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Streik der Ex-NANZ-Beschäftigten bei Edeka/Neukauf nach über 6 Wochen erfolgreich beendet!
Die ausgesprochenen 93 Kündigungen mußten zurückgenommen werden. Zusätzlich wurden wichtige Verbesserungen beim Sozialplan erreicht.

 

Am Dienstag, 8.9.1998, wurde der Streik bei Edeka/Neukauf Baden-Württemberg erfolgreich beendet. Mit einer Dauer von über 6 Wochen war dies der bisher längste Streik im Einzelhandel in Deutschland. Hintergrund dieses Streiks ist der anhaltende Konzentrationsprozess im Lebensmittelhandel. Rund 95% werden von 10 großen Handelsgesellschaften kontrolliert. So hat Edeka Baden-Württemberg insgesamt 155 Kleinflächen der Allfrisch Süd von der AVA AG zum01.07.98 übernommen und 44 ehemalige Nanz/allfrisch/Peisfux-Filialen sogleich an die Edeka Südwest weitergereicht.

Keine rosigen Aussichten

Diese hat die ehemaligen Nanz-Filialen in ihre Tochtergesellschaft Neukauf integriert. Einem Teil der Filialen droht in diesem Zusammenhang die "Privatisierung". Sie sollen von "selbstständigen" Edeka-Filialisten weitergeführt werden. Mit der Folge, dass der Umsatz bei Edeka bleibt, das Risiko aber trägt der "Selbständige", insbesondere aber die Beschäftigten durch schlechtere soziale Regelungen, den Verlust einer Interessensvertretung, des Kündigungsschutzes usw. Der Streik war von der Gewerkschaft HBV ausgerufen worden, nachdem sich abzeichnete, dass infolge der Übernahme und möglicher Filialschliessungen mit dem Verlust von ca. 300 Arbeitsplätzen und mit dem Abbau sozialer Leistungen für die Beschäftigten von Nanz/allfrisch/Preisfux zu rechnen war. Die Edeka-Geschäftsleitung hatte sich zuvor vehement geweigert, notwendige und ausreichende Absicherungen zu vereinbaren.

 

Die Streik-Forderungen:

1. Beschäftigungssicherung, Einhaltung sozialer Standards, Rückkehr- und Weiterbeschäftigungsrecht

2. Erhaltung der Betriebsratsstrukturen

Schon im Juni hatte die HBV die Forderung nach entsprechenden Tarifverträgen erhoben. Nach zwei gescheiterten Verhandlungsrunden am22.06.98 und 15.07.98, hatte die HBV am 16. und 17. Juni zu ersten Warnstreiks aufgerufen. Seit dem 23.07. wurden die Nanz-Allfrisch-Filialen unbefristet bestreikt. Waren es anfänglich 11 Filialen, so waren es zum Schluss mehr als 20 der ehemaligen 44 Nanz/allfrisch-Filialen und rund 130 von 640 Beschäftigten (darunter 90% Frauen),die in den Streik einbezogen waren.

 

Spaltung der Betriebsräte

Alle Versuche, mit dem mehrheitlich DAG-organisierten Edeka/Neukauf-BR ins Gespräch zu kommen, waren im Sand verlaufen. Am 20.07.1998handelte dieser mit der Edeka Geschäftsführung einen Interessenausgleich/Sozialplan aus, ohne die ehemaligen Nanz-Beschäftigten gehört zu haben. Auf der Streikversammlung wurde dieser als unzureichend abgelehnt.

 

Solidarität entwickelt sich ...

Parallel zum Streik wurde eine Öffentlichkeitsarbeit begonnen, welche die gesamte Region miteinbezogen hat. Es war klar, dass ohne die Solidarität von aussen der Kampf nicht zu gewinnen war. Belegschaften, Betriebsräte, Vertrauensleutekörper, Parteien, Initiativen, Betriebsseelsorger und das evangelische Industriepfarramt sowie viele BürgerInnen hatten sich solidarisiert. Mit einer Postkartenaktion "Unser Geld für sichere Arbeitsplätze" erklärten viele ihren Boykott von Edeka/ Neukauf, bis ein entsprechendes Verhandlungsergebnis auf dem Tisch liegt. Auf zwei grossen Informations- und Solidaritätsveranstaltungen im DGB-Haus Mannheim, wurde breitest informiert und diskutiert. Dabei wurde deutlich, mit welcher Entschlossenheit, mit welcher ursprünglichen Solidarität und mit welchem Mut die Betroffenen um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Die anderen Einzelgewerkschaften hielten sich dagegen wie gewohnt zurück.

 

... Management reagiert mit Kündigungen

Am 30.07. 98 hatte die Edeka-Südwest-Geschäftsführung den Streikenden die fristlose Kündigung angedroht, sollte die Arbeit bis zum 03.08.98 nicht wieder aufgenommen worden sein. Am 31.7. beschloss die Streikversammlung davon unbeeindruckt die Fortführung des Streiks. In der darauf folgenden Woche wurden insgesamt 93 Streikende gekündigt, trotzdem ging der Streik weiter, bis die wichtigsten Forderungen durchgesetzt waren.

 

Der Streik hat Spuren hinterlassen

Das wichtigste: Die Streikenden in der Region Rhein/Neckar haben bewiesen, dass Widerstand auch in schwierigen Zeiten möglich ist, und sich auch lohnt.

Aufgrund des Widerstands der Betroffenen, des grossen öffentlichen Drucks und der breiten Solidarität über die Region hinaus, mussten die von der Edeka-Geschäftsleitung ausgesprochenen 93 Kündigungen wieder zurückgenommen werden. Der von der DAG-Mehrheit im Betriebsrat akzeptierte und unterschriebene Sozialplan, der die Interessen der Nanz/allfrisch-Beschäftigten nicht berücksichtigt hat, wurde nachträglich verbessert.

So wurde die Beschäftigungssicherung (Verbot betriebsbedingter Kündigungen) um ein halbes Jahr, bis zum 30. Juni 2001 verlängert. Ausserdem müssen den von möglichen Filialschliessungen Betroffenen Arbeitsplätze in den nächstgelegenen Filialen angeboten werden. Im ursprünglichen Sozialplan war hierfür eine Entfernung bis zu 35 km als zumutbar festgelegt worden (womit das Hinausdrängen der Betroffenen ein leichtes gewesen wäre).

Weiterhin musste die Edeka-Geschäftsleitung vertraglich garantieren, dass die am Streik Beteiligten keinerlei Schikanen oder Sanktionen ausgesetzt werden. Die von der Edeka-Geschäftsleitung erhobene Schadenersatzklage gegen die HBV musste ebenfalls fallengelassen werden.

Nicht durchgesetzt werden konnte die Erhaltung des Nanz-Betriebsrats.

Vor dem Hintergrund der äusserst negativen Rolle, die der von der DAG

dominierte Edeka-Betriebsrat gespielt hat, wäre gerade dies sehr

wichtig gewesen. Rechtlich war diese Position der HBV aber anfechtbar.

 

DAG fiel den Streikenden in den Rücken

Der DAG-Betriebsrat bei Edeka hatte sich mit ausdrücklicher Unterstützung der DAG-Bezirksleitung von Anfang an auf die Seite der Edeka-Geschäftsleitung geschlagen. Er warf den von der Übernahme Betroffenen und der HBV vor, überzogene Forderungen zu stellen, welche die Edeka-Beschäftigten benachteiligen würden. Im übrigen sei die HBV zu Verhandlungen gar nicht berechtigt, dies sei Sache der DAG.

Durch diese Haltung fühlte sich die Geschäftsleitung erst recht zu ihrer knallharten Konfrontationspolitik ermuntert und wollte die HBV als Verhandlungspartner nicht anerkennen. Besonders skandalös: Als sich am Ende der Auseinandersetzung abzeichnete, dass die Geschäftsleitung einlenken musste, sah sich der DAG-Betriebsrat veranlasst, die Geschäftsleitung seinerseits unter Druck zu setzen, nur ja nicht dem Druck der Strasse nachzugeben, ansonsten sich der DAG-Betriebsrat zukünftig um die Einhaltung der geltenden Tarifverträge kümmern würde.

Dieser Versuch, die Geschäftsleitung auf die Beibehaltung ihrer harten Linie gegenüber den Beschäftigten zu verpflichten und das Eingeständnis, die Nichteinhaltung der Tarifverträge bisher geduldet zu haben, zeigen, auf welcher Seite dieser Betriebsrat steht. Nun sind die Beschäftigten selbst gefordert, bei der nächsten Gelegenheit, dem von der DAG dominierten Betriebsrat den Laufpass zugeben und sich einen Betriebsrat zu wählen, der ihre Interessen vertritt. Überhaupt hat die Haltung der DAG zugunsten der Position der Edeka-Geschäftsleitung und gegen die Streikenden dazu geführt, dass bis hin zum Hauptvorstand der HBV die Integration der DAG in die neue geplante Dienstleistungsgewerkschaft überhaupt in Frage gestellt wurde. Insofern wirkt dieser Streik auch in die gewerkschaftliche Strukturdebatte hinein.

 

Gemeinsam kämpfen, gemeinsam siegen!

Diese negativen Erfahrungen haben die Streikenden nicht davon abhalten können, die 3. Solidaritätsveranstaltung im vollbesetzten Gewerkschaftshaus am 3.9., in eine Vorab-Siegesfeier umzufunktionieren. Die Freude über den Erfolg war nicht zu bremsen. Mehrfach wurde von den Beteiligten die positive Rolle der Mannheimer Bezirksleitung der HBV hervorgehoben, die die politische, moralische und materielle Unterstützung organisiert und gewährleistet hat. Neben dem bewundernswerten Durchhaltevermögen der Streikenden selbst war es die übergreifende Solidarität, die den Erfolg möglich gemacht hat.

Auch der Boykott-Aufruf hat offensichtlich Wirkung gezeigt. Die Edeka-Geschäftsleitung beziffert den entstandenen Schaden auf ca. 1 Million DM. 40.000 DM waren im Verlauf der Auseinandersetzung für die Streikenden gespendet worden. Auch dies zeigt, dass es eine breite Sympathie mit den Streikenden gegeben hat.

 

Abbau weiter möglich

Nach der weitgehenden Verständigung zwischen der HBV und der Edeka-Geschäftsleitung über die Ausgestaltung des Sozialplans hat Edeka selbst den Beweis erbracht, wie richtig die Befürchtungen der HBV über den drohenden Personalabbau sind. Der Geschäftsführer erklärte gegenüber der Presse, dass vier bestreikte Filialen in Mannheim nicht mehr wiedereröffnet werden sollen, weil sie angeblich durch den Streik nicht mehr wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Schaden erlitten hätten.

Anton Kobel, Bezirksleiter der HBV in Mannheim, gab hierzu den einzig richtigen Kommentar: "Die Geschäftsleitung der Edeka versucht hier ihre eigenen Schliessungsabsichten zu verschleiern, indem sie die um die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze kämpfenden Beschäftigten verantwortlich machen will. Wir werden aber nicht widerstandslos zusehen, dass - nach den Beschäftigten - nun die Bevölkerung in diesen betroffenen Wohnbezirken Opfer dieser unsozialen Geschäftspolitik werden soll".

Helmut Schmitt

Dieser Artikel stammt aus der aktuellen Ausgabe der Weinheimer Monatszeitung "GEGENWIND" - demokratisch, antifaschistisch, parteiisch

Unterstützt die Papierausgabe des "GEGENWIND_! Bestellung über Gegenwind_Weinheim@LINK-MA.cl.sub.de   bzw. PSF 100509, 69445 Weinheim

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