Oskar Quengels Auftrag
Für Kippenberger bei General von Schleicher

Leseauszug aus dem neuen Buch von Max Brym

10/2016

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Vorwort

Ein Haus in der Kirchgasse

In Berlin in einem Haus in der Kirchgasse wurden kürzlich die Böden erneuert. Arbeiter entdecken beim herausreißen einer Bodendiele ein leicht vergilbtes Bündel, in dem Bündel steckte ein Text welcher die Überschrift hatte: "Brief an meinen Vater" . Ein Arbeiter wollte das Notizbuch mit dem Text entsorgen ein anderer meinte „man sollte sich das nochmal anschauen“, denn der Text war maschinengeschrieben und leicht lesbar. Der umfangreiche Brief endeten im Jahr 1938. Nun bin ich im Besitz des Schriftstückes und werde es publizieren. Denn der „Brief an den Vater“, stammt von einem gewissen Oskar Quengel , von dem wir nicht genau wissen ob er so hieß . Der Inhalt des Schriftstückes ist zeitgeschichtlich mehr als relevant. Oskar Quengel beschreibt seinen Lebenslauf als Doppelagent. Er arbeitete für den KPD Funktionär Hans Kippenberger, längere Zeit für das Reichswehrministerium direkt unter General Schleicher. Nachdem General Schleicher, als letzter Kanzler Weimarer Republik, durch Hitler und die faschistische Diktatur ersetzt wurde wirkte, Quengel weiter für den Nachrichtendienst der KPD, er hatte unter anderem Verbindungen in die oberste SA- Führung. Immer stand Quengel links und war der Meinung, durch seine Tätigkeit als Doppelagent der Weltrevolution wichtige Dienste zu erweisen. In der Emigration in Paris wurde Quengel allerdings vom Militärapparat der KPD abgehängt. In den illegalen Rundbriefen wurde er als Renegat bezeichnet. Das politische Leben von Oskar Quengel endete im Selbstmord. Vorher machte sich der Autor der gefundenen Schrift an seinem Vater Luft. Sein Vater ebenfalls ein Mitglied der KPD lebte damals in Berlin Neukölln in der Kirchgasse. Wie die Briefe transportiert wurden muss ein Rätsel bleiben. Allerdings geben wir hier der fiktiven oder realen Gestalt von Oskar Quengel ausgiebigen Raum, um der heutigen Generation etwas über die damalige dramatische deutsche Geschichte zu erzählen.

Für Kippenberger bei General von Schleicher – Briefe an meinen Vater

Mein lieber Vater ich muss dir einfach schreiben. Ich bin ausgelaugt und am Ende. Wir schreiben jetzt den August 1938. Wieder konnte ich kaum schlafen und wenn ich schlafe sehe ich lauter Tote, oder noch herumlaufende kommende Tote vor mir. Meine Nerven spielen verrückt. Ich träume von Hans Kippenberger, Leo Roth, Heinz Neumann, Leo Trotzki oder dem General von Schleicher. Du wirst dich sich sicher fragen wie ein solches Potpourri von unterschiedlichen Personen in mein Gehirn hinein kommt und mich martert. Ich bin dir in der Tat einige Erklärungen schuldig. Vorher solltest du wissen dass ich dich immer respektierte und ein großzügiges Arbeiterherz und deine Gesinnung schätzte und teilte. Dies obwohl du seit 1915 von mir noch spärlich Nachrichten erhalten hast. Du hast dich als kleiner KPD Funktionär sicher gefragt was dein Sohn so treibt und warum wir keinen intensiven Kontakt hatten . Ich will dir alles erklären und dir Mut geben damit du und meine geliebte Mutter, die faschistische Nacht übersteht. Meine Nerven hingegen liegen blank. Bitte verzeih mir -dein Sohn den du oft ein Nervenbündel nanntest- kann nicht mehr. Mein Leben werde ich in dieser Nacht beenden.
Meine Geschichte

Ich arbeitete mit Herz und Hand im „ Geheimen“ für die Ziele, die uns einst Luxemburg und Liebknecht, sowie Lenin wiesen. Allerdings tat ich das an einer Stelle, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen durften. Ab Anfang 1929 arbeitete ich für den Militärapparat der KPD in geheimer Mission im Reichswehrministerium. Ich war direkt dem Leiter des Nachrichten und Militärapparats der KPD Hans Kippenberger, unterstellt. Damit die Abwehr der Reichswehr glaubte ich würde für sie Dienste und Aufträge übernehmen musste ich bestimmte Kontakte abbrechen. Offiziell war ich Mitarbeiter von Willi Münzenberg dem Herausgeber der “ Arbeiter Illustrieren Zeitung“. Die Abwehr der Reichswehr glaubte ich wäre für sie dort tätig. Ende des Jahres 1928 sprach mich ein gewisser Herr Rath in einem Lokal in Neukölln an. Der Herr fragte ob ich denn zufrieden sei mit meinem Leben, meiner Position und mit meinem Verdienst. Ich versuchte den Herrn abzuwimmeln, denn ich hatte den dringlichen Verdacht dass er für die politische Polizei des preußischen Staates arbeitete . Diese Geschichte erzählte ich meinem Vorgesetzten dem bekannten kommunistischen Publizisten Willi Münzenberg. Münzenberg forderte mich umgehend auf mich mit Hans Kippenberger, dem Leiter des Militärapparates der KPD zu treffen. Kippenberger sagte:“ Es handelt sich mit Sicherheit um einen Spitzel, der sich in unseren Verkehrslokalen herumtreibt. Triff dich mit ihm und versuch herauszubekommen für wen dieser Herr arbeitet und geh zum Schein auf seine eventuellen Angebote ein. Nachher erstattest du mir ausführlich. Bericht.“ Typisch Kippenberger dachte ich sehr freundlich aber gleichzeitig entschieden und befehlsgewohnt. Im November 1928 besuchte ich täglich das Lokal -drei Wochen lang- indem sich deine Ortsgruppe regelmäßig im Hinterzimmer traf. Nach knapp drei Wochen tauchte Herr Rath wieder auf und schlug vor, sich doch woanders zu treffen, wo es etwas ruhiger sei, um sich weiter zu unterhalten. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag in einem bekannten Caféhaus am Alex.

Textauszug 2

Heinz Neumann

Über Heinz Neumann schrieb ich damals:“ Er ist intellektuell dem Parteiführer Ernst Thälmann weit überlegen. Zudem verfügt er über ausgesprochen rhetorische Fähigkeiten. Genau betrachtet ist Heinz Neumann der Spiritus Rektor innerhalb des Sekretariats der KPD. Bis dato erfreut er sich einer besonderen Wertschätzung durch Stalin. Heinz Neumann ist wendig und im Umgang mit so genannten Abweichlern nicht sonderlich zimperlich. Es kursiert das Gerücht, dass er alle wichtigen Reden für Ernst Thälmann schreibt. Die alte Generation angeführt von Clara Zetkin und Wilhelm Pieck, steht Neumann, mit einer gewissen Skepsis gegenüber. Neu ist, dass Neumann sich offensichtlich fest gebunden hat. Ob es allerdings ein Ende seiner zahllosen Frauenaffären bedeutet bleibt abzuwarten. Bei aller Treue gegenüber Stalin ist und bleibt Neumann jedoch ein selbstständiger selbstbewusster Kopf.

Hermann Remmele

Zusammen mit Thälmann und Neumann bildet Hermann Remmele die eigentliche Führung der KPD. Remmele ist mit knapp 50 mit seiner einer ziemlichen Erfahrung in der Bewegung eine geschätzte Person. Den Neumann Opponenten fällt es schwer die gegenwärtige Führung der KPD anzugreifen, da sie die Autoritätsperson Remmele deckt. In Wahrheit jedoch benötigt der Praktiker Remmele, den wendigen Theoretiker Neumann. Remmele ist zwar ein guter aber kein hervorragender Redner.

Ernst Thälmann

Ernst Thälmann hält sich viel darauf zugute aus dem Proletariat zu stammen. Viele Arbeiter und Anhänger der KPD speziell in Hamburg sehen in ihm ihresgleichen. Die Rhetorik von Thälmann provoziert bei den Intellektuellen innerhalb der KPD des Öfteren geradezu Verzweiflungszustände. Wenn Ernst Thälmann nicht vom Blatt abliest passieren ihm immer wiederholt brutale verbale Schnitzer. Auf einer KPD Versammlung meinte er einmal im Ernst:“ Die Frauen gehören mit den eigens dafür geschaffenen Organen bearbeitet.“ Letzteres führt zwar zu Witzen innerhalb der Partei- Intelligenz, aber solche Schnitzer schaden dem Arbeiterführer beim proletarischen Anhang nicht im geringsten. Auch die Affäre im letzten Jahr führte bei vielen Arbeitern, die in Ernst Thälmann Ihrem Führer sehen zu Mitleid und sogar zur aktiven Solidarisierung. Bei allen Schwächen ist Ernst Thälmann ein nicht zu unterschätzendes Aushängeschild der Partei. Thälmann verfügt mittlerweile rüber viel organisatorische Erfahrung, aber er schwankt zwischen übersteigerten Selbstbewusstsein und Minderwertigkeitskomplexen.

Walter Ulbricht

Der Sachse Walter Ulbricht wird in der KPD nicht geliebt. Sein absoluter Pluspunkt ist seine ständige Betriebsamkeit und die Liebe zum Detail. Nicht umsonst hat er in der Partei den Spitznamen „Genosse Zelle“ Walter Ulbricht wird mit Sicherheit dem neuen Zentralkomitee angehören und dort wie immer einer derjenigen sein der am besten informiert ist. Seine Außenwirkung hingegen ist mehr als bescheiden. Auch in seinen Jahren in Moskau ( er war dort Vertreter der KPD bei der Komintern) verstand er es nicht auch nur etwas russisch zu lernen. Walter Ulbricht hat es geschafft sich von allen seinen alten Freunden Heinrich Brandler und Thalheimer, rechtzeitig zu distanzieren. Er wird als Organisator im neun Zentralkomitee mit Sicherheit benötigt.

Leo Flieg

Leo Flieg gehörte bis dato zu jeder KPD Führung. Flieg ist ungeheuer fleißig und ein überzeugter Bolschewik. Letzteres kann aus seinem Äußeren nicht geschlossen werden. Leo Flieg ist blass und schmächtig. Vom Typ her würde er als Büroangestellter eine Versicherungsgesellschaft locker durchgehen. Dennoch ist Flieg ein überzeugter Revolutionär, der im Stande ist auch konspirativ zu arbeiten. Mit Heinz Neumann verbindet in eine enge Freundschaft. Leo Flieg gehört zum engen Freundeskreis des KPD Chef Agitators Willi Münzenberg.

Willi Münzenberg

Willi Münzenberg ist nicht nur im Reichstag aktiv sondern er leitet umfassende KPD Propagandaunternehmen. Münzenberg gibt nicht nur die „Arbeiter Illustrierte Zeitung“ heraus sondern er organisiert publikumswirksam jeden Propagandafeldzug der KPD. In den Verlagshäusern von Münzenberg erscheint die kleine Arbeiterbibliothek, die im RO RO Ro Druckverfahren hergestellt wird. Durch dieses günstige Verfahren verstand es Münzenberg die Werke von Marx, Engels und Lenin günstig Arbeitern und Arbeiterinnen anzubieten. Daneben betreibt er ein florierendes Geschäft mit sowjetischen Filmen. Es dürfte bekannt sein, dass Münzenberg immer wieder solche Filme einsetzt und des Öfteren speziell während der Wahlkampagnen Filme als rollende Kinos in den allerletzten Landgemeinden zeigt. Münzenberg ist der fähigste Propagandist den die KPD hat. Auch als Redner sind seine rhetorischen Fähigkeiten nicht zu unterschätzen. In Privatgesprächen mit Intellektuellen welche der Partei nahe stehen kann Münzenberg sehr charmant sein.

Hans Kippenberger

Wie Ihnen bekannt sein dürfte leitet der ehemalige Leutnant Kippenberger, den Abwehrapparat der KPD. Unter seiner Führung steht der Nachrichtendienst, sowie der militärische Zersetzungsapparat kurz M- Apparat genannt. Hans Kippenberger ist Mitglied des Reichstages er versucht mit seinen Erkenntnissen, die KPD Politik maßgeblich mitzugestalten. Gegenüber der Reichswehr hat sein Zersetzungsapparat aber bis dato nichts Wesentliches bewerkstelligt. Es gibt zwar einige KPD Zeitungen für Reichswehrangehörige, welche allerdings ihre Wirkung verfehlen. Offensichtlich hat es Kippenberger allerdings geschafft einige Informanten speziell innerhalb der preußischen Staatspolizei unterzubringen. Kippenberger umgibt sich mit jungen Leuten deren Namen dem Parteimitgliedern unbekannt sind und auch ich selbst kann leider nicht einen einzigen seiner Mitarbeiter mit Klarnamen benennen.

General Schleicher ist zufrieden

Selbstverständlich lieber Vater lieferte ich Schleicher nur ein Konspekt des geschriebenen. Sowie einige Infos die zum Teil aus fraktionellen Gründen weitergegeben werden sollten. Nachdem Herr Rath das Papier erhalten hat erhielt ich kurze Zeit darauf eine Einladung ins Hotel Adlon, um dort General Schleicher zu treffen. Wie immer trafen wir uns in einem eleganten Nebenraum des bekannten Berliner Hotels. Die „vibrierende“ Natter Schleicher begrüßte mich herzlichst. Mein Bericht schien dem Herrn General gefallen zu haben. Im Lauf des Gespräches wurde mir immer deutlicher, dass sich dieser deutsche Militarist als politisches Genie und als ausgesprochenen Menschenkenner betrachtete. Der General meinte mir mit tiefen Blick in meine Augen mitteilen zu müssen:“ Jetzt bin ich endgültig davon überzeugt wie nützlich Sie für mich sein können“. Dann begann der Herr General mit einem Monolog und legte nur noch Wert darauf, dass ich ihm zustimmend zunickte. Dennoch hatte auch der endlose Monolog einige interessante Aspekte für mich zu bieten. Dem Herrn General Schleicher war die Unzufriedenheit mit der SPD geführten Regierungskoalition anzumerken. Die Regierung Hermann Müller hatte zwar ihrer Wahl Versprechungen gebrochen und statt der versprochenen Kinderspeisung, Geld für den Panzerkreuzer A bewilligt. Damit war Schleicher zufrieden aber er meinte:“ Ich hab die Schnauze voll davon immer die Herren überzeugen zu müssen. Die Entscheidungen der Regierung dauern mir viel zu lange. Da lobe ich mir doch Josef Stalin, welcher einfach ohne irgendjemand zu befragen seinen Hauptkonkurrenten Leo Trotzki in die Türkei verbannen konnte.“ Zusätzlich äußerte sich der General optimistisch bezüglich der neuen Führung in der Sowjetunion. Sinngemäß brachte er zum Ausdruck, dass deren Politik einerseits abenteuerlich sei, es aber auf der anderen Seite doch nur die ewigen Interessen von „Mütterchen Russland bediene“. Gleichzeitig meinte er dass sich die KPD in Deutschland maßlos überschätze und sich mit ihrer Politik gegenüber der Sozialdemokratie langfristig nur isolieren könnte. Mit einigen kurzen Einwürfen billigte ich die Argumentation des Generals. In der Tat, mein Verstand sagte mir, dass der General, die Klassenlage und das Klassenbewusstsein in Deutschland realistischer e einschätzte als die Führung der KPD. Gegen Ende der Audienz meinte General Schleicher: „ Am 1. Mai ist was im Busch, der SPD Polizeipräsident Zörgiebel bereitet etwas gegen die KPD vor. Ich hoffe der Kerl stellt sich nicht so blöde an wie das Weichei Severing ( SPD Innenminister von Preußen ).“ mit den letzten Bemerkungen war ich entlassen und durfte den Heimweg antreten. Umgehend informierte ich einen Kurier von Kippenberger und bat um ein Gespräch.

Leseprobe Teil 3

Im November 1930 wieder bei Schleicher

Herr Rath schickte mir einen Brief mit der Adresse des Zahnarztes Dr. Hellmuth Elbrechter im Berliner Adressbuch als Zahnarzt mit einer Praxis in der Brückenallee Nr. 14 verzeichnet, bei dem ich mich in Zukunft mit Schleicher treffen sollte. Der General schien auf mehr Konspiration zu setzen. Über den Zahnarzt stellte mir die Sekretärin von Kippenberger, ein umfangreiches Dossier zusammen. Der Herr Doktor gehörte zum engsten Kreis der Leute um Edgar Jung, dem Kreis der sogenannten „konservativen Revolution“. Er hatte enge Kontakte zum sogenannten linken Flügel der NSDAP, um Gregor Strasser seinem Bruder Otto Strasser und zu dem in Bolivien weilenden Ernst Röhm. Die „ Jungkonservativen“ waren eine Vereinigung von rechten Intellektuellen, welche die Vergangenheit verherrlichten, aber dennoch nicht auf die Rückkehr von Kaiser Wilhelm setzten. Diese Leute meinten, dass das alte Preußen der Inbegriff von sozialer Gerechtigkeit gewesen sei. Zu dem Kreis gehörte auch der Schriftsteller Ernst Jünger, welcher in seinem Werk „ In Stahlgewittern“ das Kriegserlebnis abfeierte. Jünger schwadronierte von wahrer „Männlichkeit im Krieg“ und brachte es fertig das Kriegserlebnis als „ Sozialismus“ auszugeben Hans Zehrer gab die Zeitung „ Die Tat“ heraus in der ebenfalls der autoritäre preußische Staat abgefeiert wurde. Gleichzeitig sahen diese Leute den Gegensatz links – rechts als überholt an und propagierten faktisch einen autoritären Ständestaat mit einer starken Person an der Spitze. Die Nazibewegung war diesen Leuten nicht vornehm genug.
 

Das Treffen beim Zahnarzt

Als getarnter Patient besuchte ich am 3. November 1930 die mir angegebene Zahnarztpraxis. Sofort wurde ich von der “ Sprechstundenhelferin“ in einen eleganten getarnten Raum geführt. Der Herr General war schon da und begrüßte mich freundlich. An dem Gespräch nahm auch der oben genannte Zahnarzt teil. General Schleicher setzte auf freundliche nichts sagende Konversation am Anfang des Gesprächs. Er erkundigte sich nach meinen Lebensumständen und fragte mich ob ich Geld benötige. Natürlich war ich mir meines Auftrages bewusst und sprach von meinen Geldsorgen. Der Herr General sagte, „dass lässt sich mit einem Scheck in den nächsten Tagen locker lösen. Herr Leutnant Rath wird Ihnen einen Scheck in Höhe von 2000 Reichsmark zukommen lassen.“ Endlich kam Schleicher auf den Zweck unseres Treffens zu sprechen. Er bedauerte es, dass die Nationalkonservativen nur ein Prozent bei der Reichstagswahl erreicht hätten. Den Wahlerfolg der NSDAP versuchte er mit einem Schulterzucken abzuwickeln. Ich hatte das Gefühl, dass der Zocker Schleicher versuchen würde aus der Situation das Beste zu machen und mit Sicherheit hatte er Kontakte in die Reihen der Nazi Partei. Schleicher war wie immer voller Optimismus und sah sich zunehmend als den Drahtziehern der deutschen Politik an. Seine wispernde Stimme wollte dann von mir etwas über die neueste Entwicklung in der KPD wissen. Mein Bericht an ihn gab nur bekanntes wieder wenn etwas öffentlich unbekannt war dann waren es gezielte Fehlinformationen darunter auch Köder. Ich berichtete vom Optimismus der in den Reihen der KPD herrschte und der Einschätzung der führenden Kader der KPD, dass es sich bei der NSDAP nur um eine vorübergehende Erscheinung handeln würde. Der General nickte und grinste bezüglich der aktuellen Politik der kommunistischen Partei. In mir brodelt es, in meinem Kopf spukte wieder der Gedanke herum wie relativ richtig, der General, die Entwicklungen in Deutschland einschätzte , im Gegensatz zur Führung der KPD und der Kommunistischen Internationale. Dann wollte er wissen wie hoch ich den Prozentsatz von Patrioten in der KPD und in deren Umfeld einschätzte. Ich sagte ihm was auch bekannt war, dass die KPD zwar nationale Töne anschlug aber in diesem Zusammenhang nicht mit den Völkischen und der Nazi Partei konkurrieren könne. Dann meinte der General, „aber es gibt doch einige Überläufer wie zum Beispiel „ Beppo Römer“ und den Bruder von Ernst von Salomon in Richtung KPD“. Das bestätigte ich, ich wies jedoch darauf hin wie schwer es für die KPD sei mit ihrer Parole „Heil Moskau“ mehr als ein paar einzelne Überläufer aus dem nationalen Lager zu gewinnen. Der General und auch der Zahnarzt bescheinigten mir ein „helles politisches Köpfchen zu sein“. Anschließend ging ich daran einige Fragen zu stellen, die darauf hinausliefen mehr über die Arbeit der Reichswehr innerhalb der KPD zu erfahren. Schleicher antwortete nur, dass sie natürlich noch mehr Leute innerhalb der KPD hätten, was mich aber nichts anginge. Der politisierende Zahnarzt und persönliche Freund des Generals meinte dann wie „schön es doch sein könnte eines Tages die -Arbeiter Illustrierte Zeitung -von Willi Münzenberg als nationales Blatt auf dem Markt zu werfen“. Schleicher meinte zudem „wir haben natürlich unsere Leute speziell im Presseapparat der KPD untergebracht, um im entscheidenden Moment auch von dieser Seite her auf den nationalen präsidialen Konsens zu setzen“. Mit Ernst Thälmann den Schleicher einen verstockten Hamburger Hafenarbeiter nannte könne man hingegen nicht arbeiten, folgerte der General . Als gefährlich wurde von den beiden Herrn der „Jude Neumann“ eingeschätzt. Damit war ich freundlich entlassen, man versicherte mir, sich auf das nächste Treffen „zu freuen“.

Rapport bei Hans Kippenberger

Umgehende am 4. November fand ein Termin mit Hans Kippenberger in dem von uns bevorzugten Kaffe im Berliner Westen statt. Nach meinem Bericht meinte Kippenberger, es sei nötig den „gesamten Presse- Apparat der Partei, sowie die Leute von deinem Willi Münzenberg durch unseren Abwehr – Apparat zu überprüfen“. Der anwesende Leo Roth nickte was bedeutete dass er den Auftrag übernehmen würde. Leider verstand Hans Kippenberger nicht dem politischen Realitätssinn des Generals und lachte. Er meinte gegenüber der NSDAP müsse der Kampf auf der Straße verschärft werden: „Es geht darum die rote Einheitsfront zu schaffen. Diese Einheitsfront war in Wirklichkeit in dem damaligen Verständnis der KPD keine Einheitsfront, sondern einUltimatum an die sozialdemokratischen Arbeiter, sich der kommunistischen Führung zu unterwerfen. Das wurde dann Einheitsfront Politik genannt. Einige Zeit später begriff ich wie weit sich die Kommunistische Partei dadurch von den Erkenntnissen des dritten und vierten Weltkongresses der Kommunistischen Internationale gelöst hatte. Kippenberger sagte noch, dass er Münzenberg informieren würde bezüglich der Überprüfung seiner Leute. Wir drei verstanden uns relativ gut und gingen dann dazu über einige allgemeinpolitischen Fragen zu diskutieren. Der junge und attraktiv aussehende Leo Roth bekam vor lauter Eifer gar nicht mit, wie sehr er im Visier weiblicher Blicke in unserem Café stand. Hans Kippenberger erzählte einige Dinge aus dem Reichstag, denn er war ja Abgeordneter. Die Eröffnung des Reichstages wurde von den Nazis propagandistisch genutzt, um mit voller Uniformierung im Parlament zu erscheinen und durch wildes Gebrüll auf sich aufmerksam zu machen. Kippenberger nannte die Fraktion der Nazis eine „Ansammlung von wildgewordenen Spießern und Kleinbürgern“, aber auch von Mördern wie dem SA Führer von Schlesien Edmond Heines. Anschließend erzählte Kippenberger etwas ironisch wie die Nazibewegung auf ihn wirkt: „ Wisst ihr wie der richtige Arier aussieht? Groß wie Goebbels, schlank wie Göring und blond wie Hitler“. Wir bogen uns vor lachen. „Das muss ich Willi erzählen“ meinte ich, der wird sicher daraus eine Fotomontage mit einem Text für die „ Arbeiter Illustrierte Zeitung“ machen. „ Tu das „ sagte Leo Roth.

Luise und Anton Grylewicz

Das Jahr 1931 begann kalt und ebenso kalt und unbarmherzig war die Sparpolitik von Reichskanzler Brüning. Der Regierung ging es nur noch darum auf Kosten der Arbeiter und speziell der sozial Marginalisierten eine erbarmungslose Sparpolitik durchzusetzen. Den großen Konzernen sollte der Druck auf ihre Profitraten welcher durch die Krise entstandenen war, genommen werden. Die Regierung Brüning stützte sich entweder auf der Notverordnungsparagraphen des Reichspräsidenten, oder auf die Tolerierung durch die Sozialdemokratie, welche Brüning als das „kleinere Übel“ gegenüber der Nazibewegung ausgab. Der Gewerkschaftsführer Fritz Tarnow vertrat die These, dass die Sozialdemokratie die Aufgabe hätte, „Arzt am Krankenbett“ des Kapitalismus zu sein“. Es war völlig richtig wenn unser Parteiführer Thälmann dazu aufrief der Kapitalismus zu beerdigen, statt den stinkenden Leichnam zu schminken und zu kostümieren. Allerdings war dadurch noch nicht die Frage geklärt, wie die Arbeiterbewegung mit dem kleinbürgerlichen konterrevolutionären Produkt der Verzweiflung, dem Faschismus umzugehen hätte. Jede Nacht sowie am helllichten Tag gab es Angriffe der SA Banditen auf unsere Genossen und Genossinnen. Aber der Faschismus griff genauso die sozialdemokratischen Arbeiter und die sozialdemokratischen Einrichtungen an. Nächtelang diskutierte ich mit Luise die politische Situation im Land. Eines Tages drückte sie mir Broschüren von Leo Trotzki in die Hand. Sie sagte unumwunden, dass er die Lage in Deutschland richtig verstünde und zur Einheitsfront aller Arbeiter gegen den Faschismus aufrief. Diese Einheitsfront welche Trotzki einforderte sollte kein politisch ideologisches Bündnis mit der Sozialdemokratie sein, ganz im Gegenteil, sondern eine Politik die darauf abzielte sich darüber zu verständigen, wie und wann, und mit welchen Mitteln die faschistischen Banden in ihre Schranken gewiesen werden könnten. Oft attackierte ich Luise in diesen Tagen und Wochen und warf ihr vor, von der Richtung der Versöhnler „in Richtung des antibolschewistischen Trotzkismus abzugleiten“. Die Broschüren von Trotzki hatten allerdings die Funktion, dass ich bis zum März 1931 sehr viel von ihm las und ins grübeln kam. Der Herausgeber der Schriften von Leo Trotzki in Deutschland war ein gewisser Anton Grylewicz ein ehemaliger KPD Funktionär, sowie ehemals Abgeordneter im preußischen Landtag. Die Gruppe nannte sich “ Linke Opposition der KPD“ und gab die Zeitschrift „Permanente Revolution“ heraus. Offensichtlich hatte sich meine Luise der Gruppe angeschlossen und arbeitete weiterhin im Verlagshaus der „Arbeiter illustrierten Zeitung“. Eines Tages im März 1931 schlug sie mir vor, mich mit Grylewicz im Atzinger zu treffen. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn erstens interessierte mich der Termin, zudem war ich es gewohnt aufgrund meiner Doppelagentenfunktion mit verschiedenen Leuten zu sprechen. Damals hielt ich mir auf meine Schauspielkunst einiges zugute. An einem Freitagnachmittag im März 1931 marschierte ich mit Luise zum Treffen mit Grylewicz . Grylewicz war bereits da, als wir das Lokal betraten und an seinem Tisch saß ein mir unbekannter jüngerer Mann mit einem markanten Gesicht. Mir war sofort klar, dass es sich bei dem Partner von Grylewicz , um keinem Deutschen handeln konnte. Wir nahmen Platz und stellten uns gegenseitig vor. Der junge Mann hieß Leo Sedow . Sofort schoss es mir durch den Kopf, dass ich mit dem Sohn von Leo Trotzki und dem Chef des deutschen Trotzkismus zusammen saß. Meine Luise kannte offensichtlich beide ziemlich gut. Etwas distanziert begann unser Gespräch. Wir erörterten die allgemeinpolitische Lage -bei der mir auffiel- wie wichtig es Grylewicz war zu betonen,“er sei kein Gegner der KPD sondern es ginge ihm darum, die Linie gerade in Bezug auf den Kampf gegen den Faschismus zu ändern“. Leo Sedow meinte das sein Vater sich nach wie vor zur Verteidigung des Arbeiterstaates Sowjetunion bekenne, das Übel sei die dort herrschende Bürokratie und die von Stalin in der deutschen Partei eingesetzte Bürokratie“. Stundenlang saßen wir zusammen und ich hörte so einiges was mir logisch einleuchtete. Unsere KPD isolierte sich durch ihren ultralinken Kurs zunehmend von der Masse der Arbeiter und Arbeiterinnen. Die RGO Politik führte dazu die Masse der noch in den Betrieben Beschäftigten den sozialdemokratischen Ideologen und Bürokraten zu überlassen. Immer wieder stellte ich auch Fragen an den Sohn von Leo Trotzki wie denn sein Vater die „Entwicklungen der Sowjetunion genauer einschätze“. Leo Sedow sprach von einem Kampf um eine Reform der UdSSR, den Sturz der Bürokratie, die Entfernung Stalins, sowie die Rückkehr zur Arbeiterdemokratie. Scharf kritisierte er den momentan ablaufenden Fünfjahresplan welcher zu einer entsetzlichen Hungersnot im Heimatland der Arbeiter und Arbeiterinnen führte. Leo Sedow meinte:“ Die bürokratische Bande hat keinerlei selbstständigen Ideen sondern sie bedient sich einmal linker und einmal rechter Ideen im Kampf um ihren Machterhalt. Die gegebene Kollektivierung sei ein grausames Abenteuer denn man kann ohne landwirtschaftliche Technik nicht einfach die Kollektivierung befehlen und unter der Parole der Liquidierung des Kulakentums, gleich noch den Mittelbauern und Kleinbauern mit liquidieren. Es herrscht momentan eine grausame Hungersnot in der Sowjetunion.“ Dann kehrten wir wieder zur Lage in Deutschland zurück. Grylewicz betonte seine Gegnerschaft zum „Leninbund“. Der „Leninbund“ wurde von Hugo Urbahns geführt. Hugo Urbahns. war politischer Leiter des Hamburger Aufstandes von 1923. Der 1928 gegründete „Leninbund“ hatte nach den Worten von Grylewicz, „die Verteidigung der Sowjetunion und den Kampf, um die Reform der KPD aufgegeben was unverantwortlich sei.“ Ziemlich beeindruckt verließ ich zusammen mit Luise das Lokal. Es wurde vieles angesprochen was mir schon seit einiger Zeit zu denken gab. Auf der Straße küsste ich Luise meine „ kleine Trotzkistin“. Aber völlig überzeugt war ich nicht. Ich hing viel zu sehr an Heinz Neumann und an seiner mittlerweile heimlichen Fraktion in der KPD.

Editorische Hinweise

Wir erhielten den Text vom Autor für diese Ausgabe.  Der Leseauszug - noch ohne Lektorat - stammt aus dem neuen Buch von Max Brym. Es erscheint im März oder April 2017 - Verlagsangebote liegen vor. Es dürfen auch noch andere Verlage Ihr Interesse bekunden.