Interventionistische Linke (IL)
Septemberwirbel oder laues Lüftchen

von Jürgen Roth

10/2016

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In ihrer „Freisinnigen Zeitung“ Nr. 00 09/2016 kündigte die IL Berlin Großes an: das Blockupy-Bündnis wollte am 2. September das Arbeitsministerium blockieren, am 3. die IL zusammen mit dem Bündnis „Aufstehen gegen Rassismus“ (AgR) auf die Straße gehen und am 4. zur Konferenz von „Welcome2Stay“ einladen. Vorweg: alle 3 Ereignisse blieben von der Teilnehmerzahl her am unteren Rand der Erwartungen.

Bedeutung und Rolle der IL

Die IL zählt zu den größten Organisationen innerhalb der bundesdeutschen extremen Linken. In Berlin haben sich Anfang 2015 die Gruppen „Avanti - Projekt undogmatische Linke“, „Für eine linke Strömung“ (FelS) und Teile der „Antifaschistischen Linken Berlin“ (ALB) zur IL-Ortsgruppe zusammengeschlossen. Auffällig daran ist der gemeinsame Ursprung aus dem Lager der sog. Autonomen.

Laut Eigendarstellung will die Ortsgruppe „eine Strömung innerhalb der Berliner (radikalen) Linken (…) organisieren - verbindlich, gemeinsam, mit lokal verankerter überregionaler Politik“. Sie „ist unter anderem in sozialen, antirassistischen, feministischen und Klimakämpfen aktiv und engagiert sich in den Bereichen Antifaschismus und Antikriegspolitik. Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv nicht nur gegen die Zumutungen und Grausamkeiten, sondern gegen den Kapitalismus insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue Allianzen sucht, die Brüche vertieft und Chancen ergreift, die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren.“ (Freisinnige Zeitung Nr. 00)
Es liest sich, als hätten die IL-Gruppen eingesehen, dass mit der üblichen Politik der autonomen Szene nicht aus der Isolation auszubrechen sei. Sie schreiben von Allianzen, von Verknüpfung des Kampfs gegen einzelne Zumutungen des Kapitalismus mit dem gegen das gesamte System. So weit, so gut. Sie vermögen eine beachtliche Zahl von GenossInnen hinter sich zu scharen. Sie spielen eine erhebliche Rolle in sozialen Auseinandersetzungen (Stadtpolitik, Mieten, Antifaschismus, Antirassismus usw.). Sie konnten große Proteste wie Blockupy organisieren, laden immer wieder zu wichtigen Konferenzen ein. Allein das ist Grund genug, mit ihnen für gemeinsame Ziele aktiv einzutreten. Dabei darf aber nicht die solidarische Kritik an ihrer Politik verschwiegen werden. Wie steht es eigentlich um ihren Antikapitalismus? Welche Organisation wollen sie wirklich aufbauen?

Der Antikapitalismus der IL: Wunsch und Wirklichkeit

Zunächst einmal konstatieren sie richtigerweise eine grundlegende Krise des Kapitalismus:

„Drei Entwicklungspfade zeichnen sich ab: Erstens versuchen die alten Ideolog_innen des Neoliberalismus die Scheiße, in die sie uns hineingeritten haben, zu verewigen . (...) Zweitens treiben rechtspopulistische bis faschistische Kräfte ihre reaktionären Ideen einer rechten Antwort auf die Krise voran.“

Sie arbeiten dagegen an einem dritten Projekt „gestützt auf emanzipatorische Mobilisierungen und unserem Ziel von einem guten Leben für alle. Statt Herumdoktern am Bestehenden geht es uns um eine gerechte Welt, die nicht auf Kapitalismus, Krieg und Gewalt, sondern auf Solidarität, Würde und einem neuen Internationalismus basiert. (...) Unser Ziel ist die gesellschaftliche Hegemonie eines linken Blocks. Deshalb orientieren wir auf breite Bündnisse. (...) Uns geht es im konkreten Handgemenge um die Selbstermächtigung der Ausgebeuteten und Unterdrückten. (...) Deshalb freuen wir uns, auch nach September mit euch gemeinsam für eine bessere Welt zu streiten.“ (ebda.)

Schon das Ziel wird in Worte gekleidet, die so auch auf einem evangelischen Kirchentag oder einer Großkundgebung der DGB-Jugend hin und wieder fallen. Sozialismus, Kommunismus, Diktatur des Proletariats, bewaffneter Aufstand, ArbeiterInnenkontrolle, Räte, revolutionäre Partei, klassenkämpferische Gewerkschaften … ? Fehlanzeige! Kein Klassenkampf, kein objektiv revolutionäres Klassensubjekt. Die Umwälzung des Ausbeutungssystems stellt sich der IL ebenso schlicht wie vage dar:

„Wir brauchen einen Prozess, der eine Alternative zum Kapitalismus auch in breiten gesellschaftlichen Bereichen erlebbar macht. Solche Veränderungen setzen sich nicht einfach so in der kapitalistischen Konkurrenz durch. (…) Deshalb müssen wir für den politischen Druck sorgen, der zur Durchsetzung solcher Projekte auf gesamtgesellschaftlicher Ebene gebraucht wird.“ (Vergesellschaftung - Eine Broschüre der Interventionistischen Linken, Lübeck, o. J., S. 6)

Hier zeigt sich der reformistische Kern des IL-Projekts. Es wird davon ausgegangen, dass im Rahmen des Kapitalismus auch zugleich seine Alternative - also eine andere Form der Vergesellschaftung - „erlebbar“ wäre. Dazu braucht es keine Revolution, nicht die Eroberung der Staatsmacht durch die ArbeiterInnenklasse, sondern nur den „politischen Druck“, eine „linke Hegemonie“.

Wie schon bei den kleinbürgerlichen Alternativbewegten und frühen Grünen fehlt hier jeder blasse Schimmer von der notwendigen Kraft, die nur die organisierte ArbeiterInnenklasse aufzubringen fähig ist, damit an den Sturz des Systems auch nur ernsthaft gedacht werden kann.

Da die zukünftige Gesellschaft ohnedies im Rahmen der bestehenden immer „erlebbarer“ werden kann, da die Unterdrückten nicht selbst die Macht erobern müssen, sondern sich angeblich „selbst ermächtigen“ können, braucht es auch kein kollektives Subjekt des Umsturzes, ja auch nicht den Umsturz selbst.

Folgerichtig wird die Notwendigkeit eines politischen Programms bestritten: „An die Stelle eines Programms von oben muss das gemeinsame Suchen und Weiterentwickeln treten.“ (ebda., S. 7) Wenn dem so wäre, wären politische Organisationen gänzlich überflüssig - einschließlich der IL!

Spagat bis zum Genickbruch

In einem Selbstinterview räumt die IL ein, dass ihre Politik nicht ohne interne Widersprüche zu haben ist. Freitag gegen die Regierung auf die Straße gehen, am Samstag mit der SPD und alltags „für eine solidarische Stadt“, gibt das intern nicht Ärger? Die Antwort sieht sie in einem „solidarischen Umgang untereinander“, auch in der eigenen Organisation.

Dummerweise ist diese Antwort gar keine auf die von der IL selbst aufgeworfene Frage. Ein „solidarischer Umgang“ bestimmt nur Umgangsformen unter den GenossInnen - er löst aber nicht die inhaltliche Frage, wie eine solche Verbindung politisch aussehen soll. Das würde nämlich eine politische Klärung einschließlich programmatischer Arbeit erfordern. Wird diese verweigert, bleiben nur noch Formelkompromisse, die nicht an der Sache, sondern am formellen Zusammenhalt der IL orientiert sind.

Die gemeinsame Kompromisslinie, der kleinste gemeinsame Nenner ist in der Regel das, was der alten Gesellschaft am nächsten steht und der Linie des rechtesten Flügels entspricht. Das „Programm“ für Berlin lautet: „Ende der kommunalen Austerität, also des Sparens-Sparens-Sparens, Schluss mit Ausgrenzung und Rassismus, Neuaufbau einer sozialen Infrastruktur für Berlin. Geld ist da, eine solidarische Stadt für alle!“

Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen solchem Gewäsch und jenem aus dem Hause DIE LINKE? Nicht nur, dass „Geld ist da“ wie bei den „radikalen“ UmverteilungspolitikerInnen im Munde geführt wird, die im Angesicht der Krise mit dem Finger auf die Reichen zeigen, denen es „nur“ genommen werden müsse. „Sozialismus“ wie bei Robin Hood - nur ohne Bogenschützen!

Die Überakkumulation von Kapital in der Krise bedeutet nicht, dass kein „Geld“ da wäre, sondern gerade, dass zu viel Kapital da ist, das nach profitablen Anlagemöglichkeiten sucht. Die Lösung der Krise kann auf dem Boden der Marktwirtschaft nur bedeuten, dass Kapital vernichtet wird. Daher stößt die naive Forderung, das angehäufte Geld einfach zu investieren oder sogar den Armen zu geben, auf den erbitterten Widerstand der herrschenden Klasse, da es dieser um Profit geht und nichts anderes.

Doch die IL macht es noch ein bisschen reformistischer: in den nächsten Jahren seien ja Haushaltsüberschüsse zu erwarten und Geld müsse ja nicht für Bankenskandal, Großflughafen und andere Prestigebauten verschwendet werden … (Freisinnige Zeitung Nr. 00)

Gefragt, wie sie es denn mit einem rot-rot-grünen Bündnis in Berlin halte, antwortet die IL: „Wir sind nicht der militante Arm der Linkspartei. (...) Wenn sich gesellschaftliche Kräfteverhältnisse verändern, spiegelt sich das in Parlamenten und Parteien wider. Grundlegende gesellschaftliche Veränderungen werden allerdings nicht im Parlament auf den Weg gebracht. Auch der Bruch mit vorherrschenden Verhältnissen kann dort nicht durchgesetzt werden.“

Wir ahnen schon: Er „braucht den Druck von außen, von uns allen!“ Alles klar? Muss ja auch nicht! Die IL drückt und windet sich vor der Frage der Regierungsbeteiligung, lässt stattdessen Allgemeinplätze vom Stapel wie die Fehlkalkulation: Parlament plus Druck von außen (Straße, Volksbegehren/-entscheid, Petitionen…) gleich Bruch mit vorherrschenden Verhältnissen! Die frühen Grünen mit ihrer Formel von Stand- und Spielbein standen wohl Pate. Wo das endet, wissen wir: beim Dosenpfand als höchstem Stadium der grünen Gesellschaftsunterwanderung.

„Radikale“ antirassistische Praxis

Kein Wunder also, dass die IL als Organisation ohne revolutionäres Programm, ohne kommunistische Tradition ein Potpourri aus Minimalforderungen und maximalistischen Allgemeinplätzen inszeniert, die eher frommen Wünschen als einer gesellschaftsverändernden Strategie gleichen. Letztere werden in eine verklausulierte Sprache gefasst, die jede/r nach Belieben interpretieren kann, um es sich nicht mit den Brötchengebern in der Rosa-Luxemburg-Stiftung oder ver.di zu verderben.

Kein Wunder auch, dass ihre Heterogenität sich innerorganisatorisch in der Existenz nebeneinander vor sich hinwerkelnder Arbeitsgruppen ausprägt: Antifaschismus, Gesundheit, Klima, Krise, InterSol, Antirassismus, soziale Kämpfe u. v. m. In der sog. Flüchtlingsfrage steht sie für ein ebenfalls heterogenes Konzept. Einerseits mischt sie in „Aufstehen gegen Rassismus“ mit und demonstriert mit SPD, Linkspartei, Grünen und NGOs. Dagegen spricht auch nichts. Auch wir beteiligen uns an deren Mobilisierungen. Aber die IL spart sich jeden Versuch, weitergehende Forderungen an die Führung der AgR zu stellen. Wir kämpfen dagegen dort wie überall für unseren Vorschlag des Aufbaues einer antirassistischen ArbeiterInneneinheitsfront auf einem Programm, das Antirassismus als Klassenfrage begreift und Vorschläge wie Selbstverteidigungseinheiten, Mindestlohn etc. enthält.

An „Jugend gegen Rassismus“ beteiligt sich die IL nur am Rande. Eine federführende Rolle spielt die IL in „Welcome2Stay“. Dort sollen die „selbstorganisierte Geflüchtetenbewegung, die ‚klassische' Antira-Bewegung und die neu entstandenen Willkommensinitiativen … progressive Personen aus Parteien, NGOs“ zusammengebracht werden.

Für die IL ist Antirassismus keine Klassenfrage, sie kennt ja kein Klassensubjekt, sondern nur betroffene Menschen. Sie scheint aber deutlich die Geflüchteten selbst neben den Willkommensinitiativen als radikalste Subjekte auf diesem Feld ausgemacht zu haben. So will sie über das Asylverfahren aufklären, breite Allianzen gegen Abschiebungen herstellen, Brücken zwischen Flüchtenden und freiwilligen Hilfsorganisationen schlagen, tritt für Bleiberecht und eine solidarische Stadt ein. Ferner will sie aufzeigen und vermitteln, dass es „keine ‚Flüchtlingskrise' gibt, sondern eine politisch verursachte Krise der sozialen Sicherung, die wir nur gemeinsam im Kampf für soziale Infrastrukturen für alle lösen können.“ (ebda.)

So wichtig und richtig diese Vorstellungen sind, so unzureichend sind sie leider auch. „Bleiberecht“ klingt radikal, bleibt aber unterhalb einer Anerkennung als Asylsuchende, geschweige denn Aufhebung aller Asylrechtseinschränkungen oder erst recht unter vollen staatsbürgerlichen Rechten.

Ferner beschränken sich auch diese weitergehenden Forderungen auf die bis hierhin Gekommenen. Die Fragen des Migrationsregimes des bürgerlichen Staats, ja überhaupt die Arbeitsmigration fehlen vollständig. Hierauf versucht unsere Losung „Für offene Grenzen!“ eine Antwort zu geben. Aufklärung über Asyl- und Flüchtlingsrechte ist eine wichtige SozialarbeiterInnentätigkeit, aber nicht unbedingt die Domäne kleiner bis mittelgroßer politischer Organisationen.

Und zu guter Letzt: wir wollen und brauchen einen Brückenschlag zur gesamten ArbeiterInnenklasse, deutscher wie „ausländischer“. Dies können wir nicht Stammtischkämpfergeschwadern überlassen, so wichtig und richtig diese Idee auch ist: Dreh- und Angelpunkt ist der Aufbau einer antirassistischen ArbeiterInneneinheitsfront - mehr denn je! Können sich GenossInnen der IL mit dieser Stoßrichtung anfreunden? Wir hoffen es. Sie könnten damit anfangen, sich für ein einheitliches, handelndes antirassistisches Bündnis einzusetzen statt der Konkurrenz der vielen Quatschbuden, die nichts Wirksames beschließen.

Quelle: Zusendung  per email von ARBEITER/INNEN/MACHT-INFOMAIL, Nummer 910, 19. Oktober 2016