(Das Kapital , Fünfter Abschnitt, MEW Band 25, S.
350ff)
An welcher Stelle wird im Marxschen "Kapital" der Zins abgeleitet? In
welchem Zusammenhang steht er mit dem einfachen Warentausch und mit der Reproduktion des
Kapitals? Wie bestimmt sich die Höhe des Zinsfußes? Wie unterscheiden sich historische
und logische Entwicklung des zinstragenden Kapitals?1. Kaufmannskapital
Zunächst einmal (auf der Stufe des im ersten Band beschriebenen Einzelkapitals) besorgt
jedes Einzelkapital nicht nur die Produktion der Waren, sondern auch deren Verkauf. Das
bedeutet, der Kapitalist muß sich um Kosten für Spedition, Transport, Lagerung,
Bewerbung, Versand, Abrechnung etc. selbst kümmern. Ebenso muß es sich um ständiges zur
Verfügung Halten von Geld als Zahlungsmittel kümmern. Operationen des Zahlungsverkehrs,
Bilanzierungen etc. müssen verrichtet werden. Diese für den Verkauf der Waren
notwendigen Operationen sind nicht wertproduzierend, sie erhöhen den Wert der Waren
nicht, es sei denn, sie sind unabdingbare Voraussetzung des Gebrauchswerts der Ware.
Beispiel: Die Arbeitszeit, die nötig ist, um die Lagerung von fünfzehn Jahre altem
Whiskey zu gewährleisten, ist wertproduzierend, ebenso die Arbeit, die notwendig ist, um
den Whiskey zum nächsten Markt zu transportieren. Der Transport von Kiwis aus Neuseeland
hierher geht in den Wert ein. Werden Waren zu einem entfernten Ort transportiert mangels
Absatzmöglichkeiten, wird der Warenwert nicht berührt. Die Arbeit, die nötig ist, um
den Zahlungsverkehr zu bewerkstelligen ist ebenfalls notwendig aber nicht
wertproduzierend. Im Zuge der Arbeitsteilung zwischen den Kapitalen werden Transport,
Lagerung etc. von spezialisiertem Kapital übernommen, dem Warenhandlungskapital. Genauso
verhält es sich mit den Zahlungsoperationen etc., die vom Geldhandlungskapital, das diese
Operationen für alle Kapitale verrichtet, übernommen werden. Funktionen des Kapitals,
die der Zirkulationssphäre angehören, werden als selbständige Form in die Gestalt des
Kaufmannskapitals gegossen. Wie verwertet sich nun das Kaufmannskapital? Es muß den
gesellschaftlichen Durchschnittsprofit abwerfen, da sonst keine Kapitalistin ihr Kapital
in diesen Zweig des kapitalistischen Gesamtprozesses investierte. Der Profit des
Kaufmannskapitals wird aus einem Bruchteil des Profits des produzierenden Kapitals
bestritten.
2. Zins
Der Zins wird im fünften Abschnitt des dritten Bands des
"Kapital" eingeführt. In diesem letzten Band (oder vorletzten, wenn man das
ursprüngliche marxsche Programm zugrundelegt) geht es um den Gesamtprozeß der
kapitalistischen Reproduktion. Der Zins tritt also als analytische Kategorie erst auf der
Ebene des Zusammenhangs im kapitalistischen Nationalstaat auf. Und nicht etwa auf der
Ebene des einfachen Warentauschs (W - G - W) und auch nicht auf der Ebene der Reproduktion
des Kapitals als Kapital (G - W - G'), die beide Gegenstand des ersten Bands des
"Kapital" sind. (Der dritte Band ist gar nicht so schwierig zu verstehen; schade
aber, daß viele nach dem ersten Band aufhören zu lesen!)
"Geld - hier genommen als selbständiger Ausdruck einer Wertsumme, ob sie
tatsächlich in Geld oder Waren existiere - kann auf Grundlage der kapitalistischen
Produktion in Kapital verwandelt werden und wird durch diese Verwandlung aus einem
gegebenen Wert zu einem sich selbst verwertenden, sich vermehrenden Wert. Es produziert
Profit, d.h. es befähigt den Kapitalisten, ein bestimmtes Quantum unbezahlter Arbeit,
Mehrprodukt und Mehrwert, aus den Arbeitern herauszuziehen und sich anzueignen. Damit
erhält es, außer dem Gebrauchswert, den es als Geld besitzt, einen zusätzlichen
Gebrauchswert, nämlich den, als Kapital zu fungieren. Sein Gebrauchswert besteht hier
eben in dem Profit, den es, in Kapital verwandelt, produziert. In dieser Eigenschaft als
mögliches Kapital, als Mittel zur Produktion des Profits, wird es Ware, aber eine Ware
sui generis. Oder, was auf dasselbe herauskommt, Kapital als Kapital wird zur
Ware."(MEW Bd. 25, S. 351)
"Gesetzt, die jährliche Durchschnittsprofitrate sei 20%. Eine Maschine im Wert von
100 £St. würde dann, unter den Durchschnittsbedingungen und mit dem
Durchschnittsverhältnis von Intelligenz und zweckmäßiger Tätigkeit als Kapital
verwandt, einen Profit von 20 £St. abwerfen. Ein Mann also, der 100 £St. zur Verfügung
hat, hält in seiner Hand die Macht aus 100 £St. 120 zu machen oder einen Profit von 20
£St. zu produzieren. Er hält in seiner Hand ein mögliches Kapital von 100 £St.
überläßt dieser Mann für ein Jahr die 100 £St. einem anderen, der sie wirklich als
Kapital anwendet, so gibt er ihm die Macht, 20 £St. Profit zu produzieren, einen
Mehrwert, der ihn nichts kostet, wofür er kein äquivalent zahlt. Wenn dieser Mann dem
Eigner der 100 £St. am Jahresschluß vielleicht 5 £St. zahlt, d.h. einen Teil des
produzierten Profits, so zahlt er damit den Gebrauchswert der 100 £St., den Gebrauchswert
ihrer Kapitalfunktion, der Funktion, 20 £St. Profit zu produzieren. Der Teil des Profits,
den er ihm zahlt, heißt Zins, was also nichts ist als ein besondrer Name, eine besondre
Rubrik für den Teil des Profits, den das fungierende Kapital, statt in die eigene Tasche
zu stecken, an den Eigner des Kapitals wegzuzahlen hat." (a.a.O., S. 351)
Die Bewegung, die das Geld in obigem Beispiel vollzieht, läßt sich in der Figur G - G -
W - G' - G' beschreiben. Im ersten Stellenwechsel wird Geld als Schatz in der Hand des
Eigners zu Geld als potentiellem Kapital in der Hand des Leihers. Danach wird Geld zu
Kapital, verwertet sich entsprechend der Formel G - W - G'. Als G' oder G+DG fließt es
aus der Hand des als Kapitalisten fungiert Habenden zurück zum Eigentümer. DG ist hier
nicht gleich dem ganzen Profit, sondern gleich einem Teil des Profits, dem Zins. Es kommt
hierbei nicht auf den tatsächlich erzielten Profit an, sondern auf den unter normalen
Umständen erzielbaren Durchschnittsprofit. Geld wird also als Kapital verliehen. Der
Eigner erhält als Gegenwert einen Teil des mit seinem Geld das durch die Hand eines
anderen Kapital geworden ist erzielten Profits. Das ermöglicht es dem Eigner, sein Geld
zu verwerten, ohne selbst aktiv werden zu müssen. Umgekehrt kann der Leihende Kapitalist
werden, ohne selbst über (genug) Geld zu verfügen, um dieses zu Kapital zu machen. Wie
bestimmt sich nun die Höhe des Zinses?
3. Zinssatz
Es ist unmittelbar einleuchtend, daß der Zins höchstens
gleich dem Profit sein kann, da sonst der Leiher kein Interesse mehr hat, als Kapitalist
tätig zu werden. Andererseits kann der Zins nicht null sein, da sonst der Eigner kein
Bedürfnis verspüren kann, sein Geld zu verleihen. Die Höhe des Zinsfußes (Zinsrate,
Zinssatz) liegt also irgendwo zwischen 0 und 100 % des Profits. Die
Durchschnittsprofitrate bildet eine absolute Obergrenze für den Zins. Der Gebrauchswert
der auf den Markt geworfenen Ware Kapital ist seine Potenz, Quelle von Mehrwert zu sein.
Ebenso wie die Marktpreise anderer Waren durch die Konkurrenz bestimmt werden, wird die
Höhe des Zinses durch den Markt festgelegt (innerhalb der angegebenen Grenzen):
"Unter der natürlichen Rate des Zinsfußes versteht man [...] die durch die
freie Konkurrenz festgelegte Rate." (a.a.O. S. 369)
"Es ist in der Tat nur die Trennung der Kapitalisten in Geldkapitalisten und
industrielle Kapitalisten, die einen Teil des Profits in Zins verwandelt, die überhaupt
die Kategorie des Zinses schafft; und es ist nur die Konkurrenz zwischen diesen beiden
Sorten Kapitalisten, die den Zinsfuß schafft."(a.a.O., S. 383)
"Da man gesehn, daß die Höhe der Profitrate im umgekehrten Verhältnis steht
zur Entwicklung der kapitalistischen Produktion, so folgt daher, daß der höhere oder
niedre Zinsfuß in einem Lande in demselben umgekehrten Verhältnis zur Höhe der
industriellen Entwicklung steht, soweit nämlich die Verschiedenheit des Zinsfußes
wirklich Verschiedenheit der Profitraten ausdrückt." (a.a.O., S. 371)
"Jedenfalls ist die Durchschnittsrate des Profits als die endgültig bestimmende
Maximalgrenze des Zinses zu betrachten. [...] Wenn man die Umschlagszyklen betrachtet,
worin sich die moderne Industrie bewegt Zustand der Ruhe, wachsende Belebung,
Prosperität, überproduktion, Krach, Stagnation, Zustand der Ruhe etc. [...] so wird man
finden, daß meist niedriger Stand des Zinses den Perioden der Prosperität oder des
Extraprofits entspricht, Steigen des Zinses der Scheide zwischen der Prosperität und
ihrem Umschlag, Maximum des Zinses bis zur absoluten Wucherhöhe aber der Krisis. [...]
Der Zinsfuß erreicht seine äußerste Höhe während der Krisen, wo geborgt werden muß,
um zu zahlen, was es auch koste." (a.a.O. S., 37273)
4. Anmerkungen zur logischen und historischen
Entwicklung des Handelskapitals.
Historisch gehören Kaufmannskapital und Wucherkapital zu den
ältesten Formen des Kapitals, die schon lange vor der Etablierung kapitalistischer
Verhältnisse entstanden sind. Wie kommt das? Wir haben gesehen, daß die
Kapitalfunktionen, die Kaufmannskapital und Geldhandlungskapital ausführen,
Teilfunktionen der Reproduktion des Kapitals sind. In Marx' theoretischer Ableitung werden
sie als Sonderfunktionen eingeführt, die sich erst auf der Grundlage entwickelter
kapitalistischer Produktion als solche verselbständigen und autonom werden (Das
Kaufmannskapital war schon vor der Etablierung entwickelter kapitalistischer Verhältnisse
selbständig, verliert aber an Macht an das sich entwickelnde produktive, zu dessen
Funktionär es wird). Wie kommt es, daß die historische Entwicklung dem überhaupt nicht
entspricht? Zunächst Marx zum Kaufmannskapital:
"Nicht nur der Handel, sondern auch das Handelskapital ist aber älter als die
kapitalistische Produktionsweise, ist in der Tat die historisch älteste freie
Existenzweise des Kapitals." (a.a.O., S. 336)
Als Ursache dafür, daß das Kaufmannskapital lange vor der Etablierung entwickelter
kapitalistischer Verhältnisse auftritt, gibt Marx die Verortung des Kaufmannskapitals in
der Zirkulationssphäre an:
"Weil das Handlungskapital eingepfercht ist in die Zirkulationssphäre und seine
Funktion ausschließlich darin besteht, den Warenaustausch zu vermitteln, so sind zu
seiner Existenz [...] keine anderen Bedingungen nötig als zur einfachen Waren und
Geldzirkulation." (a.a.O., S. 336)
Das bedeutet, daß das Kaufmannskapital überall da auftreten kann und auch auftritt, wo
Arbeitsprodukte als Waren ausgetauscht werden. Diese Bedingung ist hinreichend dafür,
daß sich ein Berufszweig, der sich auf den Warenaustausch spezialisiert, bildet. Dabei
ist es gleichgültig, wie die gesellschaftlichen Verhältnisse ansonsten beschaffen sind,
ob die Waren von Sklaven oder Leibeigenen erzeugt wurden, ob es sich um Diebesgut oder
sonst etwas handelt.Mit dem Wucherkapital verhält es sich ähnlich:
"Die Existenz des Wucherkapitals erfordert nichts, als daß wenigstens ein Teil
der Produkte sich in Waren verwandelt und zugleich mit dem Warenhandel das Geld sich in
seinen verschiedenen Funktionen entwickelt hat." (a.a.O., S. 607)
Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann sich das Wucherkapital ausbilden. Das
gesellschaftliche Umfeld, in dem das stattfindet, kann völlig unbeleckt von
kapitalistischer Produktionsweise sein. Die hauptsächlichen Formen des Wuchers sind das
Geld Verleihen an Reiche, die es zu ihrer persönlichen Konsumtion verwenden und das
Verleihen an arme Produzenten, die damit Produktionseinbußen ausgleichen. Diese beiden
Formen, das Verleihen an den "verschwenderischen Großen", also den Adeligen
oder Großgrundbesitzer zum Zweck des privaten Verbrauchs und das Verleihen an kleine
Produzenten, Bauern und Handwerker (Eigentümer ihrer Produktionsmittel), sind die
bestimmenden in der vorkapitalistischen Phase. Diese beiden Funktionen unterscheiden sich
deutlich von der modernen kapitalistischen Bankiersfunktion sie sind unter den Bedingungen
entwickelter kapitalistischer Produktion nebensächlich. Das Wucherkapital ist in gewisser
Hinsicht der Geburtshelfer der bürgerlichen Produktionsweise. Der Ruin, in den die
verschuldete Aristokratie und der ebenso verschuldete Handwerker oder Bauer durch den
Wucher getrieben wurden, ist die Basis, auf der die kapitalistische (ursprüngliche)
Akkumulation einsetzen kann. Umgekehrt wird das Wucherkapital im Zuge der
Verallgemeinerung der kapitalistischen Produktionsweise den Bedürfnissen dieser
untergeordnet, es verliert seine Vorreiterrolle und wird zum Teilfunktionen ausführenden
Bankkapital unserer Tage.
5. Schlußbemerkung
Die Kritik an Silvio Gesell, er taste in seiner Kritik der
"Zinswirtschaft" die Grundlagen der Warenproduktion nicht an, ist völlig
richtig, kann aber noch erweitert werden: Seine Vorstellungen einer Warenproduktion ohne
Zins belegen, daß ihm die Rolle des verleihenden Kapitals in der kapitalistischen
Produktion, die Bestimmung des Zinses und die Mechanismen, die seine Höhe festlegen,
völlig unklar sind. Er sieht nicht, daß der Zins als Teil des Profits gleichzeitig die
Voraussetzung seiner Realisation darstellt. Wenn Gesell den Zins und nur den Zins
kritisiert, feiert er damit den "reinen" Profit, kritisiert also den
Kapitalismus vom Standpunkt des Einzelkapitalisten, der den Gesamtprozeß nicht sehen
will. Gesells Forderung, den Zins abzuschaffen, ist nichts als eine Aufforderung an die
Kapitalisten, ihre Arbeitsteilung aufzugeben und aus jedem Kapital fungierendes zu machen.
Die Abschaffung des Zinses soll nach Gesell zur Folge haben, daß alles Geld dazu
gedrängt wird, sich als Kapital zu verwerten. Er ignoriert dabei die Tatsache, daß das
Auftreten des Geldhandlungskapitals und des verleihenden Kapitals erst einen Großteil
gehorteten Geldes oder Schatzes (Ersparnisse, Rücklagen) zu Kapital zu machen vermag.
Gesell fordert also von jeder Großmutter, die 2000 Mark auf dem Sparbuch hat, sie solle
dieses Geld zu Kapital machen und auf ihre alten Tage Kapitalistin werden. Daß das Unsinn
ist, leuchtet ein. Im Gegenteil ist das Sparbuch eine Einrichtung, die gerade zum Ziel
hat, Geld auch in kleinen Mengen zu Kapital zu machen: das ist die "Profession"
der Haspa.
Quelle: http://www.magnet.at/Krisis/ |