AfD – Protestwahl von unten in die Mitte der Gesellschaft
Eine empirisch begründete Einschätzung des Bundestagswahlergebnisses 2017 anhand  der "Sinusmilieus"

Leseauszug aus "Populäre Wahlen" - Hrg. Bertelsmann Stiftung

10/2017

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"Die vorliegende Studie untersucht die Wahlbeteiligung und das Wahlverhalten der Sinus-Milieus® bei der Bundestagswahl 2017. Dafür kombiniert sie eine Aggregatanalyse auf Basis kleinräumiger Stimmbezirke mit den Ergebnissen einer ebenfalls milieuspezifischen repräsentativen Nachwahlumfrage. Für die Aggregatanalyse greifen wir auf die Stichprobe der 621 bundesweit repräsentativen Stimmbezirke von infratest dimap zurück. Für jeden der repräsentativen Stimmbezirke wurden von microm die Daten zur Verteilung der SinusGeoMilieus® auf Haushaltsebene zugespielt. Die Spreizung der Wahlbeteiligung wurde auf Basis dieser Daten von infratest dimap auf Stimmbezirksebene berechnet.

Zusätzlich analysiert die Studie zum ersten Mal auch das Wahlverhalten der Sinus-Milieus® auf Basis von Individualdaten aus einer Nachwahlbefragung, die in der Woche nach der Wahl im Auftrag der Bertelsmann Stiftung von YouGov Deutschland GmbH durchgeführt wurde. Befragt wurden dabei insgesamt 10.271 Personen aus dem YouGov Online-Panel. Um auch die Veränderungen zur letzten Bundestagswahl 2013 analysieren zu können, wurde anhand von ebenfalls repräsentativen Befragungsergebnissen von 12.055 Personen aus dem YouGov Online-Panel das Wahlverhalten 2013 ermittelt. Alle in der Studie verwendeten Befragungsergebnisse sind repräsentativ für das Wahlergebnis in den Milieus und aller Wahlberechtigten in Deutschland. Durch die Kombination von Aggregatdaten auf Stimmbezirksebene mit umfragebasierten Individualdaten erweitert die vorliegende Studie die Methodik früherer Wahlstudien der Bertelsmann Stiftung aus der Reihe „Populäre Wahlen“ und „Prekäre Wahlen.“" (Seite 6)

"Mit der AfD zieht erstmals eine lupenrein rechtspopulistische Partei in den Deutschen Bundestag ein, deren Milieustruktur sich ebenso typisch rechtspopulistisch zeigt wie ihr Personal, ihre Wahlkampfführung und – bis auf einige marktwirtschaftlich orientierte Restbestände ihrer liberalen Gründungsphase einer zunächst europopulistischen Professorenpartei - auch ihr Programm. In der Milieustruktur ihrer Wählerschaft zeigt sich das in den drei AfD-Kernwählermilieus der Prekären, Traditionellen und der Bürgerlichen Mitte. Im Prekären Milieu erzielte die AfD mit 28 Prozent ihr stärkstes Ergebnis und mit Gewinnen in Höhe von 18 Prozentpunkten auch ihren stärksten Zuwachs. Aber auch in der Bürgerlichen Mitte hat sich jeder fünfte Wähler für die AfD entschieden (20 Prozent) und ihr Zuwachs lag dort mit 15 Prozentpunkten so hoch wie die spiegelbildlichen Verluste der Union in diesem Milieu. Bei den Traditionellen lag das AfD-Ergebnis schließlich bei 16 Prozent und ihre Gewinne gegenüber der Bundestagwahl 2013 bei immerhin noch +11 Prozentpunkten.

Damit ist die AfD bei der Bundestagswahl 2017 von unten in die Mitte eingedrungen, und hat sich dort als rechtspopulistische Protestpartei der sozial-kulturell Abgehängten und der sich sozial-kulturell bedrängt fühlenden Mitte etabliert. Entlang der neuen Konfliktlinie der Demokratie zwischen Modernisierungsskeptikern und Modernisierungsbefürwortern ist die AfD damit so klar profiliert wie keine andere Partei: Fast zwei Drittel (65 Prozent) ihrer Wähler kommen aus Milieus, in denen viele Menschen den sozial-kulturellen Modernisierungsprozessen eher skeptisch gegenüber stehen. Die AfD 2017 kann damit als eine typisch rechtspopulistische Milieupartei der Modernisierungsskeptiker beschrieben werden.

Das zeigt sich auch in der räumlichen Verteilung ihrer Wähler (Abbildung 43). Je mehr Haushalte aus der Unter- und Mittelschicht in einem Stimmbezirk wohnen, umso besser schneidet die AfD ab. Der spiegelbildlich negative Zusammenhang bei den Haushalten der oberen Mittel- und Oberschicht sollte aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die AfD auch in Teilen der Oberschicht Unterstützer findet. Vor allem im Milieu der Konservativ-Etablierten erzielt sie mit 10 Prozent ein nur leicht unterdurchschnittliches Ergebnis. Sie ist dort aber – im Unterschied zum Prekären Milieu und zur Bürgerlichen Mitte – keine typische „Milieupartei“. " (Seite 60)

Editorischer Hinweis

Populäre Wahlen
Mobilisierung und Gegenmobilisierung der sozialen Milieus bei der Bundestagswahl 2017
Robert Vehrkamp und Klaudia Wegschaider für die Bertelsmann Stiftung
Oktober 2017

NOTE! Die komplette Untersuchung kann kostenlos bei der Stiftung heruntergeladen werden.

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