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Es gibt eine andere Politik
Fausto Bertinotti über den Sturz der Prodi-Regierung und die Perspektiven der PRC

Alle sind sie über ihn hergefallen, er habe "die Linke zu Fall gebracht" und "den Rechten den Weg geebnet". Bei näherem Betrachten stellt man fest, dass der Fall der Regierung Prodi, den der Generalsekretär der Partito della Rifondazione Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, mit seiner Weigerung ausgelöst hat, dem Haushalt zuzustimmen, viele Väter hat. Aber es ging bei dieser Entscheidung nicht um Einzelheiten des Haushalts, es ging nicht um die in ihm enthaltenen "sozialen Grausamkeiten", sondern um das, was da nicht drin stand, was sich die PRC aber zum Ziel gesetzt hatte einzuleiten, als sich die Partei im vergangenen Jahr entschloss, die Regierung zu tolerieren: eine Politik der gesellschaftlichen Reformen. Bertinotti wollte als Gegenleistung für seine Zustimmung Programme zur Wiedereinstellung von Erwerbslosen, die Ausweitung kostenloser Gesundheitsdienste, die Anhebung der Mindestrenten, Lernmittelfreiheit an den Schulen, die Abschaffung der Steuern auf das erste Eigenheim. Nichts davon hat die Regierung aufgegriffen, aber verlangt, dass ein -- wenn auch moderat -- neoliberales Programm nicht von den Rechten, sondern von den Linken getragen und durchgeführt wird. Dem hat sich Bertinotti verweigert; im nachstehenden Interview erklärt er warum.

 

Was ist deine erste Reaktion auf den Sturz der Regierung?

Gescheitert ist ein Politikmodell, das sich nur um den eigenen Apparat und das eigene Überleben dreht. Aber es gibt eine andere Politik, eine die in Dialog mit der Gesellschaft tritt -- danach gibt es Bedarf, das habe ich gestern nach der Parlamentssitzung wieder erlebt.

Was war das?

Ich habe völlig unpolitische Menschen getroffen, die richtig froh waren, dass diese Regierung zu Ende gegangen ist. So als wäre es für sie eine Art Revanche für die Lage, in der sich diejenigen befinden, die aus der Politik ausgeschlossen sind -- aus dieser Art der Politik ausgeschlossen sind. Viele haben nicht mal richtig kapiert, was vor sich gegangen ist, aber sie verspüren eine Ermutigung darin, dass dieses Politikmodell gescheitert ist.

Und die Demonstration vom 17.Oktober...

Die Demonstration vom 17.Oktober soll erklären, was passiert ist, sie soll vor allem aber die Idee streuen, dass es möglich ist, wieder bei den Bedürfnissen anzusetzen, bei der Recherche, der Analyse und der Bewusstwerdung über die eigene Lage, nicht um bei der Ent-Täuschung oder beim Protest stehenzubleiben, sondern um sie in eine andere Politik umzusetzen. Der 17.10. kann also zu einem Sprungbrett für etwas Neues werden.

Eine Politik der Alternative, wie es geheissen hat. Mit welchen aktuellen Inhalten?

Es scheint so, als würde nach dem Sturz der Regierung noch deutlicher werden, worum es geht: Es hat sich auf eine spektakuläre Weise bestätigt, dass eine Politik, die Reformen verweigert, unmöglich und armselig ist. Die Entscheidung der Regierung, lieber mit uns zu brechen als eine reformorientierte Wende einzuleiten, war arrogant, man ist sogar soweit gegangen und hat das Abstimmungsverhalten einiger unserer Abgeordneten, die gegen die demokratische Entscheidung der Partei gestimmt -- und sich damit von ihr gelöst -- haben, als Schritt zu einer "gestärkten und solideren" Mehrheit bezeichnet. Aber man hat eine deftige Niederlage eingesteckt. Wer hier Stabilität gefordert hat, um eine politische Wende zu verweigern, der hat gerade damit die Instabilität erhöht. Die Demonstration vom 17.10. wird zeigen: es geht um die Rekonstruktion eines politischen Projekts. In diesem Sinne muss sie vorbereitet werden, verschiedene Sektoren, soziale, kulturelle, intellektuelle Milieus müssen angesprochen und zur Teilnahme eingeladen werden. Die Menschen müssen sehen: wir sind nicht aus dem Rennen, wir sind Protagonisten eines neuen Projekts.

Gilt das denn auch für die unmittelbare Politik und trotz des Sperrfeuers von Mitte-Links?

Auf unser Angebot "Zieht den Haushalt zurück und lässt uns eine neue Debatte eröffnen" hat die Regierung reagiert, indem sie uns die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Das hatte ziemlich wenig mit Politik und viel mit Psychologie zu tun bzw. damit, dass ihr Kalkül nicht aufgegangen ist. Man muss zwei Fragen beantworten: Warum ist die Mitte-Links-Regierung nach zweieinhalb Jahren Herumlavieren in die Krise geraten, und warum ist sie bei dem Versuch, sie mit verschiedenen Tricks zu umschiffen, gescheitert? Mir geht es ja gar nicht darum, dass man unbedingt mit unseren Positionen einverstanden sein muss, mir geht es darum, tatsächlich Politik zu machen...

Wo liegen die Ursachen der Krise?

Die Mehrheit, die aus den Wahlen vom 21.April 1996 hervorgegangen ist, besteht als Regierungsmehrheit nur auf der Basis eines Abkommens mit der PRC. Diesen Tatbestand meinte man leugnen zu können, man dachte, man könnte sich der Forderung der PRC nach einer reformpolitischen Wende einfach verweigern und die PRC vor die Tür setzen, und dabei im Stil von früher Verhandlungen mit einigen von unseren Abgeordneten aufnehmen, die sich dem Auftrag des Parteivorstands widersetzen. Man wollte also irgendwie den eigenen Kopf retten. Das ist daneben gegangen, und man sollte daraus die Lehre ziehen, dass man nicht mit Tricks regieren kann...

Die Abgeordneten, die einen anderen Weg gegangen sind, haben ungewöhnlich gewalttätige Töne angeschlagen...

Es hat mich sehr getroffen, dass die einzigen, die uns gegenüber eine aggressive Haltung eingenommen haben, ausgerechnet die Genossen waren, die sich von uns trennen. Dabei haben sie all die Geschütze aufgefahren, gegen diese sie sich bei anderen Gelegenheiten aufgelehnt haben. Nesi und Cossutta z.B. zeigten sich empört darüber, dass wir abgestimmt haben wie die Rechten. Vielleicht ist ihnen nicht bewusst, dass sie damit ein reaktionäres Argument aufgreifen, das schon immer gegen die linke Opposition vorgebracht wurde, um zu erreichen, dass sie verschwindet. Wenn es eine Mitte-Links-Regierung gibt -- und deshalb eine Opposition von rechts -- ist klar, dass eine Linke, die in Opposition zur Regierung geht, zwangsläufig im Abstimmungsverhalten mit den Rechten "konvergiert". Mit diesem Argument wurde lange Zeit die [frühere] PCI angefeindet, wenn sie sich von Regierungen des Zentrums absetzte, wir wurden damit konfrontiert, als es um die Regierung Dini ging, und auch im vergangenen Jahr, als die Regierung Prodi in die Krise geriet, bevor sie das Gesetz für die 35- Stunden-Woche verabschiedete. Immer haben sich diese Genossen gegen solche Argumente gewandt. Opposition aber kann man von sehr unterschiedlichen Standpunkten aus betreiben, es ist die Regierungsmehrheit, die eine Konvergenz herstellt.

Worauf lassen sich diese Genossen ein?

Wenn ich es richtig verstehe, soll es eine zweite Auflage der Regierung Prodi geben -- gleich ob Prodi selbst dafür zur Verfügung steht --, mit dem einzigen Ziel, diesen Haushalt durchzubringen, dafür sind keine Verrenkungen zu schade. So will man diesmal die Stimmen der UDR [der Partei des frueheren Staatspräsidenten Cossiga, eine rechte Partei, die vormals in Allianz mit Berlusconi war] einfangen, aber nur taktisch, nur für diese eine Abstimmung, ohne eine politische Entscheidung damit zu verbinden.

Damit würde Mitte-Links fortgesetzt, mit einer leichten Verschiebung zu neoliberalen Positionen.

Ja, aber dieses Verhalten, dem wir so sehr abgeneigt sind, ähnelt sehr demjenigen, das zur jetzigen Krise geführt hat: In der Hauptsache geht es der Regierung um ihr eigenes Überleben, gleich zu welchem Preis. Sie will sich nicht politisch entscheiden.

Was gibt es zu entscheiden?

Es gibt zu Mitte-Links zwei Alternativen; beidesmal steht die Haushaltsfrage im Mittelpunkt. Gerade die Tatsache, dass das wirtschaftliche und politische Establishment so viel Wert darauf legt, dass der Haushalt wie auch immer verabschiedet wird, zeigt, dass wir richtig gelegen haben: Es ging nicht um seine Details, es ging um die wirtschaftspolitische Orientierung, die darin zum Ausdruck kommt. Für diese Establishment ist das keine konjunkturelle, sondern eine strategische Frage.

Das hat mit dem neuen supranationalen wirtschaftspolitischen Rahmen zu tun, der bestimmt wird von einer Finanzkrise, die strukturelle Elemente einer Krise der Globalisierung enthält, sogar das Risiko einer Rezessionskrise. Gleichzeitig und damit verbunden wachsen die Anzeichen einer Krise des gesellschaftlichen Gefüges. Angesichts dessen und angesichts eines Szenarios allgemeiner Instabilität erhält die krampfhafte Suche nach politischer Stabilität für die herrschenden Klassen einen absoluten Stellenwert.

Wie wollen sie das erreichen?

Sie versuchen eine Politik zu entwickeln, die unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte zusammenhält, in einer Art Neuauflage eines "nationalen Solidarpakts"; diesmal richtet er sich gegen einen äusseren Feind, der im globalen Wettbewerb auftritt. Die Politik verfolgt das Ziel, die Tarifautonomie der Gewerkschaften und die politische Autonomie der Arbeiterbewegung niederzuringen.

Grundzüge dieser Politik finden sich in dem neuen Vorstoss von Ciampi für einen neuen Sozialpakt, der die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe verbessern soll. Nicht nur die Gewerkschaften sollen durch eine Politik der Konzertierten Aktion integriert werden, auch die alternative Linke soll in das Projekt eingebunden werden. Der Haushalt war nur ein Hebel dafür.

Man hätte dem Haushalt also nicht zustimmen und sich zugleich diesem Integrationsprojekt widersetzen Können?

So ist es, die Folge wäre gewesen, dass sich die Linke, die für eine Alternative steht, auflöst, aber auch, dass die gesellschaftlichen Konflikte keinen politischen Ansprechpartner mehr haben.

Du hast die beiden Alternativen noch nicht benannt.

Die Entscheidung ist klar: entweder bleibt man bei diesem Haushalt, dann muss man alle konservativen Kräfte dafür gewinnen, dann hilft kein Feigenblatt, dann ist man im Bund mit den Rechten, und zwar weit mehr als nur mit Cossiga, und man entwirft ein politisches Projekt, das diesen Kräften entspricht.

Oder man geht in eine andere Richtung -- und das wäre angezeigt, weil die erstere Variante nicht ohne weiteres die Widersprüche lösen könnte, die sie hervorruft, vor allem aber die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften unter einen steigenden Druck von links setzen würde: Dann realisiert man, dass die politische Krise daher kommt, dass es an Reformwillen fehlt und man begibt sich auf den Weg der Reformen. Unser Vorschlag ist deshalb ein konstruktiver, er hat auch eine programmatische Kraft und wenn wir ihn vorantreiben können, können wir damit die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in Italien nach links verschieben.

Der Bruch bereitet also den Kampf für eine Alternative vor...

Der Bruch isoliert die kommunistischen Kräfte nicht, er stellt uns aufs Neue vor die Notwendigkeit, eine Politik der Alternative zu entwerfen. Es gibt auch Beobachterinnen wie Rossana Rossanda, die uns dafür kritisieren, dass wir unsere Forderung nach einer gesellschaftpolitischen Wende nicht nachdrücklich genug vorgetragen hätten...Die Mitte-Links-Regierung ist sehr diskreditiert, das Unbehagen unter den Linken sehr gross. Bei einer Demonstration von prekär Beschäftigten ist die Nachricht vom Sturz der Regierung mit Beifall bedacht worden. Es gab grosse Erwartungen und eine grosse Enttäuschung. Jetzt überwiegt der Wunsch nach Reflexion, Problematisierung. Da ist auch die Gefahr, dass Menschen passiv werden, weil sie sich von der Politik nichts versprechen. Deswegen ist es so wichtig, dass ein neuer Ansatz für eine Politik und

eine Bewegung gefunden wird.

Was tun?

Wir müssen Brücken schlagen, verschiedene, auch uns fernstehende Sektoren einbeziehen, eine neue Dialogfähigkeit entwickeln. Ich bin positiv überrascht von der Reaktion wichtiger Gewerkschaftskreise...

Dialog auch mit den Linksdemokraten (PDS)?

Auch mit ihnen, auf dieser Basis. Schon heute werden zwei Haltungen uns gegenüber in der PDS sichtbar: eine, die uns anklagt, und eine andere, die einen Bruch mit Kräften links von ihr nicht will. Das muss man unterstützen. Das entspricht aber auch einem politisch-programmatischen Konflikt, der sich ebenfalls in den Reihen der PDS abspielt: Es gibt einen latenten Konflikt zwischen einer sozialdemokratischen und einer liberaldemokratischen Orientierung. In Italien blieb dieser Konflikt bisher unter der Decke, in Europa aber wird er offen ausgetragen und zwar in der Sozialdemokratie selbst. Die hat nach dem Wahlsieg in Deutschland kein Feigenblatt mehr. Gerade Schröder verdeutlicht die Tragweite der Entscheidung, vor der die europäische Sozialdemokratie im Angesicht der Krise der Globalisierung steht: entweder schlägt sie den Weg der Reformen ein oder sie versucht, die Modernisierung des Kapitalismus zu managen (zu verwalten). Sinnbildlich gesprochen ist das die Entscheidung zwischen Jospin und Blair. Schröder ist sich da noch ganz unsicher.

Wenn wir bei ausbleibender reformpolitischer Wende uns nicht für den Bruch entschieden hätten, hätten wir diese Polarisierung nicht entwickelt und damit den Rechten in die Hände gearbeitet.

Vor dieser Entscheidung steht übrigens nicht nur die Sozialdemokratie, sondern auch die Gewerkschaften. Die Gewerkschaftsführungen glauben, wenn sie sich auf die neue Integrationspolitik und auf den Sozialpakt nicht einlassen, sind sie aus dem Spiel draussen. Aber auch hier stehen wichtige Auseinandersetzungen bevor, denken wir nur an die bevorstehende Tarifrunde der Metallindustrie...

Das Interview führte "Liberazione", die Tageszeitung der PRC.

Dieser Artikel erscheint in SoZ Nr.21 vom 15.10.1998. Die "SoZ -- Sozialistische Zeitung" erscheint 14-taegig und wird herausgegeben von der Vereinigung für Sozialistische Politik (VSP).
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