Freuds
Gegenüberstellung von Unbewußtem und Bewußtem ist
die psychoanalytische Version der
lebensphilosophischen Konfrontation von Leben und
Geist. Dem entspricht auch die Gegenüberstellung
von Lust und Realitätsprinzip, bei Zuordnung des
ersteren zum biologischtriebhaften „Es" und des
Realitätsprinzips zum rationalen „Ich" und
„ÜberIch".
Damit wir nicht falsch verstanden werden: wir
bestreiten nicht die Existenz eines Bereichs des
Unbewußten, wie wir überhaupt die von Freud
benutzten Tasachen nicht bestreiten (also
Neurosen, deren nicht selten sexuelle Ursachen,
Fehlleistungen, Zusammenhang von Träumen und
Unbewußtem u. ä.), sondern die darauf aufgebauten
Mythen.Nach
Freud ist das im wesentlichen irrationale Unbewußte
die eigentliche Grundlage individueller psychischer
Entwicklung. Dieses Psychische bildet sich in der
Zeit vor dem Eintritt des Individuums in den
Arbeitsprozeß heraus, sogar in seiner
vorsprachlichen Entwicklung. Wir haben es mit einem
Psychischen auf der Grundlage der Negation der
Gesellschaft, der Sprache, der Arbeit und des
Bewußtseins, mit einem letztlich prähumanen
Psychischen zu tun, das den Menschen determiniert,
der damit letztlich enthumanisiert wird. Mehr
noch: Der Mensch ist zwar psychisch determiniert,
aber das Psychische ist irrational das ist die
psychoanalytische Version der lebensphilosophischen
These von der „Ohnmacht des Geistes".
Wir haben es also
mit angeborenen, angeblich biologischen Kräften,
Instinkten, Trieben zu tun, die keiner äußeren
Einflußnahme unterliegen, jedoch durch
urgeschichtliche Familienkatastrophen beeinflußt
wurden! Das fand sogar seinen Niederschlag in
erblichen psychischen Konstanten. Wir sagten schon,
daß damit eine Art psychogenetisches Grundgesetz
angenommen wird. Solche „Biologismen" bilden nach
Freud die Grundlage unserer unbewußten, vorbewußten
und bewußten psychischen Entwicklung. Sie sind im
Prinzip unräumlich und unzeitlich, also letztlich
im Sinne der philosophischen Grundfrage Ideelles.
Aber sie sind keineswegs Ideelles im Hegeischen
Sinne, das sich entwickelt, sondern sie sind
unveränderlich, im Hegelschen Sinne des Wortes:
metaphysisch. Wenn es Entwicklung gibt, so nur als
Entfaltung dieser angeborenen Kräfte. Und zwar
geschieht dies auf der Grundlage eines Kampfes von
zwei Grundtrieben (Lebens und Todestrieb). Deren
Kampfpotential ist begrenzt durch das von Freud
einfach aus der Mechanik (Energieerhaltungssatz)
und von Nietzsche (unveränderliche Menge von
Kraftquanten) in die Psychologie übernommene
homöostatische Gleichgewicht der „Triebenergie".
Auf solcher Basis sind nur quantitative
Verschiebungen möglich darin besteht auch die
Grundlage für Krankheit oder Gesundheit. Und dies
allein ist im Freudismus Entwicklung, mehr nicht.
Letztlich ist gesellschaft| liches Leben also
statisch. Erziehung, Veränderung, auch
gesellschaftliche Reformen sind unter diesen
Bedingungen nur im Rahmen von
Quantitätsverschiebungen innerhalb eines im ganzen
gesehen notwendig statischen Systems möglich. Von
daher ist die Psychoanalyse notwendig
undialektisch.
Bewußtes ist in
dieser Theorie das Resultat des mechanischen Spiels
zweier unbewußter Elemente, nämlich des Lebens
und Todestriebes. Wir haben es mit einer
Entwicklungsstufe der Dialektik zu tun, in der
bestenfalls bald das eine, bald das andere Prinzip
stärker wirkt, also mit einer SchaukelDialektik,
mit Stillstand unter dem Anschein von Bewegung. Es
ist ein Rückfall weit hinter Hegels Niveau der
Behandlung des Problems des Widerspruchs.
Die
Entwicklungsfeindlichkeit in der Auffassung von
einer Konvergenz beider Grundtriebe kann ebenfalls
nicht übersehen werden. Dies ist alles andre als
eine dialektische Synthese. Auch die
Rückwärtsgewandtheit der Triebentwicklung, der
Drang zum Tode, zum Zustand vor der Geburt, das ist
alles andre als wirkliche Dialektik, als
Entwicklung. Dies sagen wir nicht gegen Freud, der
ja kein Dialektiker sein wollte, sondern gegen die
Konfusionsräte des „FreudoMarxismus".
Quelle: Robert Steigerwald, Bürgerliche
Philosophoe und Revisionismus im
imperialistischen Deutschland, Berlin 1980,
S.166f
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