Kommentare zum Zeitgeschehen

Schattenpolitik

Ein Zeitschriftenhinweis von Richard Albrecht

10/2019

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I.

Die inzwischen im 5. Jahrgang erscheinende politikdidaktische Zeitschrift des Frankfurter Wochenschau-Verlags kommt optisch ansprechend im DIN-A-4-Format daher mit großen und auch kleinen Fotos, ist gut gegliedert und leserlich. Schattenpolitik als Schwerpunktthema des aktuellen Hefts mit acht thematischen Beiträgen klingt so aktuell und wie kritisch. Es gibt weiters diverse Rezensionen und Lesetipps. Und dazu auch inselhaft einmontierte Merksprüche als Zitate wie ein mir bisher unbekanntes von Frank Zappa ("Politik ist die Unterhaltungsabteilung der Wirtschaft") und ein mir bekanntes eines Bertold Brecht genannten Autors ("Alle Macht gehr vom Volke aus! Aber wo geht sie hin?")

Etwa 20 Seiten des Politikum-Hefts sind unschwer als Fremd- und Selbstreklame erkennbar. Darunter Werbung für zwei an neue bundesfamilienministerielle Gesetze erinnernde Wochenschaubände: Was ist gute ökonomische Bildung? und Was ist gute politische Bildung? auf der Heftrückseite.


POLITIKUM. Analysen / Kontroversen / Bildung. Ausgabe 3/2019. Herbst 2019 SCHATTENPOLITIK.  Hg. Hans-Jürgen Bieling. Wochenschau Verlag, 82 p.,ISSN 2364-4737, 12.80 €. Gratis-Probeheft über  info@wochenschau-verlag.de

II.

"Schatten ausleuchten" nennt Heftherausgeber H.-J. Bieling vage das Anliegen. Zentral dazu U. v. Alemanns Aufsatz "Schattenpolitik – Grauzonen politischen Handelns. Legitim oder illegitim". Dem folgen: unterm Label "Mehr Licht als Schatten" eine professoral-positive Bewertung von Expertenkommissionen der aktuellen Bundesregierung (S.T. Siefken), ein Interview eines grünen Verbandsfunktionärs zum "Schatten des Finanzsektors" (G. Schick), Texte zum Lobbying als informelles Machtstreben in der EU-Politik (M. Roos), im Verkehr (O. Schwedes & B. Sternkopf) und ein Überblick eines Verbandsfunktionärs von Lobby Control Berlin (T. Lange). Den thematischen Block beschließen informative Hinweise zur Rolle des "Verfassungsschutzes im NSU-Komplex" unterm Titel "Who watches the watchmen?" (S.M. Erben) und zur informellen Politik in medialen Dramaserien (U. Hamenstädt).

U. v. Aleman, der Schattenpolitik begrifflich und konzeptionell richten soll, hat seinen Hinweisen zufolge sowohl den (an "Schattenwirtschaft" angelehnten) Begriffs 1994 erfunden als auch dessen inhaltliche Füllung als "Lobbyismus" 2006 versucht. Und vage wird auch hier mit "Licht und Schatten" und farblosen Grauschattierungen hantiert und in drei an Mikro, Mezzo und Makro erinnernde Dimensionen "Schattenpolitik als diejenigen politischen Aktivitäten" definiert, "die im Unterschied zur offiziellen (öffentlichen und privaten) Politik nicht oder nur teilweise in die formale Politikformulierung eingehen, obwohl sie Teil der gesamtgesellschaftlichen Politikproduktion sind."

Abgesehen von Beispielen wird diese "Politikformulierung" in einer sechs-Felder-Tafel als "Schattierungen des Informellen" und nach dem Status: legal / legitim gefaßt in weiße (legitim und legal), graue (illegitim und legal) und schwarze (illegitum und illegal) Bereiche; wobei der "Graubereich der Schattenpolitik" (vor allem wegen der von Legitimität sowie des Gegenbebegriffs Illegitimität) sich "wie ein Chamäleon wandelt" (gemeint: rapidem gesellschaftlichem Wandel unterliegt)

Leiderschade, daß v. Alemann dem von Transparency International (2015) als ungleichem Verhältnis ("hidden influence, priviledged access") auch in seiner Bedeutung fürs Phänomen der "hidden society" (Vilhelm Aubert) als struktureller Ungleichheit ebensowenig nachgeht wie er es im Ausblick unterläßt, sein konformpolitologisches Engfeld soziologisch und staatstheoretisch (im Sinn von Rudolf J. Rummel) zu erweitern mit Blick auf Entwicklungen zum tiefen, parallelen und arcanischen Staat.

III.

Das vorliegende Heft zur Schattenpolitik wirkt auf mich, ums am Beispiel des Leittextes von v. Alemann als prominentem, SPD-nahen NRW-Lehrstuhlprof.[1] und immer noch aktiven Ideologen des gegenwärtig wirksamen ganzdeutschen Politmedienkomplexes anzusprechen, zwiespältig: ein Auge lacht, weil lange ausgegrenzte und marginalisierte Positionen nicht nur in ihrer Kritik an konspirativer speak-easy-Politik nun teilweise aufgenommen werden (müssen), um nicht noch weitere Entgesellschaftlichungsprozesse zu befördern; das andere Auge tränt, weil diejenigen, die sich für diese Positionen nicht erst seit letztem Frühjahr, sondern bereits vor Jahrzehnten weiterführend und wo möglich auch öffentlich engagierten[2], nach wie vor wo immer möglich (im Sinne von Kenneth Bouldings "malevolent hostility" als größtmöglicher Feindschädigung) ausgegrenzt und marginalisiert werden. Insofern mag dieses POLITIKUM SCHATTENPOLITIK veranschaulichen: auch hier keine Spur des erforderlichen kulturellen Bruch ...


Anmerkungen

[1] https://www.phil-fak.uni-duesseldorf.de/pw-alemann/ https://de.wikipedia.org/wiki/Ulrich_von_Alemann

[2] s. anstatt weiterer Richard Albrecht, The Utopian Paradigm; in: Communications, 16 (1991) 3: 283-318; ders., Macht machtet. Ohnmacht nicht; in: soziologie heute, 6 (2013) 31: 20-23; ders., Das Gesetz des Schweigens: Leonardo Sciascia und der Tiefe Staat; in: junge Welt 27. 4. 2013 (Wochenendbeilage: 6); ders., GESELLSCHAFT. Eine Einführung in soziologische Sichten; in: Aufklärung und Kritik, 21 (2014) II: 169-187; sowie Wilma Ruth Albrecht, Politik von unten; in: Neue Politische Literatur, 32 (1987) 1: 75-91; Richard Albrecht, Kultur im ländlichen Raum, in: Alternative Kommunalpolitik, 14 (1993) 5: 40-42


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