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von k.steinle@link-n.cl.sub.de  in die newsgruppe  cl.repression gepostet

Erklärung der bei dem Massaker im Gefängnis Ulucanlar (bei Ankara/Türkei) verletzten politischen Gefangenen

An die Öffentlichkeit
Wer zu diesem Massaker schweigt, ermutigt zu neuen Massakern dieser Art!
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Wir politischen Gefangenen im Gefängnis Ulucanlar haben zwei Jahre lang versucht, das Problem der Überbelegung unserer Zellen auf dem Weg von Anträgen an die zuständigen Stellen zu lösen. Unsere für 40 Personen vorgesehenen Großzellen waren mit 120 Gefangenen belegt, d.h., daß jeweils drei Leute zusammen in einem Bett schlafen mußten. Nachdem die zuständigen Stellen zwei Jahre lang nicht reagiert haben, begannen wir schließlich am 2. September mit unserem Widerstand gegen diese Zustände. Dann wurden unsere durch einen opferreichen Widerstand von 24 Tagen erkämpften Rechte wieder gebrochen. Die Vorgespräche, die unsere Angehörige und
Menschenrechtsvertreter mit den staatlichen Verantwortlichen geführt haben, um die Probleme auf dem Weg des Dialogs zu lösen, blieben erfolglos.

Am frühen Morgen des 26. September begannen die Staatskräfte unter dem Vorwand einer "Durchsuchung" eine Operation gegen uns. Dieses Massaker, bei dem zehn Menschen ermordet und Dutzende verletzt wurden, spielte sich folgendermaßen ab: Die Operation wurde von der Gendarmeriekommandantur unterstellen Spezialteamkräften und der Sicherheitsbehörde unterstellten "Robocop"-Polizisten verübt. 

Zuerst rissen sie Löcher in das Dach des 6. und 7. Blocks, durch die sie große Mengen Gasgranaten warfen. Gleichzeitig schossen sie mit Maschinengewehren in die Zellen und setzten sie mithilfe von Löschwagen der städtischen Feuerwehr unter Schaumwasser. Zwei unserer Freunde wurden durch Schüsse von den Wachtürmen aus getötet, während die meisten von uns Schußverletzungen erlitten. Dieser Angriff dauerte von 4.00 Uhr morgens bis 10.30 Uhr. Während wir zu unserem Schutz Barrikaden errichteten, wurde von der anderen Seite der Barrikade aus weiterhin geschossen. Nachdem das von den Feuerwehrautos in die Zelle gespritzte Wasser den darin verbliebenen neun oder zehn Gefangenen bis zum Hals stand und sie deshalb gezwungen waren, die Zelle Richtung Hof zu verlassen, um nicht zu ertrinken, lauerten hunderte Spezialteam-, Gendarmerie- und "Robocop"-Kräfte auf uns und schlugen mit Knüppeln, Gewehrläufen und Eisenstangen auf uns ein. Sie schleiften uns im verletzten Zustand 500 Meter weiter in das Bad, wobei sie weiterhin auf uns einschlugen. Sie warfen uns Lebenden mit den Toten zusammen in den Raum. Dieses Bad hatten sie systematisch in ein Folterzentrum umgewandelt. Kräfte des
Gendarmeriegeheimdienstes JITEM, Zivilpolizisten, der Gefängnisdirektor und Schließer folterten uns dort stundenlang und wählten ihre Opfer, die sie ermorden wollten, anhand einer vorbereiteten Namensliste aus. Diese Gefangenen wurden von ihnen nach der Folter durch Kopfschüsse aus nächster Nähe ermordet. 

Nach dem Massaker wollten sie die weiblichen Gefangenen nackt ausziehen und fortbringen, was ihnen jedoch nicht gelang. Uns männliche Gefangenen transportierten sie aber nackt ab. Nach
diesem Angriff brachten sie einen Teil von uns trotz unserer lebensgefährlichen Verletzungen mit Gefangenentransportern in andere Gefängnisse, wobei die Fahrt acht bis zehn Stunden dauerte.
Die anderen von uns mußten drei bis vier Stunden lang im Hof warten, bis sie uns unter erneuten Schlägen und Beleidigungen ins "Numune"-Krankenhaus brachten. Selbst im Krankenhaus wurden uns während der Behandlung die Handschellen und Fußfesseln nicht abgenommen. Manche Ärzte und Krankenschwestern protestierten sogar gegen diese menschenverachtende Behandlung, wegen der wir trotz unserer lebensbedrohlichen Verletzungen die medizinische Behandlung ablehnten und einen Hungerstreik begannen.

Unsere Angehörigen und Anwälte, die tagelang vor dem Krankenhaus warteten, wurden daran gehindert, uns zu besuchen. Schließlich wurden wir noch mit den Kugeln in unseren Körpern und mit unseren Knochenbrüchen und sonstigen schweren Verletzungen auf rüde Weise ins Gefängnis zurückverlegt.

Wir befinden uns nun im Gefängnis Ulucanlar sowie in den anderen Gefängnissen und Einzelisolationszellen, in die wir anschließend zwangsverlegt wurden, im Hungerstreik. Wir haben weder unser Geld, noch ein einziges Kleidungsstück noch sonst etwas von unserer persönlichen Habe ausgehändigt bekommen. Weil unsere Verletzungen nicht behandelt wurden, besteht inzwischen die ernste Gefahr von Gangrän (Wundbrand); manchen unserer Freunde wurden deshalb
bereits Gliedmaßen abgenommen. Wir werden weiterhin unter verschiedenen Vorwänden während der Zählappelle, die derzeit in unseren Zellen durchgeführt werden, angegriffen. Dadurch werden
unsere Wunden immer wieder von neuem aufgerissen und verschlimmern sich.

Alle sollen wissen, daß wir keine anderen Waffen hatten als die Tische und Stuhlbeine, die in unseren Zellen waren, uns gegen diesen Angriff zu verteidigen. Die Behauptungen, es sei ein Tunnel
entdeckt worden sind ebenso eine Lüge wie die im Fernsehen gezeigten Waffen, die wir angeblich in den Zellen gehabt hätten. 

Diese Lügen haben nur den Zweck, das an uns begangene Massaker nachträglich zu legitimieren. Unsere gesamte Habe, von unserem Geld bis zu Wertgegenstände, wurde während des Massakers von den Soldaten und Polizisten geplündert. 

Das erzielte Verhandlungsergebnis (d. Übers.: nach den Gefängnisaufständen; es wurde vereinbart, daß die alten Rechte der politischen Gefangenen wieder hergestellt werden, d.h. keine Zwangsverlegungen in Iso-Zellen stattfinden bzw. diese wieder rückgängig gemacht werden und daß Ermittlungen gegen die Täter und verantwortlichen Hintermänner des Massakers eingeleitet werden)
wird jetzt erneut gebrochen, d.h. es finden erneut Zwangsverlegungen in die Isolationszellen statt. Es wird versucht unter dem Vorwand unseres Widerstands gegen dieses Massaker im Gefängnis Ulucanlar und unter dem Vorwand einer vorher in einem anderen Gefängnis nicht unter uns, sondern unter den dort auch inhaftierten Mitgliedern der Banden (d.Übers.: gemeint ist der Mafialeute, die gleichzeitig zur Konterguerilla gehören und Verbindungen bis zu den höchsten Staatsvertretern haben) stattgefunden Schießerei, zum Isohaftsystem überzugehen, so daß wir neue Massaker und weitere Tote unter den politischen Gefangenen befürchten müssen.

Schweigt nicht! Wer schweigt, ermutigt zu neuen Massakern!

Erklärung der überlebenden politischen Gefangenen des Massakers von Ulucanlar, 7. Oktober 1999
Devrimci tutsaklarla dayaníóma komitesi
Solidaritätskomitee für die revolutionären Gefangenen

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