Facharbeitermangel", den Frauen wurden neue zusaetzliche Beschaeftigungschancen vorhergesagt, da in Zukunft ganz besonders die "soziale Kompetenz" gefoerdert werden wuerde. Ganz besonders geworben wurde fuer die Ausbildung im sozialen Bereich (Beispiel: Erzieherin).

In Ost-Berlin waren allein in staatlichen Einrichtungen 277 Tausend Menschen beschaeftigt, in der Industrie nochmals etwa 200 Tausend Menschen. Im Dienstleistungsbereich waren nahezu ausschliesslich Frauen beschaeftigt, aber auch in der Industrie hatten Frauen sehr gute Beschaeftigungschancen.

Zusammengefasst arbeiteten 1989 in Berlin im oeffentlichen Bereich 480 Tausend Menschen, fast 400 Tausend Menschen fanden in der Industrie Arbeit. 1993 - nach erheblichem Arbeitsplatzabbau im industriellen Bereich - wagte der Senat die Prognose, dass die Stadt im Jahr 2000 wieder 270 Tausend Industriebeschaeftigten Arbeit gewaehren wuerde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Zahl der Industriebeschaeftigten in der Gesamtstadt etwa halbiert, und zwar auf rund 195 Tausend Be- schaeftigte.

Aktuell sind in der Stadt nur noch etwa 1,48 Millionen Beschaeftigte (Stand 1996) vorhanden. Der Beschaeftigtenabbau belaeuft sich seit 1989 auf 320 Tausend Arbeitsplaetze. In der Berliner Industrie arbeiteten 1996 nur noch 134 Tausend Beschaeftigte, im oeffentlichen Bereich waren noch 411 Tausend Beschaeftigte vertreten. Nahezu der einzige Bereich, der einen Beschaeftigtenaufbau seit 1989 erfahren hat, ist der Bereich der Dienstleistungsunternehmen. Hier sind nach 315 Tausend Beschaeftigte in beiden Haelften der Stadt im Jahr 1989 nun- mehr rund 440 Tausend Beschaeftigte vorhanden. Dieser Aufbau hat aber nicht zur urspruenglich erwarteten Kompensation beigetragen. Auch der Beschaeftigtenaufbau im Bereich des Handwerks, der bei etwa 45 Tausend Beschaeftigten seit 1990 liegt, hat die ursprueng- lichen Erwartungen nicht erfuellt.

Die Arbeitslosigkeit hat in der Spitze - ohne Beruecksichtigung der Arbeitslosen in ABM und in Bildungsmassnahmen - fast 300 Tausend Menschen erreicht. Die Zahlen sind sukzessive gestiegen und dies bei sinkenden Einwohnerlnnenzahlen. Aktuell sind rund 270 Tausend Menschen arbeitslos gemeldet (1991 waren es rund 164 Tausend). Mit dem Steigen der Arbeitslosenzahlen ist auch der Anteil der Langzeit- arbeitslosen kontinuierlich gestiegen, er betraegt je nach Bezirk zwischen 25 und 40 Prozent, wobei die westlichen Bezirke besonders betroffen sind. Voruebergehende Beschaeftigung findet sich nur auf dem 2. Arbeitsmarkt, der in den oestlichen Bezirken schneller zugaenglich ist, als in den westlichen Bezirken.

Als Schwaeche der Stadt hat sich erwiesen, dass nur wenige (vornehmlich private) Banken ihren Sitz in der Stadt haben. Von den 200 groessten Konzernen der Bundesrepublik haben nur 7 ihre Konzernspitze in Berlin angesiedelt. Es fehlt an UnternehmerInnen, die etwas unternehmen und es fehlt an innovationsfreudigen Managerlnnen, die auch ohne besondere Foerdermassnahmen erfolgreich arbeiten. Eine Vernetzung des Berliner Gewerbes mit dem naeheren Umland hat nicht stattgefunden, es haben vielmehr zunehmende Verlagerungen von Industrieunternehmen und Schliessungen von Industrieunternehmen stattgefunden.

Zu den Staerken der Stadt gehoert vor allem die gut ausgebaute Infrastruktur, die Lage zwischen Skandinavien und ehemaligem Ostblock, die gute Qualifikation der Arbeitslosen und der ArbeitnehmerInnen, der Standort von Forschung und Lehre und die vielen jungen Menschen, die <noch> in der Stadt geblieben sind.

Zur Wahrnehmung neuer, zusaetzlicher Beschaeftigungschancen bedarf es jedoch eines neuen Leitbildes fuer die Stadt. Dies liegt nicht - wie viele Politikerinnen faelschlicherweise meinen - bei der Staerkung der Eliten. Auch kann sich Berlin aufgrund vielfaeltiger Konkurrenz nicht allein als Iouristenstadt etablieren. Neue Beschaeftigungschancen muessen sowohl in der Industrie als auch bei den privaten aber auch oeffentlichen Dienstleistungen geschaffen werden. Dabei muss die Landes- regierung als Impulsgeber auftreten. Das alleinige Setzen auf die Markt-Gesetze ist der falsche Weg. Die Landesregierung muss die kommunale Ebene Berlins in die Lage versetzen, Schritte fuer den sozial- oekologischen Umbau einzuleiten. Dies kann ueber Initiativen zum kommunalen Oeko-Audit ebenso erfolgen wie bei der Vergabe von viel- faeltigen Bauauftraegen - vornehmlich zum sozial-oekologischen Umbau. Dies muss aber auch einhergehen mit Einstellungen fuer den sozialen und oekologischen Bereich und mit Einstellungen fuer die Bildungseinrich- tungen der Stadt. Auch durch Stuetzung des OePNV und neue verkehrs- politische Initiativen koennen in Berlin neue Beschaeftigungschancen wahrgenommen werden.

Ganz besonders Berlin hat aufgrund seiner Erfahrungen in der Vergangen- heit die Aufgabe, fuer eine neue Gemeinwohlorientierung in der Gesell- schaft zu werben. Nicht derjenige ist ein guter Buerger, der moeglichst viele Steuern spart und an anderer Stelle aber eine gut ausgebaute Infrastruktur fordert, damit er besser produzieren (lassen) kann sondern derjenige, der anerkennt, dass der Staat zur Staerkung der Wirtschaft und zur Motivation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer eine gut ausgebaute, soziale Infrastruktur - und deshalb genuegend Steuerein- nahmen - benoetigt. Zu einer zukunftsorientierten Stadtpolitik gehoert, dass junge Menschen Zukunftschancen in ihrer Heimatstadt erhalten. Ein "schlanker Staat" und eine "schlanke Stadt" sind weder gesund fuer die jetzigen BewohnerInnen noch fuer deren Nachkommen. Eine nachhaltige Beschaeftigungspolitik darf sich nicht nur nach oekonomischen Gesichts- punkten ausrichten sondern muss sowohl soziale als auch oekologische Grundsaetze beruecksichtigen.

IV. Berlin - Stadt der Frauen? Oder Wem gehoert die Stadt

Der ueberwiegende Teil der Berliner Bevoelkerung ist weiblich. Diese Tatsache schlaegt sich jedoch immer noch viel zu wenig in der Berliner Stadtpolitik nieder. Trotz aller verbalen Bekenntnisse haben Frauen es weiterhin schwer, in der Politik Fuss zu fassen. Auch der derzeitige Berliner Arbeitsmarkt ist so strukturiert, dass Frauen zunehmend aus dem Arbeitsprozess ausgegliedert und von der Arbeit ferngehalten werden. Von der Erreichung von Leitungsfunktionen sind Frauen in Berlin noch weiter entfernt als dies vor 10 Jahren der Fall war. Frauen mit "normalen" Berufen sind zunehmend von Arbeitslosigkeit betroffen und verschwinden aus der Arbeitslosenstatistik, weil sie aufgrund familiaerer Bindungen keine Ansprueche auf Arbeitslosenhilfe haben.

Berlin braucht dringend eine Offensive, die die Frauen fordert und foerdert. Berlin braucht vor allem fuer seine weiblichen Bewohnerinnen neue zukunftsorientierte Arbeitsplaetze. Ganz besonders die jungen Frauen und Maedchen erwarten, dass "ihr Beschaeftigungsproblem" endlich nicht nur in der Senatsverwaltung fuer Arbeit und Frauen bearbeitet sondern auf allen gesellschaftlichen Ebenen erkannt wird. Deshalb ist es gerade fuer diese Personengruppe wichtig, dass Berufe, die bisher vor allem vom oeffentlichen Dienst nachgefragt wurden, weiterhin zum gesellschaftlichen Bedarf gerechnet werden. Sparmassnahmen im sozialen Bereich treffen Frauen mehrfach, und zwar als nichteingestellte Aus- zubildende, als nicht-uebernommene Fachkraft, als arbeitslose Fachkraft und als Bezieherin sozialer Leistungen. Dieser Abwaertsspirale, der in Berlin ueberproportional Frauen aus- geliefert sind, gilt es offensiv und initiativ zu begegnen.

Ganz besonders private Traeger schliessen weibliche Fachkraefte von Einstellungen aus, indem sie Stellen nahezu ausschliesslich fuer maennliche Bewerber ausschreiben. Chancengleichheit bei Einstellungen muss weiterhin auf allen beruflichen Ebenen offensiv durchgesetzt werden.

Das Interesse von Frauen an einer lebenswerten Metropole ist gross. Frauen brauchen zur Bewaeltigung ihrer Doppel- und Dreifachbelastung eine Stadt der kurzen Wege, bezahlbare Kinder-, Jugend- und Sozial- einrichtungen, ein qualitativ hochwertiges Schulangebot fuer ihre Kinder und genuegend qualifizierte Arbeitsplaetze.

Die derzeitigen CDU-Initiativen zum Ladenschluss und zur Abschaffung des neuen 630,-- Mark-Gesetzes sind nicht geeignet, den Frauen das Leben in Berlin zu erleichtern. Mit der Abschaffung des Ladenschluss- gesetzes soll ein wichtiger Bereich, in dem Frauen beschaeftigt werden, endgueltig dereguliert werden. Dies wird sich sowohl auf die Arbeitsbed- ingungen als auch auf die Lebensbedingungen von Frauen negativ auswirken und ihre Chancen auf einen qualifizierten existenzsichernden Arbeits- platz weiter erheblich einschraenken. - Bei der 630,-- Mark-Initiative der CDU handelt es sich um den billigen Versuch, Beschaeftigte gegen- einander auszuspielen. Zur Zeit wird deutlich, dass viele Arbeitgeber dazu uebergegangen sind, nur noch fuer sie billige 630,--Mark-Vertraege zu vergeben und sich von sozialversicherten qualifikationsgemaess bezahlten Vollzeitarbeitsplaetzen zu verabschieden. Diesem Lohn- und Sozialdumping ist endlich Einhalt zu gebieten. Das neue 630,-- Mark- Gesetz ist gerade fuer die Frauen Berlins ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

V. Berlin - Stadt fuer Jung und Alt!

Der DGB Kreis Berlin fordert den Erhalt und den Ausbau von Jugendfreizeit- einrichtungen insbesondere in den dicht besiedelten Berliner lnnenstadt- bezirken. Auch in den Jugendfreizeiteinrichtungen muss ein ausreichendes Angebot an paedagogisch geschultem Personal beschaeftigt sein. Die Ein- stellung und Beschaeftigung von Frauen ist hier besonders zu foerdern.

Die Arbeit der Jugendeinrichtungen wurde aufgrund des Grundsatzes "Personalkosten sind schlecht / Sachkosten sind gut" in steigendem Masse auf private Traeger uebertragen. Damit haben tariflich unter- bezahlte Arbeitsplaetze, Mini-jobs ohne Sozialversicherung und Honorar- vertraege Einzug in die staedtischen Einrichtungen der Stadt erhalten. Waehrend damit eine Entprofessionalisierung dieses Bereichs billigend in Kauf genommen wird, werden gleichzeitig die Chancen auf Einstellung und Absicherung der Existenz von jungen qualifizierten Leuten immer weiter eingeschraenkt. Die Arbeitslosenstatistik spricht hierzu eine deutliche Sprache. Erziehungs- und Sozialberufe sind an vorderster Stelle von Arbeitslosigkeit betroffen. Auf der anderen Seite wird Werbung fuer die "Love-parade" und andere "events" gemacht, die die Jugend nach Berlin locken sollen. Berlin wird so lange keine kinder- und jugendgerechte Stadt sein, wie Jugendarbeitslosigkeit und die Arbeitslosigkeit von juengeren Leuten, - 60.000 Menschen unter 30 Jahren sind in Berlin arbeitslos - , die Erfahrungen der hier lebenden Kinder und Jugendlichen praegt.

Berlin sollte seine Staerke, die im Zusammenwohnen der unterschied- lichsten Generationen auf engsten Raum liegt, nutzen und herausstellen. Dazu bedarf es eines umfassenden Dialogs zwischen den Generationen, der zur Zeit nirgends sichtbar ist. Junge Leute und auch aeltere Leute werden nur als Konsumenten akzeptiert. Ihre Erfahrungen und Sicht- weisen werden in der Stadtpolitik wenig sichtbar.

Jugendpolitik erstreckt sich nicht nur auf ein umfassendes und fundiertes Bildungswesen und auf Jugendeinrichtungen. Jugendolitik muss auch bei bezahlbaren Wohnungsangeboten und bei der Unterstuetzung der Existenzbildung angesiedelt sein. Neue Wohnformen sind nicht nur fuer Jugendliche mit Problemen erforderlich sondern auch fuer ganz "normale" Jugendliche. Ganz besonders die Interessen von Maedchen laufen Gefahr, bei der allgemeinen Problemlage uebersehen zu werden. Auch Maedchen brauchen Angebote in der Jugendpolitik.

VI. Berlin - die Stadt der unterschiedlichsten Nationalitaeten

Vierzehn Prozent aller Berlinerinnen und Berliner sind auslaendischer Herkunft und haben weiterhin einen fremden Pass. Hinzu kommt die grosse Gruppe von AussiedlerInnen und die eingebuergerten ehemaligen Nicht- Deutsche. Das Bild Berlins wird insbesondere in den westlichen Bezirken von den unterschiedlichsten Hautfarben, Sprachen und kulturellen Gewohnheiten gepraegt. Aber auch in oestlichen Bezirken steigt der Auslaenderanteil. Von der CDU, die grundsaetzlich die doppelte Staats- buergerschaft von MigrantInnen bekaempft, wurde anlaesslich ihrer Unterschriftenaktion die Forderung zur Integration erhoben. Diese Forderung wurde jedoch nicht an die "deutsche Gesellschaft" gerichtet sondern richtet sich an alle Auslaenderinnen und Auslaender und fordert - sieht man genauer hin - die Assimilation. Von der CDU wird ausgeblendet, dass die unterschiedlichen Kulturen, die Berlin "beherbergt", sich immer positiv auf die Entwicklung und Gestaltung Berlins ausgewirkt haben. Die immer noch laufende Unterschriftenaktion wird durch zusaetzliche Meinungsaeusserungen von CDU-Politikern dazu genutzt, die Menschen in der Stadt zu verunsichern und fuehrt - das sieht man an den viel- faeltigen Meinungsaeusserungen sowohl von Betroffenen als auch von Menschen "mit deutschem Pass" - zu einer zusaetzlichen Vergiftung des Klimas in der Wohnbevoelkerung. Menschen mit dunklerer Haut- und Haarfarbe haben zunehmend unter Diskriminierungen zu leiden. Hinzu kommt die wachsende Auslaenderfeindlichkeit, die sich rund um Berlin breit macht und die Bewegungsfreiheit unserer auslaendischen Mit- buergerlnnen zusaetzlich beeintraechtigt. Hinzu kommt, dass Auslaenderinnen und Auslaender ueberproportional von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Arbeitslosigkeit von MigrantInnen ist um ein Dreifaches hoeher als die Arbeitslosigkeit von Menschen mit deutschem Pass.

Obwohl sich das wirtschaftliche Umfeld fuer alle Berlinerinnen und Berliner veraendert hat, leiden ganz besonders AuslaenderInnen und ihre Familien unter den sozialen Umbruechen, den Sparmassnahmen im Kinder- und Jugendbereich, den Sparmassnahmen in den Schulen, beim mangelnden Angebot an Ausbildungsstellen und dem mangelnden Angebot an Arbeitsstellen. - Von viele Menschen, die in dieser Stadt geboren sind bzw. hier seit Jahrzehnten gelebt, gearbeitet und Steuern und Sozialversicherungsabgaben bezahlt haben, wird zunehmend behauptet, "sie seien nur Besuch". Sie haben - bis auf Mitbestimmungsmoeglich- keiten in den Betrieben -keine Moeglichkeiten, mit ihrer Stimme Einfluss auf die (Stadt-) Politik zu nehmen.

Als besonderes Problem wird derzeit das sogenannte Sprachproblem herausgestellt. Wir erinnern hiermit an die alte Gewerkschafts- forderung aus den 70er Jahren<!> als wir gefordert haben, dass Deutschkurse waehrend der Arbeitszeit und auf Kosten der Arbeitgeber angeboten werden muessen.

Obwohl ganz besonders die Arbeitgeber des alten West-Berlins von der Arbeit der Migrantlnnen profitiert haben, haben sie sich nie richtig fuer deren Integration zustaendig gefuehlt. Besondere Initiativen sind uns jedenfalls nicht bekannt geworden. Nunmehr sind insbesondere die Kinder in den Mittelpunkt des Interesses gerueckt, nachdem sich herausgestellt hat, dass Kindergartenkinder zu wenig deutsche Sprachkenntnisse haben. Dennoch sind uns Sprach- kurse fnr ErzieherInnen bisher nicht bekannt geworden. Kinder lernen zwar viel "von allein", sind jedoch ueberfordert, wenn ihnen weder ein richtiges Sprachangebot gemacht wird, noch wenn man nicht in ihrer Muttersprache mit ihnen sprechen kann. Die wenigen Initiativen, mit denen Sprachkurse fuer Muetter angeboten werden, werden vom DGB Kreis Berlin begruesst, muessen jedoch durch weitere Angebote gestuetzt werden.

Auch "das Schulproblem", das z. Zt. immer wieder in die Debatte geworfen wird, bedarf einer Loesung. Diese Loesung ist jedoch ohne Kosten nicht entwickelbar. Menschen mit "Sprachproblemen" muessen auf jeden Fall von der Gesellschaft unterstuetzt werden. Sprachprobleme sind jedoch nicht nur im nicht-deutschen Bereich vorhanden sondern durchaus auch im deutschen Bereich. Durch Zuzugs- sperren werden derartige Probleme jedenfalls nicht geloest. Hilfreich waere vielmehr eine bildungspolitische Offensive, die die Mehrsprachigkeit von Migrantlnnen-Kindern als Vorteil und nicht als Nachteil begreift und die allen Kindern Berlins nuetzt.

Soziale Fragen sind nur zu loesen, wenn die Sozialstruktur und die "Schichtenzugehoerigkeit" der Bevoelkerung analysiert und beachtet wird. Die Zugehoerigkeit zu einer "ethnischen Gruppe" darf nicht zur "Klassifizierung" fuehren und "Loesungsangebote" beeinflussen.

Sowohl das (regionale> Wahlrecht als auch Einbuergerungs- und Staats- buergerschaftsfragen sind in Berlin breitgefaechert zu diskutieren und ihrer Loesung zuzufuehren. Die Vorurteile zwischen Ost und West muessen aufgearbeitet werden, und es ist ein offener Dialog zur Bekaempfung der Arbeitslosigkeit und zur sozialen Infrastruktur erforderlich. Auch die Chancen, die die europaeische Politik fuer Berlin bietet, muessen zu einem offenen Dialog in Berlin genutzt werden und auch die offene Frage "gleicher Lohn fuer gleiche Arbeit" ist nicht nur von den Gewerkschaften zu bearbeiten sondern von der gesamten Gesellschaft.

Ein lebenswertes Berlin ist ohne eine multikulturelle Gesellschaft jedenfalls nicht moeglich. Berlin muss als neue Bundeshauptstadt Vorbildfunktion fuer das multikulturelle Miteinander haben. Es kann seine Chancen nur umsetzen, wenn es alle Menschen, die ihre Heimat in dieser Stadt haben, auf seinen Umbau-Prozess mitnimmt.

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