Kommentare zum Zeitgeschehen
Subjektive Sozialstrukturen und veröffentlichte Diskurse

von Richard Albrecht[1]

10/2018

trend
onlinezeitung

Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrthum um uns her immer wieder geprediget wird.[2]

Die Umrisse von typischerweise Wahlen genannten Füllungen des Deutscher Bundestags als institutioneller Rahmen mit festgeschriebener Ausschlußklausel in Höhe von fünf Prozent ("Sonstige") durch parteipolitische Aktionen verwiesen im Spätsommer 2018 auf ein bekanntes Umfragemuster: Während etwa dreißig Prozent der Stimmberechtigten nicht wählten, verteilten sich die verbleibenden rund 70 Prozent der Wähler allerlei Geschlechter (etwa 43 Millionen der Gesamtbevölkerung ab 18 Jahre, folgend 100 Prozent) in ihrer Beantwortung der bekannten "Sonntagsfrage" bei den Zweitstimmen etwa zu 30 Prozent auf CDU/CSU, zu 20 Prozent auf SPD, zu 15 Prozent auf AfD, zu jeweils 10 Prozent auf Bündnisgrüne, FDP, PDL und zu 5 Prozent auf den Rest: Stimmen für sonstige politische Parteien und ungültig Wählende.

Eine klare Zweiteilung oder Polarisierung ergibt, keine Antworten unberücksichtigt, die politisch wichtige Frage nach der staatlich unkontrollierten Ein- oder Zuwanderung in die Bundesrepublik Deutschland: etwa 25 Prozent sind aktuell dafür, etwa 75 Prozent dagegen. Diese breite Ablehnung infolge der strategisch bewußten Zuspitzung einer unkonrollierten Grenzöffnung und der dem präsidialen US-Slogan Yes, we can nachgebildeten bundeskanzlerischen Wir-schaffen-das-Sprechblasenrhetorik Anfang September 2015 ist das eindeutige Hauptergebnis einer bisher drei Jahre andauernden und nicht grundlegend geänderten, volksfremden und mehrheitsfeindlichen großkoalitionären politischen Praxis.

Entsprechend des Selbstverständnisses nach sozialer Verortung ergibt sich auf Grundlage sozialer Selbsteinschätzung eine subjektive Sozialstruktur mit diesem Bild einer Schichtungspyramide von etwa 46 Millionen Menschen ab 18 Jahre auf dem BRD-Territorium (= 100 Prozent; ein Prozent machen etwa 460.000 aus): oberer Teil (jeweils etwa) 5 Prozent als herkömmliche "Elite" gut zwei Millionen, mittlerer 65 Prozent als erweiterter "Mittelstand" knapp 30 Millionen, unterer als "Arbeiterunterschicht" 25 Prozent oder 11,5 Millionen sowie der Rest: Ausgeschlossene / Weggesperrte / Asylbewerber / Illegale / Sonstige 5 Prozent oder gut zwei Millionen Menschen.

Natürlich gibt es innerhalb der vier Großgruppen wesentliche Unterschiede, etwa nach regionalen, ethnischen, konfessionellen wie nichtreligösen Faktoren. Und gewiß umfaßt der harte Kern ´der da oben´ mit maximal einem Prozent nicht mehr als etwa 460.000 Personen; um diesen Grundstock direkt gruppiert sind etwa zwei Prozent direkt Abhängige; um diese lagern noch einmal soviel weiterer Abhängige; so daß die obere Sozialgruppe etwa 5 Prozent oder gut zwei Millionen ausmacht. (Wie bei allen anderen Gruppen bleiben auch hier weitere innere Ausfächerungen nach Alter, Geschlecht, Sexualität, Erwerbstätigkeiten, Berufen, Bildung(sabschlüssen), Einkommen(sformen), Vermögen(sformen), Herkunft, An- und Aussehen, Auf- und Abwärtsbewegungen über Generationen ebenso unberücksichtigt wie Stadt-Land-Lebens- und Hand-Kopf-Arbeitsunterschiede sowie vieles mehr unberücksichtigt.)

Den Typ: Nichtwähler, etwa 13 Millonen Menschen, gibt es bei denen ´da oben´ kaum, wenn überhaupt, dann als "vereinzelte einzelne". Nichtwähler gibt es typischerweise in den beiden unteren Gruppen, vor allem zahlenmäßig bedeutend in der Großgrupppe ´da unten´, dazu minderheitlich in der größen und am stärksten nach zahlreichen Schichten untergliederten aller Gruppen, der Mittel(stands)gruppe. Die sogenannten öffentlichen Diskurse über Gott und die Welt, Fernsehen und Fußball, Stars und Schnäppchen, Wetter und Politik, Wahlen und Nichtwähler oder über was auch immer an aktuellen Sauen grad durch die Medienlandschaft getrieben werden mag sind vorwiegend veröffentliche Stimmungs- und Meinungsbilder aus den kommunikativ aktiven Teilen der oberen Gruppe und der Oberschicht der mittleren. Sie sind in Form und Inhalt und weitgehend unabhängig von der jeweiligen eigentumsbezogenen Verfaßtheit (öffentlich-rechtlich oder privatwirtschaftlich) ihrer Medien Äußerungen weniger Leute, die sich als Elite wähnen, sich elitär geben und von Teilen der anderen Gruppen und Schichten auch so (und keineswegs nur positiv) wahrgenommen werden.

Am konkreten Beispiel gesprochen: Wenn Ende August 2018 der bekannte Altsozi Dr. Albrecht Müller (*1938, Nachdenkseiten-Eigentümer) den millionenschweren Neusozi Jakob Augstein (*1967, Freitag-Eigentümer) als neoliberalen Ideologen entlarvt, dann geht das mehrheitlich dem großen Rest aller anderen sozialen Gruppen und besonders den dort noch immer vorhandenen intellektuell wachen Einsprengseln sowie anderen selbständig-kritisch Denkenden vollst an Arsch und Kopf vorbei. Damit gilt wie fürs bürgerliche Recht und die Verwandlung eines Rechtsstaats in einen Rechtsmittelstaat auch für diese "öffentlichen Diskurse" in diesem bürgerlichen Ganzdeutschland: Die herrschenden Diskurse sind zunächst und vor allem Diskurse der Herrschenden und ihrer medialen "Nasen" (Urban Priol) zur ideologischen Absicherung des sie bevorrechtenden Gegenwartszustands. Und alle Diskurse der Herrschenden können gesellschaftlich umso stärker wirken je mehr sie in allen anderen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten wahr- und vor allem: ernstgenomen werden.


Anmerkungen

[1] Im Anschluß an meinen Beitrag Von den Selbstheilungskräften zu den Selbstabschaffungstendenzen des Marktes. Zur Kritik des real-existierenden Kapitalismus (in: Gewerkschaftliche Monatshefte 8/1991, S. 508-515); erweiterte Netzfassung http://www.trend.infopartisan.net/trd0112/KAPITALISMUSKRITIK.pdf

[2] J. W. Goethe gegenüber Johann Peter Eckermann am 16. Dezember 1828; zitiert nach http://www.deutschestextarchiv.de/ [220918]
 

Per Email vom Autor am 26.09.2018

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