26.9.2018
Die
soft-trotzkistische - im übrigen sehr
empfehlenswerte - “Sozialistische Zeitung“ (SoZ)
hat in ihrer Oktober 2028-Ausgabe wieder
einmal Harald Etzbach über Syrien schreiben
lassen. Thema ist - wie
könnte es anders sein - „die drohende humanitäre
Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes“, die mit
einer Rückeroberung der Provinz Idlib durch die
syrische Zentralregierung im Verbund mit Putins
Russlandeinhergehe. Etzbach ist ein
Syrien-„Spezialist“, wie leicht aus der Tatsache zu
entnehmen ist, dass er nicht nur von 25.000
Zivilisten in der Stadt
Idlib zu berichten weiss, die dort gegen das
syrische Regime und den drohenden Angriff auf die
Provinz demonstriert haben, sondern
auch von weiteren Großdemonstrationen in
hierzulande so gut gut wie
unbekannten Orten wie Maarat a-Numan, Atareb,
Kafranbel und Saraqeb. Die
unterdess bekanntlich durch ein vorläufiges
Abkommen zwischen Putin und
Erdogan vertagte Katastrophe würde eine an die
Türkei grenzende Provinz
betreffen, in der knapp 3 Millionen Menschen, davon
1,4 Millionen Vertriebene aus anderen Landesteilen
leben. Etzbach schreibt durchaus
zutreffend: „Zwar gibt es in Idlib eine
Präsenz von etwa 10.000 Kämpfern
der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS,
al-Qaeda nahestehend). Opfer wären
jedoch vorallem Zivilisten. Denn in die
Provinz Idlib hat das Regime in den letzten Jahren
alle die Menschen vertrieben, die sich der brutalen
Diktatur nicht beugen wollten“. Etzbach
kennt sich also bezüglich der -
oder besser einer Anzahl von - Fakten gut
aus - nicht jedoch bezüglich
der logischen Schlussfolgerungen.
Dass ein Angriff
auf Idlib Teil des seit Jahren wesentlich auch von
äußeren Interessenten
- darunter den „liberalen Demokratien“ - am Leben
gehaltenen Krieges gegen das diktatorische
Regime in Damaskus eine
Kriegshandlung ist, kann nicht bestritten werden.
Ebenso ist es nicht neu, dass es im Krieg viele
unschuldige Tote gibt - oft sogar die Mehrheit der
Opfer. Was hätten Etzbach und die Anhänger seiner
Denkschule zum Bürgerkrieg der
US-amerikanischen „Union“ gegen die
Südstaaten-„Konföderation“ gesagt, was zum
Angriff der Roten Armee auf das von Deutschen
besetzte Stalingrad, dem zweifellos auch viele
unschuldige Zivilisten - unabhängig vom Ausmaß
ihrer Liebe zu Stalin - zum
Opfer gefallen sind oder den Luftangriffen der
Allierten auf Köln oder
Hamburg. Ich nehme nicht an, dass Etzbach ein
glühender Verehrer Joseph Stalins ist oder auch nur
Winston Churchills und deshalb vom Kampf
des „Guten“ gegen das „Böse“ spräche. Etzbach, der
im übrigen durchaus
unzureichend nur die HTS als in Idlib präsente
sunnitisch-fundamentalistische und damit
jeglicher Demokratie feindliche Organisation
erwähnt, will offenbar auch nicht bemerken, dass
die 1,4 Millionen in
Idlib aus anderen Teilen Syriens Vertriebenen
großenteils eben
Gesinnungsgenossen und Angehörige jener im übrigen
zur Fortführung ihres
Djihads gegen die „Ungläubigen“ in Damaskus
Entschlossenen sind.
Selbstverständlich
muss man - nein: darf man - dem Baath-Regime in
Damaskus keine
besonderen humanitären und progressiven
Eigenschaften zuschreiben. Aber gibt es irgendeine
Regierung auf der Welt, die sich
kampflos von bewaffneten Gegnern beseitigen
lässt, von Feinden, von
denen sie weiß, dass diese sie nicht finanziell
wohlausgestattet ins Exil oder gar in Rente
schicken, sondern ihre Mitglieder und ihren
Anhang (im syrischen Fall darunter ein
Großteil der nicht-sunnitischen
Minderheiten, wenn auch nur aus Angst vor
den „Rebellen“) an die Wand
stellen werden? Dass Syriens Regime noch überlebt,
ist zweifellos wesentlich dem Eingreifen Russlands,
sowie des Irans und dessen
Verbündeter zu verdanken, aber nicht
ausschließlich. Nicht zuletzt ist
es dem zu verdanken, dass ein wachsender
Teil der Bevölkerung aus den
praktischen Erfahrungen mit dem sich über die Jahre
entwickelt habenden
Kräfteverhältnis
zwischen „gemäßigten“ Rebellen und den
verschiedensten Gruppen von Jihadisten oder
einfachen lokalen Räuberbanden ihr Heil in
einer ansonsten eher ungeliebten Regierung
sucht.
Um den Krieg zu
beenden, d.h. um der Mehrheit der Syrer ein
halbwegs erträgliches Leben zu ermöglichen, ist die
Liquidierung der „Rebellen“,
so wie sie heute mehrheitlich sind, offenbar
unverzichtbar. Dass „der
Krieg“ - wie es der spanische Anarchist und
Bürgerkriegs-„General“ Buenaventura Durruti
formulierte - „eine Sauerei
ist und nicht nur Häuser, sondern auch die höchsten
Prinzipien zerstört“, sollte
sich inzwischen herumgesprochen haben - im Lager
progressiver Gutmenschen aber ebenso auch die
Tatsache, dass zum Kriegführen
zwei gehören und deshalb der undifferenzierte Ruf
„Frieden! Frieden!“ in der
realen Welt irreal ist.
Editorial
Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese
Ausgabe.
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