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Die substanzlose Linke: Immer dagegen
Zur Einschätzung von Genozid und Intervention

von Günter Langer

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Es ist erschreckend wie geschichts- und theorielos in der Linken, so auch im Partisan.net, häufig ge- oder verurteilt wird. Neuestes Beispiel ist die Behandlung der Themen Osttimor und Westsahara. Seit Jahrzehnten prangert die Linke die brutale Besetzung dieser Weltregionen durch aggressive, wenn nicht faschistische Nachbarstaaten an und unterstützt die dortigen nationalen Befreiungsbewegungen.

Nun mag man einwenden, die Linke hätte sich bislang geirrt und sei zu der Überzeugung gelangt, nationale Befreiungsbewegungen seien aus prinzipiellen Erwägungen heraus abzulehnen. Das würde bedeuten, den gesamten antikolonialen Kampf neu bewerten zu wollen. Das ginge auch in Ordnung. Immerhin ist man meistens klüger, wenn man aus historischer Distanz urteilen kann. Bislang ist eine solche Debatte aber nicht mal ansatzweise in Gang gekommen, geschweige denn eine Übereinkunft erzielt worden. (Das Problem benennt immerhin Stephan Grigat in seinem Vortrag Nationalismus, Emanzipation und Öcalan in TREND-Nr. 9/1999.)

Im konkreten Fall bezüglich Osttimors wird in TREND-Nr. 9/1999 der Text eines Trotzkisten (4. Internationale) verbreitet, der die Intervention der UNO, speziell den Einsatz australischer Einheiten madig macht (Nick Beams, Australien bereitet Militärintervention in Ost-Timor vor. Was sind die wahren Gründe?): Verschwörungstheoretisch führt er aus, ein "UN-Protektorat" solle errichtet werden und eine "systematische Medienkampagne" habe das vorbereitet. Um von der indonesischen Regierung die Zustimmung zur Stationierung von UN-Truppen zu erzielen, habe eine fünfköpfige Delegation des UN-Sicherheitsrates sogar "mit der Aufkündigung der Beistandskredite des Internationalen Währungsfonds" gedroht. Die Intervention habe "nicht das geringste damit zu tun", Leben und Wohlergehen der Bevölkerung zu schützen. "Dieses 'humanitäre' Anliegen ist nichts weiter als ein politischer Deckmantel dafür, dass Australien seine kapitalistischen Interessen jetzt mit anderen Mitteln wahren will". Die Jahrzehnte alte Befreiungsfront wird in seinem Aufsatz überhaupt nicht erwähnt, stattdessen schreibt er von "ost-timoresischen Separatisten", die für die Entsendung von Truppen "anheizen". Kurz, die UN-Aktion ist für ihn schlicht "eine imperialistische Militärintervention". Die Ost-Timoresen sollen sich nicht von indonesischer Unterdrückung befreien, sondern sich mit den "Massen der ganzen indonesischen Inselgruppe ... zusammenschließen". Geflissentlich übersieht er dabei, dass sich nur Gleiche mit Gleichen verbünden können, wenn sie auch ein gemeinsames Ziel verfolgen. Soweit sind die Menschen in dieser Weltregion noch lange nicht.

Ähnlich, nur etwas kürzer argumentieren die Freunde des GegenStandpunkt-Verlags (TREND 9/1999). Sie lamentieren, ein neuer Staat solle "aus Indonesien herausgebrochen werden" und "der Separatismus (werde) von auswärtigen Instanzen betreut". Sie maßen sich offenbar an, die 1975 erfolgte Annektion Ost-Timors durch Indonesien anzuerkennen und unterstellen der so stark gebeutelten Bevölkerung "ethnisch" statt "sozial" auf die Lage zu reagieren. Völlig anders dagegen Noam Chomsky: "Indonesia has no claim whatsoever to the territory it invaded and occupied..." (East Timor - comments on the occasion of the forthcoming APEC SUMMIT, in infopartisan).

Karl Eugen vom ebenfalls trotzkistisch inspirierten Wildcat trägt noch dicker auf ("Kriegstrommeln in Asien", infopartisan). Er beschreibt die große Verschwörung von UN und Indonesien: "Die Politik der UN (war) erfolgreich. Es wurde durch massenhafte Zerstörungen, Enteignungen, Vertreibung, Massaker an der osttimoresischen Bevölkerung eine humanitäre Krise inszeniert, die alle Möglichkeiten für eine Intervention in Indonesien aufgemacht hat. Staatliche Gewalt (arbeitsteilig UN, Indonesien) hat die osttimoresische Bevölkerung als Bauernopfer gebracht, um größeres zu verhüten: den Zusammenbruch staatlicher Gewalt im viertgrößten Land der Welt". Mit anderen Worten, die UN hat Indonesien den Auftrag zu Mord und Totschlag erteilt, um Ost-Timor in die Unabhängigkeit zu führen und so Indonesien zu retten. "Das Wüten der Milizen in Form von Massenmord und Vertreibungen" war Karl Eugen "vorhersehbar" und "gewollt", und zwar "von Indonesien und der UN und in Kauf genommen von den Führern der osttimoresischen Befreiungsbewegung und ihren Soli-Freunden in aller Welt". Vor dieser Erkenntnis würden sich "die 'linken' staatshumanistischen Kriegstreiber drücken". Täter und Opfer werden auf die gleiche Stufe gestellt, sie sind alle dem großen Plan gefolgt und damit alle gleich schuldig. Die UN ist sicherlich in vielen Bereichen unzulänglich und kann nur Interessen repräsentieren, die sich über Staaten, in der Regel den stärksten Staaten vermitteln. Das Zentrum der Weltverschwörung sind sie nicht. Diese Behauptung blieb bislang den Militias und ihrer Ideologen wie Pat Robertson und der John Birch Society in den USA sowie unseren Nazi-Freunden in Deutschland, wie bspw. Horst Mahler, vorbehalten.

Die Berliner Kandidatin der Demokratischen Linken, Ida Schillen, spricht sich auf ihrer Homepage ebenfalls gegen ein Engagement der UN in Ost-Timor aus und sieben Bundestagsabgeordnete der PDS tun es ihr gleich. Sie fürchten, die Bundestagsresolution sei ein "Einfallstor des Interventionismus" und sie geben vier Gründe für ihre Ablehnung an:

Der Bundestag habe sich für den Krieg im Kosovo ausgesprochen.

"Eine umfassende Militäraktion (könne) zur Eskalation beitragen" und es könne "nicht ausgeschlossen werden, daß ein solcher Militäreinsatz letzten Endes dazu führt, den Weg Osttimors in die Unabhängigkeit auszubremsen oder zu verhindern".

Weil der Antrag die Komplizenschaft der BRD mit dem indonesischen Regime in der Vergangenheit verschweigt.

Weil "der UN-Sicherheitsrat ein Instrument in Händen derjenigen Mächte ist, die maßgeblich für eine neokoloniale Weltherrschaft und für Kriege zur Verteidigung dieser Herrschaft verantwortlich sind".

Mit anderen Worten: weil der Bundestag sich einmal schuldig gemacht hat (Kosovo und Indonesien), kann er nie wieder "richtig" entscheiden. (Noam Chomsky: "It is inappropriate to draw the analogy to KOSOVO..."; op.cit.). Weil die illegalen Mördermilizen in Ost-Timor Drohungen ausstoßen, darf dem nichts entgegengesetzt werden und die UN ist Zentrum einer imperialistischen Weltverschwörung.

Canna im Partisan-Forum (nur für Mitglieder) macht es noch platter. Völlig unbeleckt von jeglicher Sachkenntnis setzt er UNO und NATO gleich und beschreibt sie als "eine Organisation, mit der die mächtigsten Staaten der Erde sich das Recht herausnehmen, überall das zu tun, was sie wollen". Messerscharf erkennt er, daß "Interventionen unter UN-Flagge Interventionen bleiben" und er weiß auch, wie dem Völkermord in Ost-Timor beizukommen wäre: "Nieder mit der humanitären Kriegstreiberei". Er meint damit nicht etwa das indonesische Militär oder die von ihm ausgerüsteten Milizen, sondern die Befreiungskämpfer und ihre Unterstützer.

An diesem Beispiel läßt sich die Verwirrung einiger antikapitalistischer Kämpfer verdeutlichen. Aus einer unreflektierten antikapitalistischen/antiimperialistischen Position heraus kommen sie zu einer antiwestlichen Haltung, hinter der Menschenrechte, Bürgerrechte, ja letztlich auch Demokratie, Befreiung und Sozialismus verschwinden. Übrig bleibt der Bauch, der Haß "auf das System", in Cannas Beispiel noch ein pazifistischer Haß, aber wie lange läßt er sich bei ihm und seinesgleichen noch im Zaume halten? Bei Gudrun Ensslin und Freunden brach er sich irgendwann Bahn in das, was sie zunächst zu bekämpfen vorgaben. Immerhin verweist Canna seinen Kritiker schon des Feldes, d.h. er überlegt, ob dieser "hier (im Partisan.net) an der richtigen Adresse ist oder (nicht) gleich zur BILD-ZEITUNG überwechseln sollte".

Canna fühlt sich bezüglich der Westsahara an die Argumentation der Gesellschaft für bedrohte Völker erinnert (Für ihn offenbar eine Agentur des Imperialismus), um das Anliegen der dortigen Bevölkerung verächtlich zu machen. Er proklamiert, überall da, "wo die UNO auftaucht, (bricht) hinterher ein Krieg aus". Kein Wort davon, wie der Konflikt überhaupt entstanden ist und wer die Kontrahenten eigentlich sind. Auch kein Hinweis auf irgendeine Debatte, die irgendwo geführt wird. Nichts, nur unverdaute Assoziationen, die sich vermutlich aus völlig anders gearteten Sphären der Welt speisen.

Die Befreiungsbewegungen Osttimors und der Westsahara, die Fretilin und die Polisario, kämpften bereits gegen ihre europäischen Kolonialherren, Portugal und Spanien, bevor sich diese Länder aus ihrer Verantwortung stahlen und die von ihnen so lange ausgebeuteten Kolonien subimperialistischen Regionalmächten wehrlos auslieferten. Wenn der Begriff Genozid irgendwo auf der Welt berechtigt ist, dann in Osttimor. Es wurde vom ehemaligen Mutterland in Kauf genommen, daß in Osttimor ca. ein Drittel der gesamten Bevölkerung durch die Invasionsarmee der Indonesier umgebracht wurde. (Die indonesische Armee war bereits gut geübt in Massakern, hatte sie doch wenige Jahre vorher Hunderttausende eigener Landsleute umgebracht, weil sie Kommunisten, Chinesen oder beides waren.) Beide Befreiungsbewegungen verstanden sich als sozialistisch, was es vielleicht erklärlich macht, daß der Westen sich für sie in keiner Weise menschenrechtsmäßig einsetzte.

Beide Bewegungen sind Beweis dafür, daß für den Westen Menschenrechte nur zählen, wenn sie in ihrem Interesse liegen. Offensichtlich sind westliche, d.h. speziell australische Interessen (und die der UNO) mit den Menschenrechten der Osttimoresen zur Zeit kongruent. Freuen wir uns darüber und wünschen wir den Osttimoresen viel Erfolg beim Aufbau einer selbstbestimmten und demokratischen Gesellschaft, so weit es eben geht, ohne Einmischung von außen. Die UNO wird, anders als die Indonesier, keine 25 Jahre benötigen, um das Land wieder zu verlassen. "There is also no reason to shy away from peacekeeping forces to replace the occupying terrorist army..." (Noam Chomsky, op.cit.). Wer mehr wissen will, besuche doch: www.east-timor.com .

Für die Sahrauis läßt sich gegenwärtig ein ähnlicher Wunsch noch nicht formulieren. Marokko weigert sich nach wie vor, das seit langem vereinbarte Referendum durchführen zu lassen... Besucht: www.arso.org .

Berlin, den 3. Oktober 1999 Günter Langer

 

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