Über Linke
Was immer das sein mag - und Unbelehrbare (in Sachen Syrien)

von Anton Holberg

10/2018

trend
onlinezeitung

26.9.2018

Die soft-trotzkistische - im übrigen sehr empfehlenswerte - “Sozialistische Zeitung“ (SoZ) hat in ihrer Oktober 2028-Ausgabe wieder einmal Harald Etzbach über Syrien schreiben lassen. Thema ist - wie könnte es anders sein - „die drohende humanitäre Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes“, die mit einer Rückeroberung der Provinz Idlib durch die syrische Zentralregierung im Verbund mit Putins Russlandeinhergehe. Etzbach ist ein Syrien-„Spezialist“, wie leicht aus der Tatsache zu entnehmen ist, dass er nicht nur von 25.000 Zivilisten  in der Stadt Idlib zu berichten weiss, die dort gegen das syrische Regime und den drohenden Angriff auf die Provinz demonstriert haben, sondern auch  von weiteren Großdemonstrationen in hierzulande so gut gut wie unbekannten Orten wie Maarat a-Numan, Atareb, Kafranbel und Saraqeb. Die unterdess bekanntlich durch ein vorläufiges Abkommen zwischen Putin und Erdogan vertagte Katastrophe würde eine an die Türkei grenzende Provinz
betreffen, in der knapp 3 Millionen Menschen, davon 1,4 Millionen Vertriebene aus anderen Landesteilen leben. Etzbach schreibt durchaus zutreffend: „Zwar gibt es in Idlib eine Präsenz von etwa 10.000 Kämpfern der Gruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS, al-Qaeda nahestehend). Opfer wären jedoch vorallem Zivilisten. Denn in die Provinz Idlib hat das Regime in den letzten Jahren alle die Menschen vertrieben, die sich der brutalen Diktatur nicht beugen wollten“. Etzbach kennt sich also bezüglich der - oder besser einer Anzahl von - Fakten gut aus - nicht jedoch bezüglich der logischen Schlussfolgerungen.

Dass ein Angriff auf Idlib Teil des seit Jahren wesentlich auch von  äußeren Interessenten - darunter den „liberalen Demokratien“ - am Leben gehaltenen Krieges gegen das diktatorische Regime in Damaskus eine Kriegshandlung ist, kann nicht bestritten werden. Ebenso ist es nicht neu, dass es im Krieg viele unschuldige Tote gibt - oft sogar die Mehrheit der Opfer. Was hätten Etzbach und die Anhänger seiner Denkschule zum Bürgerkrieg der US-amerikanischen „Union“ gegen die Südstaaten-„Konföderation“ gesagt, was zum Angriff der Roten Armee auf das von Deutschen besetzte Stalingrad, dem zweifellos auch viele unschuldige Zivilisten - unabhängig vom Ausmaß ihrer Liebe zu Stalin - zum Opfer gefallen sind oder den Luftangriffen der Allierten auf Köln oder Hamburg. Ich nehme nicht an, dass Etzbach ein glühender Verehrer Joseph Stalins ist oder auch nur Winston Churchills und deshalb vom  Kampf des „Guten“ gegen das „Böse“ spräche. Etzbach, der im übrigen durchaus unzureichend nur die HTS als in Idlib präsente sunnitisch-fundamentalistische und damit jeglicher Demokratie feindliche Organisation erwähnt, will offenbar auch nicht bemerken, dass die 1,4  Millionen in Idlib aus anderen Teilen Syriens Vertriebenen großenteils eben Gesinnungsgenossen und Angehörige jener im übrigen zur Fortführung ihres Djihads gegen die „Ungläubigen“ in Damaskus Entschlossenen sind.

Selbstverständlich muss man - nein: darf man - dem Baath-Regime in  Damaskus keine besonderen humanitären und progressiven Eigenschaften zuschreiben. Aber gibt es irgendeine Regierung auf der Welt, die sich kampflos von bewaffneten Gegnern beseitigen lässt, von Feinden, von denen sie weiß, dass diese sie nicht finanziell wohlausgestattet ins Exil oder gar in Rente schicken, sondern ihre Mitglieder und ihren Anhang (im syrischen Fall darunter ein Großteil der nicht-sunnitischen Minderheiten, wenn auch nur aus Angst vor den „Rebellen“) an die Wand stellen werden? Dass Syriens Regime noch überlebt, ist zweifellos wesentlich dem Eingreifen Russlands, sowie des Irans und dessen Verbündeter zu verdanken, aber nicht ausschließlich. Nicht zuletzt ist es dem zu verdanken, dass ein wachsender Teil der Bevölkerung aus den praktischen Erfahrungen mit dem sich über die Jahre entwickelt habenden  Kräfteverhältnis zwischen „gemäßigten“ Rebellen und den verschiedensten Gruppen von Jihadisten oder einfachen lokalen Räuberbanden ihr Heil in einer ansonsten eher ungeliebten Regierung sucht.

Um den Krieg zu beenden, d.h. um der Mehrheit der Syrer ein halbwegs erträgliches Leben zu ermöglichen, ist die Liquidierung der „Rebellen“, so wie sie heute mehrheitlich sind, offenbar unverzichtbar. Dass „der Krieg“ - wie es der spanische Anarchist und Bürgerkriegs-„General“ Buenaventura Durruti formulierte - „eine Sauerei ist und nicht nur Häuser, sondern auch die höchsten Prinzipien zerstört“, sollte sich inzwischen herumgesprochen haben -  im Lager progressiver Gutmenschen aber ebenso auch die Tatsache, dass zum  Kriegführen zwei gehören und deshalb der undifferenzierte Ruf „Frieden! Frieden!“ in der realen Welt irreal ist.

Editorial

Wir erhielten den Artikel vom Autor für diese Ausgabe.