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Kritik des Verhältnisses von Arbeit und Interaktion bei Jürgen Habermas

von Klaus Ottomeyer

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Enthistorisierung der Produktion und Personalisierung von Produktionsverhältnissen

Dialektik der Anerkennung und Dialektik der Aneignung

Habermas betont in Zuge seiner Hegel-Interpretation die spezifische Differenz der dialektischen Bewegung, wie sie zum einen in der Sphäre der Interaktion, zum anderen in der Spare der Arbeit stattfindet (l). In der Sphäre der Interaktion vollzieht sich der Bildungsprozeß von Selbstbewußtseinen (Ich-Identitäten) in einem Ringen um Anerkennung, dessen - immer nur vorläufiges Resultat darin besteht, daß ein Selbstbewußtsein, welches sich zur Totalität erhoben hatte (bei Hegel der Ver­brecher gegen die Gesellschaft und der Herr gegen den Knecht), sich im fremden und bekämpften Selbstbewußtsein wiedererkennt. Diese Dialektik zielt auf die Versöhnung zwischen Subjekten. Die Dialektik der Arbeit dagegen zielt auf die Aneignung von Naturgegenständen. Dem anerkennenden steht das listige Bewußtsein gegenüber, welches sich der Kausalität der blinden Natur unterwirft, um ihre Kräfte für seine Zielsetzungen auszunutzen.

Diese dialektischen Bewegungen werden von Habermas - zusammen mit einer dritten, der das namengebenden, über Symbole verfügenden Bewußtseins - zunächst nur parataktisch entfaltet. Die dann erst aufgeworfene Frage nach ihrer Verknüpfung läßt jedoch die Problematik einer solchen hermeneutisch-parataktischen Herleitung deutlich werden. Während die Verknüpfung von anerkennenden und namengebenden Bewußtsein vor dem Hintergrund des Symbolvermitteltheit jeglicher Interaktion für Habermas unproblematisch ist, heißt es vom Verhältnis von Arbeit und Interaktion: „Eine Zurückführung der Interaktion auf Arbeit oder eine Ableitung der Arbeit aus Interaktion ist nicht möglich (2).

Diese Feststellung ist für Habermas ein Ausgangspunkt für eine Kritik an Marx. Zwar habe dieser „in der Dialektik von Produktivkräften und Produktionsver­hältnissen jenen Zusammenhang von Arbeit und Interaktion wiederentdeckt" (2a). Aber die „genaue Analyse des ersten Teils der Deutschen Ideologie" läßt für Habermas deutlich werden, „daß Marx nicht eigentlich den Zusammenhang von Interaktion und Arbeit expliziert, sondern unter dem unspezifischen Titel der gesellschaftlichen Praxis eins auf das andere reduziert, nämlich kommunikatives Handeln auf instrumentales zurückführt" (2b).

Dem stellt Habermas seine eigene gesellschattstheoretische Konstruktion gegenüber: „Wir können anhand der beiden Handlungstvpen gesellschaftliche Systeme danach unterscheiden, ob in ihnen zweckrationales Handeln oder Interaktion überwiegt. Der institutionelle Rahmen einer Gesellschaft besteht aus Normen, die sprachlich vermittelte Interaktion leiten. Aber es gibt Subsysteme wie (...) das Wirtschaftssystem oder den Staatsapparat, in denen hauptsächlich Sätze von zweckrationalen Handlungen institutionalisiert sind. Auf der Gegenseite stehen Subsyste­me, wie Familie und Verwandtschaft, die gewiß mit einer Fülle von Aufgaben und Fertigkeiten verknüpft sind, aber hauptsächlich auf moralischen Regem der Interak­tion beruhen. So möchte ich auf analytischer Ebene allgemein unterscheiden zwischen l. dem institutionellen Rahmen einer Gesellschaft oder der soziokulturellen Lebenswelt und 2. den Subsystemen zweckrationalen Handelns, die dann .eingefettet' sind" (2c)

Instrumentales Handeln und gesellschaftliche Arbeit

Zu diesem Resultat gelangt Habermas allerdings, weil er, in Anlehnung an Arnold Gehlen, eine Gleichsetzung von Arbeit und „instrumentalem Handeln" vollzogen hat.

Habermas kann seinen Vorwurf gegen Marx, dieser habe „Interaktion mit Arbeit unter dem unspezifischen Titel der gesellschaftlichen Praxis zusammengeworfen", (3) erst erheben, nachdem er selbst einen Arbeitsbegriff konstruiert und Marx untergeschoben hat, unter welchem Interaktion und Kommunikation als ein dem Wesen des Arbeitsprozesses Äußerliches gedacht werden können. Die Vorstellung geht, - dem Hegeischen Bild von der individuellen Überlistung der Natur fol­gend -, von einem einsamen Akt des Werkzeuggebrauchs aus, der dann in gesell­schaftlich Beziehungen eingebettet wird. Instrumentelles Handeln bzw. Arbeit kann für Habermas auch gesellschaftlich sein. Der gesellschaftliche Charakter geht in die Substanz seines Begriffs von Arbeit jedoch nicht ein, sondern haftet ihm wie ein Zufälliges an. Das kommt in folgenden Formulierungen zum Ausdruck: „ Nun ist aber auch instrumentales Handeln, sobald es als gesellschaftliche Arbeit unter die Kategorie des wirklichen Geistes tritt, in ein Netz von Interaktionen eingebettet und deshalb seinerseits abhängig von den kommunikativen Randbedingungen jeder möglichen Kooperation. Von gesellschaftlicher Arbeit abgesehen (sie!), ist schon der einsame Akt des Werkzeuggebrauchs auf die Verwendung von Symbolen angewiesen ... Instrumentales Handeln ist auch als einsames immerhin monologisches Handeln." (4)

Es ist aber problematisch von gesellschaftlicher Arbeit auch nur einen Mo­ment abzusehen, wenn man der Marxschen Intention gerecht werden will. Daß Arbeit isolierte sei, die in Gesellschaft nur „eingebettet" ist, kann zumindest im Kapitalismus immer nur realer Schein sein; auch die einsame, subjektiv völlig isolierte Hausfrau am Herd, die nicht mal auf dem Markt erscheinende Tauschwerte schafft, leistet durch und durch gesellschaftliche Arbeit, die etwa als Beitrag zur Reproduktion der Arbeitskraft ihres Mannes in die gesellschaftliche Wertbewegung eingeht. In der Fabrikarbeit ist solcher Schein auf die Usurpation der Leitungsfunktionen durch das Kapital zurückzufuhren, welcher den Produzenten ihren Zusammenhalt äußerlich scheinen läßt. „Der Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen ideell als Plan, praktisch als Autorität des Kapitalisten gegenüber, als Macht eines fremden Willens, der ihr Tun seinem Zweck unterwirft" (5).

Der reale Schein der isolierten Arbeit zerreißt, sobald die Produzenten ihren Zusammenhalt selbst organisieren; ihr Produzieren kann ihnen nun erst unmittelbar als die vergesellschaftete Arbeit gegenübertreten, die sie hinter ihrem Rücken immer schon war. „Unter Voraussetzung des positiv aufgehobenen Privateigentums" enthüllt sich für den Einzelnen, „ .. . wie der Gegenstand, welcher die unmittelbare Betätigung seiner Individualität, zugleich sein eigenes Dasein für den anderen Menschen, dessen Dasein und dessen Dasein für ihn ist... Also der gesellschaftliche Charakter der allgemeine Charakter der ganzen Bewegung" (6).

Man sieht schon aus dem letzten Zitat, wie wenig man den Marxschen Arbeitsbegriff auf ein „Subsystem instrumentalen Handelns" festlegen kann. Hier sind Kommunikation und Kooperation konstituierende Momente des Begriffs. Es ist zwar richtig, daß das Verhältnis von Arbeit und Interaktion bei Marx nicht expliziert ist. Das bedeutet aber noch nicht, daß man die Marxsche Systematik über Bord werfen muß, wenn man dies Verhältnis genauer bestimmen will. Zunächst ist festzuhalten, daß Marx die Rolle von Bewußtsein und Sprache für den Produktionsprozeß nicht unterschlagen hat: „Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das bei Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war. Nicht, daß er nun eine Formveränderung des Natürlichen bewirkt, er verwirklicht zugleich im Natürlichen seinen Zweck, den er weiß, der die Art und Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß" (7). Man kann diese „Idee", mittels derer der Arbeitende sich seinen Zweck vor Augen halten kann, durchaus als ein Symbol im Habermasschen Sinne ansehen. Und darauf, daß die Symbole, über die das Bewußtsein verfügt, durch die sprachliche Vergegenständlichung in Interaktionszusammenhänge, die zugleich Ko­operationszusammenhänge sind, Zustandekommen, weist schon ein Abschnitt der „Deutschen Ideologie" hin: „Die Sprache ist so alt wie das Bewußtsein - die Sprache ist das praktische, auch für andere Menschen existiernde, also auch für mich selbst erst existierende wirkliche Bewußtsein, und die Sprache entsteht wie das Bewußtsein erst aus der Notdurft, dem Bedürfnis des Verkehrs mit anderen Men­schen" (8). (Hervorhebung K.O.)

Das Produktionsverhältnis als übergreifende ökonomische Kategorie

Der zentrale Marxsche Begriff von dem aus sich beide, Arbeit und Interaktion, systematisch miteinander in Beziehung setzen lassen, ohne daß man das eine aus dem anderen ableiten oder beide parataktisch nebeneinander stehen lassen müßte, ist der des Produktionsverhältnisses. Das Produktionsverhältnis bezeichnet immer ein Verhältnis der Menschen zu ihren Arbeitsmitteln und -produkten und zugleich ein Verhältnis zu den Mitproduzenten bzw. Aneignern der Produkte. Der Begriff des Produktionsverhältnisses bietet die Möglichkeit, die Wirkung der Produzenten auf die Produkte, die Wirkung der Produkte auf die Produzenten und die Bewegung zwischen den Produzenten durch alle Phasen der Produktion, Distribution und Konsumtion zu verfolgen und in jeder Phase Individuum, Natur und Gesellschaft miteinander in Beziehung zu setzen (9).

Bei der Untersuchung der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet diese Systematik den Nachvollzug der Bewegung des gesellschaftlichen Wertprodukts in der Kreislaufbewegung des Kapitals.

Daß das Produktionsverhältnis Arbeit und Interaktion umfaßt, wird am deut­lichsten in der archaischen Produktionseinheit des auf verwandtschaftlicher Basis organisierten Gemeinwesens. Während für Hegel und offenbar auch für Habermas (10) - die Familie als die gesellschaftliche Einheit, innerhalb derer die Dia­lektik der Anerkennung, der Sittlichkeit ihrer Grundlagen hat, unverbunden neben der Sphäre der Arbeit her abgehandelt wird, ist für Marx die Familie (in ihrer alten Form) zugleich Produktionseinheit. Die Familienbeziehungen, etwa die »natur­wüchsigen" Unterschiede zwischen den Geschlechtern, strukturieren das Verhältnis zu den Produktionsmitteln und umgekehrt. Die Beziehung der Glieder der archaischen Gemeinwesen aufeinander, ihre besondere Form der Interaktion innerhalb des Produktionsverhältnisses kann ihrerseits selbst Produktivkraft sein. ,,Als erste große Produktivkraft erscheint das Gemeinwesen selbst..." (11). Interaktion ist eben keine außerökonomische Kategorie. Im ,,Kapital" zeigt Marx das sehr ein­drücklich in dem Abschnitt über die einfache Kooperation:

„Abgesehen von der neuen Kraftpotenz, die aus einer Verschmelzung vieler Kräfte in eine Gesamtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produktiven Arbeitern der bloße gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine Erregung der Lebensgeister (animal spirits), welche die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen erhöhen, so daß ein Dutzend Personen zusammen in einem gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel größeres Gesamtprodukt liefern als zwölf vereinzelte Arbeiter, von denen jede 12 Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nacheinander arbei­tet. Dies rührt daher, daß er Mensch von Natur, wenn nicht wie Aristoteles meint, ein politisches, jedenfalls ein gesellschaftliches Tier ist" (12).

Die interaktionstheoretische Verkürzung bzw. Personalisierung der Produktionsverhältnisse

Habermas scheint den Marxschen Begriff des Produktionsverhältnisses völlig mißverstanden zu haben, wenn er meint: „Der Zusammenhang von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen müßte durch den abstrakteren von Arbeit und Interaktion ersetzt werden" (13). Wenn man glaubt, die Produktionsverhältnisse unter den Oberbegriff Interaktion subsumieren zu können, dann gerät aus dem Blick, daß die Produktionsverhältnisse jedenfalls im Kapitalismus sich eben nicht unmittelbar als Interaktionsbeziehung zwischen Personen, sondern hinter ihrem Rücken und unab­hängig von ihrer bewußten und unbewußten Intentionalität durchsetzen (14). Deshalb ist es auch unzutreffend, die Verdinglichung der Produktionsverhältnisse, wie sie im Kapitalismus in der Selbstbewegung der Warenwelt zum Ausdruck kommt, mit Kategorien zu beschreiben, die an der Dialektik zwischen Normen und abgespalteten Bedürfnissen, an einer Dialektik der verzerrten Kommunikation gewonnen sind.

Diese These von der prinzipiellen Insuffizienz interaktionstheoretischer Kategorien gegenüber den Grundmechanismen von Entfremdung, die unterm Kapitalver­hältnis zwischen den Menschen stehen und ihr Verhalten vermitteln, soll mit einem Beispiel illustriert werden:

Wer es etwa gewohnt ist, jeden Morgen seine Milch mit dem bekannten Kakaopulver „Kaba" zu versetzen, der steht damit, ob er will oder nicht, in einer sozialen Beziehung zu einem westafrikanischen Bauern, der, durch kolonialistische Politik aus der Subsistenzwirtschaft herausgetrieben, Kakao für den Weltmarkt an­baut. Dieses Verhältnis ist ein Gewaltverhältnis, auch wenn es dem Kabakonsumenten als solches nicht gegenübertritt. Das Gewaltverhältnis, das er zu dem afrikani­schen Bauern, von dem er nichts weiß und für seine Alltagsorientierung auch nichts zu wissen braucht, hat, stellt sich für ihn als Preisbewegung dar, die sich an der Ware selbst vollzieht. Er weiß nicht, daß die seit Jahren fallenden Kakaopreise, über die er sich freut wie über ein Naturereignis, Not und Entbehrung für den afrikanischen Bauern bedeuten. Seine Entscheidung, Kaba zu kaufen oder nicht zu kaufen, - ob er nun einer Kaba-Mode-Welle aufsitzt oder in der Unterwerfung unter eine ,,fit-ness"- und Schlankheitswelle sein Kabatrinken aufhört - ,ist eine der zahlreichen Kräfte, die hinter seinem Rücken zusammengenommen eine Resultante bildend dann unter Umständen in Afrika eine Bauernfamilie zugrunde richten. - Auch auf der anderen Seite dieses Sozialverhältnisses, in Afrika, kann sich der veränderte Zusammenhang zwischen den afrikanischen Bauern und den Konsumenten in den Metropolen zunächst nur als eine selbständige Bewegung in der Beziehung von Waren aufeinander darstellen, als Veränderung des Äquivalents für ein bestimmtes Quantum Kakao, die sich scheinbar an den Waren selbst vollzieht (15).

Diese Beziehung ist zweifellos eine entfremdete soziale Beziehung, aber doch keine zwischen Personen, die - wie verzerrt auch immer - auf der Grundlage inter­personeller Übereinkünfte und Normen in einer Kommunkationsbeziehung zueinan­der stunden. - Der gemeinte Sachverhalt ist im Marxschen Kapitel über den Fetisch­charakter der Waren sicher viel systematischer entwickelt, und man mag einwenden, daß die bei weitem stärkste der Kräfte, die auf die „terms of trade" einwirken, die monopolistische Preispolitik des betreffenden Konzerns (16).. unerwähnt geblieben ist, - was mit dem Beispiel nur deutlich gemacht werden sollte, das ist, wie sehr eine Beschreibung des durch den Weltmarkt vermittelten Ausbeutungs- und Ent­fremdungszusammenhangs, der für das Schicksal der Betroffenen konstitutiv ist, mit der Verwendung eines auf symbolvermittelte und konsensuelle Beziehungen be­schränkten Entfremdungsbegriffes aus dem Blickfeld rücken muß. An die durch die Weltmarktbeziehungen vermittelten Ausbeutungsbeziehungen reicht ein Entfremdungsbegriff, der an der Hegeischen Dialektik von Herr und Knecht gewonnen ist, nicht heran, weil hier die Entfremdung innerhalb einer „Bewegung des Anerkennens" als eine zerstörte Beziehung zwischen Subjekten, die einander als Personen prinzipiell zugänglich sind, gedacht wird (17). Schon die Begriffe Herr und Knecht deuten darauf hin, daß bei Hegel - wahrscheinlich als Reflex auf die ihn umgeben­den retardierten gesellschaftlichen Verhältnisse - die Entfremdung nach feudalem Muster nur in der Einheit von personaler Abhängigkeit und ökonomischer Ausbeu­tung vorgestellt werden kann. Bei Marx heißt es über feudale (und sklavenhalteri­sche) Gesellschaften: „Die Herrschaft der Produktionsbedingungen über die Produzenten ist hier versteckt durch die Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse, die als immanente Triebfedern der Produktion erscheinen und sichtbar sind" (18).

Was bei der Betrachtung der Ausbeutung qua Weltmarkt nur besonders deut­lich hervortritt, gilt im Prinzip auch schon für das Begreifen der des Entfremdungszusammenhangs in kapitalistischen Gesellschaften überhaupt. Wer glaubt, die durch die Warenform vermittelte kapitalistische Ausbeutung als gestörte Kommunikation zwischen Personen begreifen zu können, begeht - um Werner Hofmann zu zitieren - „eine Verwechslung zwischen persönlichem und privatem Eigentum an Kapi­tal (...) Sie verkennt, daß auch das bekannte Hauptwerk von Karl Marx nicht den Titel trägt ,Der Unternehmer' sondern vielmehr ,Das Kapital'. Das seinem Wesen nach seit je überpersönliche Kapitalverhältnis tritt in der Scheidung von Eigentum und Verwertung heute selbst unmittelbar sinnfällig hervor" (19).

Normative und nicht-normative Strukturen, Basis und Überbau bei Habermas

Produktionsverhältnisse basieren auf nicht-normativen Strukturen, auf Gewalt und Enteigung; die normativen und kulturellen Strukturen müssen selbst als Absiche­rung der auf nicht-normative Weise entstandenen Eigentumsverhältnisse und Ausbeu­tungsbeziehungen abgeleitet werden (20). Die Beziehung zwischen dem institutionell-normativen Bereich und dem Produktionsprozeß scheint bei Habermas dagegen kurzgeschlossen. Am allerwenigsten läßt sich so das Historisch-Spezifische der Machtverhältnisse im Kapitalismus erfassen. Während in vorkapitalistischen Gesell­schaften ökonomische Macht und politische Herrschaft in denselben Personen verkörpert sind, und die Abhängigkeit der Produzenten qua Produktionsmittel mit ihrer normativen Abhängigkeit eng verfilzt ist, - treten ökonomische und normativ-politische Macht unterm Kapitalverhältnis auseinander. Die zentralen Abhängigkeitsverhältnisse sind durch die „reine Ökonomie" des Marktes vermittelt. Max Webers Unterscheidung zwischen ständischer Lage und den „nackten Realien" der Klassenlage trägt dieser Differenz Rechnung (21). Auch Rosa Luxemburg hat in ihrer Auseinandersetzung mit Bernstein diesen Aspekt betont: „Was zeichnet die bürgerliche Gesellschaft von den früheren Klassengesellschaften aus? - Eben der Umstand, daß Klassenherrschaft nicht aus „wohlerworbenen Rechten", sondern auf tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen beruht, daß das Lohnsystem nicht ein Rechtssystem, sondern ein rein ökonomisches ist. Man wird in unserem ganzen Rechtssystem keine einzige Formel der gegenwärtigen Klassengesellschaft' finden" (22).

Das Verhältnis zwischen den Bewegungen der Warenwelt und der normativ-institutionellen Sphäre ist hingegen bei Habermas nicht nur unklar, sondern auch verdreht, wenn er etwa „vom Institut des freien Arbeitsvertrages, das der produkti­ven Tätigkeit die Warenform überstülpt", redet (23).

Er verwechselt offensichtlich die sekundären Legitimationsstrukturen mit dem Produktionsverhältnis selbst, wie sich mit zahlreichen Textstellen belegen läßt. Wir wollen jedoch nur auf eine Stelle genauer eingehen:

In Habermas' „Exkurs über die Grundannahme des Historischen Materialis-mus"(24) heißt es unter der Überschrift „Dialektik von Produktivkräften und Pro­duktionsverhältnissen": „Die gesellschaftliche Dynamik der Klassengesellschaften, d. h. der Strukturwandel der Verkehrsformen, die das Klassenverhältnis (das durch Eigentum an den Produktionsmitteln bzw. durch den Ausschluß vom Produktionsmittel-Eigentum definiert ist) in jeweils neuer Form institutionalisieren, erklärt sich aus dem spezifischen Zusammenhang eines relativ fortgeschrittenen Entwick­lungsstandes der Produktivkräfte mit unglaubwürdig werdenden Legitimationen der Herrschaft." (25). Wenn Habermas hier beansprucht, geschichtsphilosophisch in der Tradition des historischen Materialismus zu stehen, dann wäre wenigstens ein Hin­weis zu erwarten gewesen, daß er sich, wie die o. g. Formulierung zeigt, von einer zentralen Marxschen Unterscheidung getrennt hat: der zwischen Basis und Überbau. Wenn die Beziehung zwischen den Produktivkräften und den Legitimationsstruktu­ren ausdrücklich zum erklärenden Prinzip der geschichtlichen Bewegung erhoben wird, so bedeutet das, daß die subjektiven Erscheinungsformen der Klassenwidersprüche mit den objektiven Auflösungsprozessen einer Klassengesellschaft verwech­selt werden, die - jedenfalls in allen vorproletarischen Revolutionen - dem Bewußtsein derer, die das soziale Substrat revolutionärer Bewegungen bilden, keines­wegs zugänglich sind. „In Betrachtung solcher Umwälzungen muß man stets unter­scheiden zwischen der materiellen, naturwissenschaftlich treu zu konstatierenden Umwälzung in den ökomomischen Produktionsbedingungen und den juristischen, politischen, religiösen, künstlerischen oder philosophischen, kurz ideologischen For­men, worin dich die Menschen dieses Konflikts bewußt werden und ihn ausfechten" (26).

Der Begriff der Basis im Marxschen Sinne ist im geschichtsphilosophischen Gebäude von Habermas nicht lokalisierbar. Ihn auf die Seite der Produktivkräfte zu schlagen, ist nicht möglich, denn er umfaßt bekanntlich Produktivkräfte und Pro­duktionsverhältnisse, und in den Legitimationsstrukturen, dem Überbau läßt er sich nicht natürlich erst recht nicht ansiedeln. Eine weitere Konsequenz der Habermasschen Trennung von Arbeit und Interaktion und des damit verbundenen Verlusts des Begriffs der Produktionsverhältnisse ist also die - allerdings von Habermas nicht kenntlich gemachte - Revozierung der Marxschen Unterscheidung von Basis und Überbau. Es resultiert daraus eine Identifizierung der Produktionsverhältnisse mit dem ideologischen Überbau von Klassengesellschaften. Die Liquidation des Begriffs­paars Basis/Überbau geschieht bei Habermas bereits auf der Ebene einer allgemeinen, von der Spezifität besonderer Gesellschaftsformationen und Produktionsweisen abgehobenen geschichtsphilosophischen Theorie, deren konstituierendes Prinzip die Trennung von Arbeit und Interaktion ist, und nicht erst dort, wo er sie ausdrücklich vollzieht: bei seiner Darstellung des staatsinterventionistischen Verhältnisses von Ökonomie und Politik im Spätkapitalismus (27).

Die Dialektik von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen erscheint bei Habermas als das periodische Aulbrechen eines bloß subjektiven Widerspruchs zwischen brüchig werdenden Legitimationssturkturen und den bisher durch einen Lizensierungsmechanismus unterdrückten Bedürfnissen. Die Beziehung zum objektiven Widerspruch, wie er sich erwa im kapitalistischen Krisenmechanismus als Wider­spruch zwischen immer stärkerer Vergesellschaftung der Arbeit und individueller Aneignung zeigt, wird nicht mehr hergestellt. So wundert es nicht mehr zu hören:

„Die Dialektik des Klassenantagonismus ist, anders als die Synthesis durch gesellschaftliche Arbeit, eine Bewegung der Reflexion" (28).

Ein solcherart personalistisches und normativistisches Verständnis von Klassen­antagonismus ist durchaus nicht neu, sondern steht - ob das nun Habermas bewußt ist oder nicht - in einer bestimmten politischen Tradition. Wenn man es seines bombastischen, philosophischen Gewandes entkleidet, so entspricht es sehr genau be­stimmten Mitbestimmungsillusionen, wie sie etwa in einer Äußerung des revisionisti­schen Wirtschaftsdemokratie-Theoretikers Naphtali zum Ausdruck kommen: „Im Betrieb stehen Unternehmer des Betriebes und Arbeiter einander gegenüber; hier bedeutet die Überwindung der unternehmerischen Despotie das Mitbestimmungs­recht für die Arbeiter, die nicht nur als rechtlose Objekte behandelt werden wollen" (29).

Müller und Neusüß merken hierzu an: „Die Despotie des Kapitalisten entspringt demnach bloß einer Willkür und ist auf der organisatorischen Ebene-Schaffung von Mitbestimmungsgremien innerhalb des kapitalistischen Be­triebes - zu beseitigen. Der Sozialismus wird zu einer ethischen Forderung, der Kapitalismus zu einer Frage der Unternehmermoral" (30). Die Aufforderung Habermas', die kapitalistische Aneignung des Mehrprodukts „als ein Verbrechen zu kon­struieren" (auf die weiter unten noch eingegangen wird) verrät, wie sehr für Habermas die Kritik an den Produktionsverhältnissen zu einer Angelegenheit der Ethik geworden ist, weil der Begriff des Produktionsverhältnisses selbst interak­tionstheoretisch verkürzt wird.

Technologischer Determinismus als Konsequenz

Doch nachdem sich die Produktionsverhältnisse bei Habermas im Verhältnis von Arbeit und Interaktion zu einem untergeordneten Moment von Interaktion ver­flüchtigt haben, erscheinen sie in seinem System an anderer Stelle wieder: nämlich als die bedrohlichen Momente des Produktionsprozesses, der Technologie. Habermas hat, sich hierin von Marcuse nicht unterscheidend, einen beträchtlichen Hang zum technologischen Determinismus. Er fürchtet die Ausdehnung des „Funktions­kreises zweckrationalen Handelns" in die „sozialen Lebenswelten" hinein, deren Normen sich nun nicht mehr in der Dialektik der Anerkennung, sondern nur noch als eine bestimmte Art technischer Regeln zu konstituieren drohen. Unter der fal­schen Voraussetzung, daß eine Entsprechung zwischen „Sozialer Lebenswelt" und „Produktionsverhältnissen" einerseits und „Instrumentellem Komplex" und „Produktivkräften" andererseits besteht, verkehrt sich also die emanzipative Bedeutung der Marxschen Dialektik von Produktionsverhältnissen und Produktivkräften in ihr Gegenteil.

Aber was als das bedrohliche Moment der Produktivkräfte erscheint, wäre innerhalb der Marxschen Systematik als eben das aufzuschlüsseln, was ihnen als ihre Formbestimmtheit durch das Produktionsverhältnis anhaftet. Habermas unterschlägt, nachdem er die Produktionsverhältnisse in der Sphäre der Interaktion bzw. des institutionellen Rahmens abgehandelt zu haben glaubt, den spezifischen Doppelcharakter des kapitalistischen Produktionsprozesses: nämlich sinnlich-konkreter Arbeitsprozeß nur unter der Dominanz des Kapitalverwertungsprozesses sein zu können, zugunsten der Annahme einer inneren Logik in der Entfaltung der Produktivkräfte, die sich als „technologischer Sachzwang" unabhängig von einer bestimm­ten Gesellschaftsformation durchsetzt (30a).

Gegen Habermas Furcht vor der Rationalität des Produktionsprozesses schlechthin, wäre daran festzuhalten, daß die Rationalität in der kapitalistischen Produktionsweise unter zweierlei Gestalt existiert: einmal als die Rationalität des kapitalistischen Kalküls, als Marktrationalität, und zum anderen als Rationalität einer „Ökonomie der Zeit" (31), als Betriebsrationalität, deren Resultat die Reduk­tion von notwendiger Arbeit zugunsten der (potentiellen) Ausdehnung von arbeits­freier Zeit ist. „Mit wenigen Ausnahmen gilt die Wahrheit, daß die Nonnen der modernen Arbeitsökonomie auf die Vergrößerung der Produktionkapazitäten oder, um mit Marx zu sprechen, auf die .Vermehrung der Springquellen des gesellschaft­lichen Reichtums' drängen, wohingegen die Postulate der Marktökonomie die re­striktive Wirkung ausüben, welche die Kosten-Preis-Relationen der Profitkalkulation ,,voraussetzen"(32). Es läßt sich empirisch sehr rasch zeigen, daß die betriebliche Rationalität unterm Kapitalverhältnis nur eine von der Marktrationalität mitge­schleifte ist, d. h. betriebliche Rationalisierungen werden dem Einzelkapital immer nur aufgeherrscht von dem Zwang, in der Konkurrenz nicht die Konkurrenten zurückzufallen, nicht über das zur Produktion einer bestimmten Ware durchschnittlich notwendige Zeitmaß hinauszugeraten. Daß dies auch für gesamtgesellschaftliche „Betriebs"-Rationalität gilt, zeigt etwa die Bildungsreform in der BRD, die sich nur krisenartig als Folge der internationalen und Systemkonkurrenz durchsetzt.

Beide Formen der Rationalität stehen also, obwohl sie innerhalb des kapita­listischen Produktionsprozesses eine Einheit bilden, in Widerspruch zueinander. Eine der zentralen Funktionen der bürgerlichen Sozialwissenschaften - von Max Weber bis zu den neueren Sozialtechnologen - besteht darin, dieses Verhältnis zu verdunkeln, indem beide Formen unmittelbar miteinander identifiziert werden. Marcuse und Habermas haben beide in ihrer Auseinandersetzung mit dem eindimen­sionalen Denken bzw. den Positivisten diese Identifizierung vom Gegner übernom­men, - sie sozusagen nur negativ besetzt. Die meisten der Maßnahmen sowohl der Einzelkapitalien als auch des Staates, die den Visionen von der »verwalteten Welt" und der drohenden „Ausdehnung der Funktionskreise zweckrationalen Handelns" zugrundeliegen, müßten dagegen aufgeschlüsselt werden als Maßnahmen, die-von der offenen, faschistischen Gewalt bis zum präventiven crisis-management - dem Aufbrechen der Widersprüche der kapitalistischen Produktion mit ihrer doppelten Rationalität entgegenwirken und ihre Bewußtwerdung verhindern sollen.

Der Tauschprozeß: Arbeit oder Interaktion?

Die genannte Identifizierung wird bei Habermas besonders deutlich in der hilflosen und widersprüchlichen Art, in der er die der Marktrationalität unterliegenden Tausch­beziehungen der Gesellschaftsglieder abhandelt. Eigentlich müßte er sie, seiner eigenen Systematik folgend - als ein offenkundiges Moment des Produktionsver­hältnisses, der „Verkehrsformen", - der Sphäre der Interaktion, des normvermittel­ten Handeln zuordnen. Er scheint sie jedoch in der Sphäre des instrumentellen Handelns ansiedeln zu wollen. So heißt es über den Kapitalismus: „Er bietet eine Legitimation der Herrschaft an, die nicht mehr vom Himmel kultureller Überlieferung herabgeholt, sondern von der Basis gesellschaftlicher Arbeit heraufgeholt werden kann. Die Institution des Marktes, auf dem private Eigentümer tauschen .... verspricht die Gerechtigkeit der Äauivalenz von Tauschbeziehungen." (33) Gleichsam im hermeneutischen Nachvollzug der kapitalistischen Selbstlegitimation bleibt hier die Behauptung, der Tausch gehöre dem Bereich der gesellschaftlichen Arbeit an, sei ein Bestandteil des „instrumentellen Subsystems", offen und unwi­dersprochen im Raum stehen (34). Die Konsequenz^ wäre, das Geld, durch welches der Tauschakt vermittelt ist. als bloßesTnstrument, als „pfiffig ausgedachtes Auskunftmittel" anzusehen, es mit der „Betrachtung von Schiffen und Dampfmaschi­nen" auf eine Stufe zu stellen, wie es der von Marx verspottete englische Ökonom und Frühsozialist Hodskin getan hat (35). Habermas zieht diese Konsequenz nicht explizit, aber er leistet ganz offenkundig der Verwechslung von Arbeitsbeziehungen mit Aneignungsbeziehungen Vorschub, wie sie Marx bei Hodskin kritisiert.'Die" Tauschbeziehungen müssen der Habermasschen Systematik äußerlich bleiben, denn die Bewegungen des Marktes gehorchen weder „technischen Regeln" noch Normen, die einer Dialektik der Anerkennnung entstammen - es sei denn, man wolle das Wertgesetz, welches sich vermittels der Anarchie von Angebot und Nach­frage über die Intention aller Beteiligten hinweg durchsetzt, auf irgendeine Überein­kunft der betroffenen Subjekte zurückzuführen.

Habermas' Sanktionsbegriff macht dies Dilemma noch deutlicher. In „Tech­nik und Wissenschaft als Ideologie" findet sich eine schematische Übersicht über die gegensätzlichen Merkmale, die er seinen beiden verhaltenstheoretischen Kategorien zuordnet (36). In der Spalte „Sanktionen bei Regelverletzung" heißt es für den institutionellen Rahmen: „Bestrafung aufgrund konventioneller Sanktionen: Schei­tern an Autorität." Und für die Systeme zweckrationalen Handelns, in denen sich die „Steigerung der Produktivkräfte" abspielt, heißt es: „Erfolglosigkeit: Scheitern an der Realität."

Man stelle sich nun einen Schuhmachermeister an der Ecke vor. Ab einem gewissen Zeitpunkt kommen immer weniger Kunden zu ihm. Er erfährt, daß die Leute sich von ihm abgewandt haben, weil in der Nähe eine große Schuhfabrik gegründet worden ist, die dank eingeführter Massenproduktionsverfahren so billig produziert, daß er nicht mehr konkurrieren kann. Eines Tages ist er bankrott und hat noch Glück, wenn er seine Arbeitskraft an einen Schuhfabrikanten verkaufen kann. Die­ser Mann könnte sein für die Menschen in der kapitalistischen Gesellschaft nicht untypisches Schicksal wohl kaum in das von Habermas angebotene Schema einord­nen. Denn an irgendwelchen Konventionen, normativen Übereinkünften mit Autori­täten ist er offensichtlich nicht gescheitert; niemand fühlt sich durch sein Verhalten verletzt. Auf der anderen Seite ist er zwar an einer Realität gescheitert, aber doch nicht innerhalb eines Systems zweckrationalen Handelns, das der Rationalität und Berechenbarkeit der Auseinandersetzung mit der äußeren Natur vergleichbar wäre. Die „Sanktionen", die der Markt austeilt, sind eben in ganz anderer Weise unvorher­sehbar und schicksalhaft, als die Folgen eines Normbruchs oder der Nichteinhaltung technischer Regeln.

Zum Begriff der Synthesis bei Habermas

Das Ungenügen des Sanktionsbegriffs verweist auf das Problem der Synthesis, wie es Habermas selbst in seiner Marx-Kritik aufwirft. Der latente erkenntnistheoretische Gehalt des Marxschen Werkes besteht nach Habermas darin, daß er die synthetisie­renden Leistungen der Erkenntnissubjekte aus ihrem realen gesellschaftlichen Zu­sammenhang in der Arbeit ableitet. „Die Synthesis erscheint nicht länger als eine Tätigkeit des Gedankens, sondern als materielle Produktion" ,(37). Habermas faßt hier die Marxsche Theorie ausschließlich als „eine Philosophie der Arbeit". „Die Synthesis des Stoffes durch die Arbeitskraft erhält ihre tatsächliche Einheit unter Kategorien des hantierenden Menschen. Diese technischen Regeln der Synthesis nehmen als Instrumente im weitesten Sinne sinnliche Existenz an und gehören zum historisch veränderlichen Inventar von Gesellschaften" (38). Die Marxsche Theorie_ ist aber keine bloße „Philosophie der Arbeit", sondern vor allem die Untersuchung und Kritik von Formen, unter denen Arbeit angeeignet wird. Daß die Synthesis der Produzenten unterm Kapital eben keine unmittelbare durch den Produktionsprozeß ist, sondern eine mittelbare über die Warenform ihrer Produkte, kann aus einer erkenntnistheoretischen Interpretation von Marx nicht weggelassen werden (39). Die Produzenten im Kapitalismus,,. .. existieren nur sachlich füreinander, was in der Geldbeziehung, wo ihr Gemeinwesen selbst als ein äußerliches und darum zufäl­liges Ding allen gegenübertritt nur weiterentwickelt ist. Daß der gesellschaftliche Zusammenhang, der durch den Zusammenhang der unabhängigen Individuen ent­steht, zugleich als sachliche Notwendigkeit und zugleich als äußerliches Band ihnen gegenüber erscheint, stellt eben ihre Unabhängigkeit dar, für die das gesellschaftliche Dasein zwar Notwendigkeit, aber nur Mittel ist, also den Individuen selbst als ein äußerliches erscheint, im Geld sogar als handgreifliches Ding" (40). Die Frage nach dieser Mittelbarkeit der kapitalistischen Synthesis, nach der Warenform der Resell-schaftlichen Beziehungen. fällt für Habermas gesellschaftstheoretisch wie erkennt­nistheoretisch unter den Tisch.

Er kritisiert das Unzulängliche an dem Begriff von gesellschaftlicher Synthe­sis, den er bei Marx entdeckt zu haben glaubt, rekurriert auf seine Unterscheidung der Dialektik der Aneignung (Arbeit) von der Dialektik der Anerkennung (Interak­tion) und konstruiert einen zweiten Begriff von gesellschaftlicher Synthesis. Die erste von Marx hervorgehobene Form der Synthesis sei „verschränkt mit einer Synthesis durch Kampf, welche ihrerseits durch zwei einander zu Objekten machen­de Teilsubjekte der Gesellschaft, nämlich soziale Klassen, vermittelt ist" (41). Der Prozeß, in dem diese Teilsubjekte sich zu Objekten machen, Um die Anerkennung ihrer unterdrückten Subjektivität ringen, ist ein Prozeß der „Reflexion"; er ent­spricht der Hegeischen Dialektik der Sittlichkeit. Die Klassenbeziehungen erschei­nen bei Habermas auch hier wieder in eigenartiger Weise als personal-unmittelbare. So heißt es z. B., nachdem er die Dialektik der Sittlichkeit an Hegels Verhältnis zwischen Verbrecher und Gesellschaft erläutert hat: „Marx hätte sich dieses Modells bedienen und jene disproportionale Aneignung des Mehrprodukts, das den Klassenantagonismus zur Folge hat, als Verbrechen konstruieren können" (42). Nachdem die für die kapitalistische Gesellschaft konstitutive Form der Synthesis durch den Markt sich im Habermasschen System zwischen den beiden synthetisierenden Prozessen von Arbeit und Reflexion aufgelöst hat, werden nun zur Analyse des Kapital­verhältnisses Kategorien anempfohlen, die allenfalls die Synthesis von Gesellschaf­ten erfassen können, in denen der Zusammenhang der Produzenten noch ein normativ-unmittelbarer ist, wie ihn selbst Durkheim mit seinem Begriff der mechanischen Solidarität zunächst nur primitiven Gesellschaften zugesprochen hat.

Die Anwendung eines solchen Begriffssystems, dem etwas zutiefst Vorkapita­listisches anhaftet, auf die kapitalistische Wirklichkeit muß zwangsläufig Illusionen über die Art und das Ausmaß der Verselbständigung der Produktionsverhältnisse gegenüber dem Bewußtsein und dem guten Willen der Produzenten hervorbringen. Und hierin scheint mir seine objektive politische Funktion zu liegen.

Anmerkungen

1) J. Habermas, Arbeit und Interaktion, in: ders., Technik und Wissenschaft als „Ideologie", Frankfurt 1968
2) ebenda. S. 13 2a) ebenda,S.44 2b) ebenda,S.45
2a) ebenda, S. 44.
2b) ebenda, S. 45.
2c) ebenda, S. 63 ff.
3) Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurt 1968, S. 85
4) ders., Arbeit und Interaktion, a. a. 0., S. 32
5) 5) Karl Marx, MEW 23, S. 351
6) 6) ders., Frühschriften, zit. n. Hiebsch/Vorweg, Marxistische Sozialpsychologie, Ber­lin 1969, S. 9
7) 7) MEW 23, S. 193
8) Marx/Engels, Studienausgabe in vier Bänden, hrsg. v. I. Fetscher, Ffm. 1966 (im Folgen­den zit. als „Stud.-Ausg."), Bd. I, S. 95
9) Vgl. ebenda, S. 93 ff.
10) Das gilt jedenfalls für seinen Aufsatz „Arbeit und Interaktion".
11) Marx, Grundrisse, S. 395
12) MEW 23, S. 345 ff.
13) Habermas, a. a. 0., S. 92
14) Vgl. Ritsert/Rolshausen, Der Konservativismus der Kritischen Theorie, Ffm. 1971, S. 22 ff. et passim
15) „1954 konnte man einen Jeep für den Gegenwert von 14 Sack Kaffee kaufen; 1962 brauchte man dafür 39." (Le Monde vom 8. 3. 1967, zit. n. P. Jalee, Die Dritte Welt in der Weltwirtschaft, Ffm. 1969)
16) Das ist in unserem Beispiel die Bremer HAG AG.
17) Vgl. G. W. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Hamburg 1952, S. 141 ff.
18) MEW 25, S. 367. - Es ist auch kein Widerspruch zur eben angeführten Argumentation, wenn sich die Hegelsche Dialektik von Herr und Knecht zur Beschreibung der unmittel­baren, teilweise feudalistisch anmutenden Herrschaftsbeziehungen innerhalb der koloni­sierten Länder wieder als sehr brauchbar erweist, wie die sozialpsychologischen Analysen von Frantz Fanon zeigen. (Vgl. ders. Peau noire, masque blanc; Paris 1952, und R. Za-har, Kolonialismus und Entfremdung, Ffm. 1969, S. 18 ff.)
19) W. Hoffmann, Grundelemente der Wirtschaftsgesellschaft, Reinbek b. Hamburg 1969, S. 61
20) Ritsert verwendet den Begriff des nicht-normativen Substrats sozialer Struktur und sozia­len Handelns. (Die Antinomien des Anomiekonzepts, in: Soziale Welt 1969/2)
21) Vgl. Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1962, S. 254 f. u. S. 692
22) Rosa Luxemburg, Schriften zur Theorie der Spontaneität Hamburg 1970, S. 54
23) Erkenntnis und Interesse, S. 81, Hervorhebung K. 0.
24) Abgedr. in: I. Habermas/N. Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Ffm. 1971, S. 285 ff.
25) ebenda, S. 289, Hervorhebung K. 0.
26) MEW 13, S. 9
27) Vgl. Technik und Wissenschaft. . . , S. 74 ff.
28) Erkenntnis und Interesse S. 81
29) Fritz Naphtali: Wirtschaftsdemokratie, 1928, Neudruck Ffm. 1966, S. 23
30) Wolfgang Müller/Christel Neusüß, Die Sozialstaatsillusion und der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital, Probleme des Klassenkampfes, Sonderheft l, S. 18
30a) Bei Gehlen, auf den sich Habermas (Technik und Wissenschaft, S. 56) ausdrücklich be­zieht, heißt es: „Dieses Gesetz sagt ein innertechnisches Geschehen aus, einen Verlauf, der vom Menschen als Ganzes nicht gewollt worden ist, sondern dieses Gesetz greift sozusagen vom Rücken her oder instinktiv durch die gesamte menschliche Kulturge­schichte hindurch." (zit. n. Habermas, a. a. 0.)
31) Grundrisse, S. 89
32) Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit, Ffm. 1970, S. 140
33) Habermas, Technik und Wissenschaft, S. 69
34) Es ist auch falsch, von der „Basis" gesellschaftlicher Arbeit zu reden. Die Basis im Marxschen Sinne umfaßt Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse.
35) Marx, MEW 13, S. 48
36) Technik und Wissenschaft. . . , S. 64
37) Erkenntnis und Interesse, S. 44
38) Ebenda, S.48
39) Es sei auf den von Sohn-Rethel untersuchten Zusammenhang zwischen den Grundfor­men der (aristotelischen)Logik und der Geldform hingewiesen. Sohn-Rethel, a. a. 0..
40) Grundrisse, S. 909, Hervorhebung K. 0.
41) Erkenntnis und Interesse, S. 17
42) ebenda, S. 78

Aus: Ottomeyer, Klaus, Soziales Verhalten und Ökonomie im Kapitalismus, Gießen 1976, S. 19ff

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