Die AfD ist keine
Eintagsfliege, die sich mit bloßen Unmutsäußerungen
verscheuchen lässt. Tief im System verwurzelt
treibt sie mit Macht ihre Blüten hervor. Mit der
sich unaufhörlich verschärfenden Systemkrise ist
ihre Zeit gekommen. Angesichts sich gegenseitig
stimulierender autodestruktiver Prozesse stellt
sich die Frage: Was hat diese Entwicklung
hervorgebracht, worin liegen ihre Ursachen? Aus der
Nazizeit überlebende Strukturen und faschistisches
Gedankengut starben zwar in der
Nachkriegsgeschichte der BRD nie aus, blieben aber
bis zum Ausbruch der Krise verhältnismäßig
marginal. Erhalten blieb bis heute dennoch ein
harter Kern, der wie ein Samenkorn aus sich
herauswachsen und neue Früchte tragen kann, wird er
von den Herrschenden an die Sonne gelassen.
Faschismus ist eine Staatsform des Kapitalismus.
Sie wird virulent, steht die parlamentarische
Demokratie gewandelten Herrschaftsinteressen und
neuen Bedingungen im Weg. Der Glaube, Freiheit,
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bilden die
natürliche Daseinsform des Kapitalismus, ist tief
in die Gemüter gedrungen, so dass der AfD nicht
zugetraut wird, was ihr unbedingt zugetraut werden
muss: dass sie mit all den lieben Begriffen zwar
jongliert, nicht aber vorhat, sie weder zu
erhalten, noch zu verwirklichen. Ihre Ideologie
kann dergleichen nicht gebrauchen. Sie favorisiert
die diktatorisch geführte, rassisch überlegene
Volksgemeinschaft. Das wolle und das könne sie
nicht, ist die andere Seite dieses Glaubens, die
sich in Form des Nichtglaubens zeigt.
Die AfD feiert heute
Triumphe, von denen die NPD weit entfernt war.
Woran lag das? Die NPD glich in ihrem
Erscheinungsbild nicht selten einem
grobschlächtigen Nazihaufen und trat im kriegsmüden
Westdeutschland eine Spur zu martialisch auf; aber
das war nicht der entscheidende Grund. In nicht
geringem Umfang wirkte sie auch lächerlich bis
grotesk. Auch deswegen blieb sie nicht unbedeutend,
denn lächerlich und grotesk gerieren sich auch
andere Parteien. Die AfD bildet keine Ausnahme. Wer
sie ohne ideologische Verblendung nüchtern
betrachtet, wird stellenweise nicht umhin können,
sie für den organisierten Idiotismus zu halten.
Tatsächlich hat sie nichts anzubieten, was
rationalen kritischen Überlegungen standhält,
insoweit es um gesellschaftspolitische Gestaltung
von Gegenwart und Zukunft geht. Dennoch ist sie als
politischer Faktor ernst zu nehmen – sehr ernst.
Denn so wie sie ist, ist sie für ihre Aufgabe
bestens geeignet. Sie steht auf fester Grundlage.
Das System steht hinter ihr. Sie muss sich nicht um
komplizierte ökonomische und soziale Fragen
kümmern. Kultur ist ohnehin nicht ihre Sache. Ihre
Aufgabe besteht primär darin, Herrschaftswillen zu
vermitteln und zu vollstrecken. Ihr geistiger
Horizont ist im Wesentlichen nicht weiter, als der
der NPD. Doch sie hat deren Fehler vermieden, ist
vorgestoßen, als es die Situation verlangte. Sie
hat die Krise gerochen und sich parlamentarisch
salonfähig gemacht; sie hat frühzeitig begriffen,
dass die Demokratie nicht von außen, also
außerparlamentarisch, sondern am besten von innen
zu liquidieren ist. Ein purer – quasi
faschistischer – Staatsstreich könnte katastrophale
Folgen haben – sowohl für die Herrschenden, als
auch für die Gesellschaft. Zudem gingen seine
seismischen Wellen um den Globus. Der kalte,
indirekte, gesetzliche, rechtsstaatlich maskierte
Staatstreich wird vorgezogen. Die Systemkrise
erzwingt ihn. Die NPD spielt keine Rolle mehr. Sie
ist ins Fahrwasser der AfD geraten und gehört
inzwischen zu ihrer Schwungmasse. Als sie im
rechten Lager den Ton angab, wirkte die Krise noch
im Verborgenen. Der Sozialstaat wurde noch nicht
oder nur geringfügig geschröpft. Von wachsendem
Volkszorn war noch nicht die Rede.
Krisenfrei war der
Kapitalismus noch nie. Seine zyklischen Krisen, so
hart sie mitunter auch ausfielen, erwiesen sich
immer als Motor seiner Weiterentwicklung. Die NPD
blieb aber auch in krisenhaften Zeiten marginal,
woraus sich folgern lässt, dass sämtliche Krisen in
der bundesdeutschen Geschichte nicht ausreichten,
sie auch nur in annähernd vergleichbare Höhen zu
befördern, wie sie sie heute die AfD erreicht hat.
Nun ließe sich sagen, zwischen beiden Parteien gebe
es Unterschiede. Worin aber sollen die bestehen?
Qualitative sind nicht zu erkennen. Verschiedene
Taktiken, Färbungen, Sprachregelungen etc. bilden
keinen qualitativen Unterschied. Nicht anders
verhält es sich zwischen Linkspartei und SPD.
Beide, AfD und NPD sind rassistische, den
repressiven, diktatorischen Staat anstrebende
Parteien. Dass sie sich durch verschiedene
Namensgebung unterscheiden, spielt inzwischen keine
Rolle mehr. Sie bilden ein Lager. Hätte sich die
NPD damals AfD genannt, wäre es ihr nicht anders
ergangen als es ihr ergangen ist. Die aktuelle
Systemkrise ist die Geburtshelferin und
Nahrungsquelle der AfD. Sie ist im Begriff, sie
politisch zu gestalten.
Ist er alt, ist die
Bezeichnung „Spätkapitalismus“ übertrieben oder gar
falsch? Oder prosperiert, wächst und gedeiht er
unaufhörlich weiter? Der staatlichen und medialen
Propaganda zufolge taumle er nur ein bisschen vor
sich hin, bleibe aber alternativlos ewiges
Zukunftsprojekt. Von seinen Schattenseiten, seinen
dunklen und immer dunkleren ist selten, und wenn
nur in abschwächender Weise die Rede. Stattdessen
werden Gewinne der Finanzwelt, das Glück der
Reichen in einer Weise verallgemeinert, als handele
es sich um Gewinne und Glück der ganzen
Gesellschaft. Diese Augenwischerei soll wie immer
schon die Menschen damit befrieden, dass sie,
können sie sich zwar selber keinen Kuchen leisten,
wenigsten die Gelegenheit haben, den Reichen und
Mächtigen beim Kuchenessen zuzuschauen.
Auch dem Kapitalismus
ist kein ewiges Wachsen beschieden. Ihm sind
Grenzen gesetzt. Die bestehen darin, dass die von
ihm immer neu entfesselten Produktivkräfte an die
Grenze der Produktions- und Eigentumsverhältnisse
stoßen. Die vorherrschende Systemkrise,
insbesondere ihre ständig zunehmende Dynamik,
unterscheidet sich von seinen zyklischen, ihn
vorwärts treibenden Krisen dadurch, dass sie ihn
nicht mehr bereinigt, von überflüssig Gewordenem
befreit und die Produktion auf eine neue
Entwicklungsstufe hebt, sondern Ausdruck einer
grassierender Verwertungskrise ist. Anders gesagt,
die in seiner Logik angelegte Überproduktion hat zu
einer dramatischen Verengung der
Kapitalverwertungsbedingungen geführt. Insofern
liegt der Gedanke nicht fern liegt, es handele sich
um die finale Krise des westlichen Spätkapitalismus
und damit um seinen Eintritt in den Prozess seiner
Selbstnegation. Sie ist kein anderes Wort für
Zusammenbruch. Sie meint Zerstörung der
Zivilisation als Preis seiner damit alles
verheerenden Weiterexistenz. Nichts anderes meint
„Sozialismus oder Barbarei“. Diese Frage stellt
sich heute dringender denn je. Denn was hat die AfD
und ihren Anhang hervorgebracht und sie in
atemberaubendem Tempo heranwachsen lassen, wenn
nicht die sich bereits im Stadium der
Zivilisationszerstörung befindliche Krise!
Was die Systemkrise
bisher an demokratischen, rechtsstaatlichen,
sozialen und kulturellen Errungenschaften zerstört
hat, ist hinlänglich bekannt. Dieses
Zerstörungswerk hält an. Ein Ende ist nicht
abzusehen. Es steht zu befürchten, es wird nicht
aufhören, bevor die menschliche Zivilisation in
Trümmern liegt. Sind die Ursachen und ihre Folgen
aber systemisch bedingt, bedarf es einer Kraft, die
die Fesseln des gesamten Systems sprengt. Jeder
Versuch, den Zerstörungsprozess aufzuhalten, ohne
den Boden des Systems zu verlassen und ihm eine
Alternative entgegenzusetzen, ist zum Scheitern
verurteilt. Diese Kraft ist bisher in notwendiger
Weise nicht in Sicht. Was nicht heißt, dass sie
auch nicht zustande kommt. Es gärt an allen Ecken
und Kanten. Die Flut der Fragen steigt an.
Warum steigen
ununterbrochen die Mieten; warum schreiten Umwelt-
und Naturzerstörung ungehemmt voran; warum nimmt
die Massenverelendung zu; warum schreitet der
Polizei-und Überwachungsstaat voran; warum steigt
die Kriegsgefahr, das skrupellose Spielen mit dem
Atomkrieg; warum wird die Kluft zwischen Arm und
Reich immer größer? Der Katalog ist umfangreicher.
Doch die Beispiele reichen aus, sie dringend zu
beantworten. Die Antworten müssen in die Tiefe des
herrschenden Systems gehen, um ein tragfähiges
Lagebild zu bekommen. Warum und wodurch sind trotz
hoher Produktivkraftentwicklung und damit
verbundenem gesellschaftlich erzeugten Reichtums
all diese Verheerungen entstanden. Die Herrschenden
werden darauf nicht antworten. Das überlassen sie
ihren ideologischen Apparaten, die sie entsprechend
mystifizieren. Das einzige Problem, das sie außer
Profit wirklich beschäftigt, ist die Massen
verschärft unter Kontrolle zu halten, sie durch
Zwang zu befrieden und zu domestizieren. Die
Alternative, ihre soziale Lage zu verbessern oder
mindesten nicht weiter zu verschlechtern, besteht
in erforderlichem Maße nicht mehr. Der Sozialabbau
geht weiter. Aber warum? Warum wird überschüssiges
Geld nicht nach unten verteilt? Das geht nicht
mehr; und sei noch so viel Geld vorhanden: das
Kapital braucht es selber und kann davon nicht
genug haben.
Den Herrschenden
bleibt nur das Mittel verschärfter staatlicher
Repression, um wachsende Unzufriedenheit
einzudämmen. Der moderne Polizeistaat bedarf um
vorzeitiger Erstarrung zu entgehen der
ideologischen Vermittlung, d.h. eines ideologischen
Überbaus, der dafür sorgt, dass sich die
Gesellschaft an die neuen Verhältnisse gewöhnt und
sie auf allen Ebenen akzeptiert. Für diesen Umbau
und vorzunehmenden allgemeinen Gesinnungswandel ist
selbst die CDU nicht mehr zu gebrauchen. Die Krise
wird nicht als Krise betrachtet, sondern als
natürlicher, vom Schicksal der Völker auferlegter
Zustand, in dem nur die starken bestehen können und
demzufolge das Recht des Stärkeren herrscht.
Jegliche Art vermeintlicher Minderwertigkeit hat
sich zu unterwerfen und genießt nur eine geduldete
Existenz ohne verbrieftes Daseinsrecht. Das ist die
Kernauffassung des Faschismus, die nicht halb oder
nur teilweise zu haben ist. Praktizierte Rassismus
ist bereits Übernahme des Ganzen, auch wenn der
Rest aus taktischen Gründen verborgen gehalten
wird.
2.
Es ist nicht lange
her, als Wagenknecht den linken Parteien
bescheinigte, zu Mehrheiten nicht mehr fähig zu
sein. Wahrscheinlich hat sie das desaströse
Ergebnis der letzten Bundestagswahl zu dieser
Erkenntnis gebracht. Die Linkspartei verlor
besonders im Osten Stimmen an die AfD, hässlicher
Weise in ihrem politischen Stammesgebiet. Mit
linken Parteien meint sie vermutlich Grüne, SPD und
ihre, doch wie sie dazu kommt, diese drei Parteien
als links zu bezeichnen, verriet sie nicht.
Wagenknecht ist seit knapp drei Jahrzehnten am
Ruder, wurde ununterbrochen gefeiert und bejubelt
und hat ihre Partei nachhaltiger als Gysi geprägt.
Sie ließ nie Zweifel daran aufkommen, dass ihre
Partei nicht links genug sei. Die Linkspartei sei
selbstredend links. So war sie immer zu verstehen.
Was aber meint sie damit, linke Parteien fänden
keine Mehrheiten mehr? Hat sie damit nur
parlamentarische gemeint oder sieht sie Links
generell gescheitert? Angesichts des Umstandes,
dass die Linkspartei per Namensgebung Links für
sich reklamiert, ist Wagenknecht so zu verstehen,
dass Links keine Chance mehr hat. Die Gründung von
„Aufstehen“ bestätigt das. Es war eine
Bankrotterklärung, ohne dass in der Partei
sonderlich darüber geredet wurde. Wagenknecht
selbst, die sich kurz zuvor noch als großartige
linke Führungspersönlichkeit bewundern ließ, war
nicht mehr davon überzeugt, wovon sie kurz zuvor
die Massen noch überzeugen wollte.
Allem Anschein nach
sagt sie nicht die Wahrheit. Weder sie noch Gysi
haben je versucht, PDS oder Linkspartei in eine
sozialistische Richtung zu bringen. Ohne
sozialistischen Inhalt ist Links eine Floskel,
bloße Etikettierung. Die PDS war von Anfang an ein
Abklatsch der SPD. Sie konnte nur im Osten
gedeihen. Unabhängig von anderen Voraussetzungen
war der Reformismus dort noch nicht so abgenutzt
wie im Westen, wo die SPD als Reformpartei schon
lange abgemeldet war. Der PDS wurde ein bedeutender
Vertrauensvorschuss gegeben, den sie im Westen nie
bekommen hätte. Sie und ihre Nachfolgerin (oder
Umbenennung) haben ihn verbraucht, ohne damit auch
nur einen einzigen Erfolg erzielt zu haben. PDS und
Linkspartei operierten mit immer neuen Aufgüssen
des längst ausgelaugten Reformismus, die vom Sturm
der Krisendynamik wie welke Blätter hinweggefegt
wurden. Ob sie Forderungen stellten, Versprechungen
machten, immer wieder Gerechtigkeit verlangten – es
blieb hohles Gerede. 2017 verging den von der Krise
weit härter getroffenen Wählerinnen und Wählern im
Osten nach fast dreißig Jahren die Geduld. Sie
kündigten ihr die Treue auf und wechselten in
Scharen zur AfD. Nichts, aber auch gar nichts hatte
ihnen PDS/Linkspartei gebracht. Wagenknecht wird
sich kaum damit herausreden können, das alles habe
sie nicht gewusst, nicht einmal geahnt. Doch hätten
Gysi, Wagenknecht und ihre Leute der Wählerschaft
und ihrer Basis die Wahrheit gesagt, wären sie kaum
zu Ruhm, Ehren und gutem Einkommen gekommen.
Wagenknecht weiß, dass der Kredit für immer
verspielt ist: dass sie ohne Wählerbasis auch für
die Medien nicht mehr interessant ist. Gescheitert
ist keine sozialistische Linke größeren Ausmaßes.
Die hat sich noch nicht gebildet. Gescheitert sind
pseudolinke Parteien, wobei die Grünen nicht mehr
mitzuzählen sind. SPD und Linkspartei sind von der
Realität eingeholt worden. Der Niedergang der SPD
bildet einen elenden Anblick. Der Machtkampf in der
Linkspartei wird sie womöglich zerreißen oder in
die verdiente Unbedeutendheit werfen. Worum geht
der Kampf überhaupt? Um Ideen, um ein
sozialistisches Ziel. Davon ist nichts zu hören.
Die Linkspartei hat wesentlich dazu beigetragen,
den Linksbegriff zu diskreditieren. Gibt es aber
keine sozialistische Alternative, werden AfD und
ihr strategischer Hintergrund bei der Demontage der
Zivilisation leichtes Spiel haben.
3.
Mit ihrem Buch
„Reichtum ohne Gier“ hat Wagenknecht hinreichend zu
verstehen gegeben, dass sie kein sozialistisches
Ziel anstrebt. Und wenn sie als quasi bürgerliche
Berufspolitikerin einer pseudolinken Versammlung
den Rücken kehrt, weil mit ihr und ihren nicht mehr
glaubwürdigen Parolen nichts mehr zu holen ist, ist
das nur konsequent. Und hat sie nicht gesagt, sie
wolle zur AfD übergelaufene Wähler und Wählerinnen
zurückholen? Das hat sie gesagt. Doch womit will
sie die zurücklocken? Etwa mit den Köstlichkeiten,
die sie nicht mehr haben wollten, vor denen sie
Reißaus genommen haben? Das funktioniert nicht. Das
weiß sie. Folglich muss sie in Konkurrenz zu den
Köstlichkeiten der AfD treten. Wie soll das
funktionieren? Selbst mit einer pseudolinken
Partei, die immerhin den Schein wahren muss, geht
das nicht. Vor diesem Hintergrund wird klar, was
sich in ihrer Sammlungsbewegung „Aufstehen“ so
alles sammeln kann, d. h. sie muss auch für rechte
Gesinnungen Platz haben. Dass sie den erodierenden
und überwiegend
rechtsgeneigten Mittelstand als neue Basis anpeilt,
hat sie in „Reichtum ohne Gier“ zu erkennen
gegeben. In die Linkspartei die Abtrünnigen
zurückzuholen wird nicht gehen. In die
Sammlungsbewegung nur dann, bekommen sie dort
genügend Speisung aus rechtsradikaler Küche. Das
nimmt sie zumindest billigend in Kauf. Pseudolinke
Politik findet keine Mehrheiten mehr. Das hat sie
insofern richtig diagnostiziert. Dass sie als
Katalysator wirkt – dazu hat sie sich nicht
geäußert.
Editorischer
Hinweis
Wir erhielten den
Text vom Autor für diese Ausgabe.
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