Betrieb & Gewerkschaft
Air Berlin
Protestkundgebung der Belegschaft

Von Gustav Kemper

10/2017

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onlinezeitung

17. Oktober 2017

Wut und Enttäuschung, Tränen und Unsicherheit über die eigene Zukunft, aber auch die Bereitschaft, Bilanz zu ziehen – das waren die vorherrschenden Stimmungen der Air-Berlin-Belegschaft auf der Protestkundgebung, zu der die Gewerkschaft Verdi am Montag vor der Hauptverwaltung der Fluggesellschaft am Saatwinkler Damm in Berlin aufgerufen hatte.

„Aktive Mittagspause“ nannte Verdi die Kundgebung, ein Zynismus, der die ganze bankrotte Politik der Gewerkschaft auf den Punkt bringt. Nur etwa 150 Beschäftigte folgten dem Aufruf, was offenbart, wie viel Vertrauen die 8.000 Belegschaftsmitglieder der Air Berlin in die Kampfbereitschaft der Gewerkschaft haben.

Auf selbst gemalten Transparenten klagten sie die Geschäftsführung des Unternehmens an. „4,5 Millionen für Winkelmann! Für uns Hartz IV“, stand auf einem Plakat. Der Air Berlin-Chef hatte sich diese Summe vertragsmäßig über eine Bankgarantie sichern lassen, als er im Februar dieses Jahres den Vorstandsposten annahm. „Für euch Millionen! Für uns ist der Dreck unterm Fingernagel zuviel!“, stand auf einem anderen Plakat.

„Wo bleibt die Verantwortung für 7.000 Arbeitnehmer und Familie?“ war ein Hinweis darauf, dass neue Arbeitsstellen bei Eurowings Europa nur in anderen Städten wie München angeboten wurden.

Aber nicht nur der Unternehmensvorstand stand im Brennpunkt der Kritik, auch die Bundesregierung wurde angeklagt: „150 Mio. Euro Staatskredit für Lohndumping?“ Ein weiteres Plakat wies auf das ganze Ausmaß der Entlassungen hin: „8.000 Arbeitsplätze, 25.000 Existenzen, Lufthansa = Heuschrecke.“

Seit einem guten Jahr war die Krisensituation bei Air Berlin abzusehen. Seit einem guten Jahr laufen hinter den Kulissen Verhandlungen zwischen den Vorstandschefs der Lufthansa, Carsten Spohr, der Air Berlin, Thomas Winkelmann, und Vertretern der Bundesregierung über eine Übernahme der Filetstücke der kriselnden Airline durch die Lufthansa. Christine Behle, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft und gleichzeitig stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa, muss über diese Vorgänge unterrichtet gewesen sein.

Jetzt stehen 7.000 Beschäftigte von Air Berlin, Piloten, Kabinenpersonal, Bodenpersonal, Techniker der Wartungsabteilungen, Verwaltungsangestellte, kurz vor der Entlassung.

„Wir werden alle arbeitslos,“ berichtet Rita, eine Angestellte aus der Verwaltung, der WSWS. „Zum 26. Oktober sollen wir alle unsere Kündigungen erhalten, bzw. sollen sie versendet werden.“ Man bekäme vielleicht einen neuen Job, wenn man für die Hälfte arbeiten ginge, ergänzte sie. Auf die Frage, ob sie sich schon bei einer anderen Fluggesellschaft beworben habe, fuhr sie fort: „All die Fluggesellschaften, die sich jetzt um Air Berlin reißen, haben andere Standorte, wir müssten alle Berlin verlassen. Was passiert dann mit den Familien, dem sozialen Umfeld? Das geht gar nicht, da ist nicht dran zu denken.“

Als die Piloten wegen fehlender Unterstützung der Gewerkschaft im September mit Krankmeldungen gegen die bevorstehenden Massenentlassungen reagierten, bekamen sie weder Rückendeckung von Verdi, noch erhielten sie Unterstützung von der Pilotenvereinigung Cockpit.

Verdi verfolgte von Anbeginn eine Strategie, die Abwicklung der Fluggesellschaft möglichst ohne große Proteste durchzusetzen. Die Forderung nach Aufrechterhaltung der Fluglinie und Sicherung aller Arbeitsplätze war für Christine Behle gar keine Option. Statt dessen verlangte sie „tragfähige und gute Konzepte zu entwickeln, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten“. Eine Transfergesellschaft sollte die Entlassungen sozial abfedern.

Als stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Lufthansa ist Behle der Unternehmenszielsetzung der Lufthansa verpflichtet, und damit auch der Strategie der Marktbereinigung im Luftverkehr oder der Schaffung einer „starken nationalen Fluggesellschaft“, wie Lufthansa-Chef Carsten Spohr es nennt.

Während die Aktienkurse der Lufthansa steigen, die Vorstände sich mit maßlosen Gehältern bereichern, werden diejenigen, die mit ihrer Arbeit Air Berlin in Jahrzehnten aufgebaut haben, auf einen grausamen Jobmarkt getrieben.

Auf einer Job-Messe in der Hauptverwaltung von Air Berlin sollten sich die Mitarbeiter bei den Unternehmen Chemiekonzern BASF, dem Onlineversandhändler Zalando und dem Schienenfahrzeugbauer Stadler Pankow, der Deutsche Bahn und dem Autobahn-Maut-Eintreiber Toll Collect um Stellen bewerben. Wer die Arbeitsbedingungen bei Zalando kennt, weiß, wie sich die Bewerber fühlen mussten.

Die Verzweiflung vieler Beschäftigter kam auf der Kundgebung deutlich zum Ausdruck, als eine Stewardess das Mikrofon ergriff: „Hallo, ich spreche für das Kabinenpersonal“, begann sie. Doch ihre Stimme versagte und ging in Schluchzen über, als sie ihre verzweifelte Situation schildern wollte. Tränen standen in den Augen ihrer Kolleginnen und mancher gestandene Kollege begann zu schlucken, als sie forderte, die Arbeitsplätze zu erhalten.

Conny, ein Techniker aus der Wartungsabteilung der Fluglinie, die bisher alle Flugzeuge von Air Berlin und den Töchtern bedient, berichtete, dass seiner Abteilung bisher noch keine Perspektive gegeben wurde. Die Bieterfrist für die Technik sei verlängert worden. Er tappe aber völlig im Ungewissen. Man werde hingehalten, gehe aber von einer dreimonatigen Kündigungsfrist aus. Er hoffe noch auf die Einrichtung einer Transfergesellschaft.

Eine Gruppe von Kabinenchefs beschrieb der WSWS den Grund für die Massenentlassungen und die fehlende Übernahmebereitschaft als bewusste Taktik der Käufergesellschaften, egal, ob es jetzt Lufthansa, Easyjet oder Condor sei.

„Wir sind die Gruppe von Kollegen, die nicht erwünscht sind, nämlich die älteren Kollegen, die durch unsere Betriebszugehörigkeit die hohen Gehaltsstrukturen haben und die man bewusst durch die Entlassungen ausbooten will“, sagte Josef. Man könne sich beim Arbeitsamt melden für Arbeitslosengeld I. „Es gibt aber auch die Drohung, wenn wir den sozialen Interessensausgleich nicht akzeptierten, dann würde man uns widerruflich freistellen, das heißt, wir könnten uns nicht mal arbeitslos melden und wären ohne Gehalt.“

Sein Kollege Kai fügte hinzu: „Dann geht's um Hartz IV, das wird dann schon ganz böse. Keiner von den Bietern hat dem Personal eine Zukunft geboten, keiner. Zum Ende des Monats werden wohl die Kündigungen ausgesprochen.“

Eine weitere Stewardess bemerkte: „Wir würden alle auf Gehalt verzichten. Wir haben das aktiv angeboten, aber die wollen das gar nicht. Die wollen uns einfach loswerden. Das hat auch mit dem Alter zu tun.“

Sabine, eine Betriebsrätin, die nicht für die Gewerkschaft spricht, berichtete von Konflikten mit der Gewerkschaft: „Es gab auch betriebliche Konflikte, weil wir uns nicht richtig informiert gefühlt haben“, was sie aber nicht weiter erklären wollte.

Auch Rita hatte sich kritisch über die Strategie von Verdi geäußert: „Unser Widerstand gegen die Entlassungen ist ein bisschen spät angeleiert worden. Jetzt stehen wir hier auf den letzten Drücker.“ Man könne jetzt nur noch ein Zeichen setzen, dass man nicht ganz kampflos aufgibt. „Wir wurden belogen und betrogen“, fuhr sie fort.

Überhaupt war die Bereitschaft, mit der Presse zu sprechen, eher gedämpft. „Wir dürfen eigentlich keine Pressekontakte haben“, erklärte Josef. „Das steht bei uns im Vertrag. Vielleicht werde ich sonst drei Tage früher entlassen“, fügte er lachend hinzu.

Sabine empörte sich, dass nach dem 28. Oktober noch 13 Flugzeuge in einer Übergangszeit von der Crew weiter geflogen werden sollten, „und zwar im gekündigten Zustand!“ „Slot protection nennt sich das“, ergänzte Kai. Wenn die An- und Abflugfenster (Slots) von den Airlines nicht genutzt werden, können sie bei der Vergabe in der folgenden Saison an andere Fluglinien vergeben werden. „Danach dürfen die Kollegen, die diese Flugzeuge bedienen, auch in die Arbeitslosigkeit“, fügte er sarkastisch hinzu.

Josef empörte sich: „Das Schäbigste ist nach meiner Meinung, dass die Bundesregierung das Ganze noch mit einem Kredit von 150 Millionen Euro unterstützt. Keine einzige Bedingung wurde an diese 'milde Gabe' geknüpft, als sich Verkehrsminister Dobrindt nach Bekanntgabe der Insolvenz hinstellte und erklärte, dass die Lufthansa die größten Teile von Air Berlin bekommt. Niemals wurde daran gedacht, Air Berlin zu retten, oder Teile davon.“

Von Eurowings Europa gibt es nur Angebote für München, berichtete die Gruppe einstimmig. „Wir müssen uns selbst bei Eurowings München bewerben, bekommen dann 30 bis 50 Prozent weniger Lohn und müssen nach dem Umzug die Mietpreise von München bezahlen.“

Josef fuhr fort: „Ich habe in den letzten acht Wochen Deutschland ganz neu kennengelernt. Ich habe gelernt, dass in der Presse wirklich nur selektiv berichtet wird.“ Abgesehen von überhöhten Stellenzahlen, die von der Lufthansa bei Eurowings eingerichtet würden, suchten Tageszeitungen auch die Rolle von Air Berlin zu beschönigen. So habe die Fluglinie der Agentur für Arbeit ein Büro eingerichtet, um den Beschäftigten ihre Meldung zur Arbeitslosigkeit zu erleichtern.

„Ich habe auch gelernt, dass von der Politik – wir haben viele angeschrieben und angesprochen – keiner auch nur reagiert hat, mit einer Ausnahme. Aber was hilft ein Brief an die Belegschaft? Warum stellt keiner im Bundestag die Frage, warum mit Staatsmitteln solch eine Nummer gemacht wird? Es wäre mal eine Sache für einen Bundestagsuntersuchungsausschuss, zu fragen, wer denn da eigentlich bedient wurde.“

Auf die Bemerkung des Reporters, dass die Insolvenz von Air Berlin eine Folge des weltweiten Konkurrenzkampfs sei, dem man nur begegnen könne, wenn die Fluggesellschaften dem Profitinteresse der Privatwirtschaft entrissen werden, bemerkte die Gruppe: „Das ist ja das Schäbige, dass immer mit dem Finger auf O’Leary [Chef vom Billigflieger Ryanair] gezeigt wird. Keiner der Käufer und auch keiner hier oben bei Air Berlin benimmt sich anders. Der Mensch spielt für sie keine Rolle.“

Sabine kritisierte scharf den massiven Polizeieinsatz. Auch bei dieser Protestkundgebung war die Polizei mit mehreren Mannschaftswagen vor dem Air Berlin Verwaltungsgebäude aufgefahren. „Es ist auch unmöglich, wie hier die Polizei auftaucht, das war schon bei der Betriebsversammlung so. Da sind mehrere Mannschaftswagen angerauscht, als der Herr Winkelmann sich einmal vor uns gestellt hat.“

Die schmerzliche Erfahrung der Belegschaft, nach langen Jahren Arbeit und Identifikation mit „ihrer“ Fluglinie Air Berlin, wie ein Stück Vieh auf den Jobmarkt geworfen zu werden, wobei die Staatsmacht in Form eines massiven Polizeieinsatzes zur Einschüchterung der Beschäftigten eingesetzt wird, hat viele zum Nachdenken gebracht. Die Konsequenz kann nur heißen, einen politischen Kampf aufzunehmen und für den Aufbau einer Partei zu kämpfen, die die Interessen der Arbeiter vertritt. Das ist die Sozialistische Gleichheitspartei.

Editorischer Hinweis

Den Bericht übernahmen wir von der Website der Sozialistischen Gleichheitspartei.