Buchbesprechung
Claus Leggewie/Erik Meyer (Hg.): Global Pop

von
Patrick Helber

10/2017

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Weltmusik ist mehr eine hegemonial konstruierte Sammelkategorie an exotisierten Klängen als ein Musikgenre. Sie ist das Thema der Enzyklopädie Global Pop. Das Buch zur Weltmusik wurde herausgegeben von den Politikwissenschaftlern Claus Leggewie und Erik Meyer. In einer Zeit, in der die Vinyl-Schallplatte ihr Revival feiert und HipsterInnen die Plattenläden von New York, London, Paris und Tel Aviv nach Klängen aus Caracas, Istanbul, Kingston oder Kinshasa durchforsten, erscheint der Band zur rechten Zeit.

Vierzig AutorInnen beleuchten in 44 kurzen, schnell zu lesenden Kapiteln unterschiedliche Seiten des Sounds der Welt aus musikwissenschaftlicher, musikethnologischer, musikpsychologischer und musikjournalistischer Perspektive.

Der Begriff Weltmusik, der bereits auf das Jahr 1906 zurückgeht, erlebte als Kategorie seinen Höhepunkt in den 1980er Jahren. Bis heute finden wir ihn in Plattenläden, Kulturkaufhäusern und Albumkritiken, obwohl er von KritikerInnen als ein »koloniales Relikt« und ein »eurozentrischer Dinosaurier« gescholten wird. Die taz und der WDR-Sender Cosmo ziehen deshalb heute den Begriff Global Pop vor. Steckt im Begriff Weltmusik stets die Dichotomie zwischen dem ‚Eigenen‘ und dem ,Fremden‘ sowie die Tendenz, jegliche nicht-westliche, nicht-europäische Klänge, Genres und MusikerInnen in einen Topf zu werfen, nimmt Global Pop Transkulturalitäts- und Hybridisierungsprozesse in den Fokus. Sie vollziehen sich jenseits der »Gegenüberstellung des Westens und dem Rest der Welt«, zwischen dem Zentrum und der Peripherie.

Trotzdem finden sich die Zentren der Musikindustrie bis heute im Globalen Norden. Deutschland ist dabei hinter den USA und Japan der drittgrößte Player. »Noch immer funktioniert der Austausch zwischen den Metropolen des Südens und der Kulturindustrie des Nordens und nicht zwischen den Metropolen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas«, heißt es in dem Buch. Die Hauptstadt der Weltmusik (Musiques du Monde) lokalisiert der Sammelband in Paris. Der französischen Metropole verdankt auch der Künstler Manu Chao, ein »Weltbürger mit Attitude« und »Sprachrohr für Minderheiten«, seinen Erfolg. Er thematisierte bereits Ende der 1990er Jahre das Schicksal von illegalisierten Menschen in seinem ersten Soloalbum »Clandestino«.

Manu Chaos Ex-Band Mano Negra, Pionierin im hybriden Genre Mestizo, zu dem auch Ojos de Brujo und Che Sudaka aus Barcelona und Zebda aus Toulouse gehören, findet sich in ebenfalls in »Global Pop« wieder. Thematisiert werden außerdem Pop aus Japan, Heavy Metal aus Madagaskar, westafrikanischer Highlife, Klezmer, Reggae, Dub und der urbane afrobrasilianische Funk Carioca. Dieses tanzbare Soundgemisch aus portugiesischem Sprechgesang und Miami Bass aus Rio de Janeiro wurde dem Publikum außerhalb Brasiliens durch den Soundtrack zum Spielfilm »Tropa de Elite« (2012) bekannt.

Das Buch spricht auch über die politische Dimension von Weltmusik: Miriam Makeba und Harry Belafonte kritisierten Rassismus in Südafrika und den USA. Inti-Illimani und Víctor Jara waren Symbole des Protests gegen die Diktatur Pinochets in Chile, und heute liefert M.I.A. den Sound gegen das europäische Grenzregime. Der Frage, ob der Protestcharakter von Weltmusik nicht auch ein notwendiges Verkaufs- und Konsumkriterium im Globalen Norden ist, wird leider nicht weiter nachgegangen. Das ist ebenso bedauerlich wie das stark eurozentrische Set an AutorInnen. Zukünftige Projekte sollten Beitragende aus dem Globalen Süden einbeziehen. Nur so kann das Schreiben über den Sound der Welt tatsächlich dessen Polyphonie wiedergeben.

Claus Leggewie/Erik Meyer (Hg.)
Global Pop
Das Buch zur Weltmusik

Verlag J.B. Metzler

Stuttgart 2017.
392 Seiten,
29,95 Euro.
 

Editorischer Hinweis
Erstveröffentlicht bei: https://www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/362_Alter/global_pop