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Italien:
Warum stürzen Kommunisten
eine "Links"-Regierung?

Artikel für WasTun Nr 11, Flugschrift der Kommunistischen Plattform
der PDS München


von Nick Brauns
 

Unverständnis herrscht weithin über das Verhalten der
italienischen Kommunisten. Hatten diese doch der Mitte-Links-
Regierungskoalition in Italien die Unterstützung versagt, und den
Sturz der Regierung unter Ministerpräsidenten Prodi
herbeigeführt. Viele Linke hierzulande waren irritiert. Eben noch
hatten sie gefeiert, daß es jetzt auch eine Deutschland eine rot-
grüne Mehrheit gibt, da entziehen Italiens Kommunisten der
eigenen "Links"-regierung das Vertrauen.
Dem Sturz der Regierung folgte unmittelbar der Sturz der
Börsenkurse in Italien. Schon diese Tatsache zeigt, daß eine
Regierung, die sich selbst als links bezeichnet, vor allem das
Vertrauen des Kapitals besaß. Ein treuer Sachverwalter des
Kapitals war die Regierung Prodi tatsächlich, die seit April 1996
im Amt war. Ihr Vorgänger war die Regierungskoalition unter
Führung der rechtspopulistischen "Forza Italia" des
Großkapitalisten Silvio Berlusconi und den Neofaschisten. Auf die
extrem unsoziale Politik dieser Regierung reagierten die
italienischen Arbeiter mit Streiks und Massendemonstrationen.
Als offensichtlich wurde, daß die Mehrheit der Italiener die offen
volksfeidliche Politik der Rechtsregierung nicht mehr erduldet,
wurden Neuwahlen angesetzt. Es war ein Sieg der Linken. Die
sozialdemokratische "Partei der Demokratischen Linken" (PDS)
koalierte mit kleineren links-bürgerlichen Parteien. Um eine
Mehrheit im Parlament zu erhalten, war diese Regierung unter
dem parteilosen Technokraten Prodi auf die Unterstützung der
Kommunisten ("Partei der Kommunistischen Wiedergründung" -
PRC) angewiesen.

Sozialer Kahlschlag für den Euro

Aufgabe dieser Regierung war es, Italien reif für die europäische
Währungsunion und den Euro zu machen. Wie in allen Ländern
der EU bedeutete dies die Durchsetzung unsozialer Maßnahmen
auf Kosten der Masse der Bevölkerung. Die Renten wurden
weiter gekürzt, Fabriken mußten dichtmachen und mit 3,5
Millionen Arbeitslosen stieg die Arbeitslosigkeit auf 11,9%. Dafür
liegt Italien an der Spitze der Privatisierungen öffentlichen
Eigentums. Das Lob des Kapitals war Prodi sicher. Auch nach
seinem Sturz vergißt die bürgerliche Presse nie, die Durchsetzung
der harten Euro-Kritierien als seine größte Leistung
hervorzuheben. Kritikern der unsozialen Politik auf der Linken
wurde gedroht, wenn die Mitte-Links-Koalition scheitert, kämen
die Rechten und Faschisten wieder an die Macht. Auch die
Führung der Kommunisten tolerierte die Regierungspolitik, um die
erste italienische Linksregierung nicht zu gefährden und in der
Hoffnung, kleine soziale Verbesserungen zu erzwingen. Nur bei
außenpolitischen Abenteuern wie der NATO-Intervention in
Albanien nach den Unruhen im Frühjahr 1997 mußte Prodi sich
um die Stimmen der Rechtsparteien bemühen. Als die italienische
Marine ein albanisches Flüchtlingsschiff versenkte und über 100
Menschen den Tod fanden, war dies kein Grund für die PRC-
Abgeordneten, Prodi generell das Vertrauen zu entziehen.
Nur einmal, im Oktober 1997 probte Parteichef Fausto Bertinotti
den Aufstand. Während Zehntausende Arbeiter für die 35-
Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich demonstrierten, drohten
die Kommunisten mit einem Ende der Tolerierung. Zaghafte
Zugeständnisse der Regierung in der Arbeitszeitfrage, verbunden
mit massivem Druck der sozialdemokratisch kontrollierten
Gewerkschaftsbürokratie auf die Führung der PRC erzwangen die
Kapitulation Bertinottis und eine Fortführung der
Tolerierungspolitik.

Raus aus der Regierung!

Nur die Parteilinke, die sich um die Zeitschrift "Proposta"
("Vorschläge für die kommunistische Neugründung") formiert,
wandte sich von Anfang an gegen die Unterstützung einer
bürgerlichen Regierung. In den Augen der Massen würde so auch
die PRC zur Partei des Kapitals, die die verhaßte Euro-Anpassung
mitträgt. Proposta warnte, wenn die Kommunisten die unsoziale
Regierungspolitik tolerieren, würden davon letztlich die radikalen
Rechten profitieren, die sich dann als "einzig wahre Opposition"
präsentieren. Aufgabe der Kommunisten wäre es, im Parlament
antikapitalistische Opposition zu betreiben und den Protest auf der
Straße und in den Betreiben zu organisieren. Auf dem Parteitag
1995 stimmten 15 0er Delegierten für den Antrag der
Parteilinken, keine bürgerliche Regierung zu unterstützen. Im
kommunistischen Jugendverband stand sogar ein Drittel hinter den
Linken.
In Teilen der Arbeiterschaft reifte inzwischen die Erkenntnis, daß
auch die angebliche Linksregierung nur das Geschäft des Kapitals
mit anderen Mitteln betrieb. Der aus der Gewerkschaftsbewegung
kommende PRC-Sekretär Fausto Bertinotti forderte daher die
kommunistische Parlamentsfraktion auf, den nächsten Haushalt
Prodis nicht zu unterstützen. Die Frage, ob die Kommunisten
diesen Haushaltsentwurf trotz nur geringer sozialer
Zugeständnisse mittragen sollten, spaltete die Partei. Die
revolutionären Marxisten um Proposta forderten den sofortigen
Austritt der Kommunisten aus der Regierungskoalition ohne wenn
und aber. Bertinotti meinte, die Kommunisten sollten nur eine
Zeitlang austreten, um dann gestärkt zurückzukommen und die
Regierung nach links zu verschieben. Demgegenüber stand der
PRC-Präsident Armando Cossuta, ein alter kommunistischer
Kader und bis zum Ende der Sowjetunion treuer Anhänger des
Moskauer Kremels, der nun völlig zum Sozialdemokraten
verkommen ist. Nicht raus aus der Regierung, sondern vielmehr
völlige Integration mit kommunistischen Ministern war seine
Forderung. Es gelte, nicht mehr gegen den Kapitalismus zu
kämpfen, sondern im Rahmen dieses Systems Verbesserungen für
die Werktätigen zu erringen. Hinter Cossuta stehen ein Teil der
alten Parteifunktionäre und der kommunalen Mandatsträger sowie
21 von 34 Parlamentsabgeordneten. Zufrieden mit den errungenen
Pöstchen wollen diese Bürokraten ihre Stellung nicht durch eine
radikalere Politik aufs Spiel setzen.
Auf der Sitzung des Nationalen Politischen Komitees der PRC
bekommt Bertinotti die Mehrheit von 188 Stimmen. Cossutas
gegensätzlicher Antrag hat 112 Delegierte hinter sich. Die
Parteilinke, die auch den Kompromißkurs Bertinottis - raus aus
der Regierung, um später wieder reinzugehen - ablehnt, zählt 24
Unterstützer. Obwohl die Cossuta-Anhänger im Parlament gegen
die Weisung ihrer Parteiführung für Prodi stimmten, fehlt diesem
eine Stimme und die Regierung wird am 9.Oktober gestürzt.
Cossuta gründete mit seinen Anhängern eine eigenen Formation,
die "Partei der italienischen Kommunisten" (PCI). Umfragen unter
den Wählern haben ergeben, daß 5,3% weiterhin der PRC
treubleiben, während 3,5ich für die angepaßte PCI
entscheiden. Die PRC hat vor allem unter Intellektuelle und
Kleinbürgern verloren, für die die soziale Frage nicht im
Mittelpunkt steht. Dafür kann sie auf die Unterstützung vieler
Arbeiter zählen, die schon länger eine radikalere Politik
einklagten. Wegen ihrer Prinzipienfestigkeit machen die
revolutionären Marxisten um "Proposta" die Partei für
radikalisierte Jugendliche attraktiv, denen die PRC bisher zu
systemkonform war.

Italienische Lehren

Linke Kommentatoren werfen Bertinotti vor, leichtfertig aus
egoistischen Motiven eine Linksregierung verspielt zu haben.
Sollte es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen, würden die
Rechten triumphieren. Demgegenüber steht die Befürchtung,
gerade die radikale Rechte würde auch bei regulären Wahlen
dazugewinnen, weil PRC bei weiterer Regierungsunterstützung als
radikale Oppositionskraft ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt hätte.
Wollen sich die italienischen Kommunisten in der PRC nicht
weiter die Hände schmutzig machen an einer kapitalistischen
Regierung, auf die sie keinen echten Einfluß haben, dann sollten
sie den Vorschlägen der Parteilinken folgen. Es gilt, eine in den
Betreiben und Gewerkschaften, an den Universitäten und in den
Stadtvierteln verankerte kommunistische Arbeiterpartei
aufzubauen. Die Aufgabe einer solchen Kraft ist die Organisation
des Klassenkampfes und nicht das Taktieren im bürgerlichen
Parlament.
Als PDS-Mitglieder hier in Deutschland sollten wir aus der
italienischen Erfahrung lernen. Eine SPD-geführte Regierung wird
keine grundsätzlich andere und sozialere Politik machen, wie ihr
italienisches Gegenstück, da auch sie sich der Logik des
realexistierenden Kapitalismus beugen muß. Eine PDS-
Tolerierung oder sogar Koalition auf Länderebene in
Ostdeutschland wird daran nichts ändern. So wird nur das
Vertrauen in die PDS als antikapitalistische Oppositionskraft
leichtfertig verspielt.

Nick Brauns

"Proposta" im Internet:
Die Zeitschrift der italienischen Marxisten ist im Internet (leider nur auf italienisch): http://www.geocities.com/CapitalHill/Lobby/3545/proposta.html

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