Dreißig Jahre Deutsche Einheit – ein
kritischer Rückblick
Während die
deutsche Bundesregierung und andere
Institutionen an diesem Wochenende bei
zahlreichen Gelegenheiten das 30. Jubiläum
der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990
feiern, haben die FIR und ihre
Mitgliedsvereinigungen Grund, eine kritische
Bilanz zu ziehen.
Wir vergessen nicht, dass mit diesem Datum
nicht nur die DDR, die von ihrem
Selbstverständnis ein antifaschistischer
Staat war, der BRD angeschlossen wurde und
damit alle ihre Errungenschaften auf den
Prüfstand der Verwertbarkeit im Sinne der
neuen Politik gestellt wurden, sondern dass
viele sozialpolitische Regelungen im Sinne
der Veteranen des antifaschistischen Kampfes
in Frage gestellt waren. Zwar existierten
noch Ehrenrenten für die „Opfer des
Faschismus“. Wer aber „staatsnah“ im Sinne
der DDR gearbeitet hatte – und viele
Widerstandskämpfer haben sich für diesen
antifaschistischen Staat eingesetzt –, der
verlor den Anspruch auf diese Leistung.
Wir
vergessen nicht, dass faschistische Täter,
die in der DDR zu lebenslanger Haft
verurteilt waren, nun wegen „Unrechtsjustiz“
freigelassen wurden, während der Minister
für Staatssicherheit Erich Mielke, 1992 auf
der Grundlage von faschistischen
Verfolgungsakten wegen eines vorgeblichen
„Mordes“ an zwei Polizeibeamten im Jahre
1931, zu 6 Jahren Haft verurteilt wurde und
natürlich seine Ehrenrente verlor.
Wir vergessen nicht, dass bereits am 3.
Oktober 1990 zahlreiche gewalttätige
Übergriffe neonazistischer Gruppen nicht
allein in der ehemaligen DDR, sondern auch
in der alten BRD gegen politische Linke und
Ausländer stattfanden. Das waren Vorboten zu
den späteren rassistischen Pogromen in
Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen und
Solingen.
Wir
vergessen nicht, dass mit dieser Vereinigung
eine Verdrängung antifaschistischer
Erinnerung in allen Teilen der ehemaligen
DDR begann, indem Gebäude und Institutionen
ihre z.B. an Widerstandskämpfer erinnernde
Namen verloren, Straßennamen mit der
Erinnerung selbst an KZ-Häftlinge in
politisch genehme Personen umbenannt wurden.
Zudem erlebten wir massive politische
Angriffe auf die Nationalen Mahn- und
Gedenkstätten an Orten ehemaliger
Konzentrationslager und andere
Erinnerungsorte.
Solche
Formen von Geschichtsverdrängung und
Geschichtsrevision haben nicht nur die
deutschen Antifaschisten vor 30 Jahren
erleben müssen, sondern in vielen Ländern
der ehemaligen sozialistischen
Staatengemeinschaft fanden solche Angriffe
auf die antifaschistische Erinnerung statt.
Bis heute erleben wir solche Bestrebungen
vom Baltikum über Polen und Kroatien sowie
anderen Ländern, wobei sich die Verbände der
FIR und Vertreter der Zivilgesellschaft mit
ihren Protesten dagegen hörbar zu Wort
melden.
Wir
vergessen nicht, dass vor 30 Jahren
Regierungen in Mittel- und Osteuropa dazu
übergingen, die materielle Unterstützung für
die Arbeit der Veteranen- und
Verfolgtenverbände massiv einzuschränken,
teilweise sogar ganz zu streichen. Damit
wurde versucht, der antifaschistischen
Gedenk- und Erinnerungsarbeit die Grundlage
zu entziehen. Doch es war schon damals ein
Zeichen der Lebendigkeit der Idee des
Antifaschismus, dass es in fast allen
Ländern gelang, auf der Basis neuer
Strukturen die Organisationen bzw. die
politische Erinnerungsarbeit am Leben zu
halten. Als die DDR am 3. Oktober 1990 der
BRD angeschlossen wurde, existierten bereits
arbeitende Strukturen eines „Bundes der
Antifaschisten“ und eines
„Interessenverbandes ehemaliger Teilnehmer
am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter
des Naziregimes und Hinterbliebener“
(IVVdN), der bis zur Vereinigung mit der
VVN-BdA im Jahre 2002 in der FIR vertreten
war.
Die FIR dankt allen Antifaschistinnen und
Antifaschisten, die in jener Zeit der
politischen Umbrüche aktiv für die Ideale
der antifaschistischen Erinnerungsarbeit und
gegen das Wiederaufleben neofaschistischer
Kräfte eingetreten sind. In ihrer Tradition
setzten wir heute die politische Arbeit
fort.
Quelle:
Zusendung
per Email am 2.10.2020

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